[528] Vermischte Gedichte

Fürst Bismarck in München

(24.-26. Juni 1892)


Epistel an einen Freund


Du weißt es aus der Zeitung schon: auch wir
In München hatten unsre Bismarcktage,
Denkwürd'ge Tage wahrlich, eingezeichnet
Mit Goldschrift in die Chronik unsrer Stadt,
Von jener Nacht an, wo die Tausende
Die späte Mitternacht herangeharrt,
Nur um mit brausendem Jubel ein Willkommen
Ihm zuzujauchzen, bis zum dritten Tag,
Da das Geleit man gab dem Scheidenden,
Begierig jeder, einmal noch sein Antlitz
Zu schaun, zu hören seiner Stimme Klang,
Und überglücklich gar, wem es vergönnt,
Die Hand zu drücken, die ein Menschenalter
Die eherne Wage hielt der Weltgeschicke
Und um Germanias Haupt den Lorbeer wand.
Mein Häuschen, weißt du ja, liegt nachbarlich
Dem Haus des Freundes, des berühmten Malers,
Drin der erlauchte Wandrer Herberg fand.
Und so von früh bis spät vor meiner Tür
Sah ich die Volksflut hin und wieder wogen
Und aller Blicke scharf hinüberspähn,
Ob am Balkone dort der hohe Gast
Erscheinen möchte, dann in stürmischem Zuruf
Ausströmend alle Lieb' und allen Dank;
Indessen jene dunklen Ehrenmänner,
Die, weil sie zwergenhaft, dem Riesen grollen,
Bei Tag verstummten, um im Diebesschatten
Der Nacht ohnmächtig in den Freudenchor
[529]
Des Volks ihr hämisches Gezisch zu mischen,
Bis wütend eines Rächers derbe Faust
Die Schandgesellen züchtigte.
Du lasest
Wohl von den festlich bunten Zügen auch:
Studenten, Künstlern, schlichten Handwerksleuten,
Die mit Musik und Fackeln Nacht für Nacht
Vorüberwallten, manch treuherz'gen Spruch
Hinsendend zur Altane, wo der Gast
An seiner Gattin Seite lauschend saß,
Bis er dann plötzlich die gewalt'gen Glieder
Erhob und aufrecht, mit entblößtem Haupt,
Die Menge streifend mit dem Löwenblick,
In stockender Rede sonder Prunk und Pomp,
Doch sein Gepräg auf jedem Wort, dem Volk
Darbrachte seine Seele, dankbewegt,
Indes der Fackelschein die bleiche Stirn
Umspielte, wie das elfenbeinerne Haupt
Des Zeus, das von ambrosischen Locken freilich
Umwallt war, während unser Donnerer
Nur mit dem Schütteln seiner buschigen Brauen
Heut noch erschüttern könnte den Olymp.
Dann, als verstummt die laute Festlichkeit
Und in des Hausherrn reichgeschmückte Werkstatt
Der Ehrenmüde sich zurückgeflüchtet,
Ruht' er behaglich noch ein Stündlein aus,
Hausväterlich den Wolkensammler spielend,
Um ihn ein Kreis Vertrauterer. Und lieblich
War's anzuschaun, wie er so ritterlich
Zu schönen Fraun sich neigte. Dennoch stets
Umwittert' ihn ein seltsam fremder Hauch.
So menschlich sich uns gab der Übermensch,
Bedacht, es allen wohl zu machen, heimlich
Blieb eine Spannung in uns rege, wie
Genüber einem Gast aus andrer Welt.
Ich selbst, sonst ohne Menschenfurcht, gewohnt,
Vor irdischer Größe nicht den Blick zu senken,
Vor diesem Hohen wandelte mich doch
Ein Schauer andachtsvoller Ehrfurcht an.
[530]
Dies Antlitz, sagt' ich mir, das hier dich grüßt
In Fleisch und Blut, – wenn lange schon der Odem,
Der es beseelt, ins All zurückgeschwebt,
Der letzte Blick aus diesem Herrscherauge
Versprüht ist und der Mund, auf dessen Wort
Der Erdkreis lauschte, stumm für ewig ward,
Dann, wie das Sphinxhaupt, das im Wüstenbrand
Noch unverschüttet auf zur Sonne ragt,
Ob auch jahrtausendalter Flugsand rings
Emporgeweht ist, wird dies Heldenhaupt
In mächt'gem Umriß noch die Blicke bannen,
Die Stirn, die weltenweite Pläne barg,
Von der Geschichte Nebelglanz umhaucht.
So vor dem schicksalsvollen Manne klopfte
Das Herz mir in der Brust, und nur beklommen
Von meinen Lippen löste sich das Wort.
Was hatt' ich ihm zu sagen, der Poet,
Der Mann der Träume, diesem Genius
Der Tat? der Zeichendeuter, der die Schrift
In Menschenherzen zu entziffern sucht,
Ihm, der des Volkes Herz zu lenken wußte
Zu glorreich hohen Zielen? War's nicht auch,
Wenn sinnend er das Ohr der Rede neigte,
Als lausch er doch nur halben Anteils hin,
Da Geisterstimmen, ihm allein vernehmbar,
Ihm Zauberlieder sangen, wundersam
Wie ferner Schwertklang, freud'ger Glockenton,
An seiner Größe Siegeslaufbahn mahnend?
Wie? oder wünscht' er nur sich weit hinweg
Aus allem Festlärm in sein Waldasyl,
Zwiesprach zu halten mit dem eignen Herzen
Und nachzusinnen seines Volks Geschick?
Nur halb der Unsre schien er, halb gehört' er
Sich selber an, in strenger Einsamkeit.
Und so, wie mir, erging's den andern auch,
Die ihn umringten, ja der Hausherr selbst,
Dem alle Geister muntrer Rede sonst
Gehorchen, heute war er seltsam still.
Weißt du, was plötzlich in den Sinn mir kam?
Das Märlein von Admet, dem Thrakerkönig,
[531]
In dessen schimmernder Hofburg Herkules
Zuweilen vorsprach, als verehrter Hausfreund
In Zwischenakten seiner Ruhmestaten
Sich menschlicher Gesellschaft zu erfreun.
Damals, wenn des Gewaltigen Schritt erklang
Drauß vor der Halle, wohl erbebte da
Den andern Gästen insgeheim das Herz.
Denn nicht geheuer schien den Sterblichen
Des Halbgotts Nähe. Trat er dann herein,
Mit güt'gem Nicken erst des Hauses Herrin,
Die liebliche Alceste, dann die andern
Begrüßend, atmete die Tafelrunde
Ein wenig auf, weil sie ihn furchtbarer
Gedacht, der nun so höflich sich betrug,
Und fühlte sich geehrt und endlich gar
Ermutigt zu bescheidnem Scherzeswort,
Wozu er menschenfreundlich lächeln mocht',
Indes er übermenschlich aß und trank.
Doch ganz vertraulich trat ihm keiner nah.
Die Keule, die Nemeas Löwen schlug,
Jetzt als ein Wanderstab im Winkel lehnend,
Streiften verlegne Blicke nur. Das Fell
Des Ungeheuers, das die nackten Schultern
Des Siegers als ein Reisekleid umhing,
Wer hätte dran zu zupfen sich getraut,
Als etwa des Admet unmündig Kind?
Alceste nur, der Hausfraunpflicht gedenk,
Trat lächelnd näher, dem durchlaucht'gen Gast
Den bauchigen Krug mit kühlem Bier zu füllen,
Indes sein Leibarzt ihm die frische Pfeife
Darbot – doch halt! Wohin verirr ich mich?
Wir sind in Thracien nicht, in Bayerns Hauptstadt,
In Lenbachs Haus, und unser Heros, hat
Er Taten auch vollbracht herkulischer Art,
Die Hyderköpfe deutscher Stammeszwietracht
Ausbrennend, manchen Diplomatenstall
Ausmistend und im fernen Westen uns
Des Friedens Hesperidenäpfel pflückend,
Nicht eine Keule führt er, nur den langen
Berühmten Stift, und seine Glieder hüllt
[532]
Kein Löwenfell, ein Gehrock züchtig ein,
Auch nach der Göttertafel im Olymp,
Wo jenem von der lilienarmigen Hebe
Nektar kredenzt ward, wandelte den Unsern
Wohl schwerlich die geringste Sehnsucht an,
Da seines Gastfreunds blonde junge Hausfrau
Mit echtem Hofbräu ihm den Humpen füllte,
Bis warnend dann sein Arzt den Finger hob:
Durchlaucht, 's ist Schlafenszeit. – Alsbald gehorsam
Erhob er sich, mit freundlicher Gebärde
Uns gute Nacht zuwinkend. Und wir blieben
Noch still beisammen, in Gedanken, daß
Wir eine Stunde lebten, die man noch
Uns neiden wird in fernster Enkelzeit.

Letzter Wille

Nun schon in den letzten Zügen
Mit erloschnem Augensterne
Sehn wir das Jahrhundert liegen,
Denn sein Stündlein ist nicht ferne.
Harrend auf der Greisin Sterben
Nahn dem harten Todesbette,
Streitend, wer sie mag beerben
Ihre Kinder um die Wette.
Wen'ge nur vergießen Tränen,
Denkend ihrer Lieb' und Treue,
Da die meisten kindisch wähnen,
Weitaus schöner sei das Neue.
Und sie grollen mit der Alten,
Daß sie oftmals mehr versprochen,
Als am Ende sie gehalten,
Auch noch manches sonst verbrochen.
Und die Dunkelmänner kneifen,
Daß sie stürmisch sich gerühret,
Um die Fesseln abzustreifen,
Die die Geister eng umschnüret.
[533]
Plötzlich, furchtbar anzuschauen,
Richtet sich empor die Alte.
Zwischen silberweißen Brauen
Furcht sich tief die dunkle Falte.
Im entfärbten Angesichte
Ist's als ob ein Zornblitz glimme.
Schweigt, ihr töricht kecken Wichte!
Ruft sie laut mit heisrer Stimme.
Jeden Nachruf sollt ihr sparen,
Alles Preisen, Schelten, Lästern.
Nicht das Heute kann erfahren,
Was bedeuten mag das Gestern.
Darum keine Narrensprüche
Haltet mir am offnen Grabe,
Weder Segen, weder Flüche,
Da ich einen Wunsch nur habe:
Daß auf meinem Leichensteine
Stehen soll das Wort zu lesen,
Wahrlich Ruhm genug dies eine:
Bismarck ist ihr Sohn gewesen.
Was mir Großes sonst gelungen,
Tritt zurück vor diesem Namen.
Nun, ihr Alten und ihr Jungen,
Gute Nacht! – und damit Amen.

23. Oktober 1899

Asylrecht

(Den Antisemiten gewidmet)


In eine Stadt des alten Hellas kam
Einst ein verfemter Mann mit Weib und Kind,
Um schwere Blutschuld als ein Götterfeind
Verjagt von Haus und Herd.
Er siedelte
Sich schüchtern an und sorgte Tag und Nacht,
[534]
Dem Hunger wehrend mit geduld'gem Fleiß,
Und da die Not erfindrisch macht, gedieh
Ihm sein Gewerb.
Das sahn die Mächtigen
Der Stadt voll Neid und Haß und sprachen so:
Liegt nicht die Blutschuld über seinem Haupt
Noch ungesühnt, und der Verfemte doch
Wird hier geduldet? Wenn der Götter Zorn
Auf uns herabfährt, büßen wir für ihn.
Und doch – ein Gastrecht ward ihm eingeräumt;
Wer es verletzt, den straft Zeus Xenios.
So sandten sie nach Delphi Botschaft hin,
Zu forschen aus Orakelmund, wie sie
Mit ihm verfahren sollten. Da erscholl
An des Gesandten Ohr der Pythia Spruch:
Nimm alle Nester junger Vögel aus,
Die droben hangen rings am Tempelsims! –
Und jener, ob erschreckt und zögernd auch,
Gehorcht und tat's. Da, wie er noch am Werk,
Erklang aus heitrer Luft ein Donnerschlag,
Und unterirdisch dröhnt' ein Echo nach.
Tag ward in Nacht verkehrt, als bräch' herein
Von Erd' und Himmel her Weltuntergang.
Entsetzt zur heil'gen Pythia flüchtete
Der Mann und klagte: War's nicht dein Gebot,
Was nun der Über-, Unterird'schen Grimm
Zumal empört? Nun schütze mich! –
Alsbald
Kam Antwort ihm aus gottgeweihtem Mund:
Dir zum Verderben tat ich meinen Spruch!
Wer fragt, ob er am Gastrecht freveln darf,
Ist gottlos, und gerechter Götterzorn
Fällt auf sein Haupt. –
So sprach ein Heidenmund
Vor zwei Jahrtausenden. Und ihr, die ihr
Euch rühmt der reinern, tiefern Gottesfurcht,
Wie redet ihr?

(Nach Herodot)

[535] Das Hundegrab auf Oxia

Ein Mahnruf


Ein kahles Eiland in der Meereswüste
Von Menschen unbewohnt, da nicht ein Quell
Hervorbricht aus dem starren Felsengrund,
Der Nahrung böte einem Grashalm nur,
Indes die Sonne südlich hohe Glut
Herniedersendet. So Jahrtausendlang
Stand allgemieden, trostlos, wie verfemt
Die Klippe da.
Doch heute, wer im Boot
Der Insel naht – auf einmal staunend sieht
Sein Aug' ein wimmelnd Leben dort am Strand,
Wo einst des Todes Schweigen nur geherrscht.
Und Grauen wird das Staunen, wenn er sieht:
Was dort sich regt, ist schauriger als Tod,
Der Wohltat wär' den Unglückseligen,
Verdammt zu langsamen Verschmachtens Qual,
Ein Schicksal, das dem schlimmsten Mörder nicht
Verhängt das härtste Strafgesetz.
Wer sind
Die Jammervollen? Was verbrachen sie?
Unschuld'ge sind's, hier grausam eingepfercht
Von Menschen, die unmenschlich sind, denn gut
Und edel sei der Mensch, indessen sie
Vergaßen aller Güte, da es hier
Nur Tiere gilt, und für die Folterung
Von armen Hunden keine Rechenschaft
Zu geben ist am Tage des Gerichts!
Wohl! Überhandnahm, nicht zu dulden mehr,
Die Hundeplage, die des Sultans Stadt
Gemacht zu räudiger Streuner Tummelplatz,
Wohl durften endlich ihres Herrenrechts
Die Menschen sich bedienen, notgedrängt.
Doch dann auch, wenn es Selbsterhaltung gilt,
Geziemt Erbarmen. Der Gerechte, heißt's
Im heil'gen Buch, erbarmt sich seines Viehs.
Und wenn auch der Prophet kein solch Gebot
[536]
Der Milde seinen Gläubigen eingeschärft,
Hat er sein Pferd und seine Katze doch
Zärtlich geliebt, und in der Notwehr wohl
Hätt' er den scharfen Stahl auch auf ein Tier
Gezückt, doch es dem Tode nie geweiht
Durch marterndes Verdursten, obdachlos
Dem Brand der Sonnenpfeile ausgesetzt,
Bis es die Wut befällt und brechend sich
Der Blick der schwachen Kreatur, die gern
Den Freund im Menschen sieht, verzweiflungsvoll
Zu seinem Henker hebt.
Wohl ist die Welt
Noch heut der Greuel voll, die Menschen auch
An Menschen üben. Doch ein letzter Trost
Bleibt den Verzweifelnden, wenn übergroß
Die Qual ward, mit freiwilligem Entschluß
Sie enden, was versagt ist dem Geschöpf,
Das ach, vernunftlos, doch nicht seelenlos
Sich knechtisch beugen muß dem blinden Recht
Des Stärkern.
Also in der Zeitung stand
Die Mär vom Hundegrab in Oxia.
Wohl niemand, will ich glauben, hätt' er auch
Für diesen treuen Spiel- und Leidgefährten
Des Menschen sonst kein Herz, konnt' ungerührt
Die Kunde lesen des Entsetzlichen,
Das hier nicht blöde Roheit einzelner,
Nein, kalte Staatsweisheit verordnet hat,
Zur Schmach dem ganzen Volk, das drein sich fügt.
Doch, die es schaudernd lasen, fühlten sie
Sich tiefer aufgeregt, als wenn sie sonst
Von einem Unglück hörten: Daß im Berg
Verschüttet wurden arme Häuer, daß
Ein Schiff mit aller Mannschaft untersank,
Die Pest vieltausend Menschen hingerafft,
Was einzig blinder Elemente Schuld?
Und keinem fiel es ein, daß täglich hier
Ein unerhörter Frevel wird verübt,
Den stumm mit anzusehn, das Herzblut ihm
Empören sollte? Wirken segensreich
[537]
In unsrer Stadt und in den Ländern rings
Vereine zu gequälter Tiere Schutz,
Und geht von keinem, keinem ein Protest
Bis hin zum goldnen Horn, da solchen Gräul
Zu dulden, dem Jahrhundert Schande macht?
Noch will ich hoffen. Doch was kommen soll,
Geschehe bald, bevor die Todesqual
Des letzten Opfers diese Christenwelt
Verklagt, die das Gebot der Liebe kennt,
Und doch so lässig übt die heil'ge Pflicht
Der Menschlichkeit!

München, 9. Juli 1910

An Beethoven

Wie wer gekostet hat vom Zauberkraut
Und nun versteht der Elemente Lallen,
Das Stammeln der Natur, den Klagelaut
Der stummen Wesen, die dem Tod verfallen,
So gingst du durch die Welt. Dir klang vertraut,
Was allen schwieg, und das verworrne Schallen
Vom ew'gen Fluß der Dinge – deiner Seele
War's Wohllaut, wie ein Lied aus Vogelkehle.
Doch wer das Höchst' und Fremdeste ergründet,
Ein Fremdling wird er in der eignen Welt.
Wann hätt' ein Mensch Dämonen sich verbündet
Und dann zu frohen Menschen sich gesellt?
Vom Schmerz des Daseins, den dein Lied verkündet,
Ward jede flücht'ge Wonne dir vergällt;
Der Einklang, der dir tönt' im Flug der Sterne,
Blieb, wie du kämpftest, deinem Busen ferne.
So rächen sich an dem, der sie belauscht,
Die Überirdischen, die furchtbar Hehren.
Wer sich am Urquell alles Seins berauscht,
Soll nicht den Becher ird'scher Freude leeren.
Einsam, wenn alles Seel' um Seele tauscht,
Muß er die Glut des eignen Herds entbehren,
Und, ihm den Stachel recht ins Blut zu mühlen,
Lehrt Phantasie ihn das Versagte fühlen.
[538]
Er weiß von allem Traulichen und Süßen,
Das armer Menschen Niedrigkeit verklärt,
Sieht in des Weibes Blick die Liebe grüßen,
Die Treue, die das heil'ge Feuer nährt,
Den Glauben: endlich werde siegen müssen
Unschuld und Recht, mit Ketten selbst beschwert,
Und hört nach Kerkernacht und bangem Leide
Die Himmelsstimmen namenloser Freude.
So sprachst du aus in reinen Melodien,
Was du im Traum der Sehnsucht nur erfahren.
Den goldnen Schatz, den Ahnung dir verliehn,
Gabst du den Glücklichern, ihn zu bewahren.
Und wenn die Neunzahl hoher Sinfonien
Das Weltgeheimnis strebt zu offenbaren,
Fidelio klagt und jauchzt das ewig neue
Uralte Trostlied ew'ger Lieb' und Treue.
Dank, daß du dies Vermächtnis uns gelassen!
Schon vor dem Übermenschen will den Geist
Ein Schwindel ehrfurchtsvollen Grauns erfassen,
Als ob zu hoch du unsrer Liebe seist:
Da teilst du unser Dulden, Lieben, Hassen,
Der hohe Fremdling ist nicht mehr verwaist,
Und der vereinsamt ging auf ird'schen Wegen,
Das Herz der Menschheit schlägt ihm nun entgegen.

Zwölf Dichterprofile

1.

Friedrich Hölderlin

Mein Liebling du! Mit hellem Griechenblick
Hattst du ermessen, in dein Los ergeben,
Den jähen Abgrund zwischen Traum und Leben
Und der Verspätung herbes Mißgeschick.
Dich tröstete dein Genius: Erschrick
Vor dieser Tiefe nicht! Hinüberheben
Wird dich ein Schwingenpaar mit sichrem Schweben,
Die ätherleichten: Dichtung und Musik.
[539]
So wandeltest du selig, Kränze windend
Der schönsten Liebe, bis Dämonentücke
Sie in den Abgrund stieß, der sie verschlang.
Du stürztest nach, qualvoll dir selbst entschwindend;
Doch nicht dein sterblich Leben ging in Stücke,
Dein Herz nur und dein Saitenspiel zersprang.

2.

Joseph Freiherr v. Eichendorff

Der scheidenden Romantik jüngster Sohn,
Ihr Benjamin, statt aller andern Gaben
Erbt' er allein das Wunderhorn des Knaben,
Nie sich ersätt'gend an dem einen Ton.
Spurlos ist ihm die Zeit vorbeigeflohn,
Indes er lag in Waldesnacht vergraben:
Mondschein und leises Wipfelrauschen haben
Ihn eingewiegt, der wachen Welt zum Hohn.
Ein ew'ger Jüngling, trug im Herzen tief
Er zu der schönen Frau die sel'ge Minne,
Die durch den Wald zog, Goldschein um die Locken.
Und während er »Krieg den Philistern« rief
Und rein und heiter schwärmen ließ die Sinne,
Lauscht er in Andacht Rom's verschollnen Glocken.

3.

Friedrich Rückert

Kein einzler Baum, ein Wald mit tausend Zweigen,
Und Vögel aller Zungen, aller Zonen
Durchzwitschern hell die laubigen Wipfelkronen,
Nachts aber tanzen Elfen ihren Reigen.
So zu den Sternen aufwärts sah'n wir steigen
Den Liederwald, den Winterstürme schonen,
Und lang in seinem Blütenschatten wohnen
Wird unser Volk und ihn den Enkeln zeigen.
[540]
Nicht jedes Blatt ist eine Wunderblüte,
Doch nie ließ uns ein Geist in solcher Fülle
Des Lieb'- und Liederfrühlings Zauber ahnen.
Den Tiefsinn einer Welt barg sein Gemüte,
Und aus des Morgenlandes heil'ger Stille
Bracht' er uns heim die Weisheit des Brahmanen.

4.

Nicolaus Lenau

Ein Edelhirsch im Forst auf grünem Rasen,
Auf einmal hört er Treiberruf erschallen,
Sieht links und rechts die schlanken Brüder fallen
Und ihr geliebtes Auge sich verglasen.
Nun, ob auch andre fröhlich wieder grasen,
Sind ihm ein Schreckensort die Waldeshallen,
Und wenn im Mondlicht Herbstesnebel wallen,
Hört er die wilde Jagd die Luft durchrasen.
Nicht mehr gesellt leichtherzigen Gespielen,
Sieht er im Leben rings des Todes Zeichen,
Bis ihm verstört die schönen Lichter flammen.
Wohl jenen, die vom sichern Schusse fielen!
Ihm krallte sich der Nachtmahr in die Weichen;
Vom Grau'n zu Tod gehetzt bricht er zusammen.

5.

Adalbert von Chamisso

Franzos' an Blut und ritterlichem Feuer,
Ein Deutscher an Gemüt und zartem Sinnen,
So durften wir als unsern dich gewinnen,
Du löwenmähnig Haupt, uns doppelt teuer.
So standst du wagend an des Rurik Steuer,
Die stürmevolle Weltfahrt zu beginnen,
Den Blick bald in die Weite, bald nach innen,
Die Seele voll Gesang und Abenteuer.
[541]
Doch in die Heimat deiner Wahl gekehrt,
Von Pflanzen, Versen, Kinderlust umgeben,
Schreckt dich im Traum Salas y Gomez' Geist.
Da ward dir teuer erst der stillste Herd,
Und dankbar sangst du Frauenlieb und Leben
Und Ihn, der schattenlos die Welt umkreist.

6.

Eduard Mörike

Ein Schwabenkind, in traut umschränkter Enge
Am Quell der Heimatsagen aufgesprossen,
Von Goethes und der Griechen Hauch umflossen,
Steht deine Muse fern dem Weltgedränge.
Tiefsinnig auch durch die geheimsten Gänge
Der Menschenbrust wagt sie den Weg entschlossen,
Dann wieder übt sie ungebundne Possen
Schalkhaft im Schatten kühler Waldeshänge.
Dem Schiffer, der beschwert mit Warengütern
Vorbeizieht auf dem breiten Strom des Lebens,
Verhallt dein Lied, gleich dem Gesang der Grille.
Noch aber darbt die Welt nicht an Gemütern,
Die auch das Leise rührt, und nicht vergebens
Ward dir der Märchenzauber der Idylle.

7.

Emanuel Geibel

Zur Zeit, da laute Zwietracht der Parteien
Die Luft durchhallte Deutschland auf und nieder,
Kamst du mit einem Frühling süßer Lieder,
Vom Tageslärm die Seele zu befreien.
Dir ward, was seltne Sterne nur verleihen:
Dein Lied klang in der Frauen Herzen wieder,
Und strebend schwangst du höher dein Gefieder,
Im Männerkampf stets in den Vorderreihen.
[542]
Neidlos und treu den Jüngren zugewendet,
Der hohen Kunst ein priesterlicher Hüter,
Sahst du im Sturme knospen schon die Reiser.
Nun ward dein Ahnen wunderbar vollendet.
Die du geweissagt, unsre höchsten Güter,
Siehst du gewonnen: Freiheit, Reich und Kaiser.

8.

Annette von Droste-Hülshoff

Ein Herz, so stark, das Schwerste zu verwinden,
So warm, um leicht in Flammen aufzugehn,
So tief, um ahnend Tiefstes zu verstehn,
So weich, um nur in Starrheit Halt zu finden;
Ein Geist, geschaffen, Geister zu ergründen,
Stolz, um Gemeines groß zu übersehn,
Demütig, wenn ein Lebenswerk geschehn
Und seine Spur verweht scheint von den Winden;
Einsam erwachsen auf der Heimatflur,
Einsam trotz innig ernstem Liebessehnen,
Im Stillen sammelnd ewigen Gewinn;
Allein an Gott dich klammernd und Natur,
Zu Perlen reiften dir all deine Thränen;
So wardst du Deutschlands größte Dichterin.

9.

Gottfried Keller

Wie an der Regenwand, der nüchtern grauen,
Der Bogen funkelnd steht in freud'ger Helle,
So dürfen wir an deiner Farbenquelle
Im grauen Duft des Alltags uns erbauen.
Der Schönheit Blüt' und Tod, das tiefste Grauen
Umklingelst du mit leiser Torenschelle
Und darfst getrost, ein Shakespeare der Novelle,
Dein Herb und Süß zu mischen dir getrauen.
[543]
Dem Höchsten ist das Albernste gesellt,
Dem schrillen Wehlaut ein phantastisch Lachen,
Um Heil'ges lodern Sinnenflammen schwüler.
So sehn wir staunend deine Wunderwelt.
Der Dichtung goldne Zeit scheint zu erwachen
Auf euren Ruf, unsterbliche Seldwyler.

10.

Theodor Storm

So zartgefärbt wie junge Pfirsichblüten,
So duftig wie der Staub auf Falterschwingen,
Sahn wir dich sommerliche Gaben bringen,
Im stillen Herzen Märchenschätze hüten.
Doch als die Tage heiß und heißer glühten,
Du sie verlorst, der galt dein junges Singen,
Begann ein Ton aus deiner Brust zu dringen,
Wohl stark genug, dein Wehe zu vergüten.
Nicht Märchen mehr und Träume wie vor Zeiten,
Wach schilderst du des Lebens bunte Szenen
Im Panzer goldner Rücksichtslosigkeiten.
Und deine Falter zeigen sich von denen,
Die gern in Flammen sich ihr Grab bereiten,
In helle Glut gelockt von dunklem Sehnen.

11.

Hermann Kurz

Wohl hast du müssen so von hinnen eilen,
O Freund, mit tiefgeschlossenem Visier;
Doch wem du es gelüftet so wie mir,
Wie soll ihm je das Leid der Trennung heilen?
Und will ich jetzt mit diesen armen Zeilen
Das Bild umschreiben, das uns blieb von dir,
Erbebt die Hand, in schmerzlicher Begier,
Noch einmal warm in deiner zu verweilen.
[544]
Oft, wenn ich traulich neben dir geschritten,
Hat mich aus deinem Aug' ein Strahl geblendet,
So hell, als hättst du Trübes nie erlitten.
Der Dichter war gelähmt, der Mensch vollendet,
Wann hat ein Kämpfer lachender gestritten!
Wann hat ein Starker Süßeres gespendet!

12.

Hermann Lingg

Von langer Seelenwandrung heimgekehrt
Drängt's eine Dichterseele, zu berichten,
Was staunend sie erlebt an Weltgeschichten,
Vom Duft der Ferne sagenhaft verklärt.
Es schwirrt der Hunnenpfeil, das Gotenschwert;
Der Völker Aufblühn, Fallen und Vernichten
Zieht uns vorbei in hellen Traumgesichten,
Und die Gespenster scheinen lebenswert.
Doch tiefer noch bewegt mich dein Gesang,
Wenn du des Herzens ew'ge Weltgeschicke,
Die dunklen Kämpfe singst der Menschenbrust.
In dieser Zeiten überweisem Drang
Rührt mich dein Lied mit stillem Kindesblicke,
In Spiel und Tiefsinn göttlich unbewußt.

Das Goethehaus in Weimar

Tut sie sich endlich auf mit Feierklang,
Gehorsam einem edlen Fürstenworte,
Die eigensinnig strengverschloßne Pforte?
Die Schwelle, die ein halb Jahrhundert lang,
Trotz ungeduld'gen Pochens, frommer Bitten,
Kein andachtsvoller Fremdling mehr beschritten,
Von Staub und Moder ist sie reingekehrt,
Kein Hüter lauert, der den Zutritt wehrt,
Und wie des abgeschiednen Hausherrn Gruß
Erglänzt das Salve! unter deinem Fuß.
[545]
Hinan die Stufen! Doch warum mit Beben
Hemmst du den Schritt, da endlich dir gewährt,
Was du im Traum der Sehnsucht lang begehrt?
Warum so zaudernd mußt du aufwärts streben?
Sieht dich nicht alles traulich heiter an?
Doch du, mit scheuen Herzensschlägen,
Wie unter mächt'gem Geisterbann,
Als gingst du Offenbarungen entgegen
Aus jener Welt, draus keiner wiederkehrt,
Vermagst den Fuß nur stockend zu bewegen
Und stehst und träumst? Siehst du Gesichte
Aus des Jahrhunderts goldnem Morgenlichte,
Wo er noch dieser Stufen sanfte Bahn,
Das Haupt hoch tragend, schritt hinan,
Als wandle nun sein Schatten dir zur Seite,
Dem schüchternen Besucher zum Geleite,
Das Herz dir treffend mit dem Feuerblick?
O kehrt' er von den Schatten heut zurück,
Er spräche Mut dir ein: »Sei nicht verzagt,
Du, dem noch hell des Wirkens Sonne tagt.
In diesen Mauern, die ihr heilig sprecht,
Durchlebten unsern Tag wir schlecht und recht.
Tut nun das Eure, tut's und wartet still,
Ob Zeit auch eure Saaten reifen will.
Doch wenn ihr hoher Vorwelt Geister ehrt,
Zu wandeln, wo sie wohnten, seid ihr wert.«
Durchs Fenster in den kühlen Treppenflur
Stiehlt sich des Märzen graues Frühlicht nur,
Umwitternd jene lieblichen Gestalten,
Die an den Wänden Wache halten.
Wie seid ihr in den frost'gen Nord verbannt
Aus sommerlichem Heimatland,
Der du die Arme zu den Göttern hebst,
Du schlanker Knab', und mit der stummen Bitte
Hinweg aus diesen Nebellüften strebst,
Indessen du, keckäugiger Faun, die Schritte
Hinaus aus enger Nische lenkst,
Zur freien Waldnacht zu entspringen denkst,
Und ihr dort oben leuchtet sternenklar,
[546]
Der Dioskuren brüderliches Paar!
So grüßtet ihr schon dieses Hauses Herrn,
Kehrt' er zur Heimat vom gelobten Lande,
Gefaßt zu schmiegen sich in alte Bande,
Ob auch zum immerblühenden Strande
Zurück ihn lockt' der Sehnsucht Lied von fern.
Dann trat er wohl mit Seufzen hier herein,
Der strengen Pflicht entsagend sich zu weihn,
Und fand er euch, Gefährten des Exils,
Voll heitren Ernstes, anmutreichen Spiels,
Hier seiner wartend an der Schwelle,
Sein Unmut schwand, sein Blick ward helle;
Er fühlte: glänzt' ihm nur der Künste Licht,
An Sonne fehl' es seinem Leben nicht.
Und auch sein Herz, wie viel ward ihm beschert
In warmer Häuslichkeit, am eignen Herd!
Sieh nur im Saal dich um. Erkennst du nicht das Bild
Der Blume, die in öden Stunden
Nichts suchend er im Wald gefunden
Und mit den Wurzeln ausgrub, nicht gewillt,
Nur auf den Raub die Freundliche zu pflücken,
Nein, stets an ihrem Duft sich zu erquicken,
Ins Gärtchen sie verpflanzend, daß sie dort
Unscheinbar grün' und blühe nun so fort?
Christiane, Vielgelästerte, dein Blick,
So freudig harmlos, preiset dein Geschick,
Daß er dich wählt' und du ihm nichts versagt,
Nicht nur zu flücht'ger Lust als niedre Magd:
Ein Stück Natur, das in dem kühlen Drang
Des Alltags warm den Busen ihm umschlang,
Dem Vielbedürft'gen gab ein heitres Glück,
Demütig, selbstlos, treu ein Leben lang,
Daß, als das strenge Los dich ihm entriß,
Am sonnigen Tag er starrt' in Finsternis.
Und neben dir der Sohn, der frühverlorne,
Und dort Ottilie, seines Sohns Erkorne,
Die Enkel, die nach kurzer Jugendfrist
Die Schwere jenes Worts zu lernen hatten:
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
[547]
Und ihre Zeit hindämmerten im Schatten
Des Glanzgestirns, an einem Namen krank.
Doch hielten sie den Schild der Ehre blank,
Bewährend, in ihr Dunkel eingeschlossen,
Den Adel des Geschlechts, dem sie entsprossen.
So blicken von den Wänden nieder
Des Hauses innig einverstandne Glieder;
Und Freunde haben sich hinzugefunden,
Voran das Fürstenpaar, das jungvermählt
Den Genius zum Lebensfreund erwählt,
Ihm gebend, was so schön verbunden
Kein Großer einem Dichter je gewährt:
Neigung, Vertraun, Freiheit am warmen Herd.
Wer nennt des Glückes Liebling ihn und priese
Nicht seinen Bund mit euch, Karl August und Luise!
Doch wie er früh die Edelsten gewann,
Trat Lieb' und Treue stets an ihn heran
In freundlichen Gestalten. Sei gegrüßt,
Suleika, die du hier am trauten Ort
So sinnig heiter auf uns niedersiehst,
Verknüpft mit deinem Dichter fort und fort
Durch zarte Bande, die die Muse webte,
Ein Frühling, der den Alternden belebte,
Wenn sich der West auf feuchten Schwingen
Vom Main erhob, ihm Sehnsuchtshauch zu bringen!
Ihr lieben Fraun, was er euch gab und war,
Ihr bliebet nicht in seiner Schuld fürwahr.
Für allen Schmerz und leidenschaftlich Glück
Gabt ihr ihm beides tausendfach zurück,
Und was an Leid den Busen ihm durchdrang,
Ward ihm Gewinn des Lebens, ward Gesang.
Nie aber ward mit tieferm Seelenlaut,
Daß blöder Neugier es verborgen bliebe,
Das liebliche Geheimnis edler Liebe
Dem holden Lied bescheiden anvertraut.
Doch nun, ihr teuren Bilder, weicht zurück!
Ins Reich des Schönen öffnet sich der Blick.
Ein Schatzhaus tut sich auf voll reicher Kunst,
Durch liebevolles Mühn und Glückes Gunst
[548]
Dem Sammler zugeführt. An allen Wänden
Die Geistesspur von Meisterhänden,
Der Kleinkunst zierlichste Gebilde,
Bronzen, Majoliken aus Umbriens Gefilde,
Die er erwarb auf mancher Wanderfahrt,
Kleinode jeder Zeit und Art;
Der Griechen edle Einfalt, stille Größe,
Des Cinquecento sinnenfreud'ge Kraft,
Der Deutschen tiefer Sinn in strenger Formen Haft –
Als ob er des Magnetbergs Kraft besäße,
Zog alles an sich seine Leidenschaft,
Was irgend ihm verwandt. Und was war so gering,
So groß, so einzig, daß es keine Stätte
In seines Wesens weltenweitem Ring,
In seines Geists Bezirk gefunden hätte!
Und wie voran der Zeit mit Sehergang
Er, ein Erobrer, in Gebiete drang,
Die noch verhüllt der Menge stumpfem Blick,
So bracht' aus allen Reichen er zurück
Zu seinen Laren wundervolle Beute,
Dran sich sein schönheitsdurftig Aug erfreute.
Noch arm und unbehilflich war die Zeit,
Das Reisen mühevoll, die Wege weit
»Dahin, dahin«, wo sich die Seele, krank
An nordischer Trübsal, durft' im Heitren sonnen
Und aus der Künste unerschöpftem Bronnen
Gesundheit sich und Lebensgluten trank.
Besitzen mußte, wer genießen wollte,
Und war's im dürft'gen Nachbild nur,
Im stumpfen Gips, im schüchternen Kontur,
Das Schöne, Köstliche, dem er Verehrung zollte.
So ward zum Pantheon dies enge Haus
Und schmückte sich mit Götterbildern aus.
Gemächer, Säle, Winkelchen und Gänge –
Sie fassen kaum der Kostbarkeiten Menge.
O Tage, Wochen, Monde hier verweilen,
Nicht nur mit Neugierhast vorübereilen,
In diesen Mappen jedes Blatt betrachten,
Im Glasgehäuse jedes Ziergerät,
An Wand und Sims das Kleinste selbst beachten,
[549]
Geweiht durch seines Blickes Majestät,
Und in den Zügen dieser Büsten spähn,
Was geistverwandt sein Auge drin gesehn!
Und wie enthüllt' uns auch ein einz'ger Tag,
Was in den Schränken dort sich bergen mag
An seltenen Gebilden der Natur,
Gestein und Erzen, Pflanzen auserlesen,
Ein buntes Vielerlei dem Laienauge nur,
Doch ihm, der drin erkannt Gesetzesspur,
Dem diese Chiffernschrift enträtselt offen lag,
Ein Buch, drin er nicht müde ward zu lesen.
Wie fühlen wir vor diesem Allverein,
Den er umspannt, uns so begrenzt und klein!
Wie stammeln von der Sprache, die er sprach,
Wir nur verlorne Sätze nach,
Ein jeder auf sein kleines Reich beschränkt,
Der in Natur und der in Kunst versenkt,
Der in Geschäfte, die der Tag ihm bringt
Und spurlos schon der nächste Tag verschlingt,
Daß, wenn das Glück sein Streben nicht betrog,
Dem Strome gleich er sein Gebiet durchzog
Zum Heil den nächsten Ufern, – und nun er!
In Abgrundstiefen ein unendlich Meer,
Das Erdrund zu umfassen früh gewohnt,
Klar die Gestirne spiegelnd, Sonn' und Mond,
In Sturm und Stille stets sich selber gleich
Und Schätze bergend, die in Zeitenfernen
Die Nachgebornen noch ihm danken lernen,
Entreißt ein Taucher sie der Tiefe dunklem Reich!
So tragen wir von hinnen scheubeklommen
Die wogenden Gedanken ernst und stumm.
Und schon hat uns der Vorsaal aufgenommen,
Die Pforte schließt sich auf zum Heiligtum
Des Hauses, von Erinnrungen geweiht
Der edelsten Geselligkeit.
Ist's wirklich dies Gemach, an Schmuck gering,
Wo er die Fürsten abendlich empfing,
Wo, was geadelt war durch Schönheit, Geist und Rang,
[550]
Sich zu ihm fand, zu huldigen dem Meister,
Der auch die widerwill'gen Geister
Als Herrscher ihn zu ehren zwang?
Geziemte dies bescheidenste Gerät
Dem Tempel, den ein Götterhauch durchweht?
O anspruchsloser Sinn der Väterzeit!
Wie brachten wir's indes so herrlich weit.
Was bunt und reich das Leben je geschmückt
Zur goldnen Zeit der Kunst, was Ost und Westen
An Pracht und Zier zu schaffen je geglückt,
Heut findest du's gehäuft nicht in Palästen
Der Fürsten bloß; des schlichten Bürgers Dach
Umschließt erlesnen Hausrat mannigfach.
Was aber frommt's euch, prunkbeflissen
Feinsinnig auszustatten die Kulissen,
Wenn die Komödie, die in Szene geht,
Der Spieler kümmerlichen Geist verrät!
Beschämt erkennen wir's: welch ein Gedränge
Unsterblicher belebt dies dürftige Gemach!
Wir hören längstverschollne Geisterklänge,
Erlauchte Namen tönen nach und nach
Durch unsern Sinn. Auf jenem kahlen Tische
Das Heft – ist's Iphigenie? Wallenstein?
Lehnt Schiller dort in jener Fensternische?
Tritt Herder, Wieland in den Kreis herein,
Der Humboldt Brüderpaar und, stets willkommen,
Der Mann, der von Homers geweihtem Haupt
Den einen, unteilbaren Kranz genommen?
Auch sie, die ebenbürtig sich geglaubt
Dem Weltbezwinger, auf dem Ruhebette,
Dem schmalen, thront sie, lauschend in die Wette
Mit seinen Freunden auf des Dichters Wort,
Der ernst und still vor den Gewalt'gen trat,
Des Spruches wohl gedenk: Im Anfang war die Tat.
Doch sie, Corinna, fühlt an diesem Ort
So tief wie nie: Im Anfang war das Wort! –
Und horch, das Wort verstummt. Nun soll uns laben
Musik. Siehst du den schwarzgelockten Knaben,
Den schlanken, der so frei das Haupt bewegt
Und jetzt des alten Flügels Tasten schlägt,
[551]
Daß schwirrend unter seinem Spiel erwacht
Der Elfenreigen der Mittsommernacht?
Der Dichter aber, lauschend mit Entzücken,
Die Hände leicht gefaltet auf dem Rücken,
Sacht schreitet er das Zimmer auf und nieder,
Und vor dem Junobildnis bleibt er stehn
Und sinnt, als lehrten dieser Elfen Lieder
Ihn den Sirenensang Homers verstehn.
Und da sein Spiel der junge Meister endet,
Wie heiter-zärtlich er sich zu ihm wendet
Und strahlt ihn an, dem Stirn und Auge lacht,
Und spricht, ihn küssend: Hast es brav gemacht!
Und Zelters Angesicht, treuherzig bieder,
Blickt von der Wand dort auf den Zögling nieder. –
O wer zurück uns brächte solcher Stunden
Unschätzbar Glück, das jedem, der's empfunden,
Durchs Leben folgt', als sei von dieser Zeit
Sein Tun und Denken höherm Ziel geweiht,
Als habe, wer durch dies Gemach gegangen,
Des Geistes Ritterschlag empfangen!
So war auch dir zu Sinn, du edler Schwärmer,
Der du die Sappho schufst und, wohl bewußt
Der hohen Sendung in der eignen Brust,
Nie dich empfandst an Worten ärmer,
Nie reicher an Gefühl. War's denn kein Traum?
Was jahrelang inbrünstig du erstrebt,
Nun greifst du's mit der Hand, nun wird's erlebt:
Du stehst vor ihm! Und doch, du glaubst es kaum,
Daß dir sein Wort ertönt, sein Blick erstrahlt,
Den du in jugendlichen Gluten
Gleich einem Gott unirdisch dir gemalt.
Und da du jetzt ihn siehst, den Liebevollen, Guten,
Wie er vertraulich sich dir naht,
Die Hand, die Götz und Faust geschrieben hat,
Die deine faßt, zu Tische dich zu führen,
Da übermannt dich fassungsloses Rühren,
Und denkend, daß du Gast in solchem Haus,
In stürmische Tränen brichst du aus.
[552]
O süße Tränen, Tau so fruchtbar mild,
Du edelster, der Menschenaug' entquillt,
Wenn Andacht, scheuer Dank, des Strebens Qual und Lust
Gewitternd gärt noch in der Mannesbrust,
Die in der Rätsel Überschwang,
Stolz und verzagt, voll Inbrunst, selig bang
Erschrickt vor so viel Himmelsgnaden
Und sich in Zähren muß entladen.
So weint die Rebe bei des Lenzes Nahn,
Der einst im Herbste wird die Traube reifen,
So reift' auch dir, Poet, die Kraft heran,
Das goldne Vließ der Dichtung zu ergreifen.
Doch wir – von Schatten nur sind wir umringt,
Die unser Herzblut nicht zum Sprechen bringt.
Wir sehn sein leuchtend Bildnis an der Wand,
Den ernsten Blick groß von uns abgewandt,
Und nur mit Zögern naht sich unser Fuß
Dem Allerheiligsten des Genius,
Der stillen Werkstatt, wo dem Lärm entrückt
Der Immertätige geforscht, gesonnen
Und sich und uns das Köstlichste gewonnen.
Wie aber wird das Herz uns hier bedrückt!
Wie unfroh dieser Raum, wie eng umschränkt!
Wie tief herab die Decke hängt!
Kein Bild, kein Teppich, keine Zier
An Sesseln, Tischen, Pulten hier,
Nur was dem nacktesten Bedürfnis diene,
Daß einem Pfarrer, Lehrer, Richter,
Und lebt' er auf dem Dorf in schlichter
Genügsamkeit, zu arm der Hausrat schiene.
Ihm aber gnügt' er. Nur gekehrt nach innen,
Nichts Sinnlichs durfte stören ihn im Sinnen.
Wie tausendmal durchschritt er dies Gemach,
Indes gebückt am Tisch der Schreiber lauschte,
Aufzeichnend, was beseelt die Lippe sprach,
Wenn vor dem innern Ohr der Quell der Dichtung rauschte.
Sein Blick hing an dem Sonnenstrahl,
Der durch des Ladens Spalt sich in das Dunkel stahl
Und farbenreich durch den Kristall gebrochen
[553]
Geheim Gesetz ihm ausgesprochen.
Und wenn vom strengen Werk ermattet
Er innehaltend hin zum Fenster trat,
Sah sprossen er des Gärtchens junge Saat
Und hörte, wie in Spiel und muntrem Lauf
Der Enkel Stimme klang herauf,
Daß auf der Menschheit Höh'n, wo sich sein Geist erging,
Ein warmer Lebenshauch sein Herz umfing.
Und Wärme brauchte dieses Herz, verbannt
In eine frostig liebeskarge Welt.
Die Besten, die sein Stern ihm zugesellt,
Wie haben sie sein Bestes oft verkannt!
Doch er, so oft ein Mensch sich ihm ergab,
Von seinem Gipfel ließ er sich herab
Und adelte, wen er zum Freund erkor,
Und zog auch den Geringen mit empor,
Bis er enttäuscht wie manchmal mußt' erkennen:
Der Mensch hat nur sich selber sein zu nennen.
Ach, wenn er hier am stillen Abend stand,
Über die niedre Gartenmauer
Den Blick ins graue Firmament gespannt,
Ergriff ihn wohl erhabne Trauer,
Und seiner Frühzeit schwankende Gestalten,
Die zärtlich sich ihm nahten, ließ er walten,
Bevölkernd mit vertrauter Schatten Schar
Sein greises Leben, das vereinsamt war.
Ihm aber war gesteckt ein weites Ziel.
Wer lange lebt, der überlebt so viel,
Und statt des Trosts, der junge Schmerzen stillt,
Den seufzend oft der Alternde beneidet:
Im Lied zu sagen, was er leidet,
Sein Weh zu prägen in ein ew'ges Bild,
Ist ihm als Stab und Stütze nur verstattet
Beschäftigung, die nie ermattet,
Die abends ihn bescheiden sprechen macht,
Er hab' ein redlich Tagewerk vollbracht.
Ach, wird in diesen engen Wänden
Die Seele trauervoll beklemmt,
[554]
Als ob wir in dem leeren Käfig ständen,
Der eines Adlers Flügelkraft gehemmt!
Nicht kann der Frühlingssonnenstrahl,
Der sanft den Garten überglänzt, uns trösten.
Wie hätten jenem Edelsten und Größten
Ein Leben wir gegönnt fern jeder dumpfen Qual,
Statt daß er hier im niedern Raum
Zu Ende träumte seines Lebens Traum
Und, wenn er späte Mitternacht
Einsam am Pult herangewacht,
Im schmalen Kämmerlein zur Seiten
Sich ließ sein einfach Bett bereiten,
Wo ihm das Haupt ein leichter Schlaf umwob,
Bis ihn ein letzter aller Erdenmühen
Mit sanfter Freundeshand enthob.
Doch kaum daß dieser Flammenblicke Glühen
Erloschen war, so ging ein tief Erschüttern
Rings durch die Welt, als sei sie selbst bedroht
Von Todesnacht, und durch die Lüfte zittern
Hört man den Klageruf: der große Pan ist tot!
Nein! wie vom Erzbild, das der Meister goß,
Durch Hammerschlag die Erdenhülle fällt,
Die des Metalles Strahlenkern umschloß,
Daß rein hinfort erglänzt vor der erstaunten Welt
Das hehre Werk, so stand erhaben
Sein Bild, da sie den Erdenrest begraben.
Es schwieg der Neid, Verkennung wurde scheu,
Undank und Haß hielt kleinlaut sich verborgen.
Aus Todesnacht ging auf ein Geistesmorgen,
Verschwenderisch an Gaben, ewig neu.
An seiner Gruft vorüber gehn die Zeiten,
Und wechselnd regt sich der Parteien Toben
Im Kampf, den nimmer wir zu Ende streiten.
Er aber steht in seiner Ruhe droben,
Und wie der Nordstern jetzt von Nebelduft umwoben,
Jetzt klar herabglänzt in der Wogen Spiel,
Ein unverrückbar leuchtend Ziel
Dem Schiffer weisend, so aus Sternenklarheit
[555]
Herniedersendet er den Strahl der Wahrheit
Und leitet durch den Sturm den schwanken Kiel.
So wird die Spur von seinen Erdetagen
Nicht in Äonen untergehn,
Und die in dunklen Lebensfragen
Verirrt und bang nach einem Führer spähn,
Hieher, zu dieses Hauses ernstem Frieden
Hinflüchten mögen sich die Zweifelsmüden,
Zu lernen, wie entsagungsvoll begnügt
Des Glückes Liebling selbst sich dem Geschick gefügt.
Dann, scheiden sie von diesem heil'gen Ort,
Wird als Geleitspruch sie umschweben
Das tapfre, siegesfreud'ge Wort
Des, der ein Kämpfer war: Gedenk zu leben!

Februar 1888


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Vermischte Gedichte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-66F9-F