[Warum zwitschert ihr mich]
[220]Warum zwitschert ihr mich
Um meinen Morgenschlaf
Mit scharfem Weckruf,
Grausame Vögel!
Ach, ihr scheuchet
Mir von der Seite
Den einz'gen Freund und Erbarmer,
Der bei mir aushielt,
Da vom Haupte
Des Götterverfemten
Entsetzt hinwegflohn
Alle guten Geister.
Wie qualvoll lang
Im purpurnen Abgrund der Nacht,
Zu dem hinunter
Kein Strahl des Friedens tauchte,
Lag ich mit fieberbangen Sinnen,
Aus furchtbarn Träumen
Zurückgeschreckt
Ins schreckenvollere
Wache Bewußtsein
Meines Unglücks,
Bis endlich nachgab
Der leidermattete Leib
Und ein Tropfe Vergessen
Auf die lechzende Seele taute.
Den mißgönnet ihr mir,
Schadenfrohe Vögel!
Ach, vorzeiten
Meintet ihr's gut,
Wenn ihr den schlummerberauschten
Knaben und Mann
Hinaus in die lodernde
Pracht des Morgens riefet.
Da war Welt und Leben
Des Wachens wert.
[221]
Jetzt ist der dichteste Schleier,
Den Träume weben,
Nur wie ein Spinnweb,
Gelegt auf frische Wunde:
Nur leicht das Blut
Zu hemmen vermag's;
Doch voll durchtränkt
Mit dem quellenden Naß,
Wird das Gespinst
Wieder hinweggespült,
Und heißer rieselt die Welle
Am grauen Morgen.
Daß ein Morgen käme,
Der sie stocken machte,
Müßte mit ihr auch
Mein Leben stocken –
Denn, all ihr Götter,
Übermenschlich
Ist diese Pein!
Sorrent