[295] Sorrent

Rückkehr zur Natur

Als hätt' uns lang ein Zwist geschieden,
Der nun geschlichtet wunderbar,
So trat ich ein in deinen Frieden
Und ward im Tiefsten still und klar.
Ich sah das Meer sich leuchtend dehnen,
In Frühlingswonnen stand die Flur,
Da warf ich wieder mich in Tränen
An deine Mutterbrust, Natur.
Ich kannte dich, und doch im stillen
Trotzt' ich der Liebe, die mich zwang,
Die um den spröden Eigenwillen
So zarte Fesseln freundlich schlang.
Am Geiste sucht' ich mein Genügen,
Und zahme Schwäche schien mir's nur,
Mich unter deine Zucht zu fügen
Und still zu wandeln deine Spur.
Du schwiegst, und fort und fort in Treuen
Geselltest du dich nah zu mir,
Den nicht'gen Unmut zu zerstreuen,
Und riefst so sanft: Ich bin bei dir!
Du sahst mich an aus Himmelsreine,
Aus Wald und Blumen mütterlich –
Umsonst! Nicht war ich mehr der Deine,
Und so verscherzt' ich dich und mich.
Empfinden sollt' ich's. Wie die Schwüle
Des engen Tagwerks mich umfing,
Wie mir im hastigen Gewühle
Der gleiche Mut verloren ging –
[296]
Der Leib verfiel dem langen Kranken,
Die Seele zittert' in der Pein,
Da zogen sehnliche Gedanken
An deine Heilkraft in mich ein.
Und nun! – O, magst du schon dem Knaben
Die noch verhüllte Seele weihn,
Den Mann aus hundert Quellen laben,
Dem Greisen eine Freistatt sein:
Nur wer genest, fühlt ganz tief innen
Die Fülle deiner Liebeskraft,
Und rein und reizbar noch an Sinnen,
Umfängt er dich mit Leidenschaft.
So nimm mich wieder, hehres Leben,
In deinem Schoße birg den Sohn!
Du lächelst mir, du hast vergeben
Und segnest den Verirrten schon.
Du übertönst mit Vogelstimmen
Die Beichte, die dein Ohr vernahm,
Und in des Morgens Glühn und Glimmen
Begräbst du dieses Rot der Scham.

Laurella

Du bist noch wild, du bist noch scheu,
Nur von der Mutter gezähmt,
Du weißt noch nicht, wie süß es sei,
Was Menschen entzückt und grämt.
Du lässest dein Haar in die Stirne wehn
Und tief deine Wimper sich senken.
Kein Mann, kein Mädchen soll erspähn,
Was deine Augen sich denken.
Was beißest du in die Orangenfrucht
Mit weißen Zähnen so heftig?
Was wirfst du den Arm in des Tanzes Flucht
Um des Schwesterchens Leib so kräftig?
[297]
Was wirst du nur so zornig rot,
Lachen die Bursche, die frechen?
Warum erschrickst du bis in den Tod,
Hörst du von Liebe sprechen?

Rosensünden

Diese flatterhaften Rosen,
Die mir tags Laurella gab,
Fliegen, die gewissenlosen,
Nachts zu Grazia hinab.
Steckt euch denn, ihr Bösewichter,
So die Kuppelei im Blut,
Daß ihr doppelt eurem Dichter
Eure Liebesdienste tut?
Oder ließ sich billig finden
Euer Beichtiger, der Lenz?
Gab er euch für Rosensünden
Im voraus die Indulgenz?

Feuerversicherung

Und nun sprich, wie soll ich's machen,
Hier des Lebens froh zu sein,
Denn so recht von Herzen lachen
Kann ein Mensch doch nur zu Zwein.
Zwar es trennt die flachen Dächer
Ein verwünschtes Mäuerchen,
Doch darüber sprang in frecher
Schadenlust das Feuerchen.
Als du mir dein warmes Händchen
Reichtest über jene Wand,
Anfangs zuckt' in mir ein Brändchen,
Doch es wuchs und ward ein Brand.
[298]
Und nun sage, willst du's hindern,
Klettr' ich dir zum Dach hinein?
Ach, ein solches Feuer lindern
Kann ein Mensch doch nur zu Zwein!

Von Lacerten

1.

Eine fand ich, eine fette,
Die vor ihrem Schlupfloch saß,
Ehrbar, sauber und behaglich
Und die Augen hell wie Glas.
An dem warmbesonnten Steine
Putzte sie das Näschen blank,
Fing sich dann und wann ein Mückchen,
Das sich ihr zu nahe schwang.
Rechts und links durch alle Ritzen
Raschelte die junge Brut.
Sie allein blieb stattlich sitzen,
Wie gereifte Weisheit tut.
Nur zuweilen mit dem Schwänzchen
Zuckte sie bedeutungsvoll,
Trieben es die jungen Leute
In den Kammern gar zu toll.
So in innres Schaun versunken
Und Genuß des Sonnenlichts,
Nicht erschrak sie, da ich nahte,
Denn der Weise fürchtet nichts.
Wie der Philosoph der Tonne
Sah sie mich gelassen an:
Geh mir etwas aus der Sonne,
Unbekannter, junger Mann!

[299] 2.

In Gedanken an die Ferne
Und der Nähe wenig froh,
Senkt man wohl die Augen gerne,
Und auch heut geschah mir so.
Da in weichen Lüften schwanken
Sah ich einen Schmetterling,
Daß sein Schatten auf dem blanken
Gartenweg spazieren ging.
Hell in Sonne lag das Gärtchen,
Die durch zarte Zweige brach,
Und ein törichtes Lazertchen
Lief dem Falterschatten nach.
Dacht' ihn jetzt der Wicht zu haschen,
War er wieder weit voraus,
Und fast ging ihm bei der raschen
Jagd Geduld und Atem aus.
Zwischen Lachen und Erbauung
Sah ich zu dem holden Trug
Idealer Weltanschauung,
Doch – wer wird durch Schaden klug!

3.

Euch beneid' ich, ihr Lacerten,
Die ihr an der Mauer tänzelt,
Durch die lichten Rebengärten
Sorglos in der Sonne schwänzelt.
Euer lustiges Gelichter
Achtet nicht der Lorbeerhecken
Dort im Garten, die den Dichter
Aus der süßen Ruhe schrecken.
Nicht der dunkelgrünen Predigt
Jener stattlichen Zypressen,
Die die Seele, kurzbeseligt,
Mit den bangen Schauern pressen.
[300]
Ach, und nicht der Myrtenbäume,
Deren Zweige mir verkünden,
Wie viel Wonnen ich versäume,
Bis sie Ihr das Haar umwinden.

Im Süden

Ist die Luft so reingestimmt,
Jeden Mißklang zu versöhnen?
Will doch alles lieblich tönen,
Was mein lauschend Ohr vernimmt.
Ich, um den die Fessel schlang
Leidenschaft, – an dieser Stätte
Klirr' ich nur mit meiner Kette,
Und schon klingt es wie Gesang.

Bekenntnis

Spare deine Erstlingsküsse
Für den Liebsten, schlankes Kind,
Denn du weißt nicht, aber wisse,
Daß versagt die meinen sind.
Schmiege nicht, du wilde Taube,
Dich an dieses Herz so fest,
Denn du glaubst nicht, aber glaube:
Längst bewohnt ist dieses Nest.
Lächle nicht! Und wär's mit Schmerze –
Hohe Zeit ist, daß du lernst:
Lächeln darf ich nur im Scherze,
Und du lächelst, ach, im Ernst.

Durch die Ferne, durch die Nacht

Hab Erbarmen! hab Erbarmen,
Um mich selbst bin ich gebracht,
Wenn du winkest mit den Armen
Durch die Ferne, durch die Nacht.
[301]
Lösch, o lösch die kleine Kerze,
Die mir dieses Nackens Pracht
Nur enthüllt zu meinem Schmerze
Durch die Ferne, durch die Nacht!
Deine Stimme laß ertönen,
Denn sie dringt heran mit Macht,
Als umarmte mich dein Sehnen
Durch die Ferne, durch die Nacht!

Idylle

Junges Weib, wie manche Stunde
Seh' ich deinem Glücke zu,
Wie du auf dem Söller droben
Schaltest ohne Rast und Ruh.
Während du mit kräft'gem Arme
Überm Haupt den Rocken schwingst,
Schnurrt herab die flinke Spindel,
Und du lächelst und du singst.
Singst ein Wiegenlied dem Kleinsten,
Das du schaukelst stät und leis,
Und es tanzt dazu dein Knabe
Mit dem Schwesterchen im Kreis.
Tarantella tanzt die Kleine,
Noch in ihren ersten Schuhn,
Klatscht den Takt mit beiden Händchen,
Alles, wie's die Großen tun.
Già la luna 'mmiezzo mare –
Und sie werden es nicht müd,
Bis dem kleinen Paar die Wange
Dunkel wie Granate glüht.
Jetzt Orangen aus dem Körbchen
Und ein Brötchen aus dem Schrank
Teilst du aus zum Abendimbiß,
Und sie küssen dich zum Dank.
[302]
Und das Kind verlangt zu trinken,
Und das Hündchen springt und bellt,
Und die kleinen Vögel wissen,
Wo man offne Tafel hält.
Nun kommt die Nacht, so duftig, mild und klar.
Die Kinder schläfert's. In dem Bettchen dort
Bringst du zur Ruh das kleine Tänzerpaar;
Das Jüngste schläft im Wiegenkorbe fort.
Du aber trittst hinaus, und vom Balkon,
Ein Liedchen summend, sacht das Haupt gewiegt,
Blickst du umher. Es klingt kein falscher Ton
Durch dieses Herz, das tief in Frieden liegt.
Seitdem du atmest, kennst du alles hier,
Stadt, Meer und Menschen. Doch was kümmert's dich?
Die Heimat selbst – zur Fremde ward sie dir,
Seit Ein Gefühl den Busen dir beschlich.
Mann – Kinder – Haus, und drüber nur ein Grab.
Du nickst wie träumend, grüßt dich die und der.
Der Nachtwind säuselt gassenauf und -ab,
Der Mond geht auf; du überblickst das Meer.
Ein Nachen von Neapel! Vogelschnell
Durchschneidet er die Flut. Du spähst und spähst –
Ist er's? – Dein Aug antwortet freudenhell,
Ein Lämpchen zündest du, mit dem du wehst.
Noch kurze Frist, dann klingt ein rascher Fuß,
Der Knabe lacht im Schlaf, das Hündchen bellt,
Die Türe geht – Willkommen, Gruß und Kuß,
Und in zwei Armen hältst du deine Welt!

[303] Mirakel

Heut nach Sant' Agostino verirrt' ich mich, wo sie dem wunden-
Tät'gen Madonnenbild küssen den marmornen Fuß.
Und da ließ mich das Glück der Wunder eines erleben,
Wie sie an Fleisch und Blut wirkt der vergötterte Stein.
Wenige Fraun und Mädchen – es läutete grade zur Vesper –
Knieeten dort im Gebet, züchtig die Augen gesenkt,
Tücher ums Haupt, darunter die silberne Nadel hervorsah
Oder der blinkende Reif an dem gebogenen Kamm.
Nur ein finsterer Bursch stand fern am Pfeiler. Er schien nicht
Betens halber und nicht gläubigen Herzens genaht.
Fest hinstarrten die Augen auf eins der knieenden Mägdlein,
Und es glüht' ihm das Herz bis zu den Wangen hinauf.
Doch sie achtet' es nicht, sie ließ nicht unter dem Schleier
Nach dem Pfeiler zu ihm wandern verstohlenen Blick.
Freilich, der Bursch war dürftig und unansehnlich; sie selber
Trug in dem Schönheitskampf sicher die Palme davon.
Nun vom Knieen erhob sich eins ums andere. Sittsam
Trat zu der Jungfrau Bild jedes der Mädchen heran,
Heftete Lippen und Stirn und wieder die Lippen in Andacht
Gegen den Marmorfuß, kreuzte sich, knickst' und verschwand.
Immer noch starrte der Bursch. Da kam die Schönste gegangen,
Knickst' und küßte den Stein. Jetzt in gewaltiger Hast,
Gleich als lief' er Gefahr, sein ewiges Heil zu versäumen,
Wild wie ein reißender Wolf zwischen die Schafe sich stürzt,
Drängt' er die Weiber zurück und küßte die nämliche Stelle,
Und des Kicherns umher achtet' der Feurige nicht.
Denn er sah nur die Eine, die purpurglühend ihn anstaunt',
Und, o Wunder! er schien plötzlich verwandelt, der Wuchs
Höher und stolzer der Blick. Du aber schautest mit Lächeln
Auf dein liebliches Werk, Mutter der Gnaden, herab!

Nach der Natur

Pinsel, Griffel und Meißel und was irgend
Macht hat, schwankende Formen festzubannen,
Euch beneidet der Kiel des armen Dichters.
Denn er müht sich vergebens, nachzukritzeln,
Was soeben geschaut die sel'gen Augen.
[304]
Weiß denn einer, wie reizend keck das Dirnchen
Auf dem Eselchen thronte, wenn ich melde,
Daß sie zwischen den Körben saß, das eine
Veinchen über des Tiers geduld'gen Rücken,
Frei das andere baumelnd, daß ihr rotes
Röcklein über die Wade sich hinaufzog?
Und so saß sie mit vorgeneigten Schultern,
In die Rechte geschmiegt das Kinn, am kleinen
Finger saugend, verträumt und aus der Wimpern
Schwarzer Seidengardine Blitze sprühend;
Und so ritt sie dahin die wind'ge Gasse,
Daß am Busen das Tuch sich löst' und flatternd
Halb den kräftig gewölbten Nacken freigab,
Jenen Nacken der Mädchen von Albano,
Drüber üppig geringelt hängt die Flechte,
Wie ein Drache, den stolzen Schatz zu hüten –
Kommt und seht und verzweifelt, arme Dichter!

Der Vesuv

Früh erwacht im Tagesgrauen,
Schwang ich mich das steile Treppchen
Rasch hinan zum flachen Söller,
Und an seiner Brustwehr lehnend,
Ließ ich die entzückten Augen
Weitum in die Runde schweifen.
Noch im leichten Morgenschlummer,
Zugedeckt von Nebelschleiern
Wie von flaumenleichter Decke,
Lag die Küste, lag der glatte
Purpurblaue Meeresspiegel,
Zitternd in dem leisen Windhauch,
Der dem jungen Tag vorausging.
Und nun kommt er! Siegesprangend,
Güldnen Kronreif um die Stirne,
Tritt im Ost er auf die Hügel,
Und sofort die Flammenpfeile
Sendet er in die verträumte
Welt zu Füßen, daß der graue
Nebel reißt, in Glanz zerflatternd.
[305]
Und die herrliche Neapel
Hebt sich aus dem Duft, und ihre
Kinder all, die kleinen Städtchen
Längs der Küste, reiben lachend
Sich den Schlummer aus den Augen,
Spiegeln sich im Meer und kränzen
Seinen Strand mit Blütenzweigen.
Doch zur Rechten in den klaren
Morgenhimmel ragt der alte
Feuerberg Vesuv, die Stirne
Zart umglüht von Rosenschimmer.
Ruhig steht er da, behaglich
Seine Morgenpfeife rauchend,
Zu dem Kranz der weißen Städtchen
Niederblickend, die wie Enkel
Um den Großpapa sich drängen.
Aber ich – gedenken mußt' ich
Alles Unheils, das der Große
Diesen Kleinen angestiftet,
Und die Faust mit Zorngebärde
Nach ihm schüttelnd, rief ich also:
Heuchler du, mit deiner frommen
Menschenfreundlich sanften Miene!
O, man weiß, wie heiße Tücke
Dir im Busen gärt! Umsonst nicht
Nannte jener kranke Dichter
Dich sterminator Vesevo.
Ja, Verwüster und Verheerer
Warst du seit den frühesten Tagen,
Hast die arglos guten Kinder,
Die bei dir sich angesiedelt,
Erst gehätschelt und geliebkost,
Dann bei Nacht in Aschengluten
Sie erstickt, die Ahnungslosen,
Ihre Spur vom Boden tilgend.
Fluch dir! Ohne dich, du Dämon,
Würde dieser benedeite
Erdenfleck ein Paradies sein,
[306]
Gleich dem ersten. Aber freilich,
Diesem auch war ein Verwüster
Zugesellt vom Höllenabgrund,
Gleißend, wie du selbst in Schönheit.
So in sittlicher Entrüstung
Mich entladend, hielt den Blick ich
Auf des Kraters Rand geheftet,
Und auf einmal aus dem weißen
Dampf, der aus der Tiefe vorquoll,
Hob sich geisterhaft ein mächt'ges
Haupt, umweht von grauer Mähne,
Wildem Bart, und unter busch'gen
Brauen funkelten zwei Augen,
Blitze sprühend. Deutlich sah ich
Ihren Blick auf mich gerichtet,
Und wie Morgenwindes Sausen
Drang vernehmlich eine Stimme
An mein Ohr:
Du naseweiser
Tor, wie wagst du mich, den alten
Herrscher dieser Welt, zu schmähen?
Haben nicht die ew'gen Götter
Hier mir meinen Thron gegründet,
Gaben mir die Feuerseele,
Die, ob ungezählte Jahre
Über meinem Haupt dahinziehn,
Nie erkaltet? Feuergeister
Müssen unerbittlich immer
Wechselnd gut und Böses stiften,
Nicht gezähmt von lauer Tugend.
Und du nennst mich Heuchler? Hätt' ich
Je verleugnet mein Gemüte?
Wenn die Kleinen dumm-vertraulich
Sich geschmiegt an meine Kniee,
Mußten sie gewärtig bleiben
Meiner Launen. Und du schiltst mich,
Daß in Aschen ich begraben
Jene zwei berühmten Städtchen?
Heuchler dann du selbst! Wie bist du
[307]
Erst vor kurzem in Pompeji
Hoch entzückt herumgewandelt,
Hast die Bronzen, ausgegraben
Aus dem Schutt von tausend Jahren,
Im Museo Nazionale
Hoch bewundert, und dem »Dämon«,
Der dies Schauspiel euch gegönnt hat,
Gibst du danklos schnöde Namen?
Doch so seid ihr, wind'ge Menschlein,
Prunkend mit humanen Phrasen,
Aber wenn von fremdem Unglück
Etwas Gutes für euch abfällt,
Laßt ihr's doch euch trefflich schmecken.
Schäm dich, junger Mann, und bist du
Noch nicht ganz verderbt, geh in dich!
Rief's' und plötzlich war das mächt'ge
Haupt, so wie's erschien, verschwunden.
Ich jedoch, wie ein gescholtner
Schulbub schämt' ich mich und bat ihm
Alles ab, was ich gelästert,
Rief ihm auch an jedem Morgen
Ehrerbiet'gen Gruß hinüber –
Aber nie mehr hat der alte
Herr von mir Notiz genommen.

Nächstenliebe

Nach Sapo di Sorrento wollt' ich heut.
Die Straße geht bergan, dazu die Glut
Des frühen Sommers. Langsam schritt ich fort
Und trocknet' häufig an der Stirn den Schweiß.
Wer jetzt ein Wäglein hätt'!
Da, hinter mir,
Wie durch ein Zauberwort herangelockt,
Trapp! trapp! ein Hufgeklapper, ein Geräusch
Von Rädern, atemlos in toller Fahrt.
Denn ohne Pause ließ vom Kutschenbock
Der Wagenlenker auf sein armes Roß
[308]
Die Peitsche niedersausen. Presto! Ho!
Carogna!
Nur ein magrer Klepper war's,
Dem man die Rippen zählen konnt' im Fell,
Krummbeinig, Geifer um das offne Maul,
Und keuchend schwer den steilen Berg hinan.
Im Wagen aber saß zurückgelehnt
Ein dicker Priester – nein, ein Pfaffe nur,
Und blinzelt' mit den muntren Äuglein sehr
Vergnügt umher ob seiner raschen Fahrt.
Mir schwoll das Herz vor Grimm. Ich stand und rief
Dem Burschen zu: Wahnsinniger! Siehst du nicht,
Daß deinem Gaul die Zunge lechzend schon
Zum Hals heraushängt, und du schlägst ihn noch?
Erbarmt dich nicht der stummen Kreatur?
Doch er, die Zähne fletschend mir zum Hohn:
Was wollt Ihr, Herr? 's ist ein Bestie nur.
Non ha un' anima, non è cristiano!
Bestie du selbst! – Und zu dem Priester – nein,
Dem Pfaffen, hilfeflehend blickt' ich hin.
Der aber zuckte nur die Achseln, schob
Die Unterlippe vor und wiegte lachend
Den Kopf, als wollt' er sagen: Nehmt es nicht
So tragisch! Denn fürwahr, der Bursch hat recht.
Avanti, Beppo!
Und vorüber fliegt
Das edle Paar. Ich stehe tief empört
Und kummervoll. Wie? Keine Seele hätt's?
Jawohl, so niedrig keine, wie du selbst!
Und wär' kein Christ? So einer nicht, wie Ihr,
Hochwürd'ger Herr! Doch wenn am jüngsten Tag
Die Wiederbringung aller Ding erfolgt
Und dieses arme Pferdchen neben Euch
Vor unser aller Richter steht, mich dünkt,
Der milde Jesus wird mit düstrer Stirn
Zu Euch sich wenden: Hier im Himmel ist
Kein Platz für die, so kalt und heuchlerisch
Sich meines heiligen Namens angemaßt.
Lehrt' ich Euch nicht, daß der Gerechte sich
[309]
Auch seines Viehs erbarmt? Und sollt Ihr nicht
Die Wesen alle, die mein Vater schuf,
Als Eure Nächsten lieben? Heb dich weg!
Du aber, Rößlein, ob du auch kein Christ,
Du bleibst in meinem Himmel, sollst fortan
Aus goldner Krippe speisen saft'ges Heu
Und Weizenfrucht. Und daß im Müßiggang
Du nicht zu fett wirst, sollst auf grüner Flur
Die Engelsbübchen auf dir reiten lassen,
Wie's ihre höchste Lust auf Erden war,
Und war's auch damals nur auf Steckenpferdchen.

Sappho

»Der Mond ist untergegangen

Und die Plejaden –

Ich aber schlafe allein.«

Sappho


»Ich seh' die Stern' am Himmel schon erblassen,
Der Morgenwind weht kühl herauf vom Meere.
Mein schweres Herz hat mich nicht schlafen lassen,
Und auch am Tag bedrückt mich seine Schwere.
Wo bist du, Liebster, daß ich dich nicht sehe?
Ich finde Schlummer nur in deiner Nähe.
Warum bist du so weit von mir geschieden?
In deinem Arm nur find' ich Ruh und Frieden!«
So, als ich früh am Tag vorüberging,
Sang vom Altan ein vierzehnjährig Ding.
Tief in die Stirn fiel ihr das schwarze Haar,
Darunter glüht' ein schwarzes Augenpaar.
Den Rocken schwang sie in der braunen Hand,
Den Feuerblick ins Meer hinausgespannt.
Sang sie von schon erlebtem Liebesschmerz,
Wie? oder träumt' ihn nur voraus ihr Herz?
[310]
Sie sang's vielleicht der ältern Schwester nach,
Verstand nicht halb die Worte, die sie sprach.
Gleichviel. Ihr alle seid von Sapphos Art,
Zu tödlich wildem Herzweh aufgespart.
Doch Leid um Liebe dünkt auch euch Gewinn
Und macht das ärmste Kind zur Dichterin.
Ich aber will zu allen Göttern flehn,
Dir möge nicht das Bitterste geschehn,
Daß dich dein Herz, von Kummer überschwer,
Herab vom hohen Felsen stürz' ins Meer,
Und könnt' auch, Ärmste, dein Rispettisingen
Dir einer Sappho ew'gen Ruhm erringen.

Abschied

Und da ich, mein Sorrent, nun scheiden muß,
Noch stets zu früh nach so viel Wonnetagen,
Laß dir den Dank, mein vielgeliebtes, sagen
Für meines Gastrechts herrlichen Genuß.
Der Wandrer, den sein unstät hast'ger Fuß
Durch Thermen, Tempel und Museen getragen,
Er wird, was mir vergönnt ward, nie erjagen,
Nie ganz verstehn Italiens Genius.
Ich aber durft' in dieses Volkes Mitte
Belauschen seines Herzens freien Schlag,
Nicht eingeschränkt durch heuchlerische Sitte,
Daß offen seine Seele vor mir lag,
Wie eines Freunds, und jetzt mit herbem Schnitte
Der Abschied ein Stück Herz mich kosten mag.

[311] Lied von Sorrent

Zur Melodie: Sto cresenno no bello cardillo


Wie die Tage so golden verfliegen,
Wie die Nacht sich so selig verträumt,
Wo am Felsen mit Wogen und Wiegen
Die gelandete Welle verschäumt,
Wo sich Blumen und Früchte gesellen,
Daß das Herz dir in Staunen entbrennt –
O du schimmernde Blüte der Wellen,
Sei gegrüßt, du mein schönes Sorrent!
Und die Nacht, wenn so süß Luisella
Ihre lachenden Lieder uns singt
Und der Wirbel der Lust, Tarantella,
Wie ein Flämmchen im Sturme sie schwingt.
An der Bucht sich die Gärten erhellen
Unterm leuchtenden Nachtfirmament –
O du schimmernde Blüte der Wellen,
Sei gegrüßt, du mein schönes Sorrent!
Hier entrinnst du der Sorgen Getriebe,
Und es trägt dich auf Händen die Lust,
Und sogar das Gedächtnis der Liebe,
Hier beschleicht es gelinder die Brust.
Und du tauchst in die heilenden Quellen,
In des heiligen Meers Element –
O du schimmernde Blüte der Wellen,
Sei gegrüßt, du mein schönes Sorrent!
Auch der tobenden Stürme Getümmel,
Hier belebt es nur Blüten zuhauf,
Und es lösen die Wetter am Himmel
In ein fruchtbar Geriesel sich auf.
Wenn die Früchte, die herbstlichen, schwellen,
Ach, wie weit, ach, wie bin ich getrennt!
Dann ade, o du Blüte der Wellen,
Dann ade, du mein schönes Sorrent!

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TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Sorrent. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-66A3-2