3.

Liebste, wie lang schon saß ich im lachenden Morgen und starrte
Auf dies Blättchen, und doch ließ ich die Feder in Ruh'.
Denn aus Träumen erwacht sehnsüchtiger Liebe, von Herzen
Brannt' ich, ein inniges Wort hin zu beflügeln zu dir.
Doch wie red' ich hinaus in die tödliche Ferne? Wie sag' ich,
Was hier klopfet und tobt, was die Gedanken verwirrt?
Mein! mein! Immer das eine beschlich eintönig das Ohr mir,
Lauscht' ich nach innen; es klang jauchzend und traurig zugleich.
Soll ich's schreiben? Es ist nicht viel; doch ist es mein Alles,
Was ich gewußt und weiß, was mich zu wissen verlangt.
Ach, dich auch? – So fragt' ich, und selbst antwortend ein helles
Ja! – wie versank ins Meer dieses Gedankens das Herz.
Leibhaft tratst du heran. Da rauschten die Wipfel des Gartens,
Wo wir selig zuletzt eines dem andern gehört.
Wieder das Gras, das hoch in dem Baumgang wucherte, sah ich
Unter dem zierlichen Fuß leise gestreift und gebeugt;
Sahe den Hain von Fichten, den Pfad am Flusse, das Plätzchen
Dicht am wallenden Feld neben der plätschernden Bucht.
Damals schlug's wie ein Sturm in den Herd frohlockender Liebe,
Deren verstohlene Glut lang in der Asche gezückt
Und nun prächtig und frei aufloderte, allen zur Freude,
Bis das Leben aufs neu' eines dem andern entriß.
Ach, und den Abschied dacht' ich, am Bach, der schluchzend dahinlief
Unter dem Weidengesträuch, drin ich zuletzt dich verlor.
[317]
Doch mein! rief ich, und mein! Mir war's, ich hätte dich nimmer
Eigner besessen als heut, näher als heut dich gefühlt.
Und so hätt' ich die Wonne genährt bis hoch an die volle
Sonne, das Blatt vor mir immer so weiß wie zuerst,
Aber es rief von außen Luisa: Kommet ein wenig
Auf den Altan, Signor, kommt den Kometen zu sehn! –
Was? den Kometen? Es ist ja Tag! – Nun sehet ihn selber;
Gestern aus weißem Papier hat ihn der Bruder gemacht. –
Ferdinando? – Ich kam und das Treppchen hinauf zu dem Dachraum
Klomm ich, und droben, verschämt, nickte der Bursche mir zu.
Siebzehn Sommer erlebte der Treffliche; aber er ist schon
Für sein Alter in viel nützlichen Künsten geübt.
Sitz' ich und tafle, so trägt er die Schüsseln herauf von der Küche,
Bringt mir den rötlichen Wein und die Orangen dazu.
Auch auf Besen und Bürste versteht er sich, tanzt wie ein Dämon
Tarantella, und schon hat er ein städtisches Amt:
Festtags immer die Reihen der winzigen Böller zu laden,
Und mit der Lunte, bedenk! brennt er sie säuberlich ab.
Jetzt – was hat sich der Stolz der Familie Neues ersonnen?
Einen Drachen, die Lust nordischer Knaben im Herbst.
Kunstreich wehte der Schweif, und es rauschten papierene Büschel,
Als sich das Untier nun kühn in die Lüfte verstieg.
Aber er hielt am Faden und lenkt' ihn, lächelte selig
Über den staatlichen Flug, und ich belobt' ihn vollauf.
Auch noch andere sahen die Pracht. Vom Dache des Nachbars
Blickt' ein schönes Gesicht, das mir am meisten gefällt
Hier im mädchenberühmten Sorrent. Mit anderen Sternen,
Die kein Weiser begehrt, ging sie am Abend mir auf
Gestern. Ich fragte Luisen und hörte, sie heißtMariuccia.
Oftmals staun' ich sie an; Liebste, versteh: wie ein Bild,
Von Giorgione, von Palma vielleicht. Doch unsre Luisa
Bildet sich ein, ich sei über die Ohren verliebt.
Darum rief sie mich her, ich merkte die Tücke. Sie blinzte
Lustig, und nun aus der Hand nahm sie dem Bruder die Schnur.
Seht, Don Pavolo, rief sie, so seid ihr Männer, wie dieser
Schöne Komet; auch euch regt und beweget ein Wind.
[318]
Eben, da weht's ein wenig vom Meer, gleich dreht sich der Vogel,
Und doch schien er zuvor fest wie der Himmel zu stehn. –
Aber ich lacht' und erwiderte flugs: Nein, gute Luisa,
Sondern die Männer getreu sind sie wie dieser Komet.
Wie du jetzt am Schnürchen den Flatternden lenkst, so lenkt mich
Fern im Norden und hält immer die Liebste mich fest.
Jetzt wohl schweif' ich ein Weilchen in diesen gesegneten Lüften,
Wiege mich über dem Meer, steig' in die Berge hinan.
Aber ich fühle den Faden, und zieht sie ein weniges fester,
Siehe, so kehr' ich im Nu heim von der schwankenden Fahrt.
Zieh nur einmal, so wirst du gehorsam finden den Irrling,
Zieh ihn heran; er stürzt dir vor die Füße gewiß. –
Aber der Mutwill zog, nur über die Maßen. Auf einmal
Riß in der Mitte die Schnur, und in die Tiefe sofort
Schoß köpflings der Komet und verfing sich im Wipfel des Ölbaums,
Aber ein Lachen erscholl hüben und drüben mit Macht;
Auch Mariuccia lachte. Da habt Ihr's, spottet Luisa,
Ihr auch macht es vielleicht noch wie der Schelm, der Komet,
Bleibt hier hängen im warmen Sorrent und lasset die Liebste
Droben im frierenden Nord ziehen so viel ihr beliebt. –
War's denn Schuld des Kometen? erwidert' ich lachend Das Fädlein
War nur tückisch; es webt Amor ein festeres Band. –
Aber das Mägdlein drüben errötete, lächelt' und ging dann
Hurtig hinab, und hinab auch die Geschwister, vom Baum
Ihren Kometen zu lösen. Und ich – ich sitze nun einsam.
Mein! mein! ruf' ich, und dein! hallt es im Innersten nach.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Idyllen von Sorrent. 3. [Liebste, wie lang schon saß ich im lachenden Morgen und starrte]. 3. [Liebste, wie lang schon saß ich im lachenden Morgen und starrte]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-66C9-C