Hugo von Hofmannsthal
»Neue deutsche Beiträge«
Ankündigung
[197] Wer Beiträge ankündigt, bekennt sich zu dem Glauben, es sei dennoch etwas vorhanden, wozu beizutragen Pflicht oder Freude sein könnte. Beiträge also – wozu? Zur deutschen Literatur? Das Wort und der Begriff sind unter zu vielen Händen fadenscheinig geworden. Zur deutschen Dichtung? Das zielt hoch und könnte anmaßend erscheinen. Zum geistigen Besitz der Nation, demnach zur Sprache? denn wo wäre, als in der Sprache, der geistige Besitz der Nation lebendig zu finden? Immerhin. Die Sprache, ja, sie ist Alles; aber darüber hinaus, dahinter ist noch etwas: die Wahrheit und das Geheimnis. Und wenn man dies nicht vergißt, darf man sagen: die Sprache ist Alles. Beiträge also zum geistigen Leben der Nation; man dürfte beinahe auch sagen: zu einem besonnenen und erhöhten Dasein.
Man hätte fast ebensowohl Anfänge ankündigen können, oder Wiederanfänge. Aber das Wort wäre vielleicht minder bescheiden, und auch nicht ganz so wahr. Denn es geht alles immer weiter, wenn auch auf eine schmerzliche und undeutliche Art. Also Beiträge. Es ist ein nüchterner Titel. Aber die anmaßenden und viel versprechenden Titel sind Lügen oder leere Ornamente. Was soll uns der Weiser, der nirgend hinweist, die Brücke, die kein Ufer erreicht, die Waage, die falsche Gewichte trägt? Was sollen uns »Prometheus« oder »Faust« oder »Hyperion«, oder etwa die »Horen« noch einmal oder die »Einsiedlerzeitung« noch einmal? Sie deuten alle, auch die antikischen, auf ein Gewesenes des deutschen Geisteszustandes, und man kann sich weder der Arbeitsweise vergangener Zeiten bedienen, noch ihrer Bezeichnungen. Sie scheinen geistreich, aber sie ermangeln ein wenig der Strenge und des Verantwortungsgefühles, und in Wahrheit ist Geist das dem Leben unbedingt Verantwortliche, so hoch er sich auch über das Leben erhebe.
Vor dreißig Jahren wurden die »Blätter für die Kunst« begründet. [197] Hier sprachen Geist und Strenge zur Nation, zur Jugend eine vordem nicht vernommene Sprache. Im ersten Heft wurde gesagt, man wünsche dem Deutschen eine eigene Gebärde, die sei ihm nötiger als ein neuer großer Sieg. Das Wort war kühn und scharf, wie alles, was von dorther ausgesprochen wurde; ein wenig hochmütig vielleicht, aber zu großem Ende. Ein dunkles Geschick, das uns heute erreicht hat, lag zu jener Zeit noch in der Ferne, lauernd – und vielleicht durfte man sich damals so ausdrücken. Heute andererseits beliebt vielen die Gebärde einer geistreichen Verzweiflung. Aber so einfach ist das Spiel nicht. In einer solchen Haltung verrät sich ein neuer Hang zur Maßlosigkeit und zur geistigen Schwelgerei; sie will geistige Leidenschaft vortäuschen – das Seltenste auf der Welt und gar unter heutigen Deutschen – und ist nichts als schlaff, die Maßlosen und die Schlaffen sind ihr bereitwilliges Gefolge.
Es kommt aber, will uns scheinen, einzig und allein darauf an, daß in einer schwierigen und dunklen Lage die Geistigen, in denen die Gesamtheit sich darstellt, die gleiche Haltung einnehmen, die auch dem Einzelnen in einer solchen Lage geziemen würde: die einer »bescheidenen Ehrerbietigkeit« gegen die europäische geistige Welt, Gegenwart und Vergangenheit in eins, und einer aufrichtigen Selbstachtung, ohne jeden Eigendünkel, mag uns im übrigen das Schicksal gestellt haben, wohin es will.
Soviel, was die Haltung anlangt. Was nun den Inhalt angeht, so wollen wir uns alles dessen enthalten, worin mehr der ungezügelte Hang zur Abstraktion und eine begrifflich überzüchtete Sprache wirksam wird als ein tätiges Vermögen. Wir wollen uns durchaus an die Gestalt halten, sowohl in der eigenen Darbringung als in der Betrachtung, und die uferlosen gedanklichen Ausführungen und Entgegenstellungen meiden. – Auch die Natur gibt nur durch die Gestalt. Wir vermögen nur die Gestalt zu lieben, und wer die Idee zu lieben vorgibt, der liebt sie immer als Gestalt. Die Gestalt erledigt das Problem, sie beantwortet das Unbeantwortbare. Daß der Begriff Gestalt aber hier weitherzig gefaßt ist, braucht doch nicht gesagt zu werden! So ist das Äschyleische Trauerspiel [198] Gestalt, aber der Pindarische Hymnus nicht minder, und der Platonische Dialog ebensowohl als der Lehrspruch des Heraklit. Neben den Griechen könnten uns hierin auch die großen Italiener des sechzehnten Jahrhunderts Lehrer sein, von den Unseren aber vor allem und immer wieder Goethe, neben ihm Novalis und Kleist.
Es wird nach dem Gesagten von jedem Wohlwollenden verstanden werden, worein wir den Ernst unserer Unternehmung setzen, und alles wird darauf ankommen, daß die Sache selbst nicht allzuweit hinter dem Vorsatz zurückbleibt.
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