In Venedig

Hier unsre letzte Rast, im stillen Haus,
Daran vorbei die schwarzen Gondeln gleiten.
Wie dumpfe Geisterklage tönt daraus
Der Gondoliere Wechselruf zuzeiten.
Es schläft die Stadt, doch ihre Seele wacht,
Die sonnenscheue, wieder auf bei Nacht.
Und wir, wenn bei umflortem Sternenglanz
Wir wandeln durch die schweigenden Arkaden,
Gleich Schatten unter Schatten, die zum Tanz
Am Acheron die Spukgenossen laden –
Wie der Gedank' uns lähmend überfällt,
Zurück zu müssen in die Oberwelt!
Zurück zur Heimat, die zur Fremde ward,
Wo nicht mehr lockt, was einst so süß gewesen,
Wo unser nur die Freundesfrage harrt:
Kehrt ihr getröstet wieder, gramgenesen? –
Und wenn der Blick noch traurig suchend schweift,
Kaum einer, der sein Schmerzensrecht begreift!
Denn leicht beweglich fließt der Menschen Blut
Und scheidet hastig aus den fremden Tropfen.
Es sträubt sich, Jahr und Jahr verlornem Gut,
War's auch des Lebens Krone, nachzuklopfen.
Wir aber, deren Blut der Gram vergällt,
Wie taugten wir noch in die muntre Welt?
Sie gönnt dem Unglück, eine Weile still
In Einsamkeit sich trauernd abzuschließen.
Doch daß zuletzt nicht alles heilen will,
Nicht wiederkehrt die Sehnsucht, zu genießen,
Daß Treue nicht zu sterben sich bequemt,
Muß sie verdammen, weil es sie beschämt.
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O wie sie grausam klug zu trösten weiß,
Wie sie ergaben spricht von Lebenspflichten:
Der Menschenwürde Feuerprobe sei's,
An neuer Hoffnung sich emporzurichten. –
Doch wenn der Blitz des Baumes Mark verheert,
Wo ist ein Lenz, der neu ihn blühen lehrt?
Die Glücklichen! O, sie verstehn es nie
Und schelten »krankhaft« den erkrankten Willen.
Die Kühlgesunden! Nie begreifen sie,
Daß Wunsch und Wille nicht das Fieber stillen.
Uns aber laß verstummen, wo uns nicht
Ein Herz vernimmt, das unsre Sprache spricht.
Sieh diese Stadt, der Meere Königin,
Stolz, frei und glücklich einst und allumworben.
Ihr Stern erblich, ihr Purpur sank dahin,
Die Macht, ihr Lebensatem, ist erstorben,
Und wenn die Sonne jetzt dem Meer entsteigt,
Steht sie verschämt und nackt, das Haupt geneigt.
Nur wenn die Nacht kommt und Erinnerung
Im Mondlicht spukt und tausend Schatten schwärmen,
Dann ist's, als werde sie noch einmal jung
Und dürfe nicht um ihr Geschick sich härmen
Und wieder froh auf ihre Kinder schaun,
Die stolzen Nobili und blonden Fraun.
Süß ist der Traum und das Erwachen herb.
Durch ihre Gassen wimmelt neu das Leben,
Doch nur bedacht auf ärmlichen Erwerb,
Der Notdurft nur und dem Genuß ergeben.
Aus der Paläste toten Fenstern lacht
Nicht mehr das Glück, die Schönheit und die Macht.
Dann der Lagune Bettlermantel schlägt
Die alte Fürstin um die morschen Glieder,
Und in sich selbst versunken, unbewegt
Und klaglos in die Wellen starrt sie nieder,
Im Kleid der Armut noch der Krone wert! –
Wir aber wissen, wie man Unglück ehrt.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. Meinen Toten. In Venedig. In Venedig. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-66EF-7