Der Feind

Erstes Kapitel

Unvollendet. Erstdruck in: Frauentaschenbuch für das Jahr 1824, Nürnberg 1823.

Erstes Kapitel

»Noch einen tüchtigen vollgefüllten Römer, Herr Wirt; zwar schlug es schon neun, aber der Regen stürmt an die Fenster; wir sitzen hier traulich und warm beisammen, und ich merke schon, wir werden heute ein wenig aus dem Schick kommen und Mühe haben, die Bürgerglocke einzuhalten. Kommt Ihr Eurerseits aber auch aus dem Schick, Herr Wirt, und geht ein Fäßlein weiter, wenn Ihr einschenkt, und irrt Euch in der Sorte!«

So rief der ehrsame Bürger und Drechslermeister Franz Weppering, der an dem breiten Tische in der Gaststube des Wirtshauses zum »Weißen Lamm« den besten Platz einnahm.

»Oho!« erwiderte der kleine freundliche Herr Thomas, indem er sich das kleine schwarzsamtene Käppchen in die Stirne schob und zugleich mit dem schweren Kellerschlüsselbunde harmonisch klapperte, »oho! was den Schick betrifft, das heißt, die schönen Ordnungen, Privilegien, Satzungen, Gesetzlichkeiten, Edikte und Verordnungen, wie sie von Kaiser und Rat ergangen, so sucht darin der ehrsame Thomas, weltberühmter Gastwirt in der weltberühmten Reichsstadt Nürnberg, dessen Tugenden der Himmel gehörig zu wägen und zu lohnen wissen wird, in deren Kenntnis seinesgleichen. Aber anlangend den Wein, so wäre es ja außerm Schick, wenn ich Eurenthalber, Meister Franz, das rechte Fäßchen vorübergehn und Euch bessern Wein geben sollte, als Euch dienlich und Ihr mir bezahlt.«

[680] »Ihr haltet den Wein«, nahm Meister Wepperings Nachbar das Wort, »aber auch wirklich ein wenig zu teuer und könntet alten Stammgästen, so wie wir, wohl immer einige Kreuzer weniger für das Maß anrechnen.«

»Ich weiß nicht,« rief Herr Thomas lachend, »ich weiß nicht, was ihr wollt, ihr Herren, ihr trinkt bei mir den schönsten, edelsten, wohlschmeckendsten, feurigsten Wein in dem ganzen lieben Nürnberg, und den gebe ich euch aus purer Amicitia. Denn die paar Kreuzer, die ihr mir dafür bezahlt, sind ja bloß ein anmutiges Douceur für die Mühe des Einschenkens. Aber ohne Scherz, ihr Herren denkt immer, uns Wirten kostet der Wein gar nichts, und wir leben noch immer in dem verfluchten Jahr 1484, wo ein ganzer Eimer Wein für ein recht schönes Hühnerei hingegeben wurde, und doch hat es damit eine ganz besondere Bewandtnis. Ich weiß nicht, ihr Herren, ob ihr die Geschichte von den zerbrochenen Hühnereiern wißt; soll ich sie euch erzählen?«

»Und,« rief Weppering, »und uns während der Zeit dursten lassen; nein, nein, behaltet euren Schnack für Euch und holt so guten Wein, als Ihr's verantworten könnet.«

»Ich wollte,« sprach ein sehr alter Mann, der entfernt an der Ecke des Tisches saß und still für sich eine kleine Schüssel Eingemachtes verzehrte, wozu er einen sehr edlen Wein, doch nur tropfenweise, trank, »ich wollte, ihr lieben Gäste, ihr ließet unsern Herrn Wirt die Geschichte von den zerbrochenen Eiern erzählen, denn sie ist gar hübsch und anmutig.«

»Wenn,« rief Weppering, »wenn Ihr es wollt, mein ehrwürdiger Herr Doktor, so mag Herr Thomas so viel erzählen, als er Lust hat, und ich werde meine rauhe Kehle so lange netzen mit den Tropfen aus dem Brunnen der Hoffnung.«

Der Wirt, ganz Freude und Freundlichkeit, knüpfte ohne Umstände den Schlüsselbund wieder fest, setzte sich seinen Gästen gegenüber an den breiten Tisch, ließ ein [681] großes Paßglas Wein langsam und behaglich in die Kehle hineinglucken, streckte den Körper über den Tisch und stemmte beide Backen auf die Ellenbogen.

»Ich erzähle euch also, ihr höchstschätzbaren Gäste und würdigen Freunde, die

wundersame Geschichte
von den zerbrochenen Eiern

und zwar nicht, wie mir gerade das Maul steht, sondern, soviel möglich, mit denselben zierlichen Phrasen, Redensarten, Wörtern und Ausdrücken wie der alte Chroniker, der eine artige Zunge führte und seine Rede wohl zu setzen wußte.

Früh morgens, am Tage Marzii des Evangelisten, im Jahr des Herrn 1484, befand sich viel Landvolk auf dem Wege von Fürth nach Nürnberg und trug den Nürnbergern zu, was sie nun eben an schönen Produkten des Landes zu ihrer Leibesnahrung und Notdurft vonnöten. Unter dem Landvolk schritt aber ein gar stattliches Bauernweib in Sonntagskleidern daher, die auf jeden Gruß: ›Gelobt sei Jesus Christus!‹ demütiglich das Haupt verneigend: ›In Ewigkeit!‹ antwortete und überhaupt, wenn die Leute auch was Ausländisches an ihr bemerken wollten, doch ein frommes, ehrliches Ding schien.

Das Weib trug einen Korb mit schönen Hühnereiern, und jedem, welcher verwundert rief: ›Ei, Nachbarin, was sind das für schöne glänzende Eier,‹ erwiderte sie gar freundlich, indem ihr die kleinen grauen Äugelein blitzten: ›Ei, meine Henne darf keine schlechtern legen für die ehrsame Frau Bürgermeisterin, der ich diese in die Küche trage.‹ Das Weib ging auch wirklich mit ihrer Ware geradesweges in das Haus des Bürgermeisters.

Sowie sie eingetreten, tät sie gehorsam und demütiglich, was ihr der Vers an der Wand gebot:


›Wer treten will die Steigen herein,
Dem sollen die Schuhe fein sauber sein.‹

[682] Dann wurde sie von Frau Marta, der Haushälterin, zu der ehrsamen Frau Bürgermeisterin geleitet, die sich in ihrer Prangkuchen befand.

Da sah es denn nun so prächtig und blank aus, daß es eine wahre Augenverblendnis war; schöne metallene Gefäße, manchmal von solcher Sauberkeit, als ob sie Peter Vischer selbst gearbeitet hätte, standen umher. Der Fußboden war getäfelt und gebohnt; was unsre edle Tischler- und Drechslerzunft wohl an zierlichen und saubern Sachen zu liefern vermag, davon war ringsumher was zu finden. Die Frau Bürgermeisterin saß aber in einem prächtigen Lehnstuhl von Nußbaum, mit Ebenholz ausgelegt und grünen Samtkissen, mit goldenen Troddeln, der nicht weniger als fünf Fuß in die Breite hielt; so breit mußte er aber sein, weil das Maß nach dem Gesäß der Frau Bürgermeisterin genommen.

Das Weib reichte den Korb mit Eiern der Frau Bürgermeisterin demutsvoll hin, indem sie hoch beteuerte, daß Sprut, ihre beste Henne, sich alle Mühe gegeben, die Eier so schön als möglich für die Frau Bürgermeisterin zu legen.

Die Frau Bürgermeisterin nahm dem Weibe mit gar freundlicher Miene das Körblein aus der Hand und übergab es ihrer Haushälterin, der Frau Marta.

Als aber nun das Bauerweib die Eier bezahlt verlangte, gerieten die Frau Bürgermeisterin und Frau Marta, die den Korb mit Eiern für eine angenehme Verehrung gehalten hatten, in großen Zorn, und das arme Bauerweib hatte Mühe, die Hälfte des niedrigsten Preises für ihre Ware zu erhalten.

Frau Marta hatte indessen die Eier aus dem Korbe gezählt und für die zerbrechliche Ware keinen schicklicheren Platz gefunden, als das grünsamtene Kissen im Lehnstuhl der Frau Bürgermeisterin, den sie eben verlassen.

Nach Paracelsi Rat hatte die Frau Bürgermeisterin soeben, um die heftige Gemütsbewegung ein wenig zu besänftigen, [683] ein paar Gläschen Aquavit genommen und wollte nun aufs neue der Ruhe pflegen. Als sie sich aber sänftiglich in den Lehnstuhl drückte, tat das den Eiern, die auf dem Polster lagen, nicht gut, sondern sie zerbrachen Stück vor Stück, und kein einziges blieb ganz.

Die Frau Bürgermeisterin sprach unmutig: ›Warum habe ich diese schöne Eier zerbrochen?‹ Da meinte aber die schelmische Magd, daß die Eier zwischen solchen Polstern unversehrt hätten liegen können bis zu unserer fröhlichen Urständ. Aber die Bauersfrau aus Fürth sei eine böse Hexe, die den Leuten Eier von schönem Ansehn verkaufe, welche nachher zerbrochen wären.

Die Frau Bürgermeisterin unterließ nicht, den Vorfall ihrem ehrenfesten Herrn Gemahl, dem Bürgermeister, anzuzeigen. Der hochweise Rat, bestürzt, in dem Weichbilde der guten frommen Stadt eine Hexe zu wissen, ließ die arme Bauerfrau aufgreifen, nach Nürnberg bringen, wo sie alles von der Frau Bürgermeisterin erhaltene Geld von Heller zu Pfennig zurückzahlen mußte und dann vom Büttel zum Tore und über die Grenze geschleppt wurde. Von allem Weibsvolk wurde sie verhöhnt, und man rief ihr nach:

›Seht, das ist die Hexe aus Fürth, die die Eierkörbe verkauft, in die sich nachher der Satan setzt und die Eier zerquetscht mit seinem höllischen –‹

Jenseits des Grenzzeichens blieb das Weib, von den Bütteln verlassen, auf einer Anhöhe stillestehen, und es war graulich anzusehen, wie sie hoch und dünn hinaufschoß, bald einer Hopfenstange gleichend, und mit den dürren Armen herumfocht, die sie endlich über Nürnberg fest ausstreckte, und mit einer Stimme, die so kreischend und mißtönend war, daß man wohl den Satan selbst darin erkannte, laut in die Lüfte rief:


›Pfui, arg dick Weib,
Pfui, du Balg schalks Magd,
[684]
habt mich verjagt,
Eidex euch in den Leib!
Pfui Nürnbergsch Jung Volk,
Traun Trat,
Mennchin Krat
Heisa Mutter Zedxs vollendent hat,
Paßt nur auf,
jetzt werden die Eier
in dem lieben Nürnberg
erst recht teuer.‹

Der Satan unterließ nicht, seiner Dienerin kräftig beizustehen, und in alle Weiber Nürnbergs fuhr das unwiderstehliche Gelüste, sich in Eierkörbe zu setzen und die darin befindliche Ware zu zerbrechen, so daß einer, dem es nach einem guten Eierschmalz gelüstete, dies wohl mit Golde hätte aufwägen mögen.

Daß aber, sagt der weise Chroniker, man hätte einen ganzen Eimer Wein für ein Ei tauschen können, ist nur wie ein Sprichwort anzusehen, das auf wundersame Weise entstanden.

Ein würdiger Herr Patrizier der Stadt wollte dem satanischen Unwesen mit dem Zerdrücken der Eier ein Ende machen und ließ daher unter lustigem Trompetenschall und Trommelschlag öffentlich bekanntmachen, daß diejenige Frau, welche ihm Eier brächte, für jedes derselben, das unversehrt in seine Hände käme, einen Eimer guten Wein erhalten solle.

Unter vielen Weibern, denen der Versuch, ihrem Gelüst zu widerstehen, noch zuletzt schmählich mißglückt war, meldete sich endlich die Frau seines Meiers, ein frommes, züchtiges Weib, die freilich an jenem Tage auch die vermeintliche Hexe sehr verfolgt und verhöhnt hatte, und überreichte dem Herrn ein Körbchen der wohlerhaltensten Eier.

›Mich wundert,‹ sprach der edle Herr sehr freundlich, [685] ›daß Ihr nicht längst gekommen seid, liebe Frau, denn Ihr seid so fromm und gut, daß Ihr von Verhexungen und bösen Lüsten nichts wißt. Der Wein ist so gut als Euer.‹

Hiemit wollte der edle Herr den Korb fassen, den riß ihm aber das Weib mit dem größten Ungestüm aus der Hand und setzte sich hinein mit dem größten Wohlgefallen, so daß alle Eier zerquescht wurden.

Das arme Weib war vor Scham ganz außer sich und weinte sehr.

›Ei,‹ sprach der Herr mit beschwichtigendem Ton, ›ei, Frau Margareta, gebt Euch doch zufrieden, es kommt ja noch auf einen Versuch an, vielleicht widersteht Ihr dem Bösen.‹

Frau Margareta ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern war acht Tage darauf mit dem letzten Schock Eier da, das der Hühnerhof nachgeliefert. Sie hatte viel festen und frommen Willen gefaßt; doch sowie sie mit den Eiern in dem Zimmer des gnädigen Herrn stand, ging alles mit ihr um die Runde. Sie sah schon mit lüsterner Begier den Korb an mit dem Gedanken, wie anmutig es sich in den Eiern sitzen würde, und war zu ihrer nicht geringen Betrübnis überzeugt, daß ihr heute der Versuch noch viel weniger gelingen würde als das erstemal.

Es begab sich aber, daß in dem Augenblick des Nachbars Weib, die mit der Frau Margareta in beständigem Zank und Streit lebte, ebenfalls mit einem Korb hineintrat, um denselben Versuch zu machen. Da wurde aber Frau Margareta ganz wütend vor dem Gedanken, daß sie vor ihrer ärgsten Feindin mit Schmach und Schande bestehen solle, und ihre Augen leuchteten wie lichterlohe Flamme. Der andern Antlitz glich auch einem glimmenden Kohlentopf, und kam noch hinzu, daß beide die gespreizten Hände gegeneinander ausstreckten, so waren sie wohl gereizten wilden Tieren ähnlich, die sich anfallen wollen.

Der edle Herr trat hinein.

[686] Beide stürzten auf ihn zu und reichten ihm ihre Körbe dar. Doch sowie er sie faßte, riß Frau Margareta den ihrigen ihm schnell aus der Hand und duckte nieder. Mit gar heftigem wilden Ungestüm hatte die Nachbarsfrau auch dem Herrn Ritter ihren Korb aus der Hand gerissen und setzte sich jetzt mit dem größten Wohlbehagen hinein.

In dem Gelächter, das das Weib jetzt anstimmte, fistulierte der leidige Gottseibeiuns seine obligate Stimme darein und jubilierte über seine höllischen Eierkuchen.

Frau Margareta hatte sich aber sanft von der Erde erhoben und überreichte dem Herrn Ritter freundlich das Körbchen mit sechzig Stück wohlerhaltenen Eiern. Sie hatte glücklich ihr Gelüst überwunden und die Nachbarin getäuscht, und so mag es wohl sein, daß Weibergroll stärker ist als alle Hexenkunst.

Der edle Herr Ritter zahlte richtig für jedes der sechzig Eier einen Eimer Wein, und so kam es, daß es hieß, zu der Zeit habe man für ein einziges Ei einen ganzen Eimer Wein hingegeben.«


Sowie der Wirt aufsprang, den Schlüsselbund auf den Tisch warf und nach seinem Paßglase griff, zum Zeichen, daß er geendet, brachen alle in ein lautes, schallendes Gelächter aus; nur der ehrwürdige Herr ausgenommen. Dieser lächelte nur ein wenig, wie es seinem Stande und seinem Alter ziemte, und nahm dann das Wort:

»Hatte ich nicht recht, ihr lieben Gäste, euch die Geschichte von den zerbrochenen Eiern zu empfehlen, denn außerdem, daß die Geschichte an und vor sich selbst lustig und unterhaltend genug ist, so gebe ich auch gern unserm Herrn Thomas Gelegenheit, sein Talent, alte Geschichten, nur was weniges nach seiner Weise zugestutzt, zu erzählen, zu zeigen.«

Alle stimmten in das Lob ein, das der ehrwürdige Herr dem Herrn Thomas gezollt hatte, und der Wirt zum [687] »Weißen Lamm« wußte recht gut sich, die Hände reibend, zu verbeugen, die Augen niederzuschlagen und jenes ungemein freundlich und bescheiden zurückweisende Gesicht zu schneiden, das soviel sagen will als: »Nicht wahr, daß ich solch ein Kauz sei, das hättet ihr nicht geglaubt, ihr Leute.«

Meister Weppering hatte über den zerbrochenen Eiern keinesweges den bessern Wein vergessen, den er noch heute abend zu schlucken willens war, ohne ihn zu bezahlen.

»Topp! Herr Wirt!« rief er, »Ihr seid der beste Erzähler weit und breit, aber da Euch heute der gerechte Ruhm gespendet wird, der Euch gebührt, so ist es billig, daß Ihr Eure Ehre feststellt dadurch, daß Ihr bessern Wein spendet. Also bessern Wein, Herr Wirt.«

»Ich weiß nicht,« sprach der Wirt, »was Ihr für Umstände macht, hier ist die Weintafel; doch mich will bedünken, ihr lieben Gäste, als wenn heute der Abendstern gerade aufs Mutterfäßchen schiene.«

»So ist es!« schrie Weppering, »und ich dächte, Meisters, wir ließen eins springen.«

»Ihr seid,« nahm Meister Erxner das Wort, »Ihr seid immer derjenige, Weppering, von dem man zur Schwelgerei und zu unnützen Ausgaben verleitet wird.« – »Ganz gewiß,« fiel Meister Bergstainer, ein ganz junger Mann von noch nicht dreißig Jahren, seinem Nachbar in die Rede, »und ich dächte, wir verzehrten friedlich und freundlich den Rest unseres Weins und suchten die Ruhe.«

»Ist,« sprach der Alte mit einem Lächeln, das sein Gesicht auf gar anmutige Weise belebte, »ist hier der Jüngste, wie es scheint, der Mäßigste und Nüchternste, so ist es dem Widerspiel, das in der Welt überhaupt regiert, ganz angemessen, daß ich, als der Älteste von euch allen, mich zur Gegenpartei schlage.

Ich habe hier unten bei unserm Herrn Wirt ein paar Fäßchen sehr guten Würzburger Wein stehen; ich bitte [688] euch, mir zu erlauben, davon für uns einschenken zu lassen.«

Weppering erhob ein Jubelgeschrei. Bergstainer sprach aber sehr bescheiden: »Es ziemt uns nicht, ehrwürdiger Herr, die Ehre abzulehnen, die Ihr uns antun wollt; doch vergönnt uns auch, daß wir, gibt uns das Glück die Gelegenheit dazu, gleiche Gastfreundschaft Euch erzeigen mögen.«

In dem Augenblick machten zwei Gäste, fremde Krämer aus Augsburg, die im »Lamm« eingekehrt, Anstalt, aufzubrechen.

»Wo wollt ihr hin,« rief der Alte, »wollt ihr uns verlassen, eben jetzt, da der gute Wein kommt?«

»Herr,« erwiderte einer von ihnen, »wir dürfen die Gastfreundschaft dieser guten Leute nicht mißbrauchen, die uns schon den ganzen Abend bewirtet haben.«

»So dürfet,« fiel ihm der Alte freundlich ins Wort, indem er die Hand des Kaufmanns faßte, »so dürft ihr nun gleiche Gastfreundschaft von mir nicht versagen.«

Da sprang der andere Krämer, ein junger stattlicher Mann von kräftigem Bau und freimütigem Antlitz, plötzlich auf und rief mit starker Stimme: »Nein, ich kann mich nicht länger zurückhalten, das recht herzinnigliche Wohlbehagen, welches mich stets in den ersten Stunden meines Hierseins durchdringt; die Art, wie mich hier Unbekannte in ihrem Kreise aufnehmen, vorzüglich aber die große Freude, Euch, mein ehrwürdiger Herr, wiederzusehen, will sich Luft machen.«

Bei diesen Worten des Krämers sahen sich die übrigen ganz verwundert an, denn jedem fiel nun ein, daß er nicht wisse, wer der Alte sei, unerachtet er ihn schon seit vielen Jahren kenne.

Der Alte bemerkte sehr wohl diesen Ausdruck des Befremdens, der auf allen Gesichtern ruhte, und erhob sich ebenfalls von seinem Sessel. Nun erst wurde die unbeschreibliche [689] Würde seines Körpers sichtbar. Mehr klein als groß, war sein Körper im reinsten Ebenmaß gebaut. Das Alter schien über diese Formen keine Gewalt zu haben. Über sein Antlitz verbreitete sich ein milder Ernst, dem jener Zug von sehnsüchtiger Schwermut beigemischt war, welcher ein tiefes Gemüt verkündet.

»Ich lese«, sprach er mit sanfter Stimme, »in euren Gesichtern einen sehr gerechten Vorwurf. Menschen, die miteinander Verkehr treiben, müssen mit ihrem gegenseitigen Standpunkte im Leben bekannt werden, denn sonst ist an irgendein Vertrauen nicht zu denken. Wißt also, ihr lieben Leute, daß ich mich Mathias Salmasius nenne und schon vor langen Jahren in Paris die Doktorwürde erlangt habe, mich auch sonst vieler gelahrter Würden, sowie der besondern Gunst und Gnade Sr. Majestät des Kaisers selbst und anderer vornehmer Fürsten und Herren berühmen könnte, die mich, da ich auf mannigfache Weise ihnen durch meine Wissenschaften nützlich werden zu können die Ehre hatte, mit schönen Ehrenzeichen belohnt haben. Näher wird es mich euch bringen, wenn ich euch sage, daß ich in Ansehung meiner Abkunft und meiner Neigung eurem großen Albrecht Dürer verwandt bin. Mein Vater war ein Goldschmied, so wie der seinige, und so wie er wollte ich Maler werden, und der große Wohlgemuth sollte mein Lehrer sein. Doch nur zu bald wurde ich gewahr, daß mich die Natur zu dieser Kunst nicht bestimmt hatte, sondern daß mich die Wissenschaften unwiderstehlich hinzogen, denen ich mich denn auch ganz ergab. –«

»Vergeßt,« setzte Mathias lachend hinzu, »vergeßt nur gleich, ihr lieben Freunde, alles, was ich gesagt habe, und seht in mir weiter nichts, als einen gutmütigen Reisenden, der gar zu gern nach dem schönen Nürnberg kommt und in dem ›Weißen Lamm‹ bei dem sehr tapfern und ehrenfesten Wirt, Herrn Thomas, einkehrt, der den besten Wein führt und dabei eine vollständige, anmutige [690] Chronika seiner herrlichen, weltberühmten Vaterstadt zu nennen ist.«

Herr Thomas scharrte mit dem Fuß so weit hinten aus, daß ihm das Samtkäppchen vornüber fiel. Ohne es aber aufzuheben, ja verächtlich darüber wegschreitend, schritt er erst an den Tisch und schenkte die Gläser voll.

»Wir«, nahm Bergstainer endlich das Wort, nachdem sich die Meister von einiger Scheu erholt, an der Seite eines hochgelahrten, vornehmen Mannes zu sitzen, »wollen tun, wie Ihr geboten habt, ehrwürdiger Herr, Eure Würden und Ehrenstellen auf einen Augenblick vergessen und nur daran denken, daß wir Euch schon seit Jahren recht aus dem Grunde des Herzens lieben und ehren. Daß Ihr vornehmen Standes seid, haben wir immer vermutet. Denn das zeigte ja Euer sauberer Anzug und Euer ganzes Wesen, und so haben wir nicht unrecht getan, wenn wir Euch mit dem Titel ›Ehrwürdiger Herr!‹ begrüßten.«

»Wer,« erwiderte der Doktor Mathias, »wer möchte nicht gern in dem schönen anmutigen Nürnberg und in seiner reizenden Umgebung verweilen. Recht hatte Kaiser Karl, daß er die Stadt von Hause aus in seinen Schutz nahm und ihr besondere schöne Privilegien gab. Die Lage, das Klima –«

»Nun,« unterbrach Meister Weppering den Doktor Mathias, »nun, was das Klima betrifft, so wollen wir heute wenigstens nicht viel Redens davon machen, denn hört nur, wie es wieder schrecklich tobt und stürmt, als sei der Dezember im Anzuge.«

»Schämt Euch,« nahm Doktor Mathias das Wort, »schämt Euch, Meister Weppering, wie könnt Ihr ein vorübergehendes Unwetter, das die Tiroler Berge uns heraufschickten, unserm Klima zuschreiben. Also Klima, Kulturfähigkeiten, alles vereinigt sich hier. Deshalb glänzte Nürnberg so schnell auf – deswegen blüht der Handel schon seit dem vierten Jahrhundert – deshalb war Nürnberg der Augapfel der Fürsten und Herren. [691] Doch der Himmel ließ noch besonders einen Stern leuchten über Nürnberg, und es geschah, daß große Männer geboren wurden, die den Glanz und Ruhm der Stadt bis in die entferntesten Gegenden verbreiteten. Denkt an Peter Vischer, an Adam Kraft. Aber vor allen Dingen an euren großen, mächtigen Albrecht Dürer.«

Sowie Magister Mathias diesen Namen nannte, entstand eine Bewegung unter den Gästen. Sie standen auf, stießen stillschweigend die Gläser an und leerten sie.

»Dies sind,« fuhr Doktor Mathias fort, »dies sind hohe leuchtende Sterne am Firmament der Kunst, aber der Einfluß solcher hohen Geister erstreckt sich bis aufs Handwerk, so daß die schnöde Grenzlinie, welche begann, Kunst und Handwerk zu trennen, wieder beinahe ganz verschwindet und beide sich als Kinder einer Mutter freundlich die Hand bieten. So kommt es, daß die Welt die Sauberkeit, die korrekte Zeichnung, die richtige Ausführung in Euren Elfenbeinarbeiten bewundert, Meister Weppering, und daß die Frauen des Sultans in Konstantinopel ihre Gemächer mit Euren Kunstarbeiten schmücken. So kommt es, daß Eure Gußarbeiten schon jetzt ihresgleichen suchen und immer mehr an Wert gewinnen.«

»O Peter Vischer!« rief hier Bergstainer, den Doktor unterbrechend, aus, indem ihm die Tränen in die Augen traten.

»Seht,« sprach der Doktor, »das ist die wahre Begeisterung, die ich meine; faßt Mut, Bergstainer, Ihr werdet's noch zu Großem bringen! – Und was soll ich zu Euch sagen, Ihr mein guter lieber Meister Erxner, da Ihr an Kunstfleiß und Geschicklichkeit –«

Des Doktor Mathias milde Worte wurden in dem Augenblick durch ein seltsames wildes Getöse unterbrochen, das sich unter dem Tore des Wirtshauses wahrnehmen ließ.

Ein lahmes, unbeschlagenes Pferd trollierte unbehilflich [692] auf und nieder, und dazwischen rief eine rauhe mißtönende Stimme:

»Heda, Wirtshaus!«

Die Torflügel knarrten, das Pferd wurde hineingeführt, und brummend und scheltend plumpte der Reiter vom Pferde auf den Boden, so daß von den Tritten des schweren, bespornten Stiefels alles klirrte und dröhnte.

Der Wirt kam hineingestürzt und rief lachend: »Ei, ei, meine werten Gäste, da kommt eben ein Kerl zu mir ins Haus, der ist, glaube ich, einer von George Hallers oder Fritz von Steinbergs Gesellen, der aufs neue unnützen Lärm verführen will, wie seine Kumpane im Jahre 1383. Sein Pferd ist freilich eine Schindmähre – er selbst aber ein gar stattlicher Mann, wie ihr gleich sehen werdet, und von lustigem Temperament, denn schon hat er alles in Grund und Boden verflucht und dem Satan übergeben, weil man im Regen unausbleiblich naß wird.«

Die Türe ging auf, und herein trat der Mensch, der sich mit so viel Geräusch angekündigt. Er war breitschultrig, beinahe sechs Fuß hoch; und da er den runden Hut mit sehr breiter Krempe, an dem einige schmutzige Fasern hinabhingen, die ehemals einer Feder angehört zu haben schienen, nach spanischer Art hinabgeschlagen trug, die ganze übrige Gestalt aber in einem gelben Reitermantel fast eingewickelt war, so mußte man freilich erwarten, was sich aus dieser unkenntlichen Mumie Näheres entwickeln werde.

»Das verfluchte vermaledeite Land, daß mein Fuß es niemals mehr betreten hätte. Mitten in der schönsten Jahreszeit schmeißt einen das Himmel-Hage Donnerwetter zusammen, daß man keinen gesunden Fleck auf dem Leibe behält und sich die schönsten Kleider verdirbt. Mantel und Hut sind auch wieder des Satans und die neugekaufte Feder.«

Damit riß der Mensch den Hut vom Kopfe und schwenkte ihn rücksichtslos aus, daß die großen Tropfen über den [693] Tisch flogen, wo die Gäste saßen. – Dann warf er den Mantel ab, und man erblickte nun die hagre Gestalt des Menschen, der ein Reiterwams von ganz unscheinbar gewordener Farbe und hohe Stiefeln, ebenfalls nach Reiterart aufgezogen, trug.

Sein Antlitz, das nun auch sichtbar worden, war von solch auffallender Häßlichkeit, daß man beinahe hätte vermuten sollen, der Fremde trüge eine Maske; doch konnte es auch sein, daß die scharfen Schlagschatten in der sparsam beleuchteten Gaststube, sowie die ausgestandene Witterung das Gesicht des Fremden auf diese entsetzliche Weise entstellten. Merkwürdig war es auch, daß der Fremde die schweren Stücke seines Anzuges, d.h. die ungeheuren Reiterstiefeln mit den Rolandsspornen, nur mit der äußersten Kraftanstrengung an seinem Leibe zu tragen schien. Dadurch wurden seine Bewegungen zweideutig; man wußte nicht, war er noch kräftiger Mann, war er schon hinfälliger Greis; auf beides konnte auch sein Antlitz deuten.

Mit Mühe legte er ein Schwert von der Seite, das, was Größe und Schwere betrifft, einem Ritter der Tafelrunde angehört zu haben schien. An dem Gürtel hing ein zierlich gearbeiteter Dolch, und außerdem guckte noch auf der Seite das große Heft eines Messers hervor. Indem er das Schwert in den Winkel stellen wollte, entsank es seiner Hand, fiel auf den Boden, und alle seine Mühe, es aufzuheben, blieb vergebens; Herr Thomas mußte ihm beispringen. Er murmelte ein Schimpfwort zwischen den Zähnen und bestellte ein Glas gewürzten Wein, wobei er versicherte, daß der Satan alles zerschlagen solle, wenn der Wein nicht Herz und Magen stärkend genug wäre.

»Das ist,« sprach Herr Mathias, »das ist ja ein grober ungeschlachter Geselle, der uns hier unsre ruhige Freude verdirbt;« »den ich«, nahm Meister Weppering das Wort, »aber bald zur Vernunft bringen werde.« »Das wird«, erwiderte Herr Mathias, »hier wahrscheinlich nicht schwer [694] halten, denn solche brutale Renommisten tragen gewöhnlich eine elende feige Seele in sich.«

Unterdessen hatte der Wirt das von dem Fremden bestellte Glas Wein herbeigebracht und reichte es ihm jetzt hin.

Doch kaum brachte der Fremde den Wein an die Lippen, als er sich gebärdete, wie wenn tausend höllische Furien ihm plötzlich in den Leib gefahren wären. Mit dem Ungestüm des wildesten Zorns schleuderte er das Glas mit dem Würzwein an die Erde, daß es in tausend Stücken zerbrach, indem er dabei schrie: »Was, du halunkischer Wirt, du willst mich vergiften, ehe mich andere als du und deine Kumpane hier erblickt haben, damit du mich berauben und verscharren kannst, vergiften mit deinem Höllengesöffe?«

Herr Thomas fühlte sich an dem kitzlichsten Punkte angegriffen. Der Zorn übermannte ihn; er ging mit geballten Fäusten und zornfunkelnden Augen auf den Fremden los und schrie mit einer Stimme, die die des Fremden beinahe noch übertönte: »Welcher böse Geist führt Euch in mein Haus, Ihr grober Geselle; wenn Euch unser Land nicht gefällt, warum kommt Ihr hinein? wenn Euch mein Haus, mein Wein nicht ansteht, schert Euch zum Teufel und sucht Euch eine Soldatenherberge, wo Ihr fluchen und toben könnt nach Gefallen. Doch die findet Ihr hier, dem Himmel sei es gelobt, in unserm ganzen lieben Nürnberg nicht. Und was den Wein betrifft, so ist der Wirt des ›Weißen Lamms‹ weltberühmt, weil er sich stets getreu an die Weinordnung unseres gnädigsten Herrn, des Kaiser Maximilian vom 24. August 1498 gehalten und vorzüglich den Firne- oder Würzwein nach dem Buchstaben der Vorschrift bereitet hat.

Was, Ihr grober Mensch, glaubt Ihr, daß der heilige Sebald bei mir sitzt und mir die zerbrochenen Gläser ganz macht, wie er es nach dem Legendisten wohl sonst getan hat, daß Ihr mir eins meiner schönsten Paßgläser [695] zerschmeißt. Ihr stört alle Ruhe, alle bürgerliche Ordnung; und beweisen will ich aus dem schönsten Privilegium des gnädigsten Herren Kaiser Karl des Vierten, daß ich Euch die Nase abhauen kann, wenn Ihr nicht Ruhe haltet; und was hält mich ab, Ihr nächtlicher Störefried, Euch durch meine Leute fortbringen zu lassen, wenn Ihr nicht ruhig seid!«

»Gesindel,« brüllte der Fremde und zog Dolch und Messer. Da sprang aber der junge Krämer hinter dem Tisch hervor und stellte sich mit seiner tüchtigen eisernen Elle dicht vor den Fremden hin und sagte sehr ernst und gefaßt:

»Herr Soldat! denn solch ein Söldner, der einem Fähnlein entlaufen, seid Ihr doch. Ich frage Euch, ob Ihr hier ruhig sein wollt oder nicht. Hört Ihr nicht augenblicklich auf zu toben, so werde ich Euch trotz Eures Rolandsschwertes, trotz Eures Morddolchs, trotz Eures Banditenmessers mit meiner guten Augsburger eisernen Elle den ganzen Leichnam dermaßen zerwalken, daß Ihr viele Zeit hindurch, fehlt es Euch an Geld, Tuch zu kaufen, wenigstens blaues nicht nötig haben sollt zum Reiterwams.«

Der Fremde ließ beide Arme mit Dolch und Messer langsam sinken und murmelte, indem er die Augen niederschlug, zwischen den Zähnen etwas von Betrügereien und Schelmereien.

Da war auch Meister Weppering aufgestanden und auf den Fremden zugeschritten. Der faßte ihn bei beiden Schultern und sprach: »Bedenkt, daß Ihr in Nürnberg seid, ehe Ihr Euch vermeßt, von Lug und Trug zu sprechen.«

»Fallt ihr alle über mich her,« sprach der Fremde in rauhem Ton, indem er giftige Blicke umherwarf und vorzüglich den Herrn Mathias mit Basiliskenaugen anglotzte, »so muß ich freilich unterliegen, doch auch dabei bleiben, daß das Glas Wein, das mir der Wirt darbot, ein [696] Absud von höllischen Kräutern schien und den Magen, statt ihn zu erwärmen, wie ein Eisstrom durchfuhr.«

»Ich merke,« sprach Herr Mathias lächelnd, »daß das Mißverständnis, welches hier den Grund zu allem Streit gegeben hat, darin liegt, daß hierzulande Würzwein oder Firnewein ein aus Kräutern bereiteter Wein genannt wird. Ihr, mein fremder Herr Soldat, oder was Ihr sonst mit Eurem breiten Schwerte vorstellen mögt, verlangtet aber nur, Euch den kalt gewordenen Leib recht durchzuwärmen, ein Getränk, welches aus mit vielem Gewürze und Zucker gekochtem Wein besteht. Dieser Trank, welcher im Auslande eben gewürzter Wein heißt, ist hier wenig bekannt, und Ihr hättet daher wohlgetan, wenn Ihr Euch deutlich erklärt hättet, was Ihr zu trinken verlangt, ohne erst unnützerweise den großen Tumult anzufangen.«

Hierauf bestellte Herr Mathias bei dem Wirt ein solch fremdartiges Gebräude, wie es der Soldat im Sinn trug, und der Wirt, froh den Streit auf solche gute Weise geendet zu sehen, versprach kratzfüßelnd, daß er alles selbst, und zwar hier in der Gastküche unter den Augen des wilden Soldaten, auf das beste bereiten wolle.

Der Fremde begann auf eine Weise, die ungeschickt genug war, um nicht den Widerwillen dagegen hinlänglich zu beweisen, sein früheres Betragen mit dem Einfluß der Witterung und auf der Reise erfahrnen Unannehmlichkeiten zu entschuldigen; worauf er zuletzt um die Erlaubnis bat, seinen Wein in der Gesellschaft verzehren zu dürfen, als Zeichen der Versöhnung. Dies wurde ihm, der Nürnberger Gutmütigkeit gemäß, sehr gern verstattet.

Der Glühwein war fertig worden. Der Fremde hatte das halbe Glas geleert und den Wein diesmal vortrefflich gefunden. Nun warf er, als eben das Gespräch stocken wollte, ganz leicht die Frage hin: »Lebt Albrecht Dürer noch?«

Alle schrien im höchsten Erstaunen. »Wie, Albrecht Dürer, ob er lebt?« Aber Herr Mathias schlug die Hände [697] zusammen und sprach: »Herr! kommt Ihr aus dem Monde? in welchem Winkel der Erde, in welcher Einöde habt Ihr Euch verborgen gehabt? habt Ihr im Grabe gelegen? seid Ihr indessen blind, taub, lahm, stumm gewesen, daß Ihr eine solche Frage tun könnt? Ihr müßt samt Eurem lahmen Pferde hier vor dem Wirtshaus aus dem Schlunde der Erde emporgesprungen sein, denn sonst hätte Euch auf dem Wege hierher der große Name Albrecht Dürer in tausendstimmigem Jubel vor den Ohren klingen müssen. Habt Ihr auf der Landstraße nicht die Fülle der Leute bemerkt, die wie auf einer Pilgerfahrt nach dem lieben Nürnberg wandeln? Habt Ihr nicht die glänzenden Equipagen der vornehmen Fürsten und Herren bemerkt, die gen Nürnberg ziehen, um den Triumph des größten Mannes der Zeit zu feiern? – Albrecht Dürer!

Er hat sein größtes, sublimstes, tiefsinnigstes, herrlichstes Gemälde vollendet. Die Kreuzigung Christi steht ausgestellt auf dem Kaisersaal in hoher Vollendung. Ein besonderes Fest wird in künftiger Woche dieserhalb gefeiert, an dem, wie man sagt, der Kaiser seinen Liebling noch mit ganz besondern Gunstbezeugungen beehren wird.«

Der Fremde hatte, von seinem Sitz aufgesprungen, dies wie ganz erstarrt, ohne Zeichen des Lebens angehört. Nun schlug er eine gellende Lache auf und sank in krampfhaften Verzuckungen in den Sessel zurück.

Der Wirt flößte ihm Glühwein ein und brachte ihn dadurch zu sich selbst. »Unseres Bleibens ist länger nicht hier,« sprachen die Gäste und schlichen davon.

Indem Herr Mathias den Fremden vorüberging, legte er ihm die Hand auf die Achsel und sprach sehr ernst und feierlich: »Ihr seid Solfaterra. Was wollt Ihr hier? Noch haben die Nürnberger Euch nicht vergessen.«

[698]

Zweites Kapitel

Die Sonnenglut des Tages war verdampft, der Abendwind hatte sich hinter den Bergen aufgemacht und jagte die goldenen Wölkchen empor, die die sinkende Sonne wie glänzende Trabanten umfangen sollten. Baum und Gebüsch rührte sich froh in der Frische der Abendkühlung; in dem schönsten glänzendsten Schmuck des Abendgoldes stand die Hallerwiese, dies kleine Paradies der schönen Stadt Nürnberg. Bunte, duftende Blumenmatten von anmutig daherplätscherndem Gewässer durchschnitten, Gebüsch, bald leuchtend hervorschimmernd, bald im sanften Nachtschatten zurückweichend, ringsumher dazu das melodische Trillern der Sangvögel, die hier kein feindlicher Sinn in ihrer Heimat stören darf. – In der Tat, der würdige Sänger hatte recht, welcher diesen mit allen Reizen der Natur geschmückten Platz mit dem Tempe verglich, von dem die alten Fabeln so viel Herrliches zu erzählen wissen.

Die Glocken der letzten Sonntagsandacht hatten ausgeläutet, und man sah, wie nun alt und jung in Festtagskleidern nach der Hallerwiese zog, die bald sich zum Tummelplatz der mannigfachsten Vergnügungen gestaltet hatte. Hier wetteiferten Jünglinge in allerlei Leibesübungen und boten das anmutige Schauspiel der Stärke und Geschicklichkeit dar, die dem lebenskräftigsten Alter eigen. Dort zogen Sänger mit Zithern in den Händen daher und sangen lustig anzuhörende Märlein vom Könige Artus und dem weisen Merlin, der noch bis zur jetzigen Stunde in der Eiche sitzt, wo seine Liebe ihn hinvexiert hat, und sein kläglich Stimmchen hören läßt.

Dazwischen sprang auch wohl ein buntscheckichter Schalksnarr und sang unter tollen Grimassen und Gebärden von dem Kardinal Pankratius, der ein großes Maul hatte, und da das Maul verbrannt und begraben war, schlug ein großes Feuer aus der Erde, und der[699] Schmeck kam heraus. Und der Schmeck ist verschieden geworden, als da sind: der Rosmarinschmeck, der Jasminschmeck, der Nelkenschmeck, der Rosenschmeck und tausend andere; und die Weibsleute tragen ihn in den Händen, wenn sie Sonntags spazieren gehen. Aber was ist der beste Schmeck? Ei a!


»O Braut, die Lippen triefen dir
von Honigseime für und für,
die Zung' ist Milch und Honigsüße:
die Kleider haben den Geschmack,
den Libanus nicht geben mag,
auch wenn er alle Kraft anbliese.«

So sang also dieser oder jener Schalksnarr, indem ein anderer ihn auf einer mißtönenden Pfeife und halb zerschlagenen Trommel begleitete.

Doch das war etwas fürs Volk, welches den Narren laut jubelnd nachströmte.

Hier auf dem weichen blumichten Wasen bei dem vom Abendwinde bewegten flüsternden Gebüsch eröffnete sich ein edleres Schauspiel. Jünglinge, Jungfrauen hatten sich züchtig bei den Händen gefaßt und tanzten nach dem anmutigen vollen Klang der Theorben, Harfen und Flöten in künstlich verschlungenen Reihen. In der Ferne sah man Väter und Mütter gelagert, der Jugend mit Wohlgefallen zuschauen, und jede Mutter sprach zur andern von ihrer süßen Hoffnung. Ratsherren schritten bedächtig durch die Gänge, freuten sich des Wohlseins ihrer Bürger und berieten auch hier, wie das Wohl der Stadt zu fördern. –

Auf einem anmutigen Platze neben einem geschwätzigen Springbach hatte sich ein Trupp Jünglinge zusammengefunden, die, von den Leibesübungen Ruhe schöpfend, sich in allerlei scherzhaften Gesprächen zu ergötzen schienen. Dieser Trupp war in der Tat eine Auswahl der Nürnberger Jugend. Denn jeder von diesen Jünglingen hätte dem Maler zum Modell des reinsten Ebenmaßes in [700] dem vollkräftigen Körper des Jünglings dienen können. Sie waren meistens nach italischer Weise in kurzen Mänteln, Wams mit weiten geschlitzten Ärmeln und größern als gewöhnlichen ausgeschlitzten Baretts, auf denen ein ganzer Wald wogender Federn wogte, gekleidet, und diese Tracht war eben dazu geeignet, die Kraft und Schönheit ihres Wuchses ins Licht zu stellen.

Doch unter allen übrigen ragte wie ein Fürst unter seinen Vasallen in edler Hoheit und Grazie ein Jüngling empor, der mit seinen strahlenden Augen so keck und kühn in die Welt hinausschaute, als ob alles sein und er der Gebieter. Es begab sich, daß dieser Jüngling mit einem andern in einen Wortwechsel geriet, der immer heftiger und heftiger wurde. Plötzlich, ganz entstellt von Zorn und wilder Wut, mit einem dumpfen Schrei stürzte der schöne Jüngling auf seinen Gegner los. Dieser, durch den jähen Angriff nicht außer Fassung gebracht, wußte die Kraft dieses jähen Angriffs geschickt zu brechen und auch seinen Gegner mit Vorteil zu fassen.

Sie rangen, gleiche Stärke und Gewandtheit begegneten sich, und nur eine augenblickliche Schwäche dieses oder jenes Teils konnte den Kampf entscheiden, der um desto hartnäckiger und bedrohlicher für die Zuschauer, aber auch um desto herrlicher war.

Endlich überwältigte der schöne Jüngling seinen Gegner, warf ihn mit Riesenkraft zu Boden, zog ein italisches Messer, das in einer zierlichen Scheide am Gürtel gehangen, und war im Begriff, es seinem Gegner in die Brust zu stoßen, als alle umstehende Jünglinge, eines solchen Trauerspiels nicht gewärtig, hinzusprangen, sich zwischen die Jünglinge warfen und den Überwältigten ohnmächtig wegtrugen.

Dieser Jüngling war aber Melchior Holzschuer geheißen und der Sohn eines der ersten Patrizier. Der schöne Jüngling stand noch immer da in drohender Stellung, das Messer hoch emporgehoben, mit zornsprühenden Augen [701] und krampfhaft zusammengedrückter Stirn. Unter andern Umständen hätte sich wohl die Gestalt des Jünglings, so kräftig und heldenmäßig war sie anzusehen, dem Erzengel vergleichen lassen, wie er im Begriff steht, dem sich krümmenden Erbfeinde den Todesstreich zu versetzen.

In dem Augenblick eilte auch ein Ratsherr mit der zahlreichen Stadtwache herbei. Sowie er den schönen Jüngling mit dem Mordmesser in der Hand erblickte, erblaßte er vor Schreck und rief: »Raphael, Raphael, schon wieder seid Ihr es, der Meuterei anfängt; schon wieder stört Ihr die Freuden Eurer Mitbürger. Was soll ich mit Euch machen? Fort, nach der Wache.«

Da erst schien der Jüngling zu sich selbst zu kommen. »O Gott!« rief er, »o Gott! mein würdigster Herr. Der Schimpf war zu groß, zu entsetzlich, hier auf dieser Stelle, hier öffentlich unter dem Volke hat er mich geschimpft; – ich kann's nicht wiederholen das Wort – – Bastard.« Der Jüngling stieß ein Geheul aus, indem er sich beide Fäuste vors Gesicht drückte.

Die andern Jünglinge traten beschwichtigend auf den Ratsherrn zu und versicherten, daß der übermütige Patrizierssohn den jungen Maler wirklich ohne alle sonderliche Veranlassung auf die gerügte entsetzliche Weise beschimpft habe, so daß dieser wohl in Wut geraten und ihm zu Leibe gehen können. Ein Tränenstrom stürzte aus Raphaels Augen – er warf sich jedem der Jünglinge an die Brust und fragte schluchzend, ob er denn solch ein Mordgeselle sei, ob er denn überall Meuterei anfange, ob er nicht alle liebe, ob er nicht manches übereilte Wort einstecke, ob ihn nicht der böse Mensch aus der hellsten Fröhlichkeit zur höchsten Wut gereizt – darauf ließ er sich auf ein Knie vor dem Ratsherrn nieder, faßte seine Hand und benetzte sie mit Tränen, indem er sprach: »O mein würdiger Herr, gedenkt Eurer Mutter und sagt: was hättet Ihr getan in meiner Stelle?« –

»Weil,« sprach der Ratsherr, »weil alle darin übereinstimmen, [702] daß Ihr wirklich ohne Veranlassung auf die von Euch erzählte harte Weise angegriffen worden seid; vorzüglich aber aus Ehrfurcht gegen Euren Pflegevater, den großen Albrecht Dürer, will ich den Vorfall für heute nicht weiter rügen; doch müßt Ihr mir Eure Mordwaffe aushändigen; gebt mir Euer Messer her.« Da ergriff der Jüngling das Messer, drückte es heftig an seine Brust und sprach im Ton der innigsten Wehmut: »O mein würdigster Herr, Ihr greift mir an das Herz, wenn Ihr das von mir verlangt; ein besonderes Gelübde, das ich mir selbst getan, zwingt mich, dieses Messer nie von meiner Seite zu lassen. Seid barmherzig, würdigster Herr, fragt mich nicht mehr.« –

»Ihr seid,« erwiderte der Ratsherr lächelnd, »Ihr seid ein wunderlicher Mensch, Raphael; doch habt Ihr etwas in Eurem ganzen Wesen, welches bewirkt, daß man Euch nicht so leicht etwas abschlägt. Aber steht hier nicht so müßig, ihr lieben Jünglinge, seid ihr der Leibesübungen satt, so mischt euch dort in jene fröhliche Haufen, welche sich ergötzen durch Gesang und Tanz. Reizen euch denn nicht die schönen Jungfrauen, die dort reihenweise daherziehen?«

Da geriet Raphael plötzlich in Begeisterung; er warf den Blick in die Höhe und sang mit gar heller anmutiger Stimme in der stumpfen Schoßweis Hans Müllers:


»Es steht am Firmament
nur eine Sonnen, die brennt
ins wunde Herz.
Ein Schmerz,
Ein Lieben nur,
Ein Hoffen, Sehnen, Sterben,
Ein Liebesfirmament,
Ein Liebesfeuer brennt.
O Königin!
mein Sinn
[703]
in dir nur lebt.
Gibt's noch ein anderes Leben?
Die Sonn' am Firmament,
die Liebesglut, die brennt,
sie gönnt
mir tausend süße Schmerzen!
O selig Feu'r, das brennt,
Des Himmels Lust mir gönnt!
Spring auf, o Brust,
in Lust!
Entströme Glut dem Herzen.«

»Er ist in Liebe,« sprach einer von den Jünglingen zu dem Ratsherrn leise, »und wenn ich nicht irre, liebt er Mathilde, die schöne Tochter unseres würdigen Patriziers Harsdorfer.« – »Nun,« erwiderte der Ratsherr lächelnd, »das Lied war wenigstens ebenso wild und toll als die Liebe selbst.«

Doch, o Himmel! in diesem Augenblick kam der Patrizier Harsdorfer einen Baumgang hinaufgeschritten, geradezu nach dem Rasenplatz hin, wo sich die Jünglinge befanden, an seiner Seite seine Tochter Mathilde, schön und anmutig wie ein junger Frühlingstag. Sie war sehr zierlich in ein knappes Gewand mit langen, weiten, bauschichten, vielfach geknüpften Ärmeln gekleidet. Der hoch hinaufgehende Kragen ließ nur die Form des schönsten Busens ahnen, und ein breites Barett, mit vielen Federn ringsumher geschmückt, vollendete den Reiz der italischer Sitte sich nähernden Tracht. Als sie sich den Jünglingen näherte, ließ sie, in jungfräulicher Scheu errötend, den Vorhang der seidenen Wimpern über die leuchtenden Himmelsaugen fallen. Doch nur zu gut hatte sie den erblickt, der in ihrem Herzen lebte.

Ganz außer sich, von Liebeswahnsinn ergriffen, stürzte Raphael aus dem Kreise der Jünglinge, stellte sich vor Mathilden und sang:


[704]
»So kommst du her,
Schönst' der Jungfrauen?
Darf ich dich schauen?
Wunderbares Bangen
hält die Brust befangen.
Schweigt, Abendwinde, Stimmen des Waldes!
Wohllaut ist ihr Gang,
ihr Atem süßer Gesang,
alles huld'ge ihr
im Lustrevier.
Will sie zu euch sich neigen,
seht den Himmel niedersteigen.
Ha, Königin der Jungfrauen,
soll'n sterben wir in Wonnen?
In Wellen sprudelst, Liebesbronnen!
O Schmerzen! O Lust!
zerspaltet die Brust!
Ach, dem kein Stern mehr brennet,
dem ist die Ruh' gegönnet.«

Als er den Gesang vollendet, ließ er sich vor Mathilden auf ein Knie nieder und bat um den schönen Blumenstrauß, den sie in der Hand trug, und den sie ihm als Sängerpreis nicht verweigern konnte.

Er nahm ihn, sich erhebend, drückte ihn an die Brust, netzte ihn mit Tränen und verteilte dann einige grüne Blätter davon an seine Gefährten, die jubelnd ihre Baretts damit schmückten.

Man kann denken, daß das ganze Beginnen Raphaels ein herrliches Bild herbeiführte. So kam es, daß Personen jeden Standes einen Kreis geschlossen hatten und sich an dem anmutigen Schauspiel ergötzten.

Selbst die strengsten Meistersänger, welche dem Raphael vorwarfen, daß er sich zu italischer Singerei hinneige, erstaunten über die Stärke und Annehmlichkeit des hellen Brusttons, mit dem Raphael sang; und ein paar [705] gar Gelahrte stritten nur darüber, ob Raphael sich in seinem Gesange mehr an die grüne Lilienweis oder mehr an des Orphei sehnliche Klageweis gehalten.

So lieblich, so hineinpassend in die Vergnügungen auf der Hallerwiese, so die Schranken der höchsten Ehrbarkeit beachtend nur aber auch die der schönen Mathilde dargebrachte Huldigung sein mochte, so mußte sich doch die zarte, züchtige Jungfrau dadurch schmerzhaft berührt fühlen, weil einer seine Liebe zu ihr auf viel zu ausschweifende Weise vor aller Welt ausgesprochen. Sie war ganz zerknirschte Scham, keines Wortes mächtig.

Es hatten sich indessen mehrere Freunde um den edlen Patrizier Herrn Harsdorfer versammelt, und es gelang ihm, sich ohne Geräusch ganz in der Stille mit seiner Tochter im Volk zu verlieren.

Raphael befand sich in der überseligsten Stimmung, und wie es in dieser Stimmung zu geschehen pflegt, sein Mut schwoll bis zum Übermut. Die Jünglinge beschlossen unter seiner Anführung noch einen Streifzug durch die ganze Hallerwiese zu unternehmen. Hier auf diesem Streifzuge war es, wo ihm eine der abenteuerlichsten Gestalten aufstieß. Ein alter, großer mißgestalteter Mann, in gestreifter buntscheckichter Kleidung, auf dem Barett drei hohe Pfauenfedern, ein ungeheures Schwert an der Seite, das er nur mit Mühe fortschleppte. Der ganze Kerl schien aus Justus Amann Kriegszug gesprungen zu sein.

Erfährt der geneigte Leser, daß Meister Thomas, der Wirt zum »Weißen Lamm«, diesen wunderlichen Menschen begleitete, so hat es keinen Zweifel, daß der gestreifte Kriegsmann niemand anders war als der Unbekannte, den der Magister Mathias mit dem Namen Solfaterra anredete.

Die Jünglinge erwählten alsbald den Unbekannten zu ihrem obersten Kriegsfeldhauptmann und ordneten einen Kriegszug an, der in der Tat lächerlich genug sich ausnahm.

[706] Voran schritten einige Jünglinge, die die Feldmusik auf mißtönende Weise nachahmten, alsdann kamen zwei, die das ungeheure Schwert des Hauptmanns trugen; ihnen folgte einer, der auf den Händen das Federbarett emporhielt, und ihm zur Seite schritten zwei sehr feierlich, von denen jeder einen Handschuh des Hauptmanns, und scheinbar mit der angestrengtesten Mühe, trug. Nun führten zwei an den Armen den erwählten Hauptmann selbst; der wollte alles mit den Blicken vergiften, fluchte, tobte, knirschte mit den Zähnen, aber er befand sich in der Gewalt der Jünglinge, und je mehr er sich toll gebärdete, zu desto abenteuerlicheren Grimassen wußten ihn seine Führer zu zwingen. Vorzüglich verstand Raphael sich darauf, den Hauptmann in beständigem Atem zu erhalten, so daß er's war, dem der Unbekannte den größten Tort verdankte.

So bewegte sich der Zug langsam fort, als plötzlich Albrecht Dürer vor Raphael stand. –

Es ist nötig zu sagen, daß Albrecht Dürer sich ebenfalls mit seinem Weibe und dem Herrn Doktor Mathias auf der Hallerwiese ein weniges ergehen wollte. Doch geschah es wie immer; es gesellten sich so viele edle Freunde zu ihm, daß seine Umgebung oder vielmehr sein Gefolge bald einen Festzug zu bilden schien. Heute kam noch dazu, daß viele Fürsten und Herren, die sich gerade in Nürnberg befanden, ebenfalls nicht verschmähet hatten, mit einer zahlreichen, glänzend gekleideten Dienerschaft die Hallerwiese zu besuchen. Wohl war es Dürer, der sie dazu bewog; denn ihn umgaben sie, huldigend seiner Kunst nicht allein, sondern auch seiner anmutigen Beredsamkeit, dem harmonischen Wohllaut seines ganzen Wesens. –

Dürers Antlitz war kräftig und voll Ausdruck eines erhabenen Sinnes. Die Züge drückten sich indessen zu markicht aus, um nicht ein gewisses Gleichgewicht der Bildung aufzuheben, wodurch ein Antlitz schön wird. Den [707] tiefsinnigen Künstler zeigte der begeisterte Blick, der oft unter den buschichten, scharf zusammengezogenen Augenbrauen hervorstrahlte, den liebenswürdigen Menschen ein unaussprechlich anmutiges Lächeln, zu dem sich seine Lippen verzogen, wenn er sprach. Viele wollten unter Dürers Augen einen gewissen krankhaften Zug bemerken, sowie aus der nicht ganz natürlichen Färbung der Wangen auf die besorgliche Andeutung eines innern geheimen Übels schließen. Man findet diese Färbung zuweilen auf Dürers Bildern, vorzüglich bei Klostergestalten, mit vieler Wirkung angebracht, und dieses zeigt, daß Dürer sein eignes Kolorit nicht verkannte.

Dürer verschmähte nicht, sich zierlich zu kleiden und so seinem wohlgebauten Körper, dessen einzelne Glieder ihm oft selbst zum Modell dienten, sein Recht anzutun. Seine ganze Gestalt war heute an dem schönen Sonntage besonders herrlich anzusehen. Er trug ein gewöhnliches Überkleid von schwarzer Lyoner Seide. Der Kragen und die Ärmel mit gerissenem Samt von derselben Farbe in zierlichem Muster besetzt. Das auf der Brust weit ausgeschnittene Wams war von buntem venetianischen Goldstoffe. Das bauschichte, vielfaltige Beinkleid reichte nur bis an das Knie. Übrigens trug Dürer zu diesem Festanzuge, wie es Sitte war, weißseidene Strümpfe, große Bandschleifen auf den Schuhen und ein Barett, das nur das halbe Haupt bedeckte und nur mit einer kleinen krausen Feder und einem prächtigen Edelstein, einer Verehrung des Kaisers, geschmückt war.

So trat also Dürer plötzlich seinem Pflegesohn entgegen, indem er mit strenger Stimme sprach: »Raphael, Raphael! welchen Unfug treibst du; spiel' nicht vor diesen edlen Fürsten und Herren den Schalksnarren.«

In dem Augenblick trafen Solfaterras und Dürers Blicke zusammen wie funkelnde Schwerter. Solfaterra sprach mit seltsamem Ton: »Der Prunknarr macht mich auch noch nicht tot,« und stolperte fort durchs Gedränge. Dürer [708] schien sich von einer tiefen Bewegung erholen zu müssen, dann wandte er sich zu seiner Umgebung mit den Worten, die den bebenden Lippen mühsam entflohen: »Laßt uns von hinnen gehn, ihr edlen Herren!«


Mag der geneigte Leser es sich gefallen lassen, in das Haus des edlen Patriziers Harsdorfer und zwar in das kleine Zimmer mit dem gotischen Erker geführt zu werden, in dem sich die Alten aufzuhalten pflegten, wenn sie aufgestanden und sich angekleidet hatten.

Beide, Harsdorfer und seine Frau, traten sich nicht, wie sonst, froh und freudig entgegen; vielmehr zeugte die Blässe ihres Antlitzes von der tiefen Bekümmernis, die in ihrem Herzen nagte. Schweigend boten sie sich den Morgengruß, dann ließen sie sich in die schwerfälligen, mit reichem Schnitzwerk verzierten Lehnsessel nieder, die an einem solchen Tische standen, über dem ein reicher grüner Teppich ausgebreitet lag. Frau Emerentia hatte die Hände auf dem Schoß gefaltet und sah in tiefer Bekümmernis vor sich nieder. Herr Harsdorfer schaute, den Arm auf den Tisch gestützt, durch das Erkerfenster in den leeren Himmelsraum.

So hatten die Alten eine Weile gesessen, als Herr Harsdorfer endlich leise sprach: »Emerentia, warum sind wir so traurig?«

»Ach,« erwiderte Frau Emerentia, indem sie die Tränen, die ihr in die Augen traten, nicht mehr zurückhalten konnte, »ach! Melchior, ich habe dich die ganze Nacht hindurch seufzen und leise beten gehört und mit dir geseufzt und gebetet. Unsre arme Tochter Mathilde.«

»Sie ist,« sprach Harsdorfer mit mehr wehmütigem als strengem Ton, »sie ist von einer heftigen, verderblichen Leidenschaft befangen worden, die wie ein böses Gift an ihrem Innern zehrt. Mag mich die Gnade des Himmels erleuchten und mir Mittel an die Hand geben, das arme Kind dem Verderben zu entreißen, ohne es selbst zu verderben. [709] Du weißt, Emerentia, mir stünde allenfalls die Gewalt zu Gebote; ich könnte den unbesonnenen Jüngling fortschaffen. Ich könnte –«

»Um Gott,« fiel die Frau ihm in die Rede, »Melchior, du bist alles dessen nicht fähig; denke an Dürer, denke an Mathilde, deren Herz du zerfleischest; und sage selbst, Melchior, ob das arme liebe Kind nicht zu entschuldigen. Als ein unglücklicher Zufall den Jüngling in unser Haus führte, war er nicht die Liebenswürdigkeit selbst? Welche Sanftmut im Betragen, welche Zartheit in dem Beachten aller der kleinen Aufmerksamkeiten, die das jungfräuliche Herz nur zu leicht bestricken. Raphael ist in jeder Hinsicht ein außerordentlicher Mensch, und darf er an Kraft und Schönheit dem Erzengel verglichen werden, so verdient sein auserlesener Verstand und sein hoher vortrefflicher Geist in einem solchen schönen Hause zu wohnen. Wahr ist's, sein wildes, ungezähmtes Temperament reißt ihn zu tollen, übermütigen Streichen hin. Aber hast du, Vater, jemals von einer wirklich nur schlimmen Tat vernommen, die Raphael verübt haben soll? Vielleicht ist doch Raphael ein guter Mensch.« –

»In der Tat,« nahm Harsdorfer das Wort, indem er sanft lächelte, »in der Tat, du verteidigst den wilden Raphael mit so vieler weiblicher Geschicklichkeit, daß es nur not täte, ihm unsere Mathilde in die Arme zu werfen.«

»Mitnichten,« erwiderte Frau Emerentia, »mit Schrecken denke ich daran, daß es möglich sein sollte, die Tochter dem ausgelassenen Jüngling aufzuopfern. Raphaels Temperament gleicht einem klaren Bach, der zwischen anmutigen Wiesenflecken dahinplätschert und vorbeifließend jede Blume liebkoset. Doch peitscht ihn der wilde Sturm, so brausen seine Wellen hoch empor; er wird zum wilden Waldstrom, reißt alles schonungslos mit sich fort und schont selbst der geliebten Blumen nicht.«

»Ei,« sprach Herr Harsdorfer mit etwas spitzem Ton, »das ganze schöne Gleichnis, das jedem Meistersänger [710] Ehre machen würde, hast du wohl dem Herrn Doktor Mathias Salmasius zu verdanken.«

»O!« sprach Frau Emerentia weiter, »o glaube, Vater, daß auch eine einfache Matrone, ist sie Mutter, in diesem Gefühl außer sich selbst hinausschreiten und ein anderes Wesen werden kann. Laß es mich dir mit einem andern Gleichnis sagen, daß Mathildens stille Sanftmut nur wie eine dünne Eisdecke über einer stets zehrenden Feuerglut liegt, die jeden Augenblick brechen kann. Die größte Gefahr führt Mathildens grenzenlose Liebe herbei. Doch eine leise Hoffnung ist mir gestern bei dem ärgerlichen Vorfall auf der Hallerwiese aufgegangen. Zum erstenmal mußte Mathilde Raphaels wildes, bedrohliches Wesen erkennen; ja, ihre züchtige Jungfräulichkeit wurde dadurch unmittelbar schmerzlich berührt. Ein einziges unbesonnenes, selbst bewußtloses Beginnen des Mannes, wodurch die Geliebte verletzt wird, ist ein Fleck am sonnenhellen Himmel der Liebe, der selten wieder verschwindet.

Doch sage, Vater, was tun, was beginnen?« –

»Ernste väterliche Ermahnungen«, sprach Herr Harsdorfer, »sind vorderhand der einzige Damm, den ich diesem reißenden Strom entgegensetzen kann; und wie lange wird's dauern, bis die glühende Leidenschaft wenigstens sich so weit abgekühlt hat, daß der Sinn nur im mindesten der Vernunft sich hinneigt. Doch mich dünkt, ich höre unser liebes Kind mit unserm Morgenimbiß die Treppe heraufschreiten. Sie wird auf unserm kummervollen Gesichte lesen, welche tiefe Sorge sie uns verursacht.«

In der Tat öffnete sich die Türe, und herein trat das liebe Kind mit einem silbernen, sauber gearbeiteten Teller, auf dem zwei hohe mit edlem Wein gefüllte Gläser standen. Auf einem kleinern Teller lag etwas Backwerk, das so frisch und appetitlich aussah, wie man es in Nürnberg nicht anders findet.

Die Totenblässe des Antlitzes, die verweinten Augen [711] zeugten hinlänglich von dem bittern Kampf in Mathildens Innern. Doch war ihr ganzes Wesen gefaßt, und nur mit mehr Rührung bot sie den lieben Eltern den Morgengruß, indem sie ihre Hände küßte. Der alte Harsdorfer, Mathilden im höchsten jugendlichen Liebreiz vor ihm stehen, mit hängendem Köpfchen, wie ein krankes Täublein die Arme hinunterhängen, mit beiden Händen ein Schnupftuch zusammendrücken sehend, schien in der Tat verlegen, wie er seine Rede beginnen sollte.

»Nun,« sprach er mit bitterm Ernst, »nun weiß man doch in dem guten Nürnberg, wen der wilde Raphael zu seiner Liebsten erkoren. Sollen bald die Brautjungfern den Kranz flechten?« »Ach, Vater!« erwiderte Mathilde, »verletzt nicht noch dies wunde, blutende Herz durch bittere Reden, die wie scharfe Stacheln nur zu tief eindringen. Der gestrige Auftritt hat mein ganzes inneres Wesen empört, alle jungfräuliche Scham mir aufgeregt. Es ist, als könne ich mein Zimmer nicht mehr verlassen, nicht mehr über die Straße gehn, als müßte ich mich im tiefsten Winkel verbergen, um nur nicht den höhnenden Spott auf den Gesichtern der Jungfrauen und Frauen zu sehen. Aber, Vater, warum mir die Vorwürfe, bin ich denn schuld an der Verirrung des Jünglings?«

»Mathilde,« sprach Herr Harsdorfer weiter, »der roheste, in Liebe befangene Jüngling wird es kaum wagen, wenigstens unter solchen Umständen, wie sie sich gestern auf der Hallerwiese gestalteten, einer Jungfrau auf die Art in den Weg zu treten, wenn er in ihrem Betragen nicht irgendeinen Anlaß, irgendeine Entschuldigung fand. Mathilde, du bist in Liebe zu dem unbesonnenen Jüngling, und nur zu leichtsinnig wirst du ihm schon längst die innere Stimmung verraten haben.«

»O Gott!« rief Mathilde schluchzend, indem sie die schönen Augen, die voller Tränen standen, gen Himmel erhob, wie eine zu der ewigen Macht des Himmels flehende Heilige. »Armes Kind,« lispelte Frau Emerentia für [712] sich, indem sie etwas Wein zu sich nahm, in den ihre Tränen tröpfelten. Herr Harsdorfer, als ein fester Mann seine Fassung erhaltend, sprach nun mit mildem Ernst und einem Ton, dessen halbunterdrückte Wehmut die höchste Zärtlichkeit für das liebe Kind sowie den unsäglichen Schmerz aussprach, den er in diesem Augenblick erlitt:

»Mein teures geliebtes Kind Mathilde, sehr würdest du irren, wenn du glauben solltest, daß deine so schnell erglühte Liebe zu dem wilden Raphael mich in Zorn versetzt hat. Raphael ist ein geistreicher Mensch, dessen Kunsttalent groß und ungewöhnlich zu nennen. Schon jetzt setzen seine Skizzen jedermann in Erstaunen, und Dürers Ausspruch, daß der Jüngling auf jeden Fall ein großer, vielleicht der größte Maler seines Zeitalters werden würde, kann und wird sich bewähren. Du kennst mich, mein teures Kind, und weißt daher, daß dies Talent das schönste Adelsdiplom ist, womit ich meinen Eidam bekleidet wünsche; bürgerliche Verhältnisse würden also deiner Liebe niemals ein Hindernis sein. Doch hier handelt es sich von etwas Wichtigerem.

Mathilde, du stehst an einem Abgrunde, ohne es zu ahnen. Der arglistige Verführer der Menschen selbst streckt seine Krallen nach dir aus und sucht dich zu verderben. Mathilde, sammle deinen Sinn und gib väterlichen Ermahnungen Gehör, die dich auf den rechten Weg zurückbringen werden. So wie Raphael sich dir bis jetzt in der Ferne und – vielleicht auch näher –« Die letzten Worte sprach Herr Harsdorfer mit Nachdruck, indem er einen scharfen Blick auf Mathilden heftete, so daß Mathilde, ganz Purpur, die Augen niederschlug, das Sacktuch wacker zwischen den kleinen Händchen zerknillte.

»Also,« fuhr Herr Harsdorfer, der einen Augenblick innegehalten, ernster und strenger fort, »also und auch näher zeigte – konntest du unmöglich jene bedrohlichen Untiefen seines Wesens gewahren, die den gewissen Untergang jedem Weibe bereiten, das sich ihm ergibt, und ihn [713] selbst zuletzt verderben werden. Seine Leidenschaftlichkeit überschreitet alle Grenzen der Vernunft, sein Jähzorn scheut kein Verbrechen. – Wollt' er nicht noch gestern den Freund meuchlings ermorden, und lag es an ihm, daß der Mord nicht wirklich geschah?«

»Bastard schimpfte ihn der Ruchlose mitten unter allem Volk.« Diese Worte schob Mathilde ganz leise dazwischen.

»Aber,« sprach Herr Harsdorfer weiter, indem er tat, als habe er Mathildens Worte gar nicht vernommen, »aber an dir selbst hat nun sein bedrohliches Wesen sich offenbart. Du siehst die Gefahr ein, der du leichtsinnig dich hinopfern willst. In den Fabeln wird erzählt, daß Untiere in glänzendem Gefieder mit reizender Sirenenstimme den Menschen so verlocken, daß er [ihnen] als ihr Eigen an die Brust fällt, um ihn dann desto gewisser ohne Widerstand zu verschlingen; so ist's mit Raphael.

Doch, mein liebes Kind, der erste große Schritt ist geschehn; unverzeihlich hat sich Raphael gegen dich benommen, und hierin findest du den ersten und fürnehmsten Grund, deine Leidenschaft zu bekämpfen. Du bist ein tugendhaftes, frommzüchtiges Kind, und so wird dir der Sieg leicht werden. Ja, mein liebes teures Kind, du hast recht, nicht verzeihen magst, kannst du dem wilden Jüngling, was er tat.«

»O Gott!« rief Mathilde, »ich habe ihm ja längst verziehen.«

Herr Harsdorfer erschrak über diesen ihm allein unerwarteten Ausbruch Mathildens dermaßen, daß er das Glas Wein, welches schon seine Lippen berührten, wieder absetzte. Frau Emerentia schaute ihn aber an mit einem Blick, welcher deutlich sprach: »Hättest du wohl etwas anders ahnen können?«

Ohne der Eltern Rede weiter abzuwarten, begann Mathilde mit steigender Leidenschaft: »O Gott, liebe Eltern, was mein Raphael getan, die Engel im Himmel werden ihn rein erscheinen lassen; denn nur durch schwarzen [714] Flor blickt wie ein prachtvoller Stern sein edles, herrliches Gemüt.

Als der übermütige Holzschuer ihn bis auf den Tod beleidigte – ihr müßt wissen, meine teure Eltern, daß der Mensch, der meinen Raphael um alles beneidet, ihm den Vorwurf macht, nicht auf rechtmäßige Weise geboren zu sein, weil seine Eltern nur durch die katholische Kirche vereinigt sind. Freilich, als er ihn nun überwältigt, als er das Mordmesser zog – o! das böse, böse Messer – wie oft habe ich – –« Mathilde stockte und drückte mit beiden Händen das Taschentuch vors Gesicht, indem sie vor zurückgehaltenen Tränen ersticken zu wollen schien.

Herr Harsdorfer sowohl als Frau Emerentia ließen das Kind gewähren, indem sie einen Ausbruch der bittersten Reue und Zerknirschung erwarteten. Herr Harsdorfer glaubte diesem Ausbruch der Reue einen leichten Durchgang verschaffen zu müssen vermöge ruhiger, bedächtiger Worte.

»Im,« sprach er, »im steten Andenken an Raphaels durchaus ärgerliches Beginnen auf der Hallerwiese wird er, indem du ihn nicht wieder siehst, dir immer gleichgültiger werden und zuletzt deine Liebe zu ihm erlöschen.«

»O Gott!« schrie Mathilde mehr, als sie sprach, »was sagt Ihr, Vater, was sagt Ihr, ich ihn nicht mehr lieben, ihn, in dem meine Seele lebt, der mein Alles, mein ganzes Dasein ist. Jeder Tropfen meines Herzbluts quillt in seiner Brust – er ist der belebende Funke meines ganzen Wesens – ohne ihn alles tot und starr – mit ihm alle Himmelsseligkeit und Wonne. Und so lebe ich auch in meines Raphaels Brust. Ha! so geliebt zu sein! – so geliebt zu sein! –

Als er mich auf der Hallerwiese erblickte – da loderten hell die Liebesfunken, und von seinen Lippen strömte in himmlischer Begeisterung ein Lied. – Ha, welch ein Lied! Die ältesten Meister nickten ihm Beifall zu – allen schwoll die Brust beim Gesange meines Raphaels – und [715] als er nun den Preis des Sängers zu erwerben rang – o Gott! das Lied strömte wie Feuer durch meine Adern – den Jünglingen pochte das Herz – und die Jungfrauen – vergebens suchten sie es zu bergen, wie sie mich um meine Liebe neideten – während der Mund sich zum spöttischen Lächeln verzog, standen Tränen der Sehnsucht ihnen in den Augen – während sie den Jüngling verdammten, fühlte jede selbst den Himmel an meiner Stelle! Ihn lassen, ihn nicht mehr lieben, meinen Raphael, nein, nimmermehr – bis zum letzten Lebenshauch ist er mein! bleibt er mein! – mein! – mein! – mein!«

»Sogewahr' ich denn,« sprach der alte Harsdorfer, indem er sich zornig von seinem Sitze erhob, »so gewahr' ich denn, daß der Geist des Bösen, der sein Wesen treibt in des wilden Jünglings verderblichem Beginnen, schon Macht gewonnen über dich. Ha, entartetes Kind, hat jemals das Blut in verderblicher Wollust gegärt in den Adern deiner Mutter, die in den Jahren, wenn das Liebesfeuer am höchsten wallt, die Zucht und spröde Jungfräulichkeit selbst war? Sind jemals Worte über ihre Lippen gekommen, wie sie von den deinigen strömen? Doch gehe hin, Verworfene, du hast keinen Vater mehr, geh hin, flieh mit ihm, denn gewiß brütet ein solcher Anschlag der Hölle schon längst in dem Gehirn des Bösewichts, der dir nachstellt; ende im Elend und tiefer Schmach.«

»Nein,« rief Frau Emerentia, die in Tränen ganz gebadet war, »nein, Vater, das kann, das wird unser frommes Kind nicht; nur Verblendung ist es. Doch nein, sie liebt wohl Raphael wirklich, aber kann sie darum Vater und Mutter lassen?«

»Nimmermehr, lieber sterben,« schluchzte Mathilde.

Herr Harsdorfer sah in diesem Augenblick ein, daß er gegen Mathilde zu hart gewesen, und der rührende Anblick der beiden, ganz schmerzaufgelösten Weiber gab diesem Gedanken noch das gehörige Gewicht. Er hob Mathilden, die vor ihm niedergestürzt war, sanft in die Höhe, [716] strich ihr die niedergefallenen Locken von der Lilienstirn und sprach sanft, beinahe wehmütig: »Fasse dich, mein liebes Kind, vielleicht ist es nur ein feindseliger Augenblick, der dich dich selbst verleugnen ließ.«

Mathilde, plötzlich ganz gefaßt, keine Tränen in den trocknen Augen, starrte den Herrn Harsdorfer an mit seltsamem Blick und fragte mit dumpfem Ton: »Habt Ihr mir, Vater, vielleicht eine böse Untat verschwiegen, die Raphael beging, so entdeckt sie mir jetzt; denn bei Gott, Vater, nichts habt Ihr vorbringen können, was meinen Raphael als einen verbrecherischen Menschen darstellen sollte, der meiner Liebe unwürdig.« – Herr Harsdorfer schien etwas betreten. »Geh,« sprach er endlich, »geh, mein liebes Kind, schiebe dir das kleine Taburett heran und nimm Platz zwischen deinen Eltern.«

Der geneigte Leser, der Sinn hat für die edle Malerkunst, dem sich aus einer Erzählung mannigfache Gruppen bilden, findet hier Gelegenheit, sich ein kleines, gar anmutiges Kabinettsstück vor Augen zu bringen. Denn anmutig darf es genannt werden, wie die bildhübsche schlankgewachsene Mathilde in der zierlichsten Morgenkleidung Platz genommen zwischen den beiden Alten, auf ihre Rede horchend. Auch darf nicht die gute Staffage der Polsterstühle, des Taburetts und des Tisches mit dem appetitlichen Morgenimbiß vergessen werden. –

»Um dir,« begann nun der alte Harsdorfer, »um dir, mein liebes gutes Kind, klar vor Augen zu stellen, wie mein Vorurteil gegen Raphael auf eine Schlußfolge begründet ist, deren Untrüglichkeit die Welterfahrung längst bewährt hat, muß ich dir von Raphaels unglücklichem Vater, dem verworfenen Dietrich Irmshöfer, mehr erzählen.

So wie Dürers Vater war Irmshöfers Vater ebenfalls ein Goldschmied und beide Alten, wie man zu sagen pflegt, gute Kumpane. Beide Knaben sollten die Kunst der Väter erlernen. Bald aber erwachte in beiden ein entschiedener [717] Hang zur Malerkunst, und es zeigte sich schon zu der Zeit Irmshöfers heftiger wilder Sinn, daß er nicht, wie Albrecht Dürer, in Nebenstunden seiner Neigung mit Liebe und Fleiß nachhing, sondern an einem guten Tage alles Handwerkszeug beiseite warf, zu seinem alten Vater lief und erklärte, er wolle sogleich in alle Welt gehen, wenn er ihn nicht augenblicklich zu einem Maler in die Lehre täte. Beide Knaben sollten sich nun nach Kolmar zum wackern Martin Schön begeben. Der war aber indessen gestorben, und beide Knaben kamen zum alten Wohlgemuth.

Hier war es nun, wo in beiden sich bald ein reicher Schacht der vorzüglichsten Gaben auftat. Die Arbeiten der Jünglinge erregten das Erstaunen des Meisters. Die gänzliche Verschiedenheit ihres ganzen Wesens trat aber auch schon jetzt entschiedener vor, und mit nicht geringem Kummer gewahrte der alte fromme Wohlgemuth, daß zwar Albrecht den Geist der Kunst mit jener frommen Liebe erfaßte, die in dem Innern der alten deutschen Meister lebt; Dietrich dagegen, von einem seltsamen Geist getrieben, nichts in der Malerei wollte als höchste, treueste Nachahmung der sinnlichen Erscheinung; so gaben doch insgemein die gewählten Gegenstände einen nicht geringen Anstoß, da sie der heidnischen Fabelwelt entnommen und den Makel weltlicher Lust, die nichts Höheres will als die Lust, an sich trugen.

Zu dem schalten die Meister noch die Unrichtigkeit der Zeichnung. Albrecht Dürers frommer Sinn beschäftigte sich mit Gegenständen der Religion, und sein hoher, alles überwiegender Geist – ein Talent, das zu der Zeit kaum auf Erden zu finden – offenbarte sich in einer Wahrheit des Ausdrucks, der Farbengebung, in einer Natürlichkeit der Stellungen, die alles hinreißen und seinen Bildern jene eigentümliche Anziehungskraft geben mußte, die tief in die Seele des Beschauers eindringt. Die Wahrheit des Ausdrucks erhob auch die Bildnisse der [718] Bürgermeister oder anderer Personen, welche er abkonterfeite, zu Meisterstücken der Kunst, die die allgemeine Bewunderung erregten.

Wurde nun Albrecht Dürer hoch gepriesen und gelobt, so ging's dagegen seinem Kameraden Dietrich desto schlechter, an dessen Gemälden zuletzt nicht einmal das wirklich Lobenswürdige gelobt, sondern das Ganze mit dem Ausdruck ›Stümperarbeit‹ verworfen wurde.

Da entzündete sich in der Brust des Jünglings zum wütendsten Haß der Groll, der schon in des Knaben Busen gelegen, und jeder Tag, jede Stunde entwickelte eine Menge der durchdachtesten Bosheiten, die gegen Dürer gerichtet waren und oft nur zu sicher, nur zu verderblich trafen.

Erlaß es mir, mein Kind, dir die Reihe solcher Bosheiten aufzustellen. Das Gemälde, wie Bösewichter es anfangen, einem großen tugendhaften Mann zu schaden, würde dein reines Gemüt nur verletzen, und es bedarf dessen nicht.

Dürer bekämpfte den Haß seines Kameraden, so wie es in seiner schönen Seele lag, mit zuvorkommender Liebe und schien wirklich wieder etwas über das starre Gemüt zu gewinnen. Doch alles änderte sich, alle gute Aussicht ging verloren, als ein italienischer Maler, namens Solfaterra, mit einer ansehnlichen Sammlung italischer Gemälde nach Nürnberg kam.

Von diesem Augenblick war Dietrich wie vom Wahnsinn ergriffen; er sah und hörte nichts als italische Kunst; und üppige Bilder erfüllten seine Einbildungskraft. Doch noch Schlimmeres als dies.

Solfaterra war ein verworfener, allen bösen Lüsten, allen Verbrechen ergebener Mensch, und mit ihm ergab sich der unglückliche Dietrich dem Laster mit aller Wut, die in dem gärenden Blute kochte. Dabei teilte Solfaterra den Haß Dietrichs gegen Dürer schon darum, weil ein sündhaftes Gemüt Ärgernis nimmt an dem frommen [719] Sinne, der Werke schafft, die aus dem Gemüte kommen und zum Gemüte strömen. Man sagt, Solfaterra habe dem jungen Albrecht nach dem Leben getrachtet.

Doch nun, Mathilde, meine herzliebe Tochter Mathilde, horche wohl auf, was die Stimme des Schicksals zu deinen Eltern, zu dir so warnend spricht, daß es sündlicher Frevel wäre, ihrer nicht zu achten.

Raphael ist seines Vaters treues Ebenbild. Ebenso wie dieser war jener mit allen geistigen und körperlichen Vorzügen des vollendetsten Jünglings geschmückt. Ebenso wie jener übt er die verführerische Kraft des Satans selbst über die Jungfrauen – ebenso wie du, unglückliche Mathilde, kam die schöne tugendhafte Rosa, des edeln Patriziers Im-Hof einzige Tochter, in flammende Liebe zu dem Verworfenen. Er verführte sie und verschwand mit ihr in dem Augenblick, als der Rat Bübereien und Mordverdachts halber ihn samt dem saubern Solfaterra zur Haft bringen lassen wollte, mit Schande und Schmach bedeckt.

Nach mehrerer Zeit stieß ein Nürnberger Kaufmann, der sich gerade in Neapel befand, auf ein Bettelweib, die lang ausgestreckt auf den Marmorstufen der Kirche des heiligen Januar lag, und der mühsam von einem bildschönen, fünf- bis sechsjährigen Knaben Klostersuppe eingeflößt wurde.

Das Bettelweib war ein Weib des tiefsten Jammers und Elends, und der Tod hatte bereits ihre Lippen gebleicht. Der Knabe sprach zur Verwunderung des Kaufmanns deutsch, und in wenigen Worten hatte er die Geschichte ihres Verderbens erfahren.

Der Vater, ein Maler, hatte Weib und Kind am fremden Orte hilflos verlassen. Bei der Frau kam alle Hilfe zu spät; sie verschied nach wenigen Augenblicken und wurde von den Klosterknechten weggebracht. Den Knaben nahm der Kaufmann mit nach Nürnberg. Der Maler, welcher Weib und Kind verlassen, war aber Dietrich Irmshöfer – das Bettelweib Rosa.« –«

[720] Mit einem krampfhaften Schrei fuhr Mathilde von ihrem Taburett auf. In dem Augenblick ging indessen die Türe auf, und Herr Doktor Mathias Salmasius trat herein.

Das Gespräch wandte sich, und was nun verhandelt wurde, soll der geneigte Leser bald so viel erfahren, als es der Geschichte frommt.

Drittes Kapitel

In dem Gasthofe zum »Weißen Lamm« ging es unterdessen sehr lebhaft zu. War es, daß der einfallende Jahrmarkt zu Fürth die Leute niedrigerer Volksklasse zusammengetrieben, so hatte dagegen das langerwartete Ehrenfest des großen Dürer die Leute höhern Standes herbeigezogen.

Das Wetter hatte sich völlig aufgeklärt, und ein heiterer Himmel, dem die lustigen Morgenwinde jedes Wölkchen wie eine Träne weggetrocknet, lagerte sich über die sonnenhelle Gegend. Die Anmut der Witterung verfehlte keineswegs ihre Wirkung auf die Gemüter der Menschen, welche sich mit Freiheit und Lust bewegten. So kam es, daß die Gaststube des ehrenwerten Herrn Thomas schon am frühen Morgen von Gästen erfüllt war, welche Wein tranken, wie sie ihn eben erhielten, schlechten und guten, und dabei lärmten und jubilierten.

Herr Thomas hatte noch nie solchen zahlreichen Zuspruch gehabt. Er rief, indem er sich vor die Brust schlug: »O du allmächtiger Albrecht Dürer! dir habe ich das zu verdanken; du bist besser als der heilige Sebaldus, der bloß zerbrochene Bouteillen leimt.« Dazu tanzte er – konnte es unbemerkt geschehen – etwas auf einem Beine und krähte: »O Nürnberg, du edler Fleck!« prügelte auch erklecklicher als sonst mit der Katzenpeitsche den neuen Kellner, der sich niemals entschließen konnte, ob er den rechten Fuß zuerst vorsetzen sollte oder den linken, so [721] lange, bis er in den Parforceschritt geriet und, dabei kläglich stürzend, mehr Bouteillen zerbrach als nötig.

»Nein!« rief in der Stube ein wohlgenährter Kärrner, ein frisches junges Blut, dem man die Lebenslust ansah (er pflegte hübsche kurze Waren feilzuhalten), »nein, mit Freuden verlier' ich zwei, auch wohl drei Laubtaler und fahre nicht nach Fürth und bleibe hier, um das Wunder zu sehen, das der alte Dürer schon wieder geschaffen, und wenn ich daheimkomme, dem Weibe zu erzählen, wie mich das so recht an Herz und Seele erlabt, was aus des alten fleißigen Herrn Werkstatt kommt. Nehme auch wohl ein Stücklein Kreide und zeichne auf den großen schwarzen Tisch des Meisters Gebilde nach, so gut es meine rohe Faust vermag, und da kann sich das Weib alles so ziemlich versinnlichen, und darüber hat sie denn große Freude.«

»Ei,« begann ein schwarzgebrannter Geselle von Kärrner, »ei, nehmt, Kamerad, bei diesen dürren Zeiten den Verdienst von zwei, drei Laubtalern immer mit, der Euch entgehen würde, wenn Ihr nicht noch heute nach Fürth kommt, und schert Euch den Teufel um Dürers Fest. Macht's wie ich; ich gehe, sobald ich diesen Römer geleert, den der heilige Sebald mir gesegnen möge. Glaubt Ihr, törichter Mann, daß der Kaisersaal mit seinen Wundern, zumal wenn Dürers Gemälde ausgestellt ist, für Euch und Leute unseres Standes überhaupt geöffnet sein wird? Der Dürer ist ein vornehmer Mann geworden, der bloß für die hohen Fürsten und Potentaten malt und unsereins nicht mehr achtet. Bekämen wir nicht seine schönen Bilder in den Kirchen zu sehen, so würden wir gar nichts mehr von ihm wissen.«

»Ei,« sprach ein Nürnberger Bürger, hinzutretend, »ei, wie möget ihr doch so sprechen, ihr lieben Leute, wie möget ihr von uns Nürnberger Bürgern solch schlechte Meinung hegen, daß wir abgeartet, nicht freier Volkssitte treu bleiben sollen. Sowie die hohen Herrschaften den [722] Kaisersaal verlassen und die Gänge nur ein wenig Luft erhalten, werden Türen und Tore für jedermann geöffnet, und der Geringste aus dem Volk kann sich an den Wundern, die sich ihm auftun, erlaben.

Und was unsern Dürer betrifft, so ist er ein Mann des Volks, aus dem er geboren, Hort und Heil der edlen Stadt Nürnberg – Stütze der Armen – Zuflucht der Bedrängten – Trost und tätige Hilfe jedem, der ihn bedarf – und viel lieber in den Kreisen des biedern bürgerlichen Standes, in dem Treuherzigkeit herrscht und freier unbefangener Sinn statt falscher Salbaderei und Knechterei ohne Ende, wie wohl solches Gift oftmals bei den Vornehmen herumschleicht. Vorzüglich hegt und pflegt er jedes aufkeimende Talent, er mag es finden, wo er will.«

Bei diesen Worten warf der Bürger dem Kärrner einen schlauen Blick zu, der Kreidezeichnung gedenkend. Dieser schlug aber die Augen nieder und lispelte: »O Gott! sollte etwas darin stecken?«

»Silentium!« schrie eine drohende Stimme, die keinem andern gehörte als dem tollen, halbbetrunkenen Drechslermeister Franz Weppering, über dem Tische herüber: »Silentium! und sollte ich ganz allein gegen euch Meisters meinen herrlichen Jungen, mein Herzblatt, meinen herzlieben Zuckermann, verteidigen, so tue ich es hiemit und fordere vorzüglich die Jugend auf, der das Herz am rechten Flecke sitzt, zu entscheiden, ob's recht war oder nicht, daß Raphael den übermütigen Melchior Holzschuer niederwarf, als er ihn Bastard schimpfte.«

»Wer mir,« sprach ein junger rüstiger Steinmetz mit funkelnden Augen, »wer mir an die Ehre kommt, kommt mir an das Leben, denn ohne Ehre kein Leben, und Leben gegen Leben.«

»Recht, recht, Friedrich hat recht,« so stürmten die Jünglinge tumultuarisch hinterher und schrien, indem sie die Gläser klingen ließen: »Hoch lebe Vater Dürers herrlicher Pflegesohn Raphael, denn sein ist er ganz und gar.«

[723] »Verachtet die Stimme der Ältern nicht,« so sprach ein alter Handwerksmann, dessen Gewerbe die blaugefärbten Hände verkündigten, »es wäre in diesem Falle gut, wenn ein weiser, vernünftiger, beratener Mann den Fall zum Nutzen und Frommen der Jugend entschiede.«

Die Jünglinge lachten helle auf, ergriffen den Herrn Thomas, der eben mit zwei schweren Weinhumpen durchschlüpfen wollte, alles Widerspruchs unerachtet, bei den Beinen und hoben ihn auf den Tisch, mit dem Ansinnen, sogleich, da ihm die Gaben dazu inwohnten, den Richterspruch zu tun. Herr Thomas gab der strengen Notwendigkeit nach und bemühte sich, wenigstens das mit Zierlichkeit und Anstand zu tun, was ihm die Gewalt abzwang. Er besah einige Augenblicke stillschweigend den Schlüsselbund, ließ dann einen Schlüssel nach dem andern fallen, richtete sich dann aus der gebückten Stellung in die Höhe, kratzte nach allen Seiten aus, vergessend, daß er auf dem Tische stand, und richtete eben dadurch eine Verwüstung an, der in dem Augenblick schwer zu steuern. Endlich räusperte er sich, fuhr einigemal mit der Kellermütze über die Stirne und begann feierlich:

»Meine teuren Gäste! Es ist hier von einem Totschlage oder vielmehr davon die Rede, ob's recht ist, jemand totzuschlagen. Man findet darüber in den mosaischen Gesetzen, gedenkt man noch nicht der Chaldäer, Syrer, Indier, Mesopotamier, Ägyptier, Perser –«

»Halt, halt,« schrie der Steinmetz, »plagt Euch der Teufel, Herr Wirt, wir wollen nicht wissen, ob die Potomier, Kalkdreher, Gipszieher oder wie das Volk alles heißen mag, was Ihr da herausgewirbelt habt, dem Raphael recht gegeben haben würde oder nicht. Ihr sollt auf der Stelle Bescheid geben.«

»So laßt,« sprach der Wirt, »so laßt mich wenigstens sogleich von Moses zu unserm Kaiser Karl dem Vierten und seiner Aurea bulla von 1347 vorwärts gehen; in dieser [724] heißt es, ›betreffend Meuterei und Totschlag‹, ausdrücklich: ›So jemand‹ –« In diesem Augenblicke schaute der Wirt um sich und gewahrte auf den Gesichtern der Jünglinge düstere Wolken, die jeder nachteiligen Entscheidung ein nachfolgendes verderbliches Gewitter drohten.

Der schlaue Thomas faßte sich daher kurz und sprach: »In der Tat, sehr werte Meister, herrliche Gäste, wackere Genossen schöner Tage, ich weiß nicht, wie es wörtlich in der Aurea bulla heißt, aber ihrem Sinn und Inhalt gemäß gebe ich meine Entscheidung dahin, daß Raphael das Recht hatte, den Melchior auf den Tod anzugreifen, weil dieser zuvor Gleiches getan.«

So sehr die Jünglinge dem Herrn Thomas Beifall zujauchzten, so sehr erhoben sich dagegen auch die murrenden Stimmen der Alten, welche mit Recht von Meuchelmord, bewaffneter Faust und dergleichen sprachen. Herr Thomas, um auch diesen Sturm zu beschwichtigen, rief sehr laut: »Und sollte auch ein hitziger Streich geschehen sein, alle Gesetze, Verordnungen und Privilegien lassen einen großen Entschuldigungsgrund zu, nämlich die Liebe; und hat der feurige Jüngling Raphael an einem Orte, wo es freilich nicht hingehörte, hat er seine höchste Kunst, was Gesang und Spiel betrifft, den ganzen Schatz seines Talents euch eröffnet, so dankt ihm das, so dankt ihm die Erhebung eures Gemüts, die ihr in dieser Stunde genossen habt.« Dem Wirt wurde aufs neue stürmischer Beifall zugejauchzt. Er nahm indessen die Gelegenheit wahr, mit einem geschickten Katzensprunge auf den breiten Rücken seines Oberküpers zu setzen, der mit ihm sogleich abfuhr.

Ein neuer, ganz unerwarteter Auftritt fesselte jetzt plötzlich die Aufmerksamkeit der Gäste. Die Türe sprang nämlich auf, und hinein schritt sehr feierlich ein kleines, kaum fünf Fuß hohes Männlein; einen großen, breiten Hut mit einer viel zu hohen Feder auf dem Kopfe, das [725] Genick zurückgebeugt tief in den Nacken, kniff der Kleine die Augen dicht zu wie ein Gänserich, der in den Blitz zu schauen unternimmt. Der schwarze Amtsanzug wäre beinahe mehr als reputierlich zu nennen gewesen, hätten sich in den schwarzen Strümpfen nicht zu viel weiße Zwirnsfäden vorgefunden.

Hinter der kleinen Person schritten zwei wohl bewaffnete Männer von der Stadtmiliz, und man bemerkte, daß die Türen des Hauses stark besetzt wurden und auch auf der Straße starke Wachen patrouillierten. Die Bürger gerieten in Unruhe und Besorgnis über das, was die gute Stadt bedrohen könne, und bestürmten den Ratsschreiber Elias Werkelmatz – dies war der kleine Mann, der die Wache führte, mit Fragen. – Werkelmatz schritt aber, ohne jemanden eines Blicks, eines Wortes zu würdigen, mit seinen Soldaten wieder zur Türe heraus, wo er gekommen.

Der Vorfall mit der Besetzung des Hauses, sowie das Herannahen der Mittagszeit hatte die Menschen verjagt, so daß nur noch eine kleine Gesellschaft zurückgeblieben, unter der sich – mit Ausnahme des Doktor Salmasius – diejenigen Personen befanden, welche der geneigte Leser aus dem ersten Kapitel bereits kennt.

»Stellt«, sprach Erxner, »ein hochweiser Rat denn gerade in dem Augenblick verdächtigen Personen nach, als Dürers Fest beginnen soll?«

»Ist vonnöten, ist vonnöten,« sprang der Wirt geschäftig bei. Herr Thomas rieb sich die Hände, drehte sich hin und her und tat überhaupt so wie ein Mensch, dem irgend etwas die Seele abdrücken will.

»Ha ha ha,« lachte Weppering, »seht, wie unser Herr Thomas uns gar zu gern mit seinem Kram bedienen möchte; aber wir geben es durchaus nicht zu, wenn er uns nicht eine Flasche edlen Weins opfert.«

»Vermaledeiter Saufaus,« murmelte Herr Thomas zwischen den Zähnen; dann aber lauter und gemütlicher: [726] »Soll geschehen, edler Drechsler, soll geschehen.« Bald stand der Wein auf dem Tische. Nun wischte sich Herr Thomas mit der Kellerschürze den Schweiß von der Stirn, blies die Backen auf, indem er den andern zuwinkte, ein Gleiches zu tun und soviel möglich die Köpfe zusammenzustecken.

»Der kleine stumme Ratsschreiber«, begann der Wirt, »ist ein närrischer Kumpan; warum sagte er nicht offen, daß der dem Galgen entlaufene Irmshöfer ein paar Tage verkappt am Orte sich aufgehalten, und daß der hochweise Rat ihn zu verhaften strebt, ohne ihn jedoch finden zu können?«

»Wie, der abscheuliche Bösewicht wieder hier? Sollte«, fuhr Erxner fort, »der Bösewicht die Frechheit haben, gerade am Fest unseres großen Dürer dem Galgen entgegenzutreten? Ich glaube es kaum.«

»Ich weiß«, nahm Bergstainer das Wort, »überhaupt gar nicht, warum man mit dem verruchten Kerl, dem Irmshöfer, so viel Federlesens macht. Warum schmeißt man ihn nicht gleich ins Feuer, wie es im Jahre 1472 mit dem Hans Schittersamen geschah, der die Nürnberger durch seine arglistigen Streiche auf abscheuliche Art molestierte. Nun, jetzt wird er wohl dem Galgen nicht länger entgehen, sie hängen ihn gewiß.«

»Sobald sie ihn haben,« fiel der Wirt ihm ins Wort, indem seine Miene einen solchen hohen Grad von Schlauigkeit erreichte, daß des erfahrensten Fuchses Antlitz nur ein schwaches Abbild davon gewesen sein würde. »Freunde,« fuhr er dann feierlich fort, »dieser Irmshöfer ist eine Art von Satan. Wißt ihr nicht, daß er auch Solfaterra heißt? – Wißt ihr nicht, daß ein Solfaterra Sakristan zu St. Sebald war, als Kaiser Karl der Vierte seinen Sohn Wenzel, der wie ein Heidenkind fünfundeinhalb Wochen, alles Christentums bar, brach gelegen, unter einem güldenen Thronhimmel taufen ließ? Daß –«

In dem Augenblick ertönten die Glocken von St. Sebald, [727] ein Zeichen, daß sich die hohen Herren und Fürsten nach dem Kaisersaal begaben. Alles brach auf, und Herr Thomas rief, ganz erbost, sich in seiner Weisheit unterbrochen zu sehen: »Da läuft es hin, das unverständige Volk, und will nicht erfahren, daß das kleine kaiserliche Balg den fürstlichen Einfall hatte, das schöne silberne Taufbecken zu einem ganz andern Hausbedürfnis anzuwenden, als wozu es bestimmt; und daß es darauf anging und verbrannte wie ein schlechter Haderlump. Daß aber der Sakristan Solfaterra ein rotes Pulver –.« Des Wirts Stimme verhallte im Tumult der Abgehenden.

In demselben Augenblicke lag der, dessen Lob, dessen Ruhm von allen Lippen ertönte, einsam hingestreckt auf ein kleines Ruhebett, in dem kleinen entlegenen Zimmer des Rathauses, wo er verschiedene kleinere Kabinettstücke von seiner Arbeit aufhängen lassen, und überließ sich ernster, tiefer Betrachtung. Herr Mathias trat zu ihm mit den Worten: »Albrecht! es ist, als wenn Eure Seele mit einem ungeheuren Schmerz kämpfe, der Euch wie ein drachenartiges Ungeheuer umwunden, und dessen Verschlingungen Ihr Euch zu entwinden vergeblich mühtet.«

Albrecht richtete sich ein wenig von dem Ruhebette empor, und nun gewahrte Mathias zuerst die Leichenblässe seines Antlitzes, und wie sich über seine ganzen Züge jener besondere bedrohliche Charakter verbreitet hatte, den Hippokrates als ein untrügliches Zeichen einer Krankheit, die den ganzen Organismus gewaltsam ergreift und vorzüglich in den Ganglien ihren Ursprung findet, angibt. »Um Gott!« rief Herr Mathias, indem er die Hände zusammenschlug, »um Gott, mein würdiger Freund Dürer, was ist dir widerfahren? Aber sieh, wie unser frommer Freundschaftsbund unsere ganze Seele erfüllt; heute am frühen Morgen ließ mir der Gedanke keine Ruhe, daß du hierher gegangen und krank geworden wärest. Ich eilte hierher.« –

»Ach!« unterbrach ihn Dürer, »es ist meine Sehnsucht, [728] die dich hierher gezogen. Laß mich, o mein Freund, in deine treue Seele mein ganzes Ich ausschütten, das schon das deinige ist.« Albrecht Dürer sank vor Mattigkeit sanft auf das Ruhebette zurück und begann mit schwacher krankhafter Stimme: »Ich weiß nicht, was seit einigen Tagen mich für eine seltsame Traurigkeit und Befangenheit des Geistes oft bis zur Qual ängstigt. Meine Arbeit geht mir nicht vonstatten, und fremde, verworrene Bilder, die sich eindrängen wie feindliche Geister in die Werkstatt meiner Gedanken, werde ich nicht los, unerachtet ich die ewige Macht des Himmels anflehe, mich zu befreien von dieser Ärgernis des Bösen.« –

»Er ist hier,« sprach Mathias mit bedeutendem Ton. »Ich weiß es,« erwiderte Dürer sehr schwach. »Fürchtet nichts,« fuhr Herr Mathias fort; »was vermag der Ohnmächtige gegen Euch, der Ihr überall im mächtigsten Schutz und Schirm steht.«

Beide schwiegen einige Augenblicke, dann begann Albrecht: »Als ich heute früh erwachte, fielen die ersten Strahlen der Morgenröte in mein Zimmer. Ich wischte mir den Schlaf aus den Augen, öffnete die Fenster und erlabte mein Gemüt im frommen Gebet zu der höchsten Macht des Himmels. Eifrig und eifriger betete ich, aber kein Trost kam in das wunde Gemüt, und es war, als wende sich die heilige Jungfrau von mir ab mit ernstem, wo nicht zürnendem Blick. Ich weckte mein Weib und sagte ihr, daß ich in der tiefen Bekümmernis meines Herzens einen Gang nach dem Burgwall machen und dann hierher gehen wolle. Zu rechter Zeit solle man mir die Festkleider schicken, damit ich mich ankleide und hier erscheine, ohne hergeführt werden zu dürfen. – Mathias! als der Ratsdiener die großen Pforten des Kaisersaals aufschlug, als ich mein großes Gemälde erblickte, das den ganzen Hintergrund einnimmt und das in den Morgenwolken eingehüllt schien, aus denen zweideutige Streiflichter es anschielten, als ich noch einen Teil des [729] Malergerüstes, die Farbentöpfe, Malerschurz und Mütze gewahrte, die noch von der letzten Arbeit zurückgeblieben, da ich an Ort und Stelle retuschierte, da überfiel mich jene Traurigkeit noch empfindlicher und härter; ja, eine Bangigkeit drohte mir die Brust zu ersticken; was ich gewollt, nämlich mein Bild der strengsten Musterung unterwerfen, mußte unterbleiben. Einmal – Mathias, erschreckt nicht – mein eigenes Gebilde jagte mir in diesem Augenblick das Entsetzen zerschmetternder Majestät ein und dann – ich hätte ja vor Schwindel und Mattigkeit das Gerüst nicht besteigen können. Mit geschloßnen Augen schwankte ich durch die langen Gänge in dies Zim mer, wo ich ermattet auf das Ruhebette sank. In einem Halbschlummer gedachte ich nun meines ganzen Lebens, und wie ich mich aus eignen Trieben zur heiligen Malerkunst gewendet. Ich darf Euch, mein lieber Freund Mathias, die so bekannte Geschichte meiner Kindheit wohl nicht wiederholen, aber so viel mag ich sagen, daß nicht allein die Gebilde der Menschen, deren Antlitz mich besonders ansprach, sondern daß auch Gestalten beim Lesen der heiligen Historien in meinem Innern aufgingen, die zum Teil so schön und herrlich waren, daß sie dieser Erde nicht angehören konnten, welche ich mit solch unaussprechlicher Liebe umfaßte, daß ich ihnen meine ganze Seele zuwandte. Aber diese Liebe konnte ich nicht anders ins feurige Leben treten lassen, als wenn ich sie aus meiner innigsten Seele heraus auf der Tafel darstellte.

Hier habt Ihr, mein Freund Mathias, mit wenigen Worten die ganze Tendenz meiner Kunst.« –

Fußnoten

1 Da der Baron nicht Neugriechisch verstand, so wußte er nicht, daß diese Worte heißen: »Der Hase stieß den Pfeffer zum Verderben seines Haupts.«

2 Der Teufel hatte keine Ziegen und verkaufte dennoch Käse!

3 Die Henne gackert an einer Stelle und legt an der andern ihr Ei.

4 Bartholdy erzählt in seiner Reise nach Griechenland von einem Jüngling, der zu Athen starb und dessen Tod man folgendem zuschrieb: Eines Abends saß er mit einem Freunde im Freien auf einer Bank und spielte die Geige. Dadurch herbeigelockt, setzt sich eine Larve (Enzuse) neben ihm hin. Er fährt aber fort zu spielen und berührt mit dem Bogen die Larve schmerzhaft, die sich zu rächen beschließt. Von dem Augenblick schwindet sein Körper hin. Er wird zum Schattenbilde, bis er stirbt.

5 Der Esel findet was anders, als wornach er trachtet!

6 Mimosa pudica – Sinnpflanze. Die vierfach gefingert gefiederten Blätter ziehen oder legen sich bei der geringsten Berührung zusammen.

7 Den geneigten Lesern, die etwa den achten Band der zuerst von Musäus herausgegebenen »Straußfedern«, eines Buchs, das sich sehr selten gemacht hat, nicht gleich zur Hand haben sollten, dient folgendes zur kürzlichen Nachricht. A. Tonelli, von armen Schneidereltern geboren, selbst zu dieser Profession erzogen aber Hohes im Sinne tragend, begibt sich auf die Wanderschaft, verirrt sich, entrinnt mit Mühe Räubern, die er aus dem Walde heraus vexiert, und kommt, nachdem er viel Elend erlitten, endlich zu einem polnischen Baron. Dieser lehrt ihn die Kunst, sich mittelst einer Wurzel in alle nur mögliche Tiere zu verwandeln, welches ihm viel Vergnügen macht. Er läuft indessen davon, als der Baron ihn, der sich gerade in einen kleinen Hund verwandelt hat, als Elefant derb abgeprügelt, und kommt, von einem ungeheuren Vogel als Maus übers Meer getragen, zum König von Persien, dann aber zum türkischen Kaiser, der, vor Freude über den seltnen Künstler, sich kreuzigt und segnet und ihn leben läßt in Pracht und Freude. Arglistige Diener rauben ihm indessen die Zauberwurzel, und er wird, da er sich nun nicht mehr verwandeln kann von dem Kaiser mit Schimpf und Schande fortgejagt. Er bettelt sich durch bis nach Sibirien, wo ihn in der Schlafkammer eines Wirtshauses eine verwünschte Katze besucht und ihn um ihre Befreiung bittet, wogegen sie ihm zu einem Schatz verhelfen will. Endlich, nach langem Widerspruch, gibt er den Bitten und Tränen der Katze nach, läßt sich von ihr die Hand reichen und faßt Zutrauen, als sie ihn nicht kratzt. Er erhält den Schatz und einen Stein, dessen Eigenschaft, den Teufel ihm unterwürfig zu machen, er erst dann entdeckt, als alles Gold verschwunden und er aufs neue in Not und Elend geraten ist. Er zwingt nun den Teufel, ihm so viel Schätze zuzutragen, als er nur mag, gewinnt die Gunst des Königs von Monopolis durch einen Schmaus, den er ihm in dem Gasthofe gibt, baut ein Schloß, Tunellenburg genannt, und heiratet die Tochter eines Kaufmanns. Diese stirbt, das Schloß brennt ab, der Stein ist verloren und Tonelli wird als Hexenmeister aus dem Lande gejagt. Er muß aufs neue sich durchbetteln, trifft auf zwei Leineweber, kehrt mit ihnen in ein Wirtshaus ein, wo der Wirt ihnen ein Zimmer einräumt, das von Poltergeistern heimgesucht werden soll. Als sie spielen und zechen, kommt aus Fußboden und Decke eine ganze Gesellschaft Geister, die sich an eine Tafel setzen und auf das köstlichste schmausen. Die beiden Leinweber, die zum Mittrinken gezwungen werden, fallen tot um. Als Tonelli trinken soll, ruft er in der Verzweiflung: »Pereat dem Teufel, vivat Gott dem Herrn!« Sogleich verschwindet die ganze Gesellschaft, und es erscheint ein Geist in der Gestalt eines schönen großen Vogels, dem Tonelli sein Kompliment macht und ihn um Verzeihung bittet wegen des unhöflichen Gebets, das ihm in der Angst entfahren. Der Vogel erwidert, das habe nichts zu sagen, und ratet ihm, von den Kostbarkeiten auf dem Tisch einen Pokal und eine Perle zu nehmen, die alles in Gold zu verwandeln vermag. Tonelli tut es, und darauf bringt ihn ein geflügelter Esel nach dem Lande Aromata. Er gewinnt durch seine Goldmacherei die Gunst des Kaisers, der ihm, nachdem er als ein tapferer Feldherr die Feinde des Landes besiegt, gegen Auslieferung der Perle seine Tochter zur Gemahlin gibt, und dem er in der Regierung folgt. Am Schlusse heißt es: »Bin jetzt alt und grau und immer noch glücklich, schreibe aus Zeitvertreib und weil ich nicht weiß, was ich tun soll, diese meine wahrhafte Geschichte, um der Welt zu zeigen, daß man gewiß und wahrhaftig durchsetzt, was man sich ernsthaft vorgesetzt hat. Habe Gottlob! noch guten Appetit und hoffe, ihn bis an mein seliges Ende zu behalten. Die idealischen Träume meiner Kinderjahre sind an mir in Erfüllung gegangen: das erleben nur wenige Menschen!« –

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TextGrid Repository (2012). Hoffmann, E. T. A.. Erzählungen, Märchen und Schriften. Letzte Erzählungen. Der Feind. Der Feind. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6A8D-3