Auf Schloß Labers

(An Max Kalbeck)


Vom luftigen Altan, an dessen Brustwehr,
In Efeu dicht gehüllt, ein Bienenschwarm
Geschäftig summend um die Blüthen schwirrt,
Gern schau' ich nieder, wenn der Tag verblaßt.
Zu meinen Füßen senkt die Halde sich
Mit ihrer Rebengärten Überschwang,
Noch glühend von der Sonne Feuerkuß,
Und aus dem Grün mit ihren Zinnentürmchen
Ragen die stillen Schlösser, Trautmannsdorf,
Rametz, zur Rechten Planta – wohlbekannt.
Und tiefer, wo in ihrer Felsenkluft
Die wilde Passer rauscht, die schatt'gen Gassen
Merans, aus deren Mitte sich der Turm
Der alten Kirche hebt. Weit drüben aber
Kommt, hin und wieder in der Sonne blitzend,
Die Etsch herab, wie ein mutwillig Kind
Die Treppenstufen niederspringt, und reicht
Der Schwester vom Passeiertal die Hand
Und grüßt vertraut hinauf zu Schloß Tirol.
Gesegnetes Gefilde, märchenhaft
Geschmückt mit Anmut, vom erhabnen Kranz
Der Bergeshöhn umblaut, der tiefer jetzt
Sich färbt, bis an den höchsten nackten Firnen
Der letzte Purpurhauch erlischt! Nun liegt
Die weite Runde still, als hielte sie
Den Atem an. Und drunten in den Häusern
Glimmt Licht an Lichtlein auf, wie in der Dämmrung
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Leuchtkäfer funkeln durch ein Gartenland,
Am dunklen Berge dort beim Eggerbauern
Noch ein versprengtes Fünkchen. Aber golden
Ob all dem Erdgeleuchte schwebt die Sichel
Des Mondes still dahin im reinen Äther,
Und ihre taubeschwerten Fittiche
Entfaltet jetzt die Nacht.
Auf meine Seele
Senkt Schwermut sich herab. Sie schweift zurück
In langversunkne Zeit, das Auge sucht
Im nächt'gen Schatten drunten jenes Haus,
Wo sommerlang ich schwerstes Leid erduldet
Und rings um mich die Kraft und Segensfülle
Der üppigen Natur ein Hohn mir deucht'
Auf mein verarmend Dasein. Ihre Zauber
Besel'gen nur den Glücklichen. Wer hat,
Dem wird gegeben – unbarmherz'ge Weisheit,
Die eines Bettlers spottet!
Doch die Nacht,
Die blasse Schatten aus den Gräbern weckt,
Hat Balsam auch für alte Wunden. Sacht
Vom hellgestirnten Firmamente träuft
Ein Friede nieder, an das Ew'ge mahnend,
Und schauernd fühlt von einer höhern Macht
Die Seele sich umfangen. In dem Hauch
Des Nachtwinds dehnt sich die beklommne Brust,
Und, das noch eben Geistertönen lauschte,
Das bange Ohr, nun hört's im Hause drinnen
Vertrauter Stimmen Ruf, der Kinder Lachen
Und deine seelenvolle Geige, Freund,
Die mit dem Zauber holder Harmonieen
Das Herz, von Jenseitsdämmerung umgraut,
Zurück ins Leben lockt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. An Personen. Auf Schloß Labers. Auf Schloß Labers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-674F-9