An Flavien

C.H.v.H.


Geliebte Flavia/ du kennest ja mein hertze/
Du kennst es allzuwohl/ es steht in deiner hand.
Es wächst das andre mahl Dianens weisse kertze/
Als du das hertz und mich dir selber hast entwandt.
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Wird ein gefällig wort auff diese blätter fliessen/
So rühme deinen trieb/ nicht meinen geist und mich.
Ich werde sonder zwang dir doch bekennen müssen/
Die liebste Flavia die schreibt hier mehr als ich.
Doch bist du meisterin von meinen treuen sinnen/
So schaue diesen brieff mit holden augen an.
Du wirst die feder ja mit recht nicht tadeln können/
Die ohne deinen zug kein wort mehr schreiben kan.
Ich hoff es werde mich die richtsucht nicht verdammen/
Vor der die tugend selbst nicht unberührt kan stehn/
Es kennt der himmel ja die reinen freundschaffts-flammen/
Die auch an sauberkeit den sternen gleiche gehn.
Ach! liebste Flavia/ die schrifft und die gedancken
Sind ja ein wunderwerck und kleinod dieser welt;
Was spielen wir doch nicht in des gemüthes schrancken?
Was haben wir da nicht verwegen fürgestellt?
Was uns verboten wird/ das kan man hier erfüllen/
Man lachet/ schertzt und küßt/ thut was uns wohlgefällt.
Kein scharff gesetze stört allhier den freyen willen/
Und nichts ist starck genug/ das uns zurücke hält.
Man mag die schönste brust hier ohne scheu berühren/
Und schauen/ was man sonst nicht wohl befühlen darff.
Man kan die heisse lust biß auff den gipffel führen:
Dann den gedancken ist kein richter allzuscharff.
Kein riegel hält sie auff/ es kan sie nichts verdecken/
Wann ihre räder nur in scharffem triebe gehn;
Es kan kein zarter ort vor ihnen sich verstecken/
Kein zahn und nagel weiß hier recht zu widerstehn.
Zeit und gelegenheit weiß keinem nicht zu fehlen/
Hier bricht man rosen ab/ und fühlt die dornen nicht.
Man kan was/ wo und wie nach seiner lust erwehlen/
Man sindt kein thor allhier/ so unsern fürsatz bricht.
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Die schrifften/ die man sonst verdolmetscht durchs gemüthe/
Die stumme redens-art/ so aus der feder qvillt/
Hat eine solche krafft/ und ist von solcher güte/
Daß offt ein schreiben mehr als ein gespräche gillt.
Fällt gleich ein süsser schall uns in die dünnen ohren/
So prägt die feder uns doch dessen meynung ein.
Es hat des menschen witz die littern ihm erkohren/
Daß sie der sterbligkeit geschwärtzte boten seyn.
Sie lauffen über berg und schwimmen über flüsse/
Sie stifften buhlerey/ und richten freundschafft an:
Sie führen gut und geld/ sie bringen gruß und küsse/
Und schwingen offtermahls der liebe sieges-fahn.
Sie pressen thränen aus/ sie regen unsre hertzen/
Sie blasen feuer auff/ sie stärcken die gedult.
Sie sagen reichlich zu/ sie wissen wohl zu schertzen/
Und ein geschmeider brieff zahlt offt die gröste schuld.
Schrifft und gedancken sind der trost entfernter seelen/
Damit bestillen sie die regung heisser pein/
Und was man vor der welt aus wohlstand muß verhölen/
Das kan im sinn gespielt/ im brieff geschrieben seyn.
Geliebte Flavia/ in meinem angedencken
Schwebt itzt dein freundlich seyn/ dein anmuths-überfluß;
Mich deucht du wilst mich itzt mit rosen-thau beschencken/
Vor dem die rose bleicht/ und thau vertrocknen muß.
Mich deucht es rühren mih der hellen augen flammen/
Und das geschwinde gifft/ so aus rubinen fährt.
Es schlägt itzt über mir die wollust-fluth zusammen/
So mir die höllen-angst ins paradieß verkehrt.
Ich schau auff warmem schnee die rothen beeren stehen/
Die ohne zucker auch dem zucker ähnlich seyn;
Es scheint du heissest mich auff tuber-rosen gehen/
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Und machst die schwartze nacht zum hellen sonnenschein!
Ich schliesse diesen brieff/ der hin zu dir begehret/
Und der die hände küst/ die ich nicht küssen kan.
Was mir versaget ist/ das wird ihm itzt gewähret/
Es scheint/ als stösse mich ein kleiner eifer an.
Gesegnetes papier! du schwebest voll gelücke/
Lauff itzt an meine statt in süssen hafen ein:
Geneuß von wegen mein der süssen liebes-blicke/
Vor der die sonne selbst scheint ohne krafft zu seyn.
Bezeuge Flavia/ daß schrifft und angedencken
Des treuen freundes dir nicht gantz zu wider sey/
Und wilst du seinen geist nicht unverschuldet kräncken/
So denck itzund an ihn/ und schreib ihm auch darbey.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von. Gedichte. Gedichte aus Neukirchs Anthologie, Bd. 1. Verliebte Gedichte. An Flavien [2]. An Flavien [2]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6CFA-A