Hugo von Hofmannsthal
Ödipus und die Sphinx
Tragödie in drei Aufzügen

[Motto]

Des Herzens Woge schäumte nicht so schön empor und würde Geist, wenn nicht der alte stumme Fels, das Schicksal, ihr entgegenstände.

Hölderlin

Personen

Personen.

    • Ödipus.

    • Phönix,
    • Ermos,
    • Elatos, die Diener aus Korinth.

    • Die Stimmen der Ahnen.

    • Laïos.

    • Der Herold.

    • Der Wagenlenker.

    • Der Eine,
    • Der Andere,
    • Der Dritte, Diener.

    • Die Königin Jokaste.

    • Kreon, ihr Bruder.

    • Die Königin Antiope, des Laïos Mutter.

    • Teiresias.

    • Der Schwertträger des Kreon.

    • Der Magier.

    • Ein Mann aus der Stadt.

    • Ein Kind.

    • Ein Sterbender.

    • Die Boten und Späher in Kreons Dienst.

    • Die Mägde im Palast.

    • Das Volk.

1. Akt

Erster Aufzug

Der Dreiweg im Lande Phokis. Waldige Gegend im Gebirge. Felsen und Bäume. Platanen, Ahorn. Quer über die Bühne führt eine Straße, von rechts herauf nach links wieder hinab. In der Mitte mundet in diese ein Hohlweg, steil herabführend.
Phönix, Ermos, Elatos; andere links hinter Bäumen und Gebüsch. Dort auch ein Wagen und Pferde, unsichtbar.

STIMME
von oben.
Er ist im Hohlweg, er ist nah, ihr Männer!
ERMOS.
Wir wollen uns demütigen.
ELATOS.
Wir wollen
mit Staub der Straße unsre Stirn bestreun.
ERMOS.
Der Erstling seines Zorns ist fürchterlich,
wie Blitz und Donner. Phönix –

Zieht ihn nieder.
PHÖNIX.
Nicht sein Zorn
zermalmt mein altes Herz. Allein
ein Etwas, dessen Namen ich nicht weiß.
Ihr Götter, wendet ab – nicht von dem meinen,
vom Haupte dessen, der hier nahen wird –
ihr Götter, wendet ab!

Stille.
Ödipus kommt den Hohlweg herab, einen Stock in der Hand, bleich, verwildert, wie ein Flüchtiger, als wollte er rechts hinüber. Die drei neigen ihr Haupt zu Boden. Ödipus, ohne sie zu erkennen, wie schlafwandelnd, taumelt vorbei.
PHÖNIX
aufspringend, angstvoll.
Sperrt ihm den Weg, werft euch vor seine Füße!

Ödipus springt dumpf aufschreiend zurück, deckt sich den Rücken, hebt den schweren Stock.
PHÖNIX
vor ihm niedersinkend.
Hebst du den Arm wider dich selber, Herr,
und schlägst, was dein ist?
ÖDIPUS.
Ungetreue Diener,
ist dies der Weg von Delphoi gen Korinth?
PHÖNIX.
Dies ist ein Weg von Delphoi gen Korinth.
ÖDIPUS.
Ein krummer Weg! Und welchen hieß ich euch
durch eines Knaben, meines Boten, Mund
zur Heimkehr wählen?
PHÖNIX.
Den, der stracks hinab
von Delphoi läuft ans Meer, so wie die Sehne
des Bogens.
ÖDIPUS.
Und warum denn find ich euch
auf diesem Kreuzweg?
PHÖNIX.
In des Herzens Angst,
Herr, suchten wir nach dir und zählten nicht
die Berge noch die Täler, achteten die Nacht
wie Tag und Sternenlicht wie Sonnenlicht
und ließen nicht des Suchens ab bis hier,
da wir dich fanden.
ÖDIPUS.
Schlechte Diener heiß ich,
die Unbefohlnes tuen.
PHÖNIX.
Ödipus,
ich bin der Älteste und muß vor diese
hintreten, wenn du zürnst, und muß den Mund
auftun und sprechen: Herr, wie du an uns
getan, da wir zu Delphoi lagerten,
so hast du nie zuvor an uns getan.
Uns dünkte, eine fremde Faust zu fühlen
am Zügel und von ungewohnter Hand
das Joch auf uns gelegt. Denn stets warst du
mehr mit der Seele als mit Zaum und Stachel
der Lenker unsres Tuns – doch von Stund an,
da wir in dieser heilgen Stadt herbergten,
wo das Orakel thront, da wurde hart
dein Mund, und deine Rede flackerte
wie Feur im Wind, und zu gehorchen wurde
da schwer, das vordem leicht gewesen war
Am neunten Tage kamst du nicht mehr heim
zur Herberge. Wir harrten dein zur Nacht
vergeblich, und das Bette, das wir dir
bereiteten, blieb leer.
ÖDIPUS.
Mein Bote kam.
PHÖNIX
neigt sich.
Er kam. Und da er sprach: Aus meinem Mund
spricht Ödipus, mein Herr und euer Herr,
neigten wir uns. Allein aus seinem Mund
kam eine Rede, die für unser Herz
zu schwer war und zu dunkel. Die wir dein
Gefolge sind, wir sollten uns von dir
abtrennen, und die deine Treuen sind,
allein hinabziehn gen Korinth. Da sprachen
wir unter uns: Dies ist zu fremd, wir wollen
nicht glauben, daß dies seine Rede war.
ÖDIPUS.
Der Knabe trug in seiner Hand den Ring
und war bekräftigt.
PHÖNIX
neigt sich.
Darum fragten wir:
Was soll uns dieser königliche Ring,
den unser Herr noch nie vom Finger zog?
Da sprach er: Traget ihn hinab und wahrt
ihn gut, bis ihr vor Polybos, den König,
gelangt seid; diesem gebt den Ring und sprecht:
den schickt dir Ödipus, dein Sohn, er grüßt dich
und grüßt die Mutter, unsre Königin,
und grüßt Korinth, die Stadt – denn dich, o König,
und deine Königin und deine Stadt,
die drei, die Vater ihm und Mutter ihm
und Heimat hießen, sieht sein Aug nicht mehr.
Nicht wieder kehrt dir Ödipus, dein Sohn,
des sei der Ring dir Zeichen.
ÖDIPUS.
Treu und gut
sprach das mein Bote.
PHÖNIX
schmerzvoll.
Nein!
ÖDIPUS.
So heiß denn ich,
ich, Ödipus, ich, eur Herr, dich Phönix,
dich Elatos, dich Ermos, und was noch
an anderm Dienstvolk bei den Pferden dort
und bei dem Wagen lagert, aufzustehn
vom Boden hurtig und die Pferde flink
zu schirren vor den Wagen, und hinab den Weg,
der wie der Pfeil vom Bogen stracks von hier
fliegt nach Korinth! Und wär kein andrer Weg,
als den der Gießbach ausgefressen hat,
hinab, dann durch des Baches Bett und käme
nicht Mann noch Pferd mit heilen Gliedern an –
gleichviel! Wer hieß euch lungern Tag und Nacht
in fremdem Land? wer hieß auf euren Herrn
euch pirschen wie auf Wild und mir den Wind
zu Abend abgewinnen und im Hohlweg
mich stellen? Seis! nun sucht euch euren Weg!
Und wahret mir den Ring und wahret mir
im Hirn die Botschaft.
PHÖNIX.
Herr!
ÖDIPUS.
Leg Hand an. Alter!

Da Phönix ihn am Kleide faßt.

Dort, alter Mann!
PHÖNIX.
Gebieter!
ÖDIPUS.
Dort!
PHÖNIX.
Nein, hier!
ÖDIPUS
stößt ihn fort.
Gehorche, alter Diener!
PHÖNIX.
Herr, so schlag mir
den alten Kopf an diesem Stein in Stücke!
Denn sieh, wenn du mir auflädst ohne Zucken,
was mir das Herz abdrückt, und mir den Mund
zubindest, daß ich gegen dich mit Stöhnen
dir nicht die Luft soll ekel machen, also
bin ich vor dir nichts anders als ein Tier.
ÖDIPUS
bewegt die Lippen fast lautlos.
Ich muß.
PHÖNIX
kniend.
Wer dieses an mir tun kann,
daß er mich alten Mann hinunterschickt
zum alten Mann, den Knecht zu seinem König,
mit solcher Botschaft, die Tod gibt und Tod
zum Lohn nimmt, der darf mir als Botenlohn
auch einen Mantel nicht verweigern, und
ich heische einen steinernen von dir.
Faß einen schweren Stein mit deiner Rechten
und einen mit der Linken, stein'ge mich
und häufe Steine rings um mich, dann hab ich
mein Grab um meinen Leib und brauche keinen,
ders in Korinth mir gräbt.
ÖDIPUS
fast lautlos.
Ich muß.
PHÖNIX
aufstehend.
O Kind –
Kind – du weißt nicht, was alt sein heißt.
ÖDIPUS
Bewegung der Abwehr.
Mein Vater
ist rüstig, viele Jahre sind vor ihm.
PHÖNIX.
Ja, wenn die Götter gut sind, wie ein Baum
steht er und ist gewaltig. Willst du, Kind,
den Sturmwind spielen, der erbarmungslos
ihm in die Krone greift?
ÖDIPUS.
Erbarmungslos –
so greifts in uns.
PHÖNIX.
Laß deine Jugend, Herr,
nicht grausam sein, und wenn, so sei es gegen
die Feinde und nicht gegen uns, die Deinigen.
Wär nicht dein Herz so jung, du hättests nie
ersinnen können, über deinen Mund
wärs nie gekommen: denn wie kann das Herz
des Vaters und der Mutter dies ertragen
und nicht darüber bersten?
ÖDIPUS.
Phönix! Phönix!
PHÖNIX.
So schrieest du, wie du ein Knabe warst,
oft aus dem Schlaf. Da weckte ich dich schnell –
dann wars ein Traum.
ÖDIPUS.
Nun kannst du mich nicht wecken,
denn nun träumt alles mit. Daß ihr mich alle
erkannt habt! Alle rieft ihr meinen Namen ...
So hab ich mein Gesicht von damals?
PHÖNIX.
Herr,
drei Tage bist du fort von uns.
ÖDIPUS
angstvoll.
Drei Tage?
drei Tage, Phönix?
PHÖNIX.
Mein Geliebter, drei!
ÖDIPUS
sieht ihn fremd an.
Im Grund, wer bist du, daß du so vertraulich
mir redest?
PHÖNIX.
Ich zu dir? wer ich dir bin?
ÖDIPUS.
Es ist mir nicht geläufig –
PHÖNIX.
Ewige Götter!
es ist ihm nicht geläufig, wer ich bin!
ÖDIPUS
zögernd.
Doch wohl –
PHÖNIX.
Doch wohl? Wer hat dich denn zuerst
gehoben auf den Wagen? dich gelehrt
an deine Füße die Sandalen schnüren?
dein Haar gekämmt? wer hat denn dein Gewand
Abend für Abend an den hohen Nagel
gehängt, und an der Kammertür den Riegel
dann vorgeschoben, und den kennst du nicht?
ÖDIPUS.
Die Götter impfen sonderbaren Saft
ins Blut: vor dem besteht nicht dieses Kinderzeug:
ich bin, der gestern war. Verstehst du mich?

Hart.

Geh. Such du dir den Knaben, den du liebtest.
PHÖNIX.
Er steht vor mir.
ÖDIPUS.
Halt deinen Atem ein.
Mich widert die korinthsche Luft aus deinem Mund.
Doch wenn dir Dienen Lust ist, geh und bring mir
zu trinken.

Phönix geht links hin. – Ödipus steht wie in wachem Traum.
PHÖNIX
kommt mit der Trinkschale.
ÖDIPUS
sieht links hin.
In verändertem Ton.
Ah! was haben sie mir dort,
dort! mit dem einen Pferde – an dem Wasser.
Der Schimmel geht ja lahm.
PHÖNIX
nickt.
Nyssia, die Stute.
ÖDIPUS
will jäh hin.
Nyssia, mein schöner Schimmel!

Erstarrt sogleich. Schlägt dem Phönix zornig das Trinkgefäß aus der Hand.

Freust du dich?
Was kümmert mich der Gaul! Seht ihr, wie ihr
nach Hause kommt. Mein Weg ist anderswo.

Wendet sich zu gehen.
PHÖNIX.
Wo ist dein Weg?
ÖDIPUS.
Was kümmerts dich. Ich geh ihn
allein.

Geht nach rechts.
PHÖNIX
ihm nach.
Ich laß dich nicht!
ÖDIPUS.
Ei, fort!

Stößt ihn.
PHÖNIX
in seinem Weg.
Dies Haar
ist deines Vaters Haar, hier diese Hände
hebt deine Mutter zu dir auf. Wirst du
jetzt nach mir stoßen?
ÖDIPUS.
Frei den Weg!
PHÖNIX.
Hier geht
das Kind, das seinen Vater tritt und Steine
wirft nach der Mutter Herzen. Weicht ihm aus,
ihr Tiere dieses Waldes, auf, verkriecht euch,
die ihr in Höhlen wohnt, in Klüften horstet,
sonst werdet ihr zu Stein.

Ödipus geht weiter, ungerührt, langsam, gebundenen Schrittes. Schon ist er rechts zwischen den Stämmen. Phönix, ins Herz getroffen, kehrt sich, starr, betender Haltung im Gehen.
ÖDIPUS
wendet sich, wie aus schwerem Traum heraus.
O Phönix!
PHÖNIX
links; wendet sich, steht bebend.
ÖDIPUS
mit schwer arbeitender Brust, auf ihn zu, qualvoll.
Hilf mir, Phönix!

Er taumelt.
Phönix fängt ihn auf, küßt ihm Hände und Brust, legt ihn sanft hin. Ödipus richtet sich halb auf.
PHÖNIX
kauert dicht bei ihm.
Nun bist dus wieder!
ÖDIPUS.
Nicht suchen den, der war. Versteh mich doch.
Versteh doch, was mein Mund sich krümmt zu sagen.
Dann geh und laß mich. Faß mich nur! Geredet –
durch seine Priesterin, geredet hat
der Gott mit mir!

Von der ungeheuren Anstrengung des Geständnisses erschöpft.

Mich dürstet. Bring mir Wasser.
PHÖNIX
will fort um Wasser.
Besinnt sich.
Und bis ich wiederkomme, bist du fort.
Ich geh nicht weg. Ich halte dich.
ÖDIPUS
matt.
Mich dürstet.
Ich steh nicht auf. Ich rede immerfort
mit dir.
PHÖNIX
nimmt die Schale, geht, mißtrauisch umblickend.
ÖDIPUS
sich anstrengend.
Ich rede ja mit dir. Hier bin ich.
PHÖNIX
kommt zurück, hält ihm die Schale hin.
ÖDIPUS
greift gierig nach der Schale, trinkt.
Nie wieder trink ich Wein. Schwarz war der Wein
und schwer wie Blut. Da tranken er und ich
ein jeder seinen Tod.
PHÖNIX.
Sprichst du von Lykos?
ÖDIPUS.
Das war der Anfang.
Mit meinen Händen schlug ich ihn. Sie fielen
wie Hämmer nieder, alle waren blutig
von seinem Blut, dann trugen sie ihn weg.
Warum nahm es den Weg durch seinen Mund!
Der Knabe war nicht schlimm – es wollte kommen:
im Wein verbarg es sich, da glitt es in den Knaben
und kräuselte ihm widerlich die Lippen ....
Wie nur?
PHÖNIX.
Du fragst?
ÖDIPUS
heftig.
Mir ists entfallen.
PHÖNIX.
Herr!
ÖDIPUS
faßt ihn.
Ich will, daß du mirs wiederholst.
PHÖNIX.
Verschon mich!
Er redete zuerst herum, und niemand
im Dunst des Weines gab viel acht.
ÖDIPUS.
Um was
herum? Ich will es hören.
PHÖNIX.
Daß so mancher
nicht wisse, was für Blut in seinen Adern –
Du zürnst mir?
ÖDIPUS.
Weiter!
PHÖNIX.
Herr, du wirst mir zürnen?
ÖDIPUS.
Ich bitte dich. Mir ists entfallen. Weiter!
PHÖNIX.
Er hob sich übern Tisch und sah mit Fleiß
nach einer andern Seite.
ÖDIPUS.
Richtig! – Und ...
PHÖNIX.
Und sagte, daß man manchmal Findelkindern
auch auf den Stufen eines Thrones könne
begegnen.
ÖDIPUS.
Und da schlug ich schon auf ihn?
PHÖNIX.
Nein; doch du grubst die Nägel deiner Finger
so in den Tisch, daß man es hörte. Alle
verstummten, seine stieren Augen waren
auf dich geheftet, und er schrie: Du selber,
Ödipus, sag mir, bist du denn der Sohn
des Polybos?
ÖDIPUS
steht jäh auf.
Das Wort erschlug ihn schon?
Das bloße Wort? Den ganz lebendgen Lykos?
PHÖNIX.
Du kannst dich ja nicht sehen, wenn der Zorn
dich schüttelt, daß du schwarz wirst wie der Tod,
dann weiß wie Schaum. Ich hab dich so gesehn,
mich schauderts in mein Mark.
ÖDIPUS
läßt sich auf einen Stein hin.
Das war der Anfang.
Von da an ging es schnell. Ich wusch das Blut
von mir und nahm ein anderes Gewand
und ging hinein – es war nicht Morgen noch,
da ich sie weckte. Wie sie leise schlafen,
die Eltern! Kaum, daß ich dem Bette nah war,
so hoben sie sich auf, der Vater, der
erkannte mich nicht gleich, die Mutter aber,
die Mutter –

Schaudernd.

Nie mehr werde ich sie sehn! –
Dem Vater schwoll die Ader an der Stirn
vor Zorn, die Mutter hatte gleich die Augen
voll Wasser und, in ihrem Ehebette
halb aufgerichtet, schworen sie mirs zu,
daß ich ihr Sohn bin. Und dann sprachen sie
zugleich, die beiden, auf mich ein und tauschten
blitzschnelle angst- und liebevolle Blicke,
und König Polybos, mein Vater, dessen Leib
ich nie berührt, der schlang zum erstenmal
im Leben seine beiden Arme fest
um meinen Hals und drückte meinen Kopf
an seine Brust, und übers Bette hin
ergriff die Mutter meine Hand.
PHÖNIX.
Da warst du
noch nicht erlöst, Unseliger?
ÖDIPUS.
Da ging ich
hinaus und fand nicht Ruhe, und ich dachte
an dies, wenn ich auf meinem Wagen fuhr,
an dies, indes ich jagte, und an dies,
indes ich aß und trank.
PHÖNIX.
So warst du krank?
ÖDIPUS.
Ich war nicht krank. Allein in mir war etwas,
das wollte sich nicht geben, bis ich nicht
gekommen wäre auf den Grund des Dinges.
So mußte ich dorthin, wo aus dem Schoß
der Erde Wahrheit bricht in Feuerströmen
und aus dem Mund der Priestrin sich ergießt.
So fuhr ich gegen Delphoi.

Ihn schauderts.
PHÖNIX.
Weh, was haben die
getan an diesem Kinde, diese Priester!
ÖDIPUS.
Wie klein ist alles das, wie klein! Als stünd ich
auf einem hohen Berg und säh es tief
dort drunten seine Straße ziehn wie Kinderspielzeug.
Was für ein kleines Leben lebst du, Phönix!
PHÖNIX.
Geliebter, welche Antwort gab der Gott
auf deine Frage, Ödipus?
ÖDIPUS.
Die Götter
antworten weise, wo wir töricht fragen.
Die Frage, die aus unsrem Munde geht,
verschmähen sie, und was im tiefsten Grund
des Wesens schläft und noch zu Fragen nicht
erwachte, dem mit ungeheurem Mund
antworten sie zuvor. Was war ich für ein Knabe,
daß ich hinging und vor mir her mit halb
bekümmertem, halb frechem Herzen meine Frage
wie eine Fahne trug! Da faßte mich
der Gott am Haar und riß mich übern Abgrund
zu sich.
PHÖNIX
angstvoll.
Sag, was sie dir getan im Heiligtum!
ÖDIPUS.
Oh, sie sind weise! So wie einen König
hielten sie mich, und wie ein Kind. Sie gaben
mir ein Gemach, in das von obenher
der Schein der Sterne schlug, als wärens Flammen.
PHÖNIX.
Hoch ragt der heilige Berg und nah den Sternen.
So nah den Göttern ist nicht gut zu wohnen.
ÖDIPUS.
Nicht gut zu wohnen? Wo die Gipfel rings
der Berge blühn im Licht und Nacht und Tag
auf heiligem Nacken tragen, wo aus Säulen
lebendiger Zedern göttlich der Palast
in goldnem Rauch sich hebt, wo in dem Hain
einander Abend, Nacht und Tag umschlingen,
wo sich der Seele in der Opfernacht
die schwere funkelnde Milchstraße nieder
wie eine Wünschelrute biegt, und sie
die Seele dir, der eignen Kraft erschrocken,
hinuntertauchen in sich selber will
und spürt, hier ist kein Grund: dem Weltmeer ist
ein Grund gesetzt – ihr nicht –
PHÖNIX.
Die Priester, Knabe,
was sprachen sie zu dir?
ÖDIPUS.
Zu mir? Der Gott
sprach durch das Weib, in dem er wohnt, zu mir.
PHÖNIX.
Sie weihten dich?
ÖDIPUS.
Sie wußten meine Frage,
und weil ich nach dem Quell zu fragen kam
des Bluts in mir, so weihten sie mein Blut,
auf daß es sich dem Gott entgegenhübe
aus eigner Kraft –
PHÖNIX.
Wie weihten sie dein Blut?
zum Leben oder für den Tod?
ÖDIPUS.
Was kümmern
den Knecht die Bräuche! Da war Nacht und Tag
mir abgetan und weggewischt die Grenze
von Schlaf und Wachen, und bald auch die andre,
die zwischen Tod und Leben.
PHÖNIX.
Ödipus!
ÖDIPUS.
Im Tage mitten wurd ich wach aus einem
Traum nach dem andern Traum und hatte immer
vergessen, und mein Innres wurde immer
erneuert. Immer andre waren da
um mich, und ihre herrlichen Gestalten,
in Flammen ging die eine in die andre hin.
Ahnst du? Mit meinen Vätern hauste meine
schlaflose Seele.
PHÖNIX.
Wie, der Toten, die
du nie gesehen hast, entsannst du dich?
ÖDIPUS.
Nein – sie entsannen sich des Enkels und
durchzogen mich, und es war mehr als Lust
und mehr als maßlose Begier, es war
die Lust und Qual von Riesen –
PHÖNIX.
Könige
und Götter, weißt dus nun!
ÖDIPUS.
Der Strom des Bluts,
das war die schwere, dunkle Flut, in der
die Seele taucht und findet keinen Grund.
Das war in mir. Nein, das war ich! Ich war
ein wilder König, der erbarmungslos
ein Weib umschlingt in einer Stadt, die brennt,
und war auch der Verbrennende im Turm –
ich war der Priester, der das Messer schwingt,
und ich zugleich war auch das Opfertier.
Und ich verging nicht! Ich brach nicht in Stücke!
Der Blutstrom riß sich auf in seinem Bette
mit mir auf seinem Haupt und hub mich auf
zum Gott. Dann fiel er wiederum zurück –
da lieg ich nun.
PHÖNIX.
Wie sprach der Gott zu dir?
ÖDIPUS.
So sprach der Gott zu mir: ich lag und hatte
die Augen zu und Dunkel war, und rings
im Dunkel regte sich Lebendiges,
die Priester warens, um mein Lager standen
sie schweigend, und im Dunkel stieg ein Duft
von fremden Kräutern auf, und ich sank tiefer
in mich –
PHÖNIX.
Du träumtest, Kind!
ÖDIPUS.
Frag nichts! Ich träumte
den Lebenstraum. Wie ein gepeitschtes Wasser
jagte mein Leben in mir hin, – auf einmal
erschlugen meine Hände einen Mann:
und trunken war mein Herz von Lust des Zornes.
Ich wollte sein Gesicht sehn, doch ein Tuch
verhüllte das, und weiter riß mich schon
der Traum und riß mich in ein Bette, wo
ich lag bei einem Weib, in deren Armen
mir war, als wäre ich ein Gott. In meiner Wollust
hob ich mich, ihr Gesicht, die meinen Leib
umrankte, wachzuküssen – Phönix! Phönix!
Da lag ein Tuch auf dem Gesicht, und stöhnend
von der Erinnrung an den toten Mann,
die jäh hereinschoß, krampfte sich mein Herz
und weckte mich. Da war ich ganz allein. Mein Herz
war groß in mir und schlug. Da, in der Mauer
tat eine niegesehne Tür sich auf,
und unten kroch ein Licht herein, und dann
kams auf mich zu, gerade auf mein Lager,
und leise glitt ein schleppendes Gewand
am Boden hin – so wie die Mutter kam es,
wenn sie ans Bett des Kindes tritt, so wie
die Braut zum Bräutigam, so trugen leise
die Füße es heran.
PHÖNIX.
Bei unsern Göttern –
wer?
ÖDIPUS.
Fragst du noch? Das Weib.
PHÖNIX.
Die Priesterin?
ÖDIPUS.
Nenn keinen Namen! Weib und Mann kann sich
in eins verschränken: aus dem Weibe glühte
der Gott, aus den verzerrten Zügen schaute
der Gott, die Zunge bäumte sich im Mund
und lallte, doch es redete der Gott!
PHÖNIX.
Zu dir – zu dir –
ÖDIPUS.
So nah der Mund dem Mund
wie dein Gesicht dem meinen. Wie das Lallen
der Zunge in mein aufgerißnes Herz
hineinschnitt!
PHÖNIX.
Sag es! sag es! eh dein Blut
aufs neu erstarrt. Du stirbst mir in den Armen!
ÖDIPUS.
Ich leb und trag es! Und nun kommts heraus:
so sprach der Gott aus dem verzerrten Mund
des glühnden Weibes: des Erschlagens Lust
hast du gebüßt am Vater, an der Mutter
Umarmens Lust gebüßt, so ists geträumt,
und so wird es geschehen.
PHÖNIX.
Fürchterlich!
Allein es war die Antwort nicht der Frage!
ÖDIPUS.
Wie, wahnsinniger Mensch?
PHÖNIX.
Du mußtest nun
die Frage tun.
ÖDIPUS.
Ich lag und sie glitt fort,
ins Dunkle.
PHÖNIX.
Weh! da mußtest du ihr nach!
ÖDIPUS.
Ihr nach? Auf meiner Brust lag ja ein Berg,
ein Berg auf jedem Glied! Ihr nach?
PHÖNIX.
Unseliger!
Sie gab die Antwort nicht auf deine Frage!
ÖDIPUS.
O blöder Phönix, sie tat mehr als das!
Weh, welch ein Mensch du bist! Was war noch offen?
was war noch einer Frage wert? wo war
die Welt! Vom Lallen dieser Zung hinunter
geschlungen! Was nach diesem Wort blieb denn
noch übrig als wir drei: der Vater,
die Mutter und das Kind, mit zuckenden,
mit ewgen Ketten des Geschicks geschmiedet Leib an Leib.
PHÖNIX.
Zweideutig war das Wort!
ÖDIPUS.
Für eines Knechtes Seele,
nicht für die meinige. Nicht zweimal redet
der Gott. Den er sich wählt, von dem wird er
begriffen. Schau nicht so voll dumpfer Angst,
sonst schweig ich, und dein Aug sieht mich nicht wieder.
Soll ich noch fragen, wie ein Weib beschwätzen
das Ungeheure? Sollt ich noch nicht wissen
am Grausens-abgrund, der in mir sich auftat,
am namenlosen Weh, von welchem Vater
und welcher Mutter da die Rede war?
PHÖNIX.
Das gräßliche Wort, du schlangst es hinab?
deine Seele warf es nicht aus?
Graunvoller! Liebster! es sitzt in dir?
ÖDIPUS.
Es fraß sich hinab ins Mark meines Lebens.
Da fand es Nahrung – nichts als Nahrung.
PHÖNIX.
Du bist rein, du bist gut,
nichts davon ist in deinem Blut –
nichts in deinem Sinn.
Ich kenne dein Atmen bei Tag und Nacht,
ich weiß dein Gesicht, wenn es einschläft und wenn es erwacht.
Siehst du nicht, daß ich ruhig bin
und dir ins Gesicht sehen kann?
ÖDIPUS.
Was weißt du von mir? Was wußte ich selber davon,
bis die Stunde kam,
die mich aus meinem Kindertraum nahm?
Ich will dir jetzt etwas sagen:
du sollst es anhören und schweigen.
PHÖNIX.
Kind, sag es mir.
ÖDIPUS.
Du nennst mich Kind, doch ich denke, ich bin ein Mann.
PHÖNIX.
Ein Mann! und ein königlicher! Wer würde es zu leugnen wagen?
ÖDIPUS.
Hör es still an, ich will dirs jetzt sagen:
ich habe noch kein Weib berührt.
PHÖNIX.
Wie soll ich das verstehn? Hast du nie eine begehrt?
ÖDIPUS.
Die Qual, die sie Sehnsucht nennen, kenn ich wohl.
Wie sanft erscheint mir jetzt dies Brennen, denk ich zurück.
Wie klein dies alles: Kinderleid, Kinderglück.
Ach, wenn ich mit meinen Jagdgefährten schlief in ihren Häusern,
meinst du, ich hörte nicht in der stillen Nacht
einen Kammerriegel zurückziehn,
und es war kein Seufzen aus junger Brust unter den Nachtgeräuschen?
Meinst du, mein eigenes Herzklopfen konnte mich täuschen,
daß ich nicht fühlte, wo etwas glühte im Dunkeln
und sich mir hingeben wollte –
aber es war, als läge ein Schwert auf der Schwelle.
Dann kam der Morgen, dann war alles wieder vorbei.
PHÖNIX.
Du Kind, was dich hielt, war Scham und Scheu
in deinem jungen Blut.
ÖDIPUS.
O nein: es ist ein Schwert dazwischen gelegen.
Und weißt du, warum? Meiner Mutter wegen.
PHÖNIX.
Was redest du da; Du bist trunken von einem Leid,
das grausam ein Gott dir angetan.
Deine Seele weiß nichts von dem, was aus deinem Munde geht.
ÖDIPUS.
Nicht so, wie du meinst. Ich rede zu dir von meinem Geschick.
Wenn du mich nicht verstehst, muß ich gleich schweigen.
Ich wollte dir zeigen, wie alles sich verknüpft:
damit mich doch einer begreift, wenn ich nicht mehr da bin.
Sieh, ich konnte den Blick der Unberührten nicht ertragen,
seit ich Mann genug war, ihn ganz zu verstehn.
Ich fühlte, sie konnten dem Tiefsten in meinem Verlangen
nicht genügen.
PHÖNIX.
Wie? die Jungen? Eine wie die andre rings im Land.
ÖDIPUS.
Keine. Ich hätte in ihren Armen nicht liegen können
ohne eine geheime tiefe Scham.
Wie soll ich dir das mit Worten sagen?
Wo ein Blick mich nicht bände bis in alle Seelentiefen,
wo nicht die Welt mir schwände,
wo nicht Ehrfurcht und Schauder mich ganz auflöste –
wie könnte ich mich da geben?
und eine nehmen und nicht mich geben,
dies tun, und es wäre nicht ein Wirbel,
der mein ganzes Wesen in sich reißt –
dies Unsagbare tun frech, kalt und dreist,
an eine Brust mich drücken, wühlen in Haaren
und lauernd frech in mir mich bewahren –
wie ein abenteuerndes Tier eine nehmen und eine nehmen –
müßt ich mich da nicht vor dem Anhauch des Meeres zu Tode schämen?
vor dem Schatten, dem Licht, vor den Sternen, dem Wind,
vor der nackten Nähe lebendiger Götter,
deren Augen überall sind?
So hielt ich meinen Blick im Zaum
vor ihrem Leib und ihrem Haar, weil keine eine Königin war ...
Verstehst du nun, warum ich sagte: um meiner Mutter willen?
PHÖNIX
sieht ihn an.
ÖDIPUS.
An meiner Mutter hatte ich gesehen, wie Königinnen gehen.
Wenn ich auf meinem Wagen gefahren kam
und sah sie gehn mit ihren Fraun
zu heiligen Festen, hinab zum Fluß,
darin in flutenden Palästen
die Götter wohnen, unsre Ahnen –
und sie trug ihren Leib wundervoll schreitend
wie ein heiliges Gefäß,
da stieg ich vom Wagen und kniete nieder,
zur Erde gebeugt, grüßte ich sie.
Und ich wußte: Kinder zeug ich einst mit einer,
die mit heiligen Händen im dämmernden Hain
darf Bräuche üben, die allen Wesen verboten sind, nur ihr nicht:
denn zu ihr reden aus dunkelnden Wipfeln im Abendwind
Götter, die ihre Väter sind.
Kinder zeug ich in einer solchen heiligem Schoß
oder ich sterbe kinderlos.
PHÖNIX.
Du guter Knabe, du reines Kind,
was fürchtest du, wenn so königlich deine Gedanken sind?
ÖDIPUS.
Das Gottes Wort! Begreifst du denn nicht? Ist deine Seele so dumpf?
Schaudert dich noch nicht?
PHÖNIX.
Kein Hauch des Bösen ist in dir. Was quälst du dich?
ÖDIPUS.
Bis du gefeit gegen die Mächte?
Weißt du, was für Mitternächte über uns noch hereinbrechen,
wo wir einander vorübertaumeln und erkennen einander nicht!
Wie in den Tod starrst du in mein Gesicht,
denn es hat eine Schlacht angehoben aus einem Gastmahl, bei dem wir saßen,
und nun rinnt das verwandte Blut in den Straßen
und die Frauen töten sich auf den Dächern,
um nicht zu sehen, wie sie sich würgen,
der Vater den Sohn, der Bruder den Bruder,
in dem Saal, in den Gemächern.
PHÖNIX.
Das sind gräßliche Nachtgesichte!
ÖDIPUS.
Das alles ist in meinem Blut.
Waren nicht Rasende unter meinen Ahnen?
Ließen sie nicht Ströme Bluts vergießen?
Verschmachteten nicht ganze Völker in ihren Verließen?
Trieben sie nicht Unzucht mit Göttern und Dämonen?
Und wenn ihre Begierden schwollen wie Segel unter dem reißenden Sturm,
konnten da sie ihr eigenes Blut verschonen?
Und wer hat dies Rasen für immer an Ketten gelegt?
Wer hat zu diesen Dingen gesagt:
Ihr seid dahin und kommt nie wieder?
PHÖNIX.
Das sind uralte grausige Lieder.
ÖDIPUS.
Wer sie hört in seinem Blut, dem bringen sie ferne Dinge nah –
was längst geschah, kann wieder geschehn –
wer weiß durch wen?
PHÖNIX.
Du mußt fort! Bereit ist der Wagen, er trägt dich nach Haus!
Siehst du die Eltern, zergeht dein Wahn, zergeht das Grausen,
so wie ein böser Nebel zerfließt.
ÖDIPUS.
So wird es geschehen, sprach der Gott, den Weg zeigte er nicht.
Ich spür den Weg.
Durch mein Wesen hindurch bahnt sichs den Weg
wie durch fließendes Wasser.
PHÖNIX.
Komm nur zu dir! Hätt ich dich daheim in deinem Bette!
ÖDIPUS.
Lieber tot in der Bergschlucht und Geier über mir!
PHÖNIX.
Sohn meines Königs!
ÖDIPUS.
Ich dachte, meinen Vater zu bitten um einen Turm,
um ein Lager von Stroh und um schwere Ketten –
aber wie könnte das uns retten?
Ich läg in ihrer Näh wie ein Dämon auf der Lauer,
und eines Tags wie fahler Schnee zerschmölze des Turmes Mauer,
oder es flöge ein Pfeil herein und ich würf ihn durchs Fenster zurück,
und er flöge meinem Vater ins Genick.
Da kämen sie zu Hauf und brächen mein Gefängnis auf,
und ich sollte der Mutter die Botschaft bringen,
und meine Arme fingen an, sie zu umschlingen,
meine Lippen auf ihr zu weiden.
PHÖNIX.
Das sind wüste Träume! Wach doch auf – wie mußt du leiden!
Nichts davon ist in deinen Gedanken, deine Seele
schaudert davor zurück!
ÖDIPUS.
Das sind keine Schranken;
es waltet durch uns hindurch wie durch leeren Raum.
Freilich, es klingt wie ein böser Traum!
Auch ist meine Mutter ja keine junge Frau mehr ...
Meinst du, daß dies etwas wär, um sich daran zu klammern?
Aber wenn ich die Priesterin denke, ein Weib und doch kein Weib,
und das furchtbare Wohnen des Gottes in ihrem Leib –
dann ist kein Ding auf der Welt, das mein Herz nicht für möglich hielte.
Fort die Hand, die mich hält!
Laß mich los, verloren ist, wer zaudert!
PHÖNIX.
Was willst du tun?
ÖDIPUS.
Ein einziges Opfer ist, das mir frommt:
es wird dargebracht ohne Aussetzen,
es wird genährt mit allen meinen Schätzen,
unaufhörlich fließt es hin, wie die Zeit von den Sternen
rinnt.
PHÖNIX.
Was für ein Opfer, Kind?
ÖDIPUS.
Mein Leben.
Aber nicht mein Blut darf ich hergeben,
davor warnt mich ein inneres Grausen:
ich muß bleiben, aber ich darf nirgend hausen,
unstet, mit tiefster Einsamkeit umhangen,
ein Gefährte den stummen Tieren –
dann brauch ich mein Selbst nicht zu verlieren
an das Unsagbare, an den lebendigen Tod.
PHÖNIX.
Wie kannst du einsam sein?
Das kann ich oder einer von den Knechten:
unser Gesicht kann werden wie der Tiere Gesicht,
wir können eins werden mit einem Stein,
unsere Haare wie Flechten und Moos,
unsere Hände können werden wie Klauen,
wir können, behangen mit Niedrigkeit,
uns in der weiten Welt verlieren
und schweifen mit den Tieren.
Aber du, der du ein König bist,
wo du des Weges fährst, erdröhnt die Erde,
sie drängen sich um deine Pferde,
alle wissen sie deinen Namen,
und deine Väter, wohin du ziehest, wandeln neben dir,
und aus den Flüssen heben die Götter, deine Verwandten, Haupt und Hände, –
steigst du zu Schiffe, rauschen die Wellen und drängen sich üppig, dein Schiff zu tragen.
Du kannst nicht schweifen auf ödem Meer,
dein Segel bläht ein Wind und läuft als Herold vor dir her,
Sterne funkeln dir vertraulich wie dein Haus,
und die Länder heben die Brüste dir entgegen –
nicht Wildnis ist, wo du ziehst auf unbetretnen Wegen,
und der Strand, wo du landest, nicht öde: weil du ein König bist!
ÖDIPUS.
Recht sagst du das: dies alles werf ich hin!
Wär es weniger, wie käm es mir in den Sinn,
daß es könnte das andere aufwiegen?
So aber wird es vielleicht genügen.
PHÖNIX.
Vergebliches Opfer, wem zur Freude? Deine Eltern
versteint das Leid!
ÖDIPUS.
Ein grausames Opfer ist es wohl. Wo ist ein König, der so opfert?
Phönix! Nie hab ich dich vor mir stehen sehn, wie du jetzt stehst vor meinem Blick.
Und dort – die andern – wie sie dort um den Wagen geschart sind!
Ich kann tief lesen in ihren Mienen.
O Gott, solche hatte ich, mir zu dienen!
Mit angstvollen Herzen starren sie her,
ihre Hände sind von den Taten schwer,
die sie mit mir tun wollten
und die nun ungetan in den Abgrund rollten.
Siehst du die Pferde? Sie scharren den Grund
und heben die Nüstern und wittern nach mir.
Wie ihre Augen sprechen,
als wollte die dumpfe Seele daraus hervorbrechen.
Es sind keine gewöhnlichen Pferde.
Sie hätten mich wiehernd in Schlachten gerissen
und mitgekämpft und funkelnd nach meinen Feinden gebissen –
sie wären mit mir durch fremde Flüsse geschwommen –
aber nun ist es anders gekommen.
Sie sollen den Pferden in die Zügel greifen und sie den Berg hinab schleifen,
wenn sie zu ihrem Herren drängen,
wenn ihre dumpfen Seelen an dem so hängen,
der nicht mit ihnen fahren darf.
Nun aber fort, nun ist es genug!
PHÖNIX.
Das letzte Wort für den Herrn und die Herrin, wenn sie mich fragen um ihr Kind!
ÖDIPUS.
Sie sollen sich keine Botschaft von mir erwarten,
nicht von den Fischern am Strand und nicht von den Pilgern, die kommen über Land.
Was nicht sein kann, sollen sie nicht begehren
und nicht mit einem Vielleicht die Luft beschweren.
Mein Haus sollen sie versperren und ausleeren meine Truhen,
meine Hunde sollen sie forttun,
damit sie in der Nacht nicht nach mir heulen.
Ich hab mir einen Stock geschnitten, der bleibt bei mir,
sonst niemand, kein Mensch und kein Tier.
Ich werde kein Bett haben zu Nacht und, wenn es dunkel wird, kein Licht:
davon rede dem Vater und der Mutter nicht.
So allein ist nicht einmal ein Baum, nicht einmal ein Stein,
denn die Steine liegen doch einer beim andern,
immer liegen sie an gleicher Stelle, so heimlich ist ihnen,
so ruhevoll sind ihre Mienen,
als wäre jeder die Schwelle zu einem Vaterhaus.
Und die Bäume – hat jeder seine Gefährten,
sie klimmen zusammen nach oben,
ich fühle, wie sie ihr Leben loben
und mit den lebendigen Kronen
selig sind, daß sie hier wohnen
seit unzähligen Tagen,
die Wurzeln tief in den Felsen schlagen,
sie breiten die zackigen Äste –
ja, das sind unaufhörliche Feste!
Aber wer schlingt seine Zweige in meine,
wer ruht neben mir wie der Stein beim Steine?
PHÖNIX
weint.
ÖDIPUS.
Sag meiner Mutter, und meinem Vater sag: einmal im Tag
zu dieser Stunde, wenn die Erde sich ängstlich regt,
weil die Nacht das schwere Dunkel auf sie legt,
da sollen sie sich erinnern, daß ich noch in der Welt bin,
da werd ich irgendwo niederknien
und, wenn die Hände des Nachtwinds im Walde wühlen
wie Menschenatem schwer und beklommen,
da wird ihr Gesicht zu mir kommen.
Und manchmal, wenn auch nicht jeden Tag,
da werden sie spüren ein Etwas im nächtigen Wind,
das wird sich regen und leise bewegen an dem Fenster, wo sie schlafen:
da sollen sie wissen, das ist ihr Kind.
Denn mein Beten wird mehr sein als ein Denken,
mein Lebensatem wird hier bleiben und das Nest behüten, meinen Leib,
aber meine Seele wird sich über das Nest emporschwingen
und über die Wälder und die Flüsse hindringen
wie ein glänzender Gott, wie ein seliger Schwan –

Ein Windstoß.

Es kommt ein Sturm, – fort mit dem Wagen, fort mit den Knechten!
Sie sollen nicht jagen, daß mir die Pferde nicht stürzen.
Sieh du nach dem Rechten! Leb wohl – lebt wohl!

Er schreitet aufwärts ins Gestein.
PHÖNIX.
Sie werden fragen, was du tatest, als ich dich ließ.
ÖDIPUS.
Sag ihnen, der Wind ist mein Gefährte, und das Dunkel ist mein Haus.
PHÖNIX.
Mit solcher Botschaft tret ich nicht vor sie!
ÖDIPUS.
Bist du, die Worte zu setzen, so blöde?
Sag ihnen, dem Sohn ist so wohl in der Öde,
du sahst ihn niederknien im wüsten Gestein
wie andere in einem heiligen Hain oder im seligen Lichten,
und sein Gebet verrichten.
Nun geh!
PHÖNIX.
Herr, laß deine Diener bleiben so lange, bis du gebetet hast!
ÖDIPUS.
Fort! eure Näh ist mir zu Last!
PHÖNIX.
Sohn meines Königs!
ÖDIPUS.
Ein Ende! ein Ende!
PHÖNIX.
Noch einen Blick!
ÖDIPUS.
Willst du mich peinigen?
Seid ihr fort, dann bin ich frei,
dann betet mein Herz für mich und die Meinigen.

Tiefes Dunkel, starke Windstöße.
Phönix links ab, schmerzlich zurückschauend.
Ödipus, oben, wo der Hohlweg einschneidet, legt seinen Stab weg, kniet nieder. Die Diener, unten aus dem Gebüsch hervortretend, strecken die Arme nach ihm. Dann gehen sie. Der Wagen rollt ab.
STIMMEN
aus dem Sturm.
Die wir tote Könige sind,
wir thronen im Wind –
die wir gewaltig waren,
uns schleift der Sturm an den Haaren,
und dieser ist unser Sohn.
ÖDIPUS
das Haupt zur Erde geneigt, die Hände ausgebreitet.
Erde, du mußt nun allein meine Mutter sein.
Die stillen Wolken, die lauten Winde sind meine Geschwister.
Ich hab alles fortgegeben,
nur daß ich dein Kind bin, das ist mein Leben.
DIE STIMMEN.
Unser Ringen und Raffen
hat ihn erschaffen.
Herz und Gestalt,
Begierden und Qualen –
er muß uns bezahlen,
daß wir mit Gaben
beladen ihn haben.
Er ist ein König und muß es leiden,
und wär ein nackter Stein sein Thron:
er ist unsres Blutes Sohn.
ÖDIPUS.
Es redet nicht, es gibt keinen Schein,
doch irgendwie dringt es in mich hinein,
daß ich Vater und Mutter und Glanz und Welt
und alles, was das Herz erhellt,
nicht ganz vergeblich hingegeben habe.
Ich fühl es um mich weben: ich werde noch leben.

Stärkerer Sturm.
DER HEROLD DES LAÏOS
von rechts heraufkommend.
Böser Sturm, tückisches Dunkel, kaum seh ich den Weg vor den Füßen!
Mußt du, fremdes Land, so häßlich den Herrn mir grüßen?
Steil die Straße – da liegt ein Stein, dort sperrt ein Baumstamm, den Weg.

Ödipus hebt betend die Hände.
HEROLD
ihm näher.
Ein Mensch! Fort aus dem Wege! auf!
Den Weg gib frei! kannst du nicht hören?
ÖDIPUS
aufschauend wie aus dem Traum.
Häßlicher Ton! Zorngeschrei!
Wenn einer betet, sollst du ihn nicht aufstören –
Wenn seine Seele nicht mehr zu ihm zurückkehrt
dann ist er schwer zu heilen.
HEROLD.
Hörst du nicht den Wagen rollen, Nachtvogel du?
Du sollst dich trollen!
ÖDIPUS.
Einsamkeit, bleib bei mir!
HEROLD.
Aus dem Wege du!
Was räkelst du dich auf der Erde?
Bist du ein Hund, greif ich den Stein!
ÖDIPUS
an der Böschung, sich aufrichtend.
Häßliche Gebärde! widerlicher Mund!
HEROLD.
Fort aus dem Weg – zum letztenmal!
ÖDIPUS
mit Widerwillen.
Du Tier, nicht so laut!
HEROLD.
Willst du, daß ich den Stock brauch?
ÖDIPUS
bückt sich.
Einen Stock hab ich auch!
Ich geh – nur warte – steh, bis ich dort bin!
Komm mir nicht so nah!
HEROLD.
Vorwärts da!
Vorwärts oder –
ÖDIPUS.
Nicht nach mir schlagen!
HEROLD.
Nicht?
ÖDIPUS.
Du Tier, da nimm!

Der Herold fällt dumpf hin.
ÖDIPUS.
Still ist jetzt alles. Bist du tot?

Es blitzt.

Nirgends rot – ganz weiß wie der Stein –
mein Stock – meine Hand?

Der Wagen nahe, hat gehalten. Laïos, der Wagenlenker, die Diener von rechts.
DER WAGENLENKER
tastend.
Hier ist der Weg.

Ein Blitz.

Hier liegt der Herold – erschlagen!

Ödipus hat den Stock fallenlassen, steht links, auf den Toten schauend.
Wütender Sturm.
DIENER.
Herr, es sind Räuber – zurück auf den Wagen!
LAÏOS
in der Hand den Stachelstock.
Mein Herold!
DER HEROLD
erkennt die Stimme, wälzt sich hin.
Mein Herr! bei dir sterben!
LAÏOS.
Nicht sterben! Um Wasser!
ÖDIPUS.
Ein Quell ist dort.
DER WAGENLENKER.
Gebieter, ihrer sind mehr als wir: sie lauern im Dunkel.
ÖDIPUS.
Ich bin allein.

Ein starker Blitz.
LAÏOS.
Ah! faßt mir den Mörder!
DIE DIENER
leise.
Stricke vom Wagen, ihn zu binden!

Einer weg.
ÖDIPUS.
Was wollt ihr tun? Ihr wißt nicht, wie es geschah.
Er schlug nach mir, er trat mir zu nah!
LAÏOS.
Strauchdieb, still!
Mit deinem Atem schändest du noch dem Toten die Ruh!
ÖDIPUS.
Wenn er zu dir gehört, so drück ihm doch die Augen zu.
LAÏOS
bückt sich zu dem Toten.
Zu mir hast du gehört;
die Jahre zählen wir nicht mehr – nicht wahr?
ÖDIPUS.
Laß mich dein Diener sein anstatt des Toten – ich bin jung!

Laïos, flüsternd zu den Dienern, die alle hinter ihm geschart sind. Einer geht Ödipus in den Rücken.
ÖDIPUS.
Ich will mich erniedrigen bei Tag und Nacht – ich schlafe vor deinem Bett auf der Erde –
ich betreue dir die Pferde – nimm mich mit!
LAÏOS.
Du sollst mitgenommen werden,
aber gebunden an Händen und Füßen – so kommst du mit.
ÖDIPUS.
Was wollen die?

Deckt sich den Rücken an einem Baum.
LAÏOS.
Zugleich! – zu dritt!

Einer hebt hinter Ödipus' Rücken, wie es blitzt, die Schlinge.
ÖDIPUS
ergreift blitzschnell den Stock vom Boden.
Ich? gebunden? Was willst du mir tun?
LAÏOS.
Das sollst du erfahren: dein Blut ist zu jung
zur Sühne für dieses Blut, das alt und schwer war,
dein Haar ist kein Preis für dieses angegraute Haar,
und schick ich dich hier neben diesem schlafen,
so hieße das zu milde strafen.
So milde straf ich nicht.
ÖDIPUS.
Wohin willst du mich bringen?
LAÏOS.
Ich will dein freches Gesicht leiden sehen,
aber im Tageslicht.
Deine Stimme soll dir versagen,
wenn sie dich Gebundnen mit Geißeln schlagen,
hinrichten laß ich dich auf einer Richtstätte,
wo Menschen sind: Greis und Mann, Weib und Kind.
Sie sollen im Kreise stehn und es vollstrecken sehn –
die Sonne soll hören dein Schrein.
ÖDIPUS.
Mit was für Mörderhänden greifst du in die Welt hinein? Wer bist du denn?
LAÏOS.
Ein alter Mann, der einen alten Mann hat müssen sterben sehn
wie einen Hund unter deinen Händen.
Aber du sollst zahlen!
Ich will dich hinunterschicken, behangen mit Qualen,
und bei den Toten wird er dir begegnen
und wird sich weiden und mich dafür segnen.
ÖDIPUS.
Deine Stimme ist Haß und Qual. Du hast nie ein Kind gehabt,
du bist von den Unfruchtbaren,
dein trauriges Weib, mit Staub in den Haaren,
ist Tag und Nacht vor den Göttern gelegen –
in dein Haus kommt kein Segen!
Laß mich vorbei, laß mich fort!
LAÏOS.
Er will entspringen!
ÖDIPUS.
Wenn du wüßtest, wer ich bin, du hättest Mitleid mit mir.
Mein Leben ist bittrer als sein Tod.
Was weißt du in deinem alten Herzen von meiner gräßlichen Not?
LAÏOS.
Willst du noch prahlen? – Faßt ihn doch, schleppt ihn her!
Ich will ihm zu trinken geben aus meinem Herzen den bittern Saft!
Ich trink ihn seit Jahren, ich habe genug –
er soll ihn trinken in einem Zug!
Schnell, ihr drei!
ÖDIPUS.
Ich will fort!
LAÏOS.
Knechte!
ÖDIPUS
vor sich.
Kein Weg als dort!
LAÏOS.
Hier steh ich!

Er hebt den Stachelstock.
ÖDIPUS.
Du Dämon, gib Raum!

Schlägt nach ihm.
LAÏOS
stürzend.
Fahre mein Fluch in dein Herz!
ÖDIPUS
läuft rechts ab.
DIE DIENER.
Dort hinab! Ihn fangen, ihn töten, ihm nach!

Stürzen ihm nach, ringen. – Sturm.
DIE STIMMEN
aus der Luft.
Mich reißt es aus der Luft herab,
mich wirft es aus meinem Königsgrab,
Uralte Wut fällt mich Toten an –
Ai! unser Blut rinnt aus dem toten Mann!
EIN DIENER
hat von rückwärts den oberen Abhang erklettert, eilt hinüber, fliehend.
Ah! Ein Dämon ist über uns – er tötet uns alle!

Flieht.
ÖDIPUS
von rechts unten zurückkommend, Stille.
Er steht.
Wie gräßlich mir das Wasser half,
wie mit hundert Armen!

Schaudernd.

Sie faßten mich noch und ertranken schon.
Hier muß er liegen. Ich weiß ja doch,
es ist ein fremder, alter Mann,
warum fällt dieser greuliche Wahnsinn mich an,
zu glauben, daß es mein Vater ist?
Ich muß hinkriechen und ihn berühren!

Ein Mondstrahl bohrt sich durchs Gewölk.

Es fällt ein Schein auf sein totes Gesicht!
Nur den Mut, nur die Kraft, hinzusehn,
denn er ist es ja nicht!

Er schleppt sich hin.

Fremd! fremd! bleich, fremd und bös!
Nicht bös – nur fremd – eiskalt und bleich und fremd.
Gut sind die Götter – gut! Leicht ist mein Herz!

Hebt die Hände zum Mond.

Bedankt, du Schwanenflügel, aus der Nacht
hervorgebrochen, mich zu trösten! Leicht
die Hände heb ich! Leicht wiegt die getane Tat!
Was war dies alles? Warum ist mir dies
geschehn? Geschick, betastest du mich nur?
Warum ist mir nun wohl? Soll ich dir Taten tun?
Und darf der unbehauste Ödipus
von nun in seinen Taten wohnen – ja?

Fahles Dämmern rechts unten.

Der Tag blüht auf. Die Welt blüht auf. Mein Herz
blüht auf! Kein Blut auf meinem Stab,
kein Blut auf mir! Nacht, nimm dir deinen Toten!

Der Mond verschwindet, Ahnen des Tages, Rauschen in den Zweigen.
DIE STIMMEN.
Seht den Jungen,
dem wir zugesungen:
er fliegt wie gejagt
dorthin, wo es tagt, –
er setzt sich auf des Alten Thron –
er ist unsres Blutes Sohn!

Der Vorhang.

2. Akt

Zweiter Aufzug

Vorhalle in Kreons Haus. Zur Rechten über einer Stufe liegt der Knabe Schwertträger fest eingeschlafen. Türhüter, Wärter der Hunde stehen beisammen.

KNABE
regt sich im Schlafe.
Mein Herr und König, ich will dich sehn in deiner ersten Schlacht.
WÄRTER.
Wer redet?
TÜRHÜTER.
Der Knabe.
WÄRTER.
Träumt der laut wie ein Jagdhund?
TÜRHÜTER.
Dabei schläft er so fest wie ein Toter.
KNABE.
Hörst du denn nicht, mein König! Hör doch rufen!
Ein ganzes Volk, das ruft: Kreon und Theben!
WÄRTER.
Mit wem redet er?
TÜRHÜTER.
Mit dem Herrn vermutlich. Laß ihn und heb dich.
WÄRTER.
Er nennt ihn König.
TÜRHÜTER.
Kümmerts dich!
WÄRTER.
Wird unser Herr König sein in Theben?
Daß ers werden will, weiß ich schon.
Es läuft genug Gered darüber herum.
TÜRHÜTER.
Redest du mit deinen Hunden auch so viel?
WÄRTER.
Die wedeln vor Freude, wenn ich nur den Mund auftue.
TÜRHÜTER.
Ich nicht, wie du siehst.
WÄRTER.
Gestern ists zum Schlagen gekommen
zwischen unseren Leuten und den Leuten
der Königin. Weißt dus nicht, oder tust
du nur so, als ob dus nicht wüßtest?
TÜRHÜTER
sieht ihn bös an.
WÄRTER.
Wie du einem von meinen bösen Thessalischen
mit gespaltener Nase ähnlich siehst.
Du bist der Rechte, um die Tür zu hüten.
Sie sagen, wenn sie zehnmal ein Weib ist,
so ist sie Königin und darf die Krone und
das Königsschwert behalten. Und die Unseren
schreien: Für Kreon die Krone! Sind das Sachen!
TÜRHÜTER.
Vieh!
KNABE
im Schlafe.
Ich will auf deinem Wagen stehn, mein König,
und dir die Pfeile reichen. Ich will schwelgen,
wenn du den Tod ausstreust mit Königshänden.
WÄRTER.
Hör den, der ist schon mitten drin.
TÜRHÜTER.
Ich sage, mach, daß du fortkommst.
WÄRTER.
Warum tut er das?
Warum ists ihm so um die Kron?
Ist er nicht der reichste Herr
im Land und der Bruder der Königin?
Hat er nicht einen Hundezwinger wie
kein König in Griechenland?
Ich verstehs nicht, was ihn treibt,
ich ließ' es, wenn ich er wäre.
TÜRHÜTER.
Er ließ' es auch, wenn er du wäre.
EIN DIENER
kommt gelaufen.
Sie bringen den Magier!
Halb geführt und halb getragen!
Er hat die Augen zu, sie bringen ihn.

Der Magier Anagyrotidas, von zweien geführt. Ein verstörtes, bleiches Gesicht, die Augen mit schweren
Lidern geschlossen. Kreon tritt aus dem Haus hervor, fürstlich gekleidet.
DIENER
zum Magier.
Du stehst vor Kreon, Mensch.
KREON.
Du bist der Magier?
MAGIER
mit geschlossenen Augen.
Sein Leib, mit Schwerterhieben blutend aus
dem Mutterschoß der Nacht herausgehaun,
steht hier. Fluch über deine Knechte, die
ihn vor dich schleppten.
KREON.
Meine Knechte taten,
was ich befahl. Sie packten dich im Schlaf?
MAGIER.
Fluch dem, der es befahl. Die Nacht war gut.
Die Nacht war ohnegleichen. Auf dem Leib
des Opfertieres lag ich, zuckend mit
dem Zuckenden. Aus seiner Kehle troff
das Blut. Ich mischte meinen Hauch damit,
da fuhr die Seele mir aus meinem Leib
und schwang sich auf dem Tier hinab zur Herrin Hekate.
Weh, die Gelenke schmerzen!
KREON.
Laß sie schmerzen.
Ich leg dir Turmalin und Amethyst
herum!
MAGIER.
Den göttlich Nackten rissen sie
in kalte Finsternis empor.
KREON.
In Purpur
und Byssos will ich dir die Glieder wickeln.
MAGIER.
Verflucht ihr Atem, den ich spüren mußte.
KREON.
Wolken von Ambra über dich und Duft
von Myrrhen Tag und Nacht, wenn du mir hilfst!
MAGIER
schlägt die Augen auf.
Was ists, das du begehrst?
KREON.
Muß ich dem Magier
viel reden? Mach mir meine Seele stark,
Anagyrotidas, dann fordre, was du willst.
MAGIER.
Du bist in einen großen Kampf verstrickt
um einen hohen Preis.
KREON.
Du sagst es.
MAGIER.
Tag
und Nacht hörst du nicht auf zu ringen.
Du hast mich aus dem Grab gescharrt, darin
ich lebend lag, du kannst nicht länger warten:
denn eine Kraft ist dir entgegen, stärker
als deine Kraft.
KREON.
Du hast es wiederum
getroffen.
MAGIER.
Aber nicht im Lichte wird
der Kampf gekämpft: ein Etwas aus dem Dunkel
wirkt seinen Zauber gegen dich.
KREON.
So scheints.
MAGIER.
Von nah Verwandten etwa geht es aus.
KREON.
Magier, du bist sehr klug.
MAGIER.
Für meine Augen ist
ein Menschenleib ein aufgeschlagnes Buch,
und jede Seele trägt die Miene ihres Schicksals
vor meinem Blick.
KREON.
So kannst du meinen Feind
mir sagen?
MAGIER.
Groß ist seine Kraft. Das seh ich.
Drum flackert dein Gesicht, wie dessen, der
gemartert wird. Er saugt an deiner Seele.
Er stiehlt dich von dir selber. Wo du bist,
dort bist du nicht. Der Tag, den du betrittst,
ist doch nicht völlig Tag, die Nacht nicht völlig Nacht
und gleicht von fern nur frühren Nächt und Tagen,
stets schweifst du, wie auf einem fremden Stern,
und Fremdes schweift durch dich, die Krongewalt der Seele
der eigenen, ist dir entwendet, und der Welt
Gebirg und Meer und Täler sind die Kissen nur,
die deine Seele qualvoll durcheinander wirft,
um sich zu wälzen aus dem wüsten Fiebertraum.
KREON.
Oh, du bist groß, der meine Krankheit kennt
und hat mich nie gesehen! Magier,
befreie mir die Seele, und ich lasse dich
auf einem weißen Roß mit goldnen Zäumen
nach Hause führen!
MAGIER.
Der Feind, der mit dir ringt, hat eine mächtige Seele.
KREON.
Ich nenn ihn dir, Anagyrotidas!
dann aber hilf mir: es ist meine Schwester.
Versöhne mir die Schwester, daß sie mir
die Seele freigibt und mich König werden läßt!
Sie hat mich einst geliebt, nun haßt sie mich,
die Schwester, hörst du mich? Sie ist der Dämon,
der mir die Seele aus dem Leibe saugt:
denn ich hab fürchterlich an ihr getan,
so tut sie fürchterlich an mir und zahlt.
In ihrer Hochzeitsnacht, verstehst du mich,
am Abend, da sich König Laïos
vermählte mit Jokaste, sandten mich,
den Knaben, der ich war, die hohen Priester
mit einer Botschaft. Willst die Botschaft wissen?
So fahr auch dieses hin! Dies war die Botschaft:
»Nimm, Laïos, dich in acht, eh du das Bett besteigst,
und wahre dich, denn wenn dir je der Schoß
der leuchtenden Jokaste einen Sohn gebiert,
so stirbst du auch von dieses Sohnes Hand.
Nun wähle!« Fürchterliche Botschaft, Magier,
im Mund des Kindes! Magier, es war
die Hochzeitsnacht des Königs. War die Nacht,
da er dem jungfräulichen Weibe nahte. Schwebt da nicht
die Herrin Hekate ganz nah der Erde,
wenn solch ein Königskind gezeugt soll werden?
Verflucht die Priester, die dem Kind das taten.
Aus Kindesmund den giftgen Tod hinein
zu träufeln in die Lebenssaat! Da gings
wie mit der giftgen Salbe, die Medea
zur Hochzeit der Kreusa sandte: die
zerfraß das Salbengefäß.
MAGIER.
Zerfraß das Gift
des Kindes Seele?
KREON.
Ja, du fassest mich,
so hilf mir, Magier!
MAGIER.
Ich seh durch wüsten Nebel
Die Nacktheit deines Herzens glühn, gieß aus
die Seele, wie das schwarze Opferblut!
KREON.
Durchdringen dich mit meines innersten
Geschicks unnennbarstem Gefühl, das will ich,
du großer Magier! Verlaß mich nicht,
denn heut entscheidet sich mein Schicksal, Magier.
Von dem Tag an zerfraß mein Herz und Hirn
dies Wissen: Du bist König, bis dahin
bist du das ungeborne Schattenbild
von einem König! Mensch, von Stund an waren
des Lebens Möglichkeiten abgelebt
im voraus. Welche Taten sollt ich tuen?
Sie waren alle unfruchtbar, sie rissen
die Krone nicht von Laïos' Kopf herab.
Da ließ ich meine Hände von den Taten.
Ich wanderte, mich widerte das Land,
ich ging zu Meer, da war das Meer erschöpft.
Des Weibes Lust zu voraus abgeweidet,
als hätt ich jede nackt in meinem Traum
gehabt und wiederum von mir getan.
Ein jedes Ding der Welt, ja auch der Mord,
hörst du mich, Magier, auch der Mord so schal,
als hätte ichs gekostet und dann wieder
von mir gespieen. Magier, die Götter
verglühten mir wie alte Fackeln! Ausgesogen
war das Weltall, hörst du mich?
Das hat Jokaste mir getan, ihr Blick
hat mich gefeit gegen das Leben: weil
ich ihr das Ungeborene erwürgte,
hat sie mir so gezahlt, entmannt mein Wollen,
in ungeborene kraftlose Träume mich
gejagt. Ich hab zu viel geträumt. Beschneide mir
die Träume, Magier, mit einem Messer:
denn nun ist Laïos tot,
nun müssen meine Kräfte schwellen
zum Reißen, Mensch, nun muß ich greifen können
nach Kron und Schwert, die Träume muß ich abtun:
ein König träumt nicht, eines Königs Träume
gehen aus ihm hervor und werden Taten
und thronen in der Welt. Nun muß ich blühn,
sonst faule ich! Dies ist mein Schicksalsmorgen, Zauberer,
wenn du dran stürbest, reiß mir aus der Nacht
ein Ding hervor, dran ich mich klammern kann,
ein Ding, und wär es eine Qual, nur so viel
als dem, der spielt, das Blinken des noch nicht
geworfnen Würfels ist, daraus der Abgrund
ihm grinst und auch der Himmel lächelt! Magier,
nur einen solchen Lebensblick aus der
versteinten Welt, den zaubre mir hervor,
dann bin ich König, Magier, dann fordre
die Welt von mir! Wo geht dein Auge hin,
sieh mich nicht an, als ob du mich nicht kenntest.
Die Kraft über Jokaste! Soll ich Kräuter
anzünden? Willst du einen Becher trinken,
drin Perlen aufgelöst sind? willst du baden,
und wärs in Menschenblut? Womit bezwing ich
die Schwester?
MAGIER.
Opfre, Kreon, opfre, Kreon!
KREON.
Was opfre ich? Die ganzen Herden, Magier?
Das Haus? Befiel, es geht in Flammen auf,
die Edelsteine, die Gewänder, alles?
MAGIER.
O Kreon, was du nicht gekauft hast, Kreon,
ganz unbefleckt von deiner Seele Gier
und dennoch dir gehörig, dieses opfre
geschwinde.
ZWERG
hinzuspringend.
Solch ein Ding
ist nicht auf Erden, Zauberer, du lügst.
Kreon ist solch ein reicher Fürst, die Welt
hat nicht, was Kreon nicht sich kaufen könnte;
hat er nicht mich gekauft, den schönen Zwerg,
mich, den Äthiopien geboren hat?
Die Welt ist feil für Kreon. Kreon opfert
kein ungekauftes Ding.
KREON.
Leckst du die Lippen
und eiferst Hohn auf mich? Die Peitsche her!
ZWERG
läuft fort.
KREON
zum Magier zurück.
Was greifen deine Arme in die Luft?
MAGIER.
Mein Dämon faßt mich an. Verflucht die Hände,
die mir den heilgen Schlaf zerrissen, Fluch
der Gier in meinem Herzen, daß ich kam.
KREON.
Und stürbest du, ich will die Antwort haben!
Was muß ich opfern?
MAGIER.
Kreon, sei verflucht,
aus meines Todes Schweiß heraus verflucht,
für dein und meine Gier.
Auch wenn ich jetzt nicht sterbe, sei verflucht,
daß ich den Tod vorkosten muß.
KREON.
Die Antwort.
MAGIER.
Ich sterbe.
KREON
packt ihn.
Wie bezwing ich mein Geschick?
MAGIER
stürzt zu Boden.
KREON.
Ihr Diener!

Diener kommen.

Schafft dies fort.
EIN DIENER.
Er ist nicht tot.
So lag er auch, als wir ihn holten: auf den Knien
bat uns sein Bruder, ihn zu schonen, bis
die Seele ihm von selbst zurückgekehrt.
Du hattest uns befohlen: diesen Morgen!
so schleppten wir ihn her.

Zwei tragen den Magier weg.
KREON.
Ins Haus, mir aus den Augen.
Die Welt ist übertüncht. Ich hab das Glück,
daß unter meinen Augen ihre Risse
aufklaffen und mir scheußliche Geburten
entgegenspringen. Mußt ich noch die Leiche
an meine Brust mir legen? Wie lang schlief ich
heut morgen?
DIENER.
Herr, du schliefest nicht, du warst
zu Wagen in der Stadt.
KREON.
Vergeß ich das, du Tier?
Wie lang ich nach dem Bade schlief?
DIENER.
Nur kaum
geruhet hast du nach dem Bad, die Augen
kaum zugetan.
KREON
kehrt ihm den Rücken.
Der Diener geht, sich neigend.
Die Augen kaum. Und dennoch
so maßlos widerlich geträumt. Mich alt geträumt,
mit einer wüsten Schwere in den Gliedern,
und noch nicht König, immer noch nicht König
in Theben! Was? So etwas wie ein Diener
des neuen Mannes, der dann König war.
Ich glaube, als sein Bote stand ich vor ihm
und wurde ausgescholten. Brächt ich nur
den Ton aus meinem Ohr, mit dem ich ihm
entgegnete, ein ekler Ton, ich glaub
ich habe sein Gewand mit meinen Händen
demütig angerührt. Verfluchter Traum!
Und wie ich das Gesicht des fremden Menschen
in mir nicht wiederfinde. Wenn ich glaub,
da ists, dann nimmts von Laïos Züge an,
ist eine Art von jüngrer Laïos, ist
ein Laïos, der wiederkam! Wer bin ich
wenn ich voll Stoff zu solchen Träumen bin?
O bodenloser Abgrund, wenn das Zeugende
des tief geheimen Denkens mir zu innerst
mit solcher Unkraft mir vergiftet ist
und in so fahlen Träumen seinen Atem
ausläßt, daß mir vor Ekel übel wird.
DER KNABE
schnell aufstehend.
Herr, was befiehlst du mir?
KREON.
Schlaf fort, das junge Blut
braucht seinen Schlaf.
KNABE.
Heut nicht. Ich schlief auch nicht.
KREON.
Du schliefst nicht?
KNABE.
Nein, doch Herr, ich lehnte hier:
dein Schritt ist wie des Panthers, und ich habe dich
gehört den Gang herüber aus dem Bade.
Schlief ich im Stehen?
KREON.
Ei, war niemand hier?
KNABE.
Kein Mensch.
KREON.
Ach!
KNABE.
Herr, du seufzest?
KREON
vor sich.
Eine Nacht
voll solchen Schlafs.
KNABE.
Wie sollt ich schlafen können
nach einer solchen Nacht! Herr, du bist bleich
nach einer solchen Nacht!
KREON.
Was weißt du, Knabe,
von meinen Nächten?
KNABE.
War ich nicht mit dir?
O was für eine Nacht, Herr! Einen König
hat sie gemacht und hats gewußt und funkelnd
und blinkend sich gebrüstet, daß sies wußte.
Und wo du tratest in die Häuser, Herr,
da schlug das Dunkel vor wie eine Mähne,
und aus dem Dunkel hob sich Wind und rauschte
und deckte das Geheimnis zu. Die Sterne wollten
aus ihrer Fassung brechen, um herab
zu stürzen in dein Diadem. Ich lag
bei deinem Wagen vor den Häusern, fliegend
in Fieber.
KREON.
Knabe, wenn ich König bin,
so laß ich deinen Namen in das Gold
des Weinpokales graben, draus ich trinke
zu Abend.
KNABE.
Und ich horchte in das Raunen
und Rauschen in der Luft, die königlich
dein Schicksal wob, und wenn ein dumpfer Laut
hervordrang aus den Häusern, wußte ich,
nun fallen Männer, fürstliche, vor dir
zur Erde, ihrem König sich zu weihn.
Mit dieser Nacht hast du vorausbezahlt
den Pfeil, der mich in deiner ersten Schlacht
ins Herz mag treffen, Herr, und wenn er kommt,
sink ich von deinem Wagen in den Tod
und lache, wie der Schwimmer, der vom Kahn
sich gleiten läßt ins Wasser, weil er satt ist
die Lust des Fahrens.
KREON.
Könnt ich seine Worte
für einen Morgentrunk in meine Seel
mir trinken. Ah, durchlöchert ist der Becher,
nichts kommt in mich.
KNABE.
Herr, ich hör einen laufen,
ein Bote, Herr. Hierher, hierher!
KREON
vor sich.
Was kann da werden? Hat ein Sieger je
an seinem Königsmorgen so geträumt?
ERSTER BOTE
hereinstürzend.
Wer weist mich zu dem Fürsten? Wo im Hause
find ich den Kreon, der heut König wird?
KREON
hervortretend.
Was bringst du ihm?
BOTE
fällt vor ihm nieder.
Ein ungeheures Glück.
Die Worte sind zu arm, du großer Fürst.
Vom flachen Land komm ich hereingeflogen:
es sammeln sich die Hirten deiner Herden,
die Knechte sich im Wein- und Ackerland
und sie ergreifen Winzermesser und
sie binden Sicheln an die Hirtenstäbe:
es sind Sendboten durchgeritten überall.
KREON.
Sendboten?
BOTE.
Weiß auf schaumbedeckten Pferden.
KREON.
Geschickt von mir?
BOTE.
Von dir? Von Göttern scheints
gespornt und ausgespieen von der Erde!
Es heißt, durch eines deiner Dörfer hat man
die Dioskuren selbst jagen sehn
und rufen hören: Waffnet euch, ihr Männer,
für Kreon! Waffnet euch und zieht hinein,
ihm helfen!
ZWEITER BOTE
schnell auftretend.
Botenlohn, mein großer Fürst,
ich bin Agathokles, der Tagesläufer,
und bring die Krone dir von Theben, Kreon,
im Mund getragen.
KREON.
Laß sie fallen, Freund.
ZWEITER BOTE.
Die Stadt ist auf, das Schifferviertel brennt,
und wie mit Nackten und mit Schreienden
der Fluß und Strand sich füllen, von den Brücken
da schreits herab: Laßt eure Häuser brennen,
ihr Schiffer, Kreon wird euch Häuser geben!
Auf, die ihr keine Häuser habt, zu Kreon,
der König sein soll!
KREON.
Und wie wirkt das Wort?
ZWEITER BOTE.
Wie's wirkt? So, daß sich aus dem Löwentor
Zehntausend wälzen, ehe eine Stunde
vergeht, um dort vor jener Königsburg
für dich zu pochen, Herr!
DRITTER BOTE
auftretend.
Was immer diese melden, König Kreon,
heiß sie zur Seite stehn und warten, ich
allein bin wert, gehört zu werden.
KREON.
Bursche,
du grüßest vorschnell.
DRITTER BOTE.
Nein, ich grüße richtig,
denn aus der heilgen Straße komm ich keuchend:
da wälzt sich dir ein unerhörter Zug,
ein unabsehbarer von Priestern, Kreon,
und dieses singen sie: Seht euren König,
ihr heiligen Thebaner, der die Sphinx
vertreiben wird aus ihrer Kluft zu Harma,
und Kreon ist sein Name.
KNABE.
O mein König,
ich fühle wie die Züge sich begegnen!
In meiner Brust, geliebter Herr, begegnen,
einander sich die drei, wie Flüsse dröhnend!
Verfärbst du dich?
KREON.
Vor Ekel über dich
schmeichelnde Kröte, lügnerische.
KNABE.
Ich
dir lügen?
KREON.
Wie soll dies geschehn können
jemals, daß diese glatten Künste, diese
erbärmlich mühsam ausgesonnenen,
Gewalt bekommen, wirkliche, das Volk
empor zu reißen zu der Königsburg,
auf daß sie mich zu ihrem König machen,
mich, dessen Herz sie minder kennen als
die Klüfte des Kythäronbergs da drüben?
KNABE
zu den Boten.
Ich bitt euch, geht, der Herr, ihr seht, ist unwohl.
Im Hause seid so gütig, Freunde, wartet.
Man ruft euch wieder.
ZWEITER BOTE.
Herr, bei meinem Kopf,
ich hab dir wahr geredet.
KNABE.
Geht nur, geht,
wer zweifelt!
ERSTER BOTE
in der Tür noch zu Kreon.
Wie ich sagte, Herr, die Deinen
unzählbar wimmeln aus dem flachen Land
gewaffnet.
KREON.
Auch die Dirnen?
ERSTER BOTE.
Wie, mein Fürst?
KREON.
Ich meine, ob die Dioskuren auch
Kuhdirnen sich bewaffnen hießen, mir
die Krone zu ergattern?
KNABE.
Geht, man ruft euch.

Drängt sie ins Haus.
KREON.
Was starrst du so auf mich? Da du ja weißt,
daß ich dies alles ausgesonnen habe,
da du ja weißt, aus welchem Stoff dies alles
gebildet ist! Wie kannst du jubeln, Schlange,
wenn du vernimmst, daß nun die Sonne das
soll sehen, was der bodenlose Abgrund
heraufschickt, der die fahlen Träume mir
gebiert! Dies alles ist die Kreatur
meines Verlangens: Knabe, wo war Kraft in dem Verlangen?
Verflucht, was da erbärmlich sich hinaufschleppt:
ich wills erwürgen, eh die Sonne es bescheint.
Mich graust, ich will nicht vor den Spiegel treten,
in dem ich ganz mich sehen muß!
KNABE.
Mein König!
KREON.
Ja, wirst du fahl, wird alles fahl, worauf
mein Auge fällt? Muß ich mit jedem Blick
die Leichen sehn in übertünchten Gräbern?
Tritt ab!
KNABE.
Herr, fürchterlich versuchst du mich,
Doch du versehrst mir meine Seele nicht.
Hör ich dich reden, daß das Blut mir friert,
so denk ich: träumend mußt du nieder, wie
das Niedrige empor sich träumt, und säh ich
dich tun mit den Händen eine Tat
des Grausens, säh ich dich in Schmach und Leiden
dich wälzen, dann noch schriee es in mir:
so müssen Könige ihr Diadem aufwiegen,
und würfe mich vor deine Füße hin.
KREON.
Wie klug du lügst.
KNABE.
Veracht mich nur, was hab ich
vor dir getan!
KREON.
Ah, schminkst du dich mit Tränen?
Man kann sich auch mit Taten schminken, also
warum mit Tränen nicht? Sag mir, womit
hab ich denn dich gekauft? Ists mit dem Glanz
des Königsschwertes, das du vor mir her
willst tragen? Mit dem Platz an meiner Seite
in meinem Wagen? Füllen die die Seele dir
bis an den Rand?
KNABE.
Du hast mich nicht gekauft,
es sei denn damit, daß du Kreon bist
und ein geborner König. Sieh, das kann ich
beweisen, Herr, mit einer Schrift, die mir
auf meiner Brust geschrieben ist.
KREON.
Die Narbe
hier überm Herzen
KNABE.
Ja! Die ist aus einer Nacht,
da lagen wir auf unsren Knien in Theben,
und in das Dunkel sangen zu den Göttern
die Priester. Trug der Nachtwind dirs herauf?
Denn alles dieses war um deinetwillen.
KREON.
Wars die Nacht,
da ich die Sphinx bestehn ging?
KNABE.
Die Nacht.
Mit einem Mal erloschen alle Lichter,
und alles Singen wurde still, und alle beteten für dich,
mir aber schien mein Beten zu gering,
denn es bestand nur aus Gedanken, zwar
aus glühenden, doch haftet auch Gedanken
noch von der Nichtigkeit der Worte an.
So griff ich nach dem kleinen Messer, das ich
im Gürtel trug, und ließ mein Blut hinfließen
für dich.
KREON.
Und ich, bevor der Morgen graute,
bin ich zurückgekehrt, unfruchtbar war
mein Gang und dein Geopfertes vergeblich.
Ekelt dich nicht?
KNABE.
Die Götter wolltens nicht
in jener Nacht. Sie gaben dir ein Zeichen:
sie ließen deines Fackelträgers Fuß
ausgleiten und er stürzte in den Abgrund,
so mußtest du zurück. Doch, siehe, ich,
ich wußte nicht, daß ich im Leben noch
die Augen würde auftun, und ich wußte nicht,
daß dein Schwertträger lag, wo nur die Geier
ihn fänden!
KREON.
Midas bin ich, Midas, Midas,
dem was er anrührt scheußlich sich verwandelt!
Ich hab auch dich gekauft, schwachsinn'ger Knabe,
es waren nicht die Götter, die den Mann,
der mir die Fackel trug, in Abgrund stürzten.
KNABE.
Auf einem solchen Wege strauchelt keiner
von ungefähr.
KREON.
In seinem Rücken steckt mein Dolch.
KNABE.
Sag nein!
sag, daß du mich nur prüfst! Wenn du ihn haßtest,
warum dein Schwert ihn tragen lassen?
KREON.
Knabe,
ich weiß nicht, ob ich ihn gehaßt hab oder
geliebt. Doch wie er damals vor mir herging,
so fühlte ich, daß er in seinem Herzen
nicht glaubte, daß ich siegen würde, hörst du?
Ich fühlte es an seinem Schritt, ich konnte
es seinem Rücken ansehn, – da erstach ich ihn.

Der Knabe verhüllt sich das Gesicht.
KREON.
Wenn er als Fackelträger vor mir herging
und mich im Innern preisgab, war er da
nicht ein Verräter?

Der Knabe zittert.
KREON.
Schweigst du mir? Du meinst, entscheiden
darüber könnte einer nur, der wüßte,
ob er im Herzen ein Verräter war
an mir – vielleicht in seinem Herzen litt er
an seinem Zweifel. Sieh, ich sage dir,
wer so ist, dem ist besser, nicht zu leben.
Einfache Seelen sollen leben, Knabe.
Nun, Knabe, willst du noch Kreons Schwertträger sein?
KNABE
auf der Erde.
Laß mich.
KREON
über ihn gebeugt.
Hab ich dich Furcht gelehrt, und gingest immer
wie einer, den vom Rücken nichts bedroht,
Beneidenswerter!...

Eine Stille.

Also doch gekauft,
gekauft ums Leben dessen, der vor dir
mein Schwert trug...

Eine Stille.

Und mir ist, als hätte etwas mir
die Hand geführt bei dem lautlosen Stoß:
vielleicht war das dein Dämon, Knabe. Knabe,
hast du nicht ein begehrlich Spiel gespielt,
die Nacht mit deinem Blut?

Geht weg zur Tür.
KNABE
sich aufrichtend.
Weh, bleib ich nun bei dir,
so denkt dein Herz, du habest mich gekauft
mit deines Schwertes Glanz und mit dem Platz auf deinem Wagen.
KREON
an der Tür.
Hörst du, wie die uralten Totenlieder
um Laïos aus allen Mauern dringen?
Die Königin ist stark, verlaß mich, Knabe,
wer klug ist, läßt ein Schiff, das sinken soll.
KNABE
steht auf, gebrochen.
Dein Blick ist traurig, Herr, wie ich ihn nie
gesehen habe. Über einen Abgrund
von Qualen kommt er mir herüber. Herr,
wie wenig kenne ich dein Herz! ich fühle,
du kannst hier sein und anderswo. Mein König,
wo bist du?
KREON.
Immer wo ich nicht sein will,
einfache Seele du. Was gäb ich drum,
bei dir zu sein, den ich erkauft mir hab,
und bin, ich glaub, bei dem, der tot ist, der
im Abgrund dort verwest.
KNABE.
Herr, deine Seele
ist krank, mein König.
KREON.
Und doch könnt ich dich
mehr lieben, als ich jemals ihn geliebt.
Allein ich glaub, er gab mir größre Kraft,
wenn er bei mir war. Wär er jetzt bei mir,
mir ist, ich stünde nicht von meiner Unkraft
geschüttelt hier, mir ist, wär er bei mir,
ich läg und schliefe jetzt und aus dem Schlaf
mich wecken kämen sie und legten mir
die Krone auf mein Bett.
KNABE.
Mein Herr und König,
in deiner ersten Schlacht will ich auf deinem Wagen stehn,
mit offnem Hals und unbedecktem Haupt
und mich für dich dem ersten Pfeil hingeben.
KREON.
Ist das die Luft, in der ich siegen kann?
Wie sie die unheimlichen Totenlieder mir
herüberjagt zum Hohn!
KNABE.
Die Lieder sind
um Laïos, der König war vor dir.
KREON.
Ganz recht, warum zog Laïos hinaus
und ließ die Lanzenträger hinter sich?
Wem hält das Weib die Burg? Für wen bewahrt sie
Stirnreif und Schwert?
KNABE.
Das Volk von Theben pocht
ans Tor für dich.
KREON.
Verdammter Widerhall
kraftloser Wünsche. Nirgends aus der Luft
schwingt sich ein Helfer mir und wär es nur
ein Fächeln, nur ein Hauch. Wie ausgesogen
das Weltall. Zog er nicht hinaus wie einer,
der Platz zu machen geht? Für wen? Ich muß sie fragen.

Will fort.
KNABE.
In einer Stunde, Kreon, bist du König,
dann frag.
KREON.
Jetzt muß ichs wissen, blöder Knabe,
jetzt oder nie. Sie thront und ist ein Dämon
voll Kraft und höhnt mich mit den Totenliedern,
sie hält mein nacktes Schicksal in den Händen.
KNABE.
In deinen Händen ist dein Schicksal, Kreon.
KREON.
Schweig mir! Warum zog Laïos in den Tod?
Es gibt keinen Gedanken auf der Welt, als diesen.
KNABE.
Weil Laïos in seinen Tod hinauszog,
um dessentwillen kannst du König sein,
eh diese Sonne sinkt.
KREON.
Blödsichtger Knabe, eben
weil dies auf meinem Weg so lächelt, darum
atmet es mein Verderben!

Stürzt hinaus.
KNABE.
Kreon! Kreon!
Er hört mich nicht – Ich bin ihm nichts. Das Weltall
stockt rings um ihn. Er glaubt an keinen Menschen.
Kein Weg zu ihm. Ein Weg ist immer: einer –
vor dem mich schaudert, dieser ist der meine,
der einzige, – sonst bin ich nichts, verworfen,
ein Scherben.

Zieht ein Messer.

Kreon,
du sollst den Dämon haben, der sich dir
herniederschwingt aus leerer Luft und Kraft
in deine Seele fächelt, o mein König! ...
Man kann sich auch mit Taten schminken. Gräßlich,
daß mir das einfällt. Fort, das ist ein Wirbel,
der mich nicht packen darf. Ich muß mich haben.
Jetzt darf ich schnell mich geben.

Geht ins Haus.
VIERTER BOTE
kommt eilig.
Kreon! Kreon!
FÜNFTER
kommt.
Die Schiffervorstadt brennt, zehntausend schreien
nach einem König. Wo ist Kreon?
VIERTER.
Kreon!
FÜNFTER.
Ins Haus, dies hat nicht Zeit!
VIERTER
in der Tür.
Hier liegt ein Mensch.
FÜNFTER
bei ihm.
Sein Knabe? Schläft der hier?
VIERTER.
Ich bin voll Blut.
FÜNFTER.
Der Knab ist tot!
VIERTER.
Er ist noch warm, doch jetzt
ist nicht die Stunde, dies zu melden.
SECHSTER
kommt eilig.
Kreon!

Verhangenes Gemach im Palast. Halbdunkel. Links führen Stufen zu einer türlosen Öffnung in ein anderes, höher gelegenes Gemach.
Jokaste tritt herein. Im gleichen Augenblick tritt oben auf der Schwelle des Nebengemachs Antiope hervor. Ihr greises Gesicht ist blutlos weiß; ihr dunkles Gewand verfließt in der Dämmerung des Raumes. Sie stützt sich auf einen Stab.
Im Augenblick, da Jokaste hereintritt, hört man sehr stark den Gesang der Totenklägerinnen im Hause. Dann dämpft er sich sogleich, als wären Türen zugefallen.
JOKASTE.
Schläfst du, Mutter?
ANTIOPE
von oben, wo sie bleibt.
Meine Augen schlafen, aber mein Herz ist wach.
Was singen die?
JOKASTE.
Die Totenlieder, Mutter,
um Laïos, deinen Sohn.
ANTIOPE.
Und du klagst nicht?
Du liegst nicht an der Erde? Dein Gewand
ist nicht zerrissen?
JOKASTE.
Meine Frauen haben
die Brüste sich zerschlagen. Hörst du nicht,
wie das Gewölbe schallt von ihren Klagen?
Sie wälzen für mich ihren traurigen Leib auf der Erde,
in mir ist alles auf Tod und Trauer gestellt –
was brauch ich die Zeichen?
Was frommt mir die Gebärde?
ANTIOPE
böse.
So große Kräfte sind in deinem Blut,
du Königin, die große Priesterin –
wer ergründet deinen königlichen Sinn!
was brauchst du die Toten zu ehren!
JOKASTE.
Was willst du, Mutter, von mir?
ANTIOPE.
Wehe denen, die unfruchtbar sind!
JOKASTE.
Mutter, du hast zu lange gelebt –
so warst du fruchtbar und bist es nicht mehr,
deine gesegneten Hände sind heute wieder leer,
kinderlos ist wieder dein Schoß.
Und der Wind gehet um dich herum
so wie um mich.
ANTIOPE.
Wehe über dich, daß es so ist!
Dein Wort kehrt sich wider dich,
indem es aus deinem Munde geht.
JOKASTE.
Mutter, was willst du von mir?
ANTIOPE.
Laïos, meinen Sohn, will ich von dir!
Gib mir ihn wieder!
JOKASTE.
Mutter, er war mein Mann. Wer hilft mir?
ANTIOPE.
Ich stand aufrecht, als sie aus Königsschlachten
meinen Mann und meine Brüder brachten.
So wie Laïos starb, dürfen Könige nicht sterben:
vor der Zeit bleichte sein Haar,
mit Netzen umstellte ihn, daß ich es sah,
ein langsames Verderben.
Gib mir ihn wieder!
JOKASTE.
Mutter, komm zu dir! Ich bin seine Frau.
ANTIOPE.
Wer die Unfruchtbare zu sich nimmt,
auf den blicken die Götter ergrimmt.
Er schläft mit ihr, er teilt mit ihr sein Brot, –
so ißt er sich den langsamen Tod.
Er atmet den Fluch in sein eigenes Blut,
er wird des Lebens nimmer froh –
wehe!
JOKASTE.
Mutter, von wem redest du so?
ANTIOPE.
Du warst seine Frau? So höre mich an,
die ich auch eine Königin bin.
Ich weiß die Gesetze und die Gebräuche und ihren Sinn.
Königen sind ihre Frauen gegeben,
damit das, was königlich war an ihnen,
an ihren Seelen und ihren Mienen,
ihre Königsgedanken und Königsgebärden,
unter den Völkern weiterlebe:
wo ist das Ebenbild, geprägt in deinem Schoß,
darin ich königlich und groß
meinen Sohn wiedersehe?
Bring ihn doch, daß ich mich freue seiner Nähe!
JOKASTE.
Mutter, laß uns jede in ihre Kammer gehn
und um die Toten weinen.
Aber es sind nicht alle Dinge auf Erden
so wie sie scheinen.
ANTIOPE
schweigt haßvoll, wendet sich aufgestützt halb ab.
JOKASTE
die Hände zu ihr hebend.
O Mutter meines Königs und Erlauchte,
wie glich mein Gatte dir an Stirn und Aug.
Ich neige mich vor dir, die du ihn mir
geboren hast.
ANTIOPE.
Warum zog Laïos,
mein Sohn, hinaus? Ich weiß, du kannst nicht lügen,
so sag es mir. Ertrug er nicht das Haus,
das ohne Kinder war, und widerte
dein unfruchtbares Bette seinem Herzen,
daß er hinzog mit wenig Knechten, so
wie einer, der den Tod nicht meiden will?
JOKASTE.
Wer meidet seinen Tod? Nach Delphoi zog
dein Sohn zum Gott –
ANTIOPE.
Im Herzen welche Bitte,
die, ehe sie ans Licht kam, ungesprochen,
ermordet ist mit ihm zugleich?
JOKASTE.
Du fragst?
Die Sphinx! Erträgt ein König das?
ANTIOPE.
Du teilst sein Bett; du sagst, das war der Grund?
JOKASTE.
Seitdem der Dämon sich zum Nest gewählt
die Höhle dort und singend Männer würgte,
kam Nacht für Nacht kein Schlaf in unsre Augen,
wir saßen aufrecht da und lauerten,
und gräßlich wars zu hören – gräßlicher
die Stille. Unsre Blicke mieden sich
und unsre Lippen blieben zu – allein
wir dachten nur das Eine.
ANTIOPE.
Warum zog
der König nie hinaus und brachte Opfer
und übte heilge Bräuche vor der Höhle,
darin sie haust?
JOKASTE.
Dies ist – vielleicht geschehn –
vielleicht hat Laïos ein sehr großes Opfer
gebracht in einer finstern Opfernacht.
ANTIOPE.
An welchem Ort?
JOKASTE.
Die Götter selber wählen
den Ort.
ANTIOPE.
Allein der Dämon lebt und mordet!
So war dies Opfer nicht genug.
JOKASTE.
So scheints.

Für sich.

Ich sag mirs selbst – nun sagt sies auch. Leb wohl.
ANTIOPE.
Leb wohl? Du bleibst ja hier. Und ich – auch ich –
Meinst du, ich stürbe schnell dem Sohne nach,
und sagst mir Lebewohl? Allein ich lebe.
Und wenn mich dies nicht in die Grube warf,
so steh ich fest: uralte Götter nähren
mein altes Blut, die Nacht und andere,
zu denen ihr zu wenig betet. Ich
bedarf nicht Schlafes. Meine Augen sehen
die Nacht, auch wenn es tagt, so wie wer tief
genug in einen alten Brunnen stieg,
die Sterne auch am hellen Mittag schaut.
Ich lebe halb im Leben, halb im Tod.
Die ich geboren habe, sind dahin.
Der erste war ein schönes Kind: ihn zog
ein glitzernd helles unschuldsvolles Wasser,
ein liebliches hinab, – da war er tot.
Der zweite war ein kühner, wilder Knabe:
er legte Feur an seiner Feinde Stadt,
und Feur verbrannte seinen Leib. Der dritte –

Sinnt nach.

der dritte war dein Mann, er fuhr die Straße
durch fremdes Berggeklüft in Nacht und Wind
und kam nicht mehr zurück. Ich aber lebe.
Was ich dahingab an den offnen Tag,
ist mir zur Nacht geheim zurückgekommen.
Mir ist, ich überlebe auch noch dich.
JOKASTE
vor sich.
Das kann leicht sein.
ANTIOPE.
Obwohl du dastehst funkelnd
von innen und bezeichnet bist mit Zeichen
des Lebens – so wie Laïos für mein Aug
die Todeszeichen trug. – Doch was mich hält,
ist gleich geheimnisvoll wie das, was lebt
in dem Rubin, dem einzigen, der mitten
im königlichen Stirnreif stizt und nachts
viel stärker als am Tage glüht, und stoß ich
einmal die Nahrung und den Trunk zurück,
so leb ich dann vielleicht noch Jahr und Tag,
im Dunkel kauernd, von den matten Blitzen
des Königsschwerts, das dort am Nagel hängt.
Von diesem Stab löst meine Hände nicht
der Tod: es muß ein Gott und ein Geschick
des Weges kommen und mir aus den Händen
ihn winden.
JOKASTE.
Ja, du redest zu den Göttern
wie zu verwandtem Blut. Du ringst mit ihnen
wie eine Riesenfackel mit dem Sturm.

Für sich.

Ich brenne mit so schwacher Flamme, käme
ein Kind, das irgendwo im Schatten steht,
es könnte sie ausatmen. Mutter – Mutter –
wie gleichen deine Hände, wenn sie so
den Stab umklammern, Laïos' Händen! Mutter –
er war fürwahr dein Sohn. Mit solchen Händen
hielt er das Königsschwert, mit solchen faßt' er
das Diadem – umschlang er meinen Leib – –

Vor sich, halb unbewußt.

mit solchen Händen griff er nach dem Kinde – –
Weh, Mutter, hörst du mich?
ANTIOPE.
Ich höre dich –
du sprachst von Laïos, meinem Kind.
JOKASTE.
Ich sprach
von Laïos und einem Kind!
ANTIOPE.
Du hast ihm
kein Kind geboren. Weh den Unfruchtbaren!
Sie tragen einen Fluch!
JOKASTE.
Dich schaudert nicht,
wenn du bedenkst, was du geboren hast?
ANTIOPE.
Ich trug von einem König Könige!
Fort mit der Kinderlosen, aus dem Bette!
JOKASTE.
Mich würde schaudern bis ins Mark, zu denken,
daß ich die Mutter eines Menschen bin.
Weh, Mutter von Dämonen! Schuld und Qual
aufhäufend maßlos! Wo sind Grenzen? Wie
entsühnst du dich? Wie legst du an die Kette
das rasende Begehren? Wann erlischt
der Brand, der springt und springt und was er anfällt,
verzehren will! So fleh doch um ein Ende!
Was einer leiden kann, ist ohne Maß!
So segne doch die Götter, daß sie gnädig
mit ihren Füßen ausgetreten haben
das Feuer rings um dich, das fressende
aus deinem Leib, und dich mir gleich gemacht.
Nun atmet reine Luft um dich herum,
und stirbst du nun, so kommst du ganz zur Ruh.
Wohl dir und mir!
ANTIOPE.
Fluch über deine Zunge!
Auf, meine Söhne! Auf, du aus dem Wasser –
du aus dem Feuer – du aus frischem Grab!
Auf! Her zu mir! Und treibt das Weib hinaus!
Sie höhnt mich, daß ich fruchtbar war, und prahlt,
die nichts geboren hat.
JOKASTE.
Ich hab geboren.
ANTIOPE
böse.
Beinahe hättest du. Allein den Atem
ihm mitzugeben, das hast du vergessen.
So kam es tot zur Welt und tauschte nur
ein Grab mit einem Grab.
JOKASTE
finster.
Es hat gelebt.
ANTIOPE.
Das stolze Kind! Wie viele Augenblicke?
Denn Stunden warens nicht.
JOKASTE.
Es hat gelebt,
solang, als diese Hände da zu leben
ihm gönnen wollten.
ANTIOPE.
Diese?
JOKASTE.
Oder die
des Sohnes. Denn es sind die gleichen.
ANTIOPE.
Was
für Reden sind das? – Dunkle jedenfalls.
JOKASTE.
Die Tat war mehr als dunkel. Sie hat Nacht
für immer ausgeschüttet über mich
und über ihn.
ANTIOPE.
Ich höre, wenn du willst,
oder ich lasse dich und gehe fort.
Für Rätselreden ist mein Kopf zu alt.
JOKASTE.
Stammutter alles dieses Unheils du,
so hast du nicht zur Grube fahren dürfen,
bevor auch dieses Letzte, Tiefverborgne
noch, wo es lag und über ihm, gewälzt,
die Qual von Jahren, unaufhaltsam sich
ans Freie windet und hinüberkriecht
in deinen Leib, wie, wenn es Abend wird,
die Schlangen zu der alten Höhle kehren.
Denn ohne daß ich mich bezwingen kann,
tritt es aus mir hervor – als stiege unten
in meine Seele unaufhaltsam, lautlos
wie dunkles Wasser schon der Tod und jagte
ans Freie, was da wohnt.
ANTIOPE.
Ich steh und höre.
JOKASTE.
Aus meinem Schoß das Kind, das schöne Kind,
mit Augen tief und strahlend, mit dem Hauch
des Lebens rings um seinen Leib – das starke,
lebendige Kind – mit seinen beiden Händen
hat Laïos es erwürgt!
ANTIOPE.
Sie ist von Sinnen!
Jokaste, komm zu dir!
JOKASTE.
Ich bin bei mir.
Erwürgt mit eignen Händen oder fort
getragen und dem Knecht gegeben, der
es töten mußte. Ist nicht dies wie jenes?
Weh mir! Wie er es griff, das sehen noch
die Augen da – dann wurde Dunkel – Dunkel!
Und als ich zu mir kam, da stand er da
an meinem Bette, Laïos, – da wars
vorbei.
ANTIOPE
schweigt.
JOKASTE.
Hörst du mich, Mutter? Tot
war mein lebendiges Kind!
ANTIOPE
schweigt.
JOKASTE.
Bist du von Stein?

Nach einer Stille.
ANTIOPE.
Warum hat Laïos, mein Sohn, der König,
das Kind aus deinem Schoß mit eigner Hand
hinrichten müssen? War es nicht sein Blut,
er hätte dich gerichtet mit dem Kinde.
Ich kann nicht sehn im Finstern. Rede du.
JOKASTE.
Willst du es bis zur Neige trinken? Du
bist stark. Als ich vermählt mit Laïos war,
des Tages ward mein Leib gesegnet – oder
vielmehr verflucht – mit einem Kind. Da sandte
der König diese Botschaft an die Priester:
sie sollten kommen und die Bräuche üben
und weihn in meinem Leib das Ungeborne.
Sie kamen nicht. Sie sandten eine Botschaft
zurück, und nicht durch einen Herold – nein!
Kreon, dem Kinde, meinem Bruder, legten
die Gräßlichen in seinen Mund, zu melden,
was gräßlich war: Der König hüte sich
und stehe an dem Bette seiner Frau,
gewappnet und mit einem nackten Schwert,
wie vor der Höhle, draus sein schlimmster Feind
hervorzubrechen lauert. Ists ein Knabe,
den ihm die Königin gebiert, und wird
der Knabe Mann, erschlägt er seinen Vater
und setzt sich auf den Thron.
ANTIOPE.
Du standest nah,
als Kreon, der ein Kind war, deinem Mann
die Botschaft brachte?
JOKASTE.
Nein. Ich war so selig
in dem, was mich erwartete, ich lebte
und wusch mich in den heiligen Gewässern,
und daß der König bleich und finster wurde,
ich sah es kaum. Bis einmal, eine Nacht,
da trat er an mein Bette, und sein Atem
ging wie der Atem eines fremden Mannes,
daß ich erschreckt ihn rief bei seinem Namen:
da sagte er es mir.
ANTIOPE.
Was dann?
JOKASTE.
Ich betete,
daß es ein Mädchen würde. Tag und Nacht
rang ich in mir mit dem, was dunkel ist,
mit dem, was keinen Namen hat. Es waren
die Qualen alle ganz vergeblich. Einsam
im Berggeklüfte steht ein Turm – dort bracht ich
ans Licht, was nicht im Lichte bleiben durfte.
ANTIOPE.
Du sagst, zu töten gab ers einem Knecht?
Mitwisser war der Knecht. Er durfte schwerlich
am Leben bleiben. Was geschah mit ihm?
JOKASTE.
Das weiß ich nicht. Doch hätte ich gehört,
er habe diesem einen andern nachgeschickt,
der stärker war, ihn zu erwürgen
und irgendwo geheim ihn zu verscharren,
ich glaubte es. Wer dieses Eine tat,
tut vieles und schreckt nicht zurück vor Blut.
ANTIOPE.
Recht war und klug und so, wie sichs geziemt
für einen König, war, was Laïos tat.
Auch mit dem Schicksal ringt ein König noch
Brust gegen Brust.
JOKASTE.
Nein! nein! nein! Ihr – ihr wohl.
Ihr tuts! Mit fürchterlichen Händen greift
ihr in die Welt. Allein was frommt es denn?
Nützt denn das blutge Opfer? Haben wir –
wir zwei, er, der mein Herr und König war,
und ich, ein halbes Kind, und alle beide
vom Blut der Götter, haben wir nicht da
dem Leben so geopfert, wie niemals
zuvor geopfert wurde? – Und dafür
hat uns das Leben angeschaut, als wäre
es über unsrer Tat erstarrt und müßte
mit Blicken, unter denen unser Mark
gefror, uns zahlen, daß wir ihm zu wild
gedient. Oh, hätte Laïos mich gehört
und mich und sich dem Tod geweiht, anstatt
des Kindes – oh, ich hätt ihm geben können,
was nun vergraben blieb! – die Sterne hätten
in uns gebebt, die dunklen heilgen Flüsse
in uns hineingerauscht, wir wären ganz
allein gewesen auf der stummen Welt –
allein! – wie hätte ich mich geben können!
Wie eine Göttin einem Gott! – Er aber,
er war dein Sohn und rang mit seinem Leben
und rang und rang, ich sah ihn bleicher werden
und finstrer, sah ihn leiden – litt ich denn
nicht auch? Ich weiß es kaum. Ich zog mich so –
so aus dem Leben, wie man seinen Leib
aus einem Bade zieht, kaum daß der Fuß
noch drinnen ist – ich war ganz abgelöst,
und in mir dacht es nicht: dies muß ich leiden,
nein: solche Leiden gibt es in der Welt,
so leiden Königinnen, dachte ich,
als säng es einer, und ich hörte zu.
ANTIOPE.
Dies ist ein Zeichen, daß die Götter dich
umgeben haben wie mit einer Wolke
und aufgespart für was noch kommen soll.
Jokaste, wie ich nie dich sah, so seh ich
dich nun.
JOKASTE.
Nun kommt nichts mehr. Nein, Mutter, sie
betrügen nicht, die Götter! Nun ists doch
das Kind, das seinem Vater hat den Tod
gegeben. Freilich nicht mit eigner Hand,
das arme Kind – es wohnt ja nicht im Licht.
Doch einen Herold hats zuerst geschickt,
der nistete sich ein, von wo sein Singen
zum Vater und zur Mutter drang, sooft
sie schlafengehen wollten.
ANTIOPE.
Redest du
dies von der Sphinx?
JOKASTE.
Ich rede von der Sphinx.
Die Mutter kennt die Boten, die das Kind
heraufschickt aus der finstern Weit da drunten.
ANTIOPE.
Es waren Räuber, die den König schlugen,
und nicht die Sphinx.
JOKASTE.
Doch wars die Sphinx, die trieb
ihn hin, dort in das fremde Berggeklüft,
und dort sprang sein Geschick ihn an. Der Räuber
war nur der mißgestalte niedre Sklav
für einen, der im Dunkel stand. So schlug
das Kind den Vater. Doch sein Bote wartet
noch immer dort. Ihm fehlt noch immer etwas
zu seiner Botschaft, die er melden soll
dort drunten.
ANTIOPE.
Wie sie alle Zeichen deutet –
wie richtig und wie falsch!
JOKASTE.
Hörst du mich, Mutter?
Wo bist du?
ANTIOPE.
Wie das Dämmernde erglüht
von ihrem Blut! wie stark die Lebensflamme
sich hebt!
JOKASTE.
Was sagst du, Mutter?
ANTIOPE.
Wie du strahlst!
wie du den Gott herbeiziehst!
JOKASTE.
Welchen Gott?
Wen siehst du, Mutter, aus dem Dunkel treten?
ANTIOPE.
Den Gott, der sich mit dir vermählen soll
und Laïos, dem Toten, einen Erben
erwecken soll aus deinem Schoß.
JOKASTE.
Schweig, Mutter!
Du stehst nicht dort, wo Menschen atmen dürfen –
ich höre nicht auf dich.
ANTIOPE.
Ich fühl ihn nahn,
aus einem Walde windet er sich los.
Trägt ihn ein Adlerfittig? Jagt ein dunkles
Gewölk mit ihm daher? Ich hör ein Rauschen –
ist das sein Mantel?
JOKASTE.
Mutter, was dich schüttelt
wie Sturm die Flamme, ist mein naher Tod.
ANTIOPE.
Dein Leben ists, dein kommendes, es haucht
herüber grenzenlos, wie feuchter Atem
von stürzendem Gewässer auf mein altes
Gebein!
JOKASTE.
Des Todes Zeichen sind um mich –
meinst du, ich fühl es nicht? Mein Leben starrt
nicht mehr versteinert auf mich her, ich sehe
die Dinge alle so, als hätte ich
sie liebgehabt und müßte um sie weinen:
mir ist, als wäre hinter ihnen allen
mein totes Kind versteckt.
ANTIOPE.
Die Ungebornen
verbergen sich im Busch und Strauch, sie winken
aus Luft und Wasser.
JOKASTE.
Laïos, mein Mann,
wo bist du denn? Ich kann dich ja nicht finden –
nicht hier in meiner Brust und nicht im Haus!
Ich kann den Klang von deiner Stimme nicht
mehr finden! Geh mir nicht so schnell voraus –
so warte doch auf mich! – Hilf mir doch, Mutter!
Ich kann seit dreien Tagen meinen Mann
nicht denken, wie ein fahler fremder Schatten
sinkt er zurück, so tief hinab, er läßt mich
so ganz allein!
ANTIOPE.
Den Toten laß die Toten,
Du Selige, die du lebendig bist!
Sieh, die Geräte leuchten, und das Haus
kann seine Lust nicht halten, und die Luft
ist voll davon.
JOKASTE.
Nein, nein, so grüßt der Tod.
Bald kommt ein Zeichen. So wie nie im Leben,
so fühl ich meinen Leib: nicht schwer noch leicht –
ich fühl ihn so, als wär ich selbst die Luft,
die ihn umfließt und von ihm Abschied nimmt.
ANTIOPE
steigt die Stufen herab.
Vergib dem Mund, der dich unfruchtbar nannte,
er hat gefrevelt. Sieh, die Hände machen
es gut und weihen dich. Leib meiner Tochter,
gesegnet sei!

Rührt Jokaste an, weihend, umschreitet sie feierlich.
JOKASTE.
Was tust du, Mutter? – Mutter –
Ich bin des toten Laïos Weib! Für wen
segnest du mich?
ANTIOPE.
Für den, der kommen wird.
JOKASTE.
Der Tod – der Tod!
ANTIOPE.
Du Blut vom Blut der Götter,
ich habe dich geweiht für Laïos' Bette,
nun weih ich dich für ihn, dem Platz zu machen
Laïos hat sterben müssen.
JOKASTE.
Auf die Tür!
Ihr Totenlieder, hüllt mich ein!
ANTIOPE
schreitend und weihend.
Die Götter
vergessen nicht ihr Blut, sie senden einen:
er schwingt sich aus der Luft, er tritt aus Flammen
hervor, das Wasser gibt ihn her, er kommt –
sein ist das Schwert, sein ist der Stirnreif, sein
ist König Laïos' Bette.
JOKASTE.
Schweig und steh!

Mächtiges, dumpfes Getöse außen.

Ich hör ein Brausen. Schwillt der Fluß herauf,
der alte heilige, über diesen Berg
und spült dies Haus hinweg und mich mit ihm?
Dann segne ich den Fluß: er ist mein Ahn
und kommt mich holen.

Sie stehen beide horchend. Das Totenlied ist plötzlich abgebrochen. Das Getöse schwillt an.
JOKASTE.
Nun werden alle Träume wahr: das ist
das Ende.
ANTIOPE.
Was für Träume?
JOKASTE.
Wenn ich lag
und schlief nur halb, da kamen sie gezogen,
die Tritte schlürften – viele waren sie –
mit nackten Händen schlugen sie die Mauer.
ANTIOPE.
Wer kam? wer schlug ans Haus?
JOKASTE.
Die Mütter.
ANTIOPE.
Mütter?
JOKASTE.
Die, deren Kinder tot und unbegraben
da drüben liegen.
ANTIOPE.
Bei der Sphinx?
JOKASTE
nickt.
ANTIOPE.
Die Toten
laß tot sein.
JOKASTE.
Doch die Mütter – zu der Mutter –
die Mütter ziehen alles hinter sich,
das Blut ist stark, die Welt hängt an den Müttern.

Dumpfe Schläge ans Tor.
ANTIOPE.
Was haben wir zu schaffen mit dem Volk?
JOKASTE.
Der Tod kam über sie aus meinem Leib!
ANTIOPE.
Aus deinem Leib?
JOKASTE
angstvoll.
Die Sphinx – ich weiß es, Mutter,
ich weiß es – Laïos hat es auch gewußt –
er zog hinaus – doch an dem einen Opfer
war nicht genug.

Schläge.

Ich will hinaus!
ANTIOPE
hinausrufend.
Verrammelt
das Tor mit Steinen!
JOKASTE.
Nein, ich will hinaus!
ANTIOPE.
Wer wirft sich einem Wildbach in den Weg?
Ihn bändigt eine Mauer, nicht ein Mensch.
JOKASTE.
Sie wollen mich!
ANTIOPE.
Wer sind sie, daß sie dürfen
die Hände recken und dein Blut begehren?
Du bist die Königin.
JOKASTE.
Sie fordern mich!
ANTIOPE.
Ihr Schreien ist wie Wasser, wenn es brüllt.
JOKASTE.
Ich will zu ihnen gehn!

Stärkere Schläge. Die Mägde schreien auf, draußen.
ANTIOPE.
Schreit zu den Göttern.
So hat es kommen müssen. Mit dem Blitz
in Fäusten fährt ein Gott in Flammen nieder
und mit der einen Hand umschlingt er dich
und mit der andern schleudert er den Tod.
Bacchos, wir schreien zu dir auf, wir sind
von deinem goldnen Blut! Jokaste, her!
Herab dies Kleid! Wer hüllt den Leib in Jammer,
wenn sich ein Gott mit dir vermählen kommt?
JOKASTE.
Ja, Mutter, einem Gott vermähl ich mich
nun bald. Her mit dem Kleid, her mit der Binde
der Opferpriesterin!

Sie geht hinauf, bleibt oben stehen, ruft zurück.

Wer hieß
die Totenlieder schweigen? Hier im Haus
ist noch das Fest des Todes nicht am Ende!

Vor dem Palast. Das Volk drängt gegen das Tor. Kreon steht im heiligen Hain halb verborgen.
DAS VOLK.
Auf das Tor! Heraus das Schwert! Heraus die Krone!
Kreon ist König! Öffnet dem König! Öffnet das Haus!
Kreon! Kreon!
DIE FRAUEN.
Auf das Tor! Seid wie der Blitz, Söhne der Stadt!
Auf das Tor!
DAS VOLK.
Für Kreon! Für Kreon!

Sie drängen stärker.
DIE VORDERSTEN.
Sie kommen von drinnen. Sie heben die Riegel.
DIE RÜCKWÄRTIGEN.
Hinauf! Hinein! Kreon! Kreon!
DIE VORDERSTEN.
Lanzen und Schwerter! Sie brechen hervor!

Weichen zurück, alle schreien auf.
Das Tor öffnet sich langsam, heraus tritt Jokaste, hinter ihr Antiope. Das Totenlied erschallt im Augenblick sehr stark, dann gedämpft.
DAS VOLK
leise.
Die Königinnen!
ANTIOPE.
Was willst du, Volk, was schnaubst du so und heulst
vor diesem Königshaus. Gib Antwort, Volk.
DAS VOLK.
Ich will nicht länger ohne König sein.
Die Erde gibt das Schwert, die Götter geben
das Königsblut. Ich will das Königsschwert
aufblitzen sehn in eines Königs Hand.
Laïos ist tot. So gib das Schwert dem Kreon.
Kreon sei König: ein geweihter König
soll zwischen mir sein und der Sphinx. Ich will nicht
nackt sein und bloß und ohne einen Schutz,
wenn von dem Berg ins platte Land der Dämon
herniederhängt gleich einer Totenwolke.
Kreon soll König sein!
ANTIOPE.
Den willst du haben,
den Schattenmann, den Unhold ohne Kraft?
Schmach über dich! Dein eigner Wunsch bespeit dich
so wie ein mißgebornes krankes Kind.
VOLK.
Nicht böse Worte gib, gib einen König!
Um dessen willen steh ich hier.
ANTIOPE.
Aus diesem Leib? Er ist zu alt.
VOLK.
Die Junge, die bei dir steht, frag doch die,
warum sie keinen König mehr gebiert.
JOKASTE.
Schweig, Volk! Mich rührt nichts Sterbliches mehr an.
VOLK.
Dann her die Krone, her das Schwert, und Kreon
ist König, den die Götter wollen!
ANTIOPE.
Den?
VOLK.
Ja, Weib, die Priester haben mirs gesagt.
ANTIOPE.
Die Priester! Was sind Priester, daß sie mir
von Göttern reden! Hockt ihr an der Erde
und atmet Dämpfe, bis die Glieder zucken;
wenn Vögel krächzen, lallt die Botschaft nach,
doch redet nicht zu einer Königin
von Göttern, denn wir sind zu Tisch und Bett
Genossen derer, die zu euch nicht reden
als aus der Sturmflut oder aus dem Blitz.
Habt ihr ein Lied von Tantalos gehört,
von Niobe?
DIE GREISE.
Sie redet Zauberworte,
Weh uns, die Frau ist stark!
ANTIOPE.
Wie Hunde seid ihr niedrig und voll Furcht.
Kriecht hin, wo eure Häuser stehn, macht
das Land voll Kinder, daß sie über Meer
so wimmeln wie auf festem Grund, es wird
nichts anderes von euch begehrt.
VOLK.
Was schmähst du mich?
Du bist ein Weib, und ich will einen König.
ANTIOPE.
Den willst du, der sich dort ins Dunkel drückt?
Hat er sich eine Königsprophezeiung
gekauft? Denn feil ist alles wie der Mord.
KREON.
Dich schmäht sie so wie mich, hörst du sie, Volk?
VOLK.
Ich höre, was sie spricht, sie spricht von Mord.
Von wessen Mord?
KREON.
Wahnsinnig ist das Weib:
ich hätte Laïos ermordet, schreit sie.
ANTIOPE.
Ermordet nicht, du warst ja immer hier,
nicht dort im Wald. Allein, vielleicht, wer weiß?
gekauft, die ihn erwürgten.
KREON.
Weib, du lügst.
VOLK.
Bei wem ist Wahrheit? Ich will einen König
mit reinen Händen. Auf, rechtfertige dich,
auf, Kreon! Kreon!
STIMMEN
auf dem flachen Dach über dem Tor.
Dort! Dort! Er tritt aus dem Wald heraus.
Ihn führt ein Kind, er kommt, er kommt!
Teiresias! Teiresias!
DAS VOLK.
Teiresias! – Was meinem Aug verborgen,
Der Seher siehts. Er kommt! er tritt zu mir:
so bin ich ja schon halb erlöst! er reißt
die Binde mir vom Aug, daß ich nicht länger
dastehe wie der Opferstier: er sagt mir,
wer dich von deinem Thron des Grausens treibt,
du Sphinx! er zeigt mir deutlich wie im Spiegel
den Retter, der mir kommen soll! er sagt mir,
welch einen König mir die Götter wählen!
Ich grüße dich, du heiliger, du Seher
Teiresias!

Teiresias von rechts hereingeführt von dem Kinde. Das Volk weicht in Ehrfurcht zurück.
TEIRESIAS.
Wo steh ich?
DAS KIND.
Wohin du wolltest geführt sein.
Ich weiß nicht, wer die sind.
Ein großes Haus ist hier.
DAS VOLK.
Das Haus des Laïos. Laïos ist tot.
Auf der Schwelle stehen zwei Königinnen.
TEIRESIAS.
Um mich sind viele.
DAS VOLK.
Alle sind wir hier, die Kinder der Stadt.
ANTIOPE.
Wir grüßen dich, Teiresias.
DAS VOLK.
Die Königinnen grüßen dich.
TEIRESIAS
schweigt.
DAS VOLK.
Er hört sie nicht, er achtet nicht der Rede.
DAS KIND.
Er ist in einem Schlaf und schläft doch nicht.
Er hat nichts gegessen, nicht getrunken seit dem letzten Mond,
Er sitzt vor der Höhle und sieht, was nicht da ist.
Vögel nisten auf seinem Haupt, die Schlange schlaff in
seinem Schoß: er achtet es nicht.
Heute stand er auf und sagt: führ mich hinunter,
da führte ich ihn. Er wies mir den Weg.
DAS VOLK.
Heilig ist sein Schlaf. Er schaut ins Innere der Welt.
KREON.
Teiresias, hier steht ein unschuldig
Verklagter, hilf mir, großer Seher, hilf!
ANTIOPE.
Teiresias, hier steht die Königsmutter
und klagt um einen König. Hilf mir, Seher!
DAS VOLK.
Teiresias, hier steh ich, das Lebendige
von Theben! aus den Mauern meiner Stadt
bin ich hervorgelaufen in der Angst
des Herzens, und ich schreie meine Not
zu dir: die Sphinx, die Sphinx ist über mir!
Hilf mir, Teiresias!
TEIRESIAS.
Hier schreit ein großes Leiden auf zum Himmel.
DAS VOLK.
Er wendet sich, er hat den Schrei gehört.
DER KNABE.
Dort rief es um dich.
TEIRESIAS.
Nein hier, nicht dort.

Gegen die Richtung deutend, wo Jokaste steht.
DAS VOLK.
Da steht die Königin.
TEIRESIAS.
Zu tief der Schlaf. Zu weit vom Schläfer
die äußere Tür, an der sie rufen.
Ists einer? Sinds viele? »Königin«!
Einst hatt es Sinn. Nun ists ohne Wesen.
DAS VOLK.
Er spricht zu sich selber.
TEIRESIAS.
So helft mir doch, wenn ihr mich braucht!
Eure Angst zog mich her,
so helft mir doch herauf aus der Tiefe.
ANTIOPE.
Bringt das Gewand des Toten!
JOKASTE.
Mutter, was willst du von ihm?

Das Gewand wird gebracht. Antiope geht mit denen, die das Gewand tragen, an den Rand der Plattform vor.
ANTIOPE.
Ehrwürdiger Seher, wer erschlug den Mann,
der dies am Leibe trug?
TEIRESIAS
wendet sich ab.
Was halten sie
den Duft von Blut vor mir? Vergießen sie
nur Blut und Blut, erschlägt der Sohn den Vater,
erwürgen sie das Leben, wie es frisch
aus ihrem Leib hervorgekrochen kommt!
JOKASTE.
Ah, Mutter, laß mich fort!
TEIRESIAS.
Sie können nicht
mit ihrem Blut in ihrem Leibe hausen:
es wühlt in ihnen, ihre Adern schwellen
wie Schlangen um den Leib, sie sind sich nicht
genug gewaltig, ihre Hände sind
nicht stark genug zu wühlen in der Welt,
ihr Mund kann nicht in alle Früchte beißen,
noch sterbend buhlt ihr Aug umher und wird
nicht satt: so zeugen sie die Kinder, zeugen neu
begierige Lippen, neue wilde Hände
und neue Glieder, die umklammern können,
aus ihrem Blut heraus, bis daß sich Blut
und Blut in dunklem Wald begegnet, Haß
und Haß die Augen schief verschränkt und Glied
in Glied sich krampft.
ANTIOPE.
Nun kündet er den Mord.
TEIRESIAS.
O heiliges Blut!
Sie wissen nicht, was für ein Strom du bist,
sie tauchen nie in deine Lebenstiefen,
wo Weh und Wahn erstorben sind, wo Liebe
und Haß nicht wohnen, Hunger nicht und Durst,
nicht Alter und nicht Tod.
ANTIOPE.
Wir warten, Seher,
daß du den Mörder uns enthüllst.
FRAUEN.
Nein! Nein!
Die Toten sind dahin! Wir wollen leben.
Ein ungeheures Grausen liegt auf uns:
die Sphinx! die Sphinx!
TEIRESIAS.
Du sollst nicht zittern, Kind.
Es ist das Leid der Menschen, das von außen
mit dumpfem Anhauch meinen Leib erschüttert:
In meinem Blute innen blüht die Welt,
und Sterne gehen auf und nieder. Steh,
bald führst du mich nach Haus.
ANTIOPE.
Den Mörder will ich!
VOLK.
Den Retter zeig uns! Zeig uns einen König,
hilf unserer Not!
ANTIOPE
mit dem Gewand.
Wer schlug den Laïos! Steht er etwa nahe?
Hier nahe uns?
TEIRESIAS
weicht zurück.
Der tote König liegt,
die Knechte liegen tot mit offnen Augen.
Die Pferde schnauben, auf dem Wagen funkeln
die goldenen Geschenke für den Gott.
ANTIOPE.
Den Mörder! und die andern, die Gesellen!
Wer steht im Dunkel hinter ihnen?
VOLK.
Schweig,
der Seher achtet deiner nicht.
TEIRESIAS
seinem Gesichte hingegeben.
Der Knabe
ist königlich.
VOLK
jubelnd.
Er sieht mit seiner Seele
den, der uns retten wird!
ANTIOPE.
Wer ist der Knabe?
Auch Knaben können morden.
VOLK.
Schweig und horch.
Zeig uns den Retter!
ANTIOPE.
Laß den Mörder nicht
aus deinem Aug.
TEIRESIAS.
Nun tritt er aus dem Wald,
die Sonne ist auf ihm.
ANTIOPE.
Und Blut?
DIE RÜCKWÄRTIGEN.
Er sieht
den, der uns retten kommt.
ANDERE.
Sieht er den Gott?
DIE VORDEREN.
Ein Halbgott ists, die Sonne blitzt auf ihn.
Er sieht ihn immer. Kommt er näher?
ANDERE.
Weh,
wenn er nicht weiß von uns! Wenn er die Stadt
nicht kennt, die auf ihn wartet.
ANTIOPE.
Laß den Knaben
nicht aus dem Aug.
VOLK.
Erbarme dich, wo ist er,
wo ist der Retter hin?

Teiresias achtet ihrer nicht, sein blindes Auge starrt in die Ferne.
FRAUEN.
Er stößt uns wieder
zurück in Nacht und Tod, wir werfen dir
zu Füßen unsre Kinder! Welchen Weg
kommt unser Retter?
TEIRESIAS
wirft die Arme in die Luft, von der Größe seines Gesichtes überwältigt.
Ah, was sich da gebiert! Der Qualen-abgrund,
die Höhle weltengroß getürmt aus Jammer!
Du letzte Nacht, du Höhle! Ah! Und jenseits
ist neuer Tag und eine andre Welt,
darunter ist noch eine Welt verborgen,
sie mündet in die Leidenshöhle, unten
im Schlund des Grausens bricht ihr Glanz hervor,
aus Qualen ohne Maß erhebt ein Halbgott sich!
Schweig, Zunge, neig dich, Leib!

Er geht auf Jokaste zu und wirft sich vor ihr nieder.

Um deinetwillen
bin ich gekommen.
JOKASTE.
Weihst du mich?
TEIRESIAS.
Nein, Mutter,
du bist es, die mich weiht.
DAS VOLK.
Der Seher liegt vor der Frau,
nicht vor der alten, die junge ehrt er wie eine Göttin!
TEIRESIAS.
Fort, Knabe, nach Haus.
KNABE.
Zur Höhle?
TEIRESIAS.
Zur Höhle.
DAS VOLK
wirft sich ihm entgegen.
Wir lassen dich nicht! Den Retter! Welche Straße kommt er? Wann?
TEIRESIAS
durch sie hinschreitend.
Nun schreitet er durchs Tor! Nun ist er in der Stadt.
Fort, Knabe, fort mit uns!
DAS VOLK.
Weh, wenn er uns
vorüberwandert! Wenn er uns nicht hört!
Wie schreien wir, daß er uns hören muß?
Seher, wie rufen wir ihn?
TEIRESIAS.
Das fragt die Mutter.

Er geht.
DAS VOLK.
Die Mutter? Wen meint er? Jokaste meint er.
Jokaste! Mutter!
ANTIOPE.
Um ihretwillen kommt der Gott. Mit ihr
vermählt er sich.
JOKASTE.
Wer spricht von einem Gott?
DAS VOLK.
Um deinetwillen kommt er, dem die Krone
gehört.
KREON
von rückwärts.
Ansteckend Gift des Wahnsinns! Wer
soll kommen? Wollt ihr einem fremden Räuber
nachwerfen Kron und Reich?
DAS VOLK.
Und wärs ein Räuber,
wenn er uns rettet, ists ein Gott, und er
soll König sein. Jokaste, ruf ihn her.

Gewaltig.

Jokaste, ruf ihn her.
JOKASTE.
Wie kann ich rufen,
den ich nicht kenne?
DAS VOLK.
Schwör du bei der Luft,
beim Feuer, bei der Erde, daß der Stirnreif
sein ist, und sein das Schwert.
JOKASTE.
Das schwöre ich.
DAS VOLK.
Und du!
JOKASTE.
Was noch?
DAS VOLK.
Die Königin gehört
dem Retter, schwör, du wirst sein Weib.
JOKASTE.
Des fremden Mannes Weib?
DAS VOLK.
Und wärs ein Räuber,
wärs ein verlaufener Knecht, wär es ein Mörder,
schwör, daß du ihm gehörst, wenn er uns rettet.
Weib, schwör!
DIE FRAUEN.
Geliebte, schwör!
JOKASTE.
Ich schwor in mir.
KREON.
Ihr Bette ist noch warm von Laïos' Leib.
DAS VOLK.
Schwör laut!
JOKASTE.
Ich schwöre, wenn ein fremder Mann
euch von der Sphinx erlöst, so wird das Haus
ihm offenstehn, offen seiner Hand
das Schwert, der Stirnreif und des Laïos Bette –
und mich dann findet er in dem Gemach.
KREON.
So wahren Königinnen ihre Treu!
JOKASTE
vor sich.
Daß er mich lebend findet, schwor ich nicht.
ANTIOPE.
Nun schreit es aus in die vier Winde. Nahe
war er im Spiegel, den der Seher schaut,
er atmet eine Luft mit uns, so wird
ein Ruf ihn treffen.
JOKASTE.
Mutter, komm ins Haus.

Die Königinnen treten in den Palast. Das Tor schließt sich hinter ihnen.
KREON
nach vorne kommend.
Was willst du, Volk, noch hier? Was soll der Wahnsinn?
DAS VOLK.
Wir warten auf den Retter. Laß uns, Kreon.
Wir wissen nichts von dir. Der Seher hat
nicht dich gezeigt; geh fort.
KREON.
O Volk! Das Wasser
ist stetiger als du. Wer einen Haufen Kot
vom Boden aufnimmt, hält in seiner Hand
doch etwas, wer dich hält, der hält ja nichts.
Geil bist du auf das Neue wie ein Widder!
Mit einem Wort, aus seinem alten Maul
hervorgesprungen, macht ein Gaukler dich
da hüpfen oder dorthin! Wer dich hätte,
und schlüg dich nicht mit Skorpionen, Schmach
und Schande über den! Werd ich dein König,
dir tret ich auf den Nacken!

Er verschwindet zur Rechten.
EIN MANN
aus der Stadt, von rückwärts auftretend.
Ein Held ist unter uns! Er kam herein,
sein Gang ist eines Königs Gang, er trägt
in seiner Hand den Stab, er kommt weit her!
Ein Held!
VOLK.
Nach welchen Zeichen? Läuft ein Einhorn
mit ihm? Steht über seinem Haupt ein Funkelstern?
DER BOTE.
In seiner Augen Höhl sind Sterne, Kraft
des Einhorns ist ihm selber um die Lenden
gegürtet! Wo ein Haus in Flammen stand,
dort sprang er hin, trat mit gewaltigem Fuß
die Tür ein, riß aus brennendem Gebälk
Lebendige hervor und achtete
die eigene Tat für nichts: vor seine Füße
fällt ihm die halbe Stadt: er stößt sie weg,
er kommt heraufgestiegen, hier herauf,
ihr heiligen Thebaner.
VIELE STIMMEN
von rückwärts.
Seht den Helden.
ÖDIPUS
von rückwärts heraufsteigend.
ANDERE STIMMEN
murmelnd.
Den Helden seht.
ÖDIPUS.
Du Volk aus dieser Stadt,
was schnaubst du hier vor dem verschlossenen Tor
und bäumst dich wie ein reiterloses Roß?
Wo ist dein König, daß er dir den Zaum
nicht auflegt?
VOLK.
Tot ist unser König, Fremdling.
ÖDIPUS.
Und warum brennen Häuser in der Stadt?
Und warum starren eure Felder wüst,
was heult das Volk und jammert?
DAS VOLK.
Weißt du nicht,
daß du in Theben bist? So kommst du denn
herunter aus der Luft? So bist du Perseus?
Bist du denn Perseus?
ÖDIPUS.
Eine Straße kam ich
vom Berg herab und habe keinen Namen.
VOLK.
Kommst du vom Gebirge her? Und hast die Flüchtigen
nicht lagern sehn, und war die Luft nicht voll
mit Wehgeschrei?
ÖDIPUS.
Ich achte nicht die Stimmen,
die in der Luft sind.
DAS VOLK.
Also bist du nicht
der Retter, der uns kommt?
ÖDIPUS.
Wovor ein Retter?
DAS VOLK.
So bist du der Erlöser nicht, so willst du
nicht unser König sein? Wer bist du denn?
ÖDIPUS.
Volk, rede nicht verwirrt; in welcher Not
schreist du zum Himmel? Denn du dauerst mich,
Volk, weil du keinen König hast.
DAS VOLK.
Die Sphinx,
er weiß nichts von der Sphinx.
ÖDIPUS.
Was soll das Wort?
DAS VOLK.
Das Wort ist Qual und Tod. Dort drüben wohnts.
Es horstet im Geklüft so wie ein Geier
und äugt herab, wo Theben liegt, und Theben
gleicht dem gefallnen Vieh und zuckt vor Angst,
und seine Flanken fliegen, und die Augen
sind blutig.
ÖDIPUS.
Ging denn keiner hin und schlug
das Wesen?

Die Frauen schreien wehklagend auf.
DIE VORDERSTEN.
Vor der Höhle ist ein Abgrund,
da liegen unsre Toten.
DIE FRAUEN.
Weh!
ÖDIPUS
vor sich.
Ihr guten Götter!
Welch eine Tat, ihr Seligen! Baut ihr
dem Heimatlosen solche Taten auf,
so funkelnde Paläste, drin zu hausen
für eine Nacht und wiederum für eine,
wohin sein Fuß ihn trägt? So habt ihr mich
mit eurem Fluch gesegnet? Denn ich fühls,
von grausigen Gliedern, von Polypenarmen
umschlungen sterb ich heute nicht: ich darfs
vollbringen und dann weiterziehen.
DAS VOLK.
Perseus,
verlaß uns nicht!
ÖDIPUS.
Auf, zeigt mir diesen Weg.
Wo haust der Dämon? Aber laßt mich dann
allein hinaufgehn und fragt nicht nach mir.
DAS VOLK.
Bist du nicht Herakles, bist du nicht Orpheus,
du junger Gott?
ÖDIPUS.
Den Weg.
DAS VOLK.
Die Königin,
er soll sie sehn, bevor er hingeht!
ÖDIPUS.
Sehen,
wen sehn?
DAS VOLK.
Die Königin, du junger Gott.
Jokaste! Auf das Tor!
JOKASTE
tritt allein hervor.
Was ruft ihr mich?
DAS VOLK.
Den Retter sieh, den Retter da, den Jungen!
JOKASTE
unwillkürlich.
Laïos!
DAS VOLK.
Was sagt die Frau?
JOKASTE.
Nein, nein, ein Traum.
ÖDIPUS
von ihrem Anblick wie vom Blitz getroffen.
Wer ist die Frau?
JOKASTE
fast gleichzeitig.
Wer ist der Jüngling?
DAS VOLK
jauchzend.
Perseus! Orpheus! Herakles!
ÖDIPUS
wie entgeistert.
Wer ist die Frau?
DAS VOLK.
Die Königin.
ÖDIPUS.
Was will
die Königin?
DAS VOLK.
Dein ist sie, dein, du Gott,
wenn du der Sieger bist! Er glaubt uns nicht.

Zu Jokaste.

Du hasts geschworen: künde dus.
JOKASTE.
Du darfst nicht!
Es ist dein Tod! Um deiner Mutter willen
tus nicht.
ÖDIPUS.
Um meiner Mutter willen, Frau?
O, wohl will ich es tun.
DAS VOLK.
Den Helden seht,
den Helden! Flehe zu den Göttern, Frau,
so wird er dein Gemahl.
ÖDIPUS
vor sich.
Die Königin.
DAS VOLK.
Sie hat geschworen!
ÖDIPUS
ungeheuer.
Ja?

Sich bändigend.

Ich bin von Sinnen:
der König ist ihr Gatte.
JOKASTE.
Mein Gemahl
ist tot.
ÖDIPUS.
Und ich, ihr Götter, steht mir bei,
daß ich jetzt nicht vergehe.
JOKASTE.
Willst du mich
noch etwas fragen, Jüngling?
ÖDIPUS.
Ich – mich nimmst du
zum Mann?
JOKASTE.
Ich bin nur wie das Diadem
und wie das Schwert: wer diese Stadt erlöst,
der greift nach uns.
ÖDIPUS.
Nicht fortgehn, nicht, noch nicht!
Der König, der dein Gatte war, gewann er,
der Tote, Kinder sich aus diesem Leib?
Ich will sie schützen und Verweser sein
für sie. Die Rechtgeborenen sind heilig.

Es sind indessen die Mägde hinter Jokaste herausgetreten. Die Totenklagen sind verstummt.
JOKASTE
mit schwacher Stimme.
Ein Kind war da und war gleich nicht mehr da.
KREON
von rückwärts.
Wie sich der Landstreicher gebärdet! Wie
er schon den König spielt!
ÖDIPUS
königlich.
Wenn einer ist,
der von dem frühern König Gold und Gut
und Vieh und Land empfing, der fürchte nichts,
ich fordre nichts zurück.
DAS VOLK.
Du bist ein König!
Du warst von je ein König!
KREON
zerreißt sein Gewand.
Gaukler, sei verflucht!

Verschwindet zwischen den Bäumen.
Es ist Dämmerung hereingebrochen.
ÖDIPUS.
Ich möchte opfern und ich habe nichts
zu opfern, eh ich geh.
JOKASTE
zu ihren Mägden sich umwendend, mit einem maßlos veränderten Ton.
Sie sollen opfern,
was lebt ihm Haus. Die Tiere, die mir lieb sind,
sollen sie töten schnell. Die Pferde alle töten,
die heilgen Vögel sollen sie mit Pfeilen schießen
und alle meine Hunde, auch die Hündin,
die, seit sie lebt, vor meiner Kammer schlief,
die auch. Schnell, schnell, nichts braucht am Leben bleiben,
wenn dieser sterben geht.

Sie jagt mit der Wucht ihrer Befehle alle Mägde ins Haus und steht nun ganz allein da.
ÖDIPUS.
Hab ich denn gar nichts?
Bin ich so arm? Doch da, der Wanderstecken,
ich muß ja ohne Waffen zu dem Dämon:
dort ist ein Opferfeuer, nehmt den Stab
und bringt ihn dar.

Mehrere nehmen den Stab und tragen ihn in den heiligen Hain. Getöse im Palast.
Jokaste, die sich nicht umwendet, saugt mit dem Blick Ödipus in sich, der jetzt auf der Stufe zum heiligen Hain steht, plötzlich vom Widerschein starker Flammen übergossen.
DAS VOLK
drängt gegen den heilgen Hain.
Die Flamme, seht die Flamme!
Wie sich die Götter freun an seinem Opfer!
Der Stock liegt vor dem Altar, wie die Flamme
zum Himmel schlägt.
DIE MÄGDE
aus der Tür des Palastes hervorstürzend.
Die Königin Antiope!
JOKASTE.
Was ist
mit ihm?
DIE MÄGDE.
Sie rührt sich nicht, sie sitzt und hat
den Stab aus ihren Händen fallen lassen.
Wir fürchten uns, wir glauben, sie ist tot.
Hörst du uns, Königin?

Jokaste schweigt und starrt auf Ödipus.
ÖDIPUS.
Nun betet alle
mit mir um Sieg.
JOKASTE
indem sie in die Luft greift, dann mit beiden Händen gegen ihr Herz fährt und jäh zusammensinkt.
Ich habe nie gelebt!

Die Mägde fangen sie in den Armen auf.
DAS VOLK.
Die Königin fällt hin!
ÖDIPUS.
Sie ist nicht tot.

Indes tragen die Mägde die Königin hinein, das Tor schließt sich. Kein Licht mehr als der Widerschein der großen Flamme aus dem Hain.
ÖDIPUS.
Ich weiß, sie ist nicht tot. In meinen Adern
halt ich die Welt: es stürzt kein Stern, es taumelt
kein Vogel von der Nestbrut, ohne mich.
Und alle meine Toten liegen gut:
der Vater und die Mutter gut daheim,
die ich nie wiedersehe, gut der Mann
am stillen Kreuzweg, gut das wundervolle Weib
im totengleichen Schlaf. Um meinetwillen
ist alles dies geschehn, damit die Kräfte
der Schlafenden in mir aufsteigen sollen,
wie Wasser in dem Springquell. Auf! Nun weist mir
den steilen Weg. Wo nicht, so wird vom Berg
die riesige Zypresse sich herab
mir neigen, daß ich ihren Wipfel küsse
und meine Glieder ihr verschlinge; auf
wird sie mich reißen zu der Höhle hin:
dort lauerts, unter meiner Hand zu sterben!
Denn meine Hand ist schwer wie eine Welt,
beflügelt ist mein Blut und meine Seele
steigt wie ein Springquell.

Er wendet sich zum Gehn.
DAS VOLK
ihm nachdrängend.
Perseus bist du! Perseus!

Vorhang.

3. Akt

Dritter Aufzug

Steiles Geklüft. Spärliche Bäume, ins Gestein gewurzelt. Rechts steigts auf, links fällts in den Abgrund: da mündet zwischen Felsen ein eingehauener Pfad.
Von unten Schein einer Fackel. Kreon kommt heraufgeklommen, vermummt in einen dunklen Mantel. Er trägt eine Fackel, leuchtet Ödipus voraus.

KREON.
Wir sind am Ziel.
ÖDIPUS
heroben.
Wo ists?
KREON.
Von hier mußt du
allein hinauf. Hier windet sich der Pfad
zur Höhle.

Stöhnen aus der Dunkelheit. Kreon hebt die Fackel.
ÖDIPUS.
Ists der Dämon? Tritt zurück.
Laß mich zu ihm.
KREON.
Du irrst. Er sendet dir
den Kämmrer, dich zu grüßen.

Aus dem Gestein schleppt sich ein Mann hervor. Halbnackt, den Tod im Gesicht. Er gleicht kaum mehr einem Menschen, aber man sieht keine Wunde an ihm.
ÖDIPUS.
Mensch, wer bist du?
Was willst du?
DER STERBENDE.
Mensch, ich seh dich nicht. Ich bin
vor Qualen blind geworden. Schlag mich nieder
mit einem Stein! Erwürg mich! Hab Erbarmen,
erwürg mich! Wirf mich in den Abgrund, Mensch.

Ödipus und Kreon stehen dicht beisammen.
ÖDIPUS.
Er schaudert mich.
KREON.
Geh deinen Weg, die Nacht ist kurz.
ÖDIPUS.
Wer ist der Mensch?
KREON
mit triumphierendem Hohn.
Dein Vorgänger.
ÖDIPUS.
Hinauf!
DER STERBENDE.
Seid ihr nicht Menschen? Gebt mir doch den Tod!
Die anderen sind alle tot, die Seligen!
Auf ihnen sitzen Geier, – warum kann ich
nicht sterben? Über lauter Leichen bin ich
herabgeklettert, und ich lebe noch.
Ist Nacht? ist Tag? ist Sturm? ist grausenhafte Nacht
für immer? Hat die Mörderin das Dach
der Welt hereingerissen und liegt Nacht
auf allem? Redet! oder seid ihr nichts?
Ist nichts mehr in der eingestürzten Welt
als meine Qual! O warum hast du mich
geboren, meine Mutter!
ÖDIPUS.
Mensch, ich helfe dir
zum Tode. Komm. Ich bin vom Weib geboren,
wie du. Ich kann nicht hören, wie du winselst
um deinen Tod. Umschlinge mich. Ich werf dich
hinab.
KREON.
Nimm dich in acht, er reißt dich mit.
ÖDIPUS.
Mich nicht.
DER STERBENDE
an Ödipus aufgerichtet.
Gesegnet sei die Brust, an der
ich liege.
ÖDIPUS.
Bist gelegen!

Wirft ihn schnell hinab. Ein dumpfer Sturz.

Weh, was ist ein Mensch!
Wer über diesem brütet, stirbt. Hinauf!
Mir ist, als drängen Taten, tausendfach,
unzählbar, mit den Sternen aus der Nacht!

Er steigt empor.

Noch eines. Mann aus Theben, hörst du mich?
KREON
unter ihm.
Was willst du, Abenteurer?
ÖDIPUS
bleibt stehen, oberhalb, etwas seitlich oder rückwärts.
Laßt mich nicht
so liegen, wie da drunten den. Verbrennt die Leiche,
wenn ihr mich findet. Mensch, ich bin ein Königssohn!
Hörst du mich noch? Bleib in der Nähe. Schnell
ist dies entschieden – leb ich aber dann:
Mensch, siehst du über uns den Baum, der riesig
auf öder Klippe horstet? Mensch, bin ich der Sieger,
dann brauch ich deine Fackel, daß sie mir
aus dem ein Feuerzeichen macht: dann hebt sich
die Königin aus ihrem Schlafe auf,
dann bringen sie die Krone und das Schwert,
dann lohn ich dir den Weg, du Mann aus Theben!
Wahr mir die Fackel gut!
KREON.
Das will ich tun.

Er stößt die Fackel gegen den Fels, daß sie verlischt.
ÖDIPUS
höher gestiegen, nicht mehr sichtbar.
Was machst du, Mensch?
KREON.
Dein Geier ist so gierig,
du Königssohn, er schlägt mir mit den Schwingen
das Licht aus.
ÖDIPUS
oben, nicht mehr sichtbar.
Weh, da nimm den Lohn!

Ein schwerer Stein fällt, ohne Kreon zu treffen.
KREON.
Mein Lohn
wird mir, wenn ich dich schreien hör im Tod.
Laß mich nicht lange warten, Abenteurer!
Ich spür schon Morgenluft. Nun zeigst du mir,
du alter Jäger in der Finsternis,
du Schicksal, wie du deine Netze stellst.
Der geht hinauf und meint, er hats dir abgekauft,
sein freches Blut zu Markt getragen,
sein gieriges, und dir damit die Krone
von Theben abgehandelt, und davon
ist er betrunken, legt die Sterbenden
an seine Brust und meint, er ist ein Gott,
der Tod und Leben gibt, und läßt sich noch
den Hauch des Todes um die Locken triefen,
wie ein geweihtes Öl – und ich steh hier,
von keinem Öl betrieft, vom kalten Tau
der Nacht gefeuchtet, einsam, starr und groß,
und markte nicht mit dir, denn ich bin Kreon,
der weiß von dir und, wie der Leib den Leib,
dein Walten spürt im Dunkeln: zeig mir jetzt,
daß du noch immer um eins tiefer gräbst!
Ich ruf ja nicht den Ahn, der unten tost,
daß er aus seinem Bett sich schäumend hebt
und mir den Abenteurer niederreißt:
ich spreche nicht zum Berg: du alter Thron
des Kadmos, knirsche doch den Dieb hinab
in deine letzte Kluft – zu dir nur red ich,
Schicksal, zu dir: du hast nicht für den Knaben,
den Straßenwandrer, nein du hast für mich
die Nacht da aufgebaut, die rings in Klüften
den Tod trägt und den Tod auf nacktem Gipfel
in sterngekröntem Duft. Der heiße Knabe,
ich weiß es, großes Schicksal, gilt für nichts
in diesem Spiel – der Knab und seine Taten!
War Kreon nicht ein königlicher Knabe?
und hast du nicht sein Herz ihm in der Brust
in eines Greisen Herz verkehrt und von den Händen
die Taten abgesengt mit glüher Luft,
daß sie wie Zunder an die Erde fielen,
die unvollbrachten! Dir ist nichts für Taten feil,
die ganze Seele willst du, Taten lässest
du fallen und verfaulen auf der Erde
und höhnest, die mit Taten um dich buhlen!
STIMME DES KNABEN SCHWERTTRÄGERS.
So hab ich ganz umsonst mein junges Blut
hingeben müssen, weh!
KREON
vor der Stimme nach rechts hin zurückweichend.
Was, spinnen sich von überall
die Fäden her, die mich erwürgen sollen?
Ich will nicht hören was im Nachtwind redet,
ich will den Todesschrei des Menschen hören,
sonst nichts auf dieser Welt!

Er tastet sich nach rechts hinüber, im Gestein klimmend. Die Szene verwandelt sich sogleich.
Eine andere Stelle des Berges. Offene Plattform, nach allen Seiten abstürzend, nur links Geröll und Geklüft. Kein Baum, kein Strauch, Dunkel. Am Himmel einzelne funkelnde Sterne. Nur die großen Formen sind dem Auge wahrnehmbar.
Von links, das Geröll überkletternd, kommt Kreon herüber, nach oben horchend, getrieben von verzehrender Ungeduld. Er steht.
KREON.
Den Todesschrei des Fremden will ich hören
und König sein in Theben!

Stille.

Höhnt ihr mich,
ihr Götter? Ich bin stark, ich bin jetzt wie das Tier,
wenn es im letzten Winkel seiner Höhle
standhält! Drängt mich nicht aus der Welt hinaus!

Stille.

Nein? alles still? oh, ihr wollt nicht, ihr verbündet euch
mit einem Dieb? verflucht die Opfernächte,
in denen ich die Blüte meines Leibes
euch weihte! Fluch dem Wasser, das mich wusch,
verflucht die Schauder meiner jungen Seele!

Er streckt verzweifelt betend die Hände aus.

Dich ruf ich, Mörderin, dich, große Sphinx,
hier krümm ich mich vor dir, so wie noch keiner
je vor dir lag, auf nacktem Lebensgipfel:
wirf mir den Schrei herab, du Ewige,
den Schrei des Fremden! daß dir meine Seele
wie ein Brandopfer steigt!

Von oben, von seitwärts, aus unbestimmbarer Nähe
ertönt ein gräßlicher Todesschrei.
Kreon trinkt zuerst den Schrei mit Wollust in sich, dann – im grauenvollen Anschwellen des Schreies – entsetzt.

So schreit kein Sterblicher!
Vernichtung! das war nicht des Fremden Schrei!

Ödipus kommt von links den steilen Felspfad herabgetaumelt. Kreon birgt sich links vorne im tiefsten Dunkel eines Riesenblocks.
ÖDIPUS
verstörten Gesichtes, seiner selbst nicht mächtig, sich an Steinen haltend, bald zu Boden taumelnd.
Es nannte mich beim Namen! »Ödipus«,
sprach es zu mir! »sei, Ödipus, gegrüßt,
der du die tiefen Träume träumst«! Gekannt!
Auch hier gekannt! Die Welt hat keine Schluft,
die nicht voll meiner Flüche ist. Ich kann
mich nirgends bergen. Hier dies fremde Theben
ist eine Höhle, die mich kennt.

Von Grausen geschüttelt.

Der Dämon,
der grauenhafte Dämon hat mit mir
Gemeinschaft! mit dem Todesatem lüftet
es den verschloßnen Deckel meiner Brust.
Er weiß von meinen Träumen – ah, es gibt nur einen,
den Traum von Delphoi, weh, den Traum vom Vater
und von der Mutter und dem Kind!

Er kauert auf der Erde.

Warum
zerbrach ich nicht in Stücke, als das Weib
in Delphoi an mein Bette trat? Wozu
noch dieser letzten Tage wüster Traum?
Die Welt zerbricht. Mein Aug ist krampfverdreht. Ich hasse,
die mich geboren haben. Eltern! Eltern!
wohl euch, daß ihrs nicht wißt.

Sein irr schweifender Blick sieht die Sterne.

Ihr Götter, Götter!
Sitzt ihr auf goldenem Gestühl da droben
und weidet euch, daß der im Netz nun liegt,
den ihr mit Hunden hetzt von Tag zu Nacht!

Finster, groß.

Die ganze Welt ist euer Netz, das Leben
ist euer Netz, und unsre Taten machen
uns nackt vor euren schlummerlosen Augen,
die auf uns schauen durch das Netz: – da lieg ich
und wollte Taten tun und habe nichts
getan als mich verraten an den Tod!
Nun macht ein Ende! Habt ihr keinen Blitz?
bin ich den Fels nicht wert, der niederrollt
und mich zermalmt – da unten schäumt ein Fluß:
herauf mit ihm! Habt ihr so säumige Diener?
Ganz still, ihr Gräßlichen, wenn Ödipus
um seinen Tod zu euch die Hände hebt?
Ich soll es selber tun? der Priester sein
und auch zugleich das Opfertier? Mir graut.
Mir graut vor euch, ihr Götter, ich will euch
nicht länger in die Augen schauen, werft
die Finsternis auf mich, werft mir den Tod
übers Gesicht wie einen Mantel, Götter!

Die Arme ausreckend.

Ich will nichts als den Tod!
KREON
springt aus dem Dunkel vor, mit gezücktem Dolch.
Der kann dir werden!
ÖDIPUS
wirft sich zurück, faßt den Kreon.
Hat das Dunkel Arme?
KREON
ringt, den Arm mit dem Dolch zum Stoß frei zu bekommen.
In Theben ja, und Dolche auch!
ÖDIPUS
im Ringen.
Her mit dem Dolch.
Ich brauch ihn selber.

Hat die Oberhand, drückt Kreon an den Boden.

Doch zuvor stirbst du.
Das Opfer, das ich bringen will, verträgt nicht,
daß einer nahe steht.

Er hebt den Dolch zum Stoß.

Hinab und melde
mich drunten an.
KREON.
Du weißt nicht, Abenteurer,
wen du erschlägst!
ÖDIPUS
hebt abermals den Dolch.
Die Welt ist ausgelöscht,
kein Ding braucht einen Namen!
KREON
unter ihm liegend.
Mensch, ich bin der Bruder
der Königin.
ÖDIPUS
starrt ihn von oben an.
Was redet aus der Nacht?
Wer bist du, der mit mir sich auf der Schwelle
des ewigen Todes wälzt?
KREON.
Ich bin der Bruder
der Königin, du Königssohn.
ÖDIPUS
ohne ihn loszulassen.
Der Bruder
des wundervollen Weibes, das zu Tod
erstarrte, als sie mein Gesicht erblickte?

Er zieht ihn aus dem tiefsten Dunkel nach vorne, dort wo der Sternenschein eine schwache Dämmerung erzeugt. Er sieht ihm ins Gesicht.

Und bist du nicht der Führer auch, der durch die Nacht
mit mir hinaufstieg? Hast du nicht die Fackel
gelöscht? im voraus mich dem Tod geweiht?

Er läßt ihn ganz los. Kreon ist schnell wieder aufgerichtet.
ÖDIPUS
einen Schritt zurücktretend.
Der Bruder! ungeheuer kettet ihr
die Sterblichen, ihr Götter, aneinander
mit Nacht und Tod und Wollust, ungeheuer!

Er hält dem Kreon den Dolch hin.

Da nimm das Opfermesser! Töte mich,
dir kommt es zu!
KREON
vor ihm zurückweichend, ohne den Dolch zu nehmen.
Wer bist du, un-
geheurer Fremdling, der so finstre Spiele spielt
mit sein und meinem Leben?
ÖDIPUS.
Der Verfluchte
von Vaters Samen her! Da nimm das Messer
und opfre!

Drängt ihm wieder den Dolch auf, wieder weicht Kreon zurück.

Schnell! das fremde fluchbeladne Tier
hat deiner Schwester Bett besteigen wollen.

Stark.

Mensch, reinige die Königin!
KREON
die Hände zurücknehmend, starke Gebärde des Schweigens.
Du bist
der Sieger! Du hast nicht geschrien, es war
der Dämon, der im Tode schrie! Du bist
der Sieger!
ÖDIPUS.
Nein, ich bin verflucht
daheim und in der Fremde.
KREON
unfähig ihn zu begreifen.
Mensch, trägst du den Tod
im Leib? was stehst du aufrecht, wälze dich
vor meinen Füßen hin! Laß mich die Hände
in deine Wunden legen! schnell!
ÖDIPUS.
Mein Leib ist heil
und starrt von Kräften, unverwüsteten.
Ich habe meine Tat nicht tuen können:
das Wesen floh vor mir!
KREON.
Was marterst du mich noch,
verlarvter Gott, wenn du der Sieger bist?
ÖDIPUS
in jagender Hast.
Der Sieger! auf mir liegt das Chaos und
zernagt mich.
KREON.
Mensch, wie Rätsel unbegreiflich,
was hat die Sphinx an dir getan?
ÖDIPUS
in fliehender Hast.
Vor seiner Höhle
auf stand das Weib und neigte sich zur Erde
vor mir, und als ich nahe kam, so trat es
demütig hinter sich und bog sich nieder
bis an die Erde, als wär ich der Gast,
auf den sie hundert Jahre wartete.
Und dann nach rückwärts taumelnd, ohne Laut,
da hob es sein Gesicht und sah mich an,
da sah ich das Gesicht, da traten mir
die Augen aus den Höhlen, von den Knochen,
wie Zunder fühlte ich mein Fleisch sich lösen
vor Graun und Angst: mein Herz schlug wie im Tod,
die ganze Brust schlug mir, da gab es von den fahlen
gräßlichen Lippen seinen Gruß in meine
schlagende Brust hinein: »Da bist du ja«,
das Wort legt' es in mich hinein, »auf den ich
gewartet habe, heil dir, Ödipus!
Heil, der die tiefen Träume träumt« – und da
zerschnitten meine Brust, wirft sichs nach rückwärts,
den Blick auf mir, den schon verendenden,
mit einer grauenhaften Zärtlichkeit
durchtränkten, rücklings in den Abgrund, den
das Aug nicht mißt, den steinernen, und schreit
im Todessturz den namenlosesten,
furchtbarsten Schrei, in dem sich ein Triumph
mit einem Todeskampf vermählt, und stürzt
vor meinem Fuß hinab und schlägt tief unten
dumpf auf. Versteinerst du? Den du im Finstern
hast schlachten wollen, opfre mich im Licht!

Hält ihm den Dolch hin.
KREON
von einem geheimen Grauen überwältigt.
Ich hebe meine Hand nicht wider sich!
Du bist ein Gott und Sohn von Göttern!
ÖDIPUS
dringend.
Töte mich!
Ich bin der Sohn des Königs von Korinth
und habe einen Traum geträumt, der aufsteht
und mich erwürgt, wenn ich auch die Gebirge
der halben Welt, ihn zuzudecken, wälze!
KREON.
Du bist der Sieger, Ödipus, du bist
der Sieger, König bist du jetzt in Theben!

Bereit, vor ihm zu fliehen, angstvoll vor seiner Unbegreiflichkeit, halb zur Flucht gewandt.
ÖDIPUS
noch dringender.
So töte mich! Spürst du denn nicht, wie ich
behängt mit Flüchen bin, gefleckt mit Unheil
wie eines Panthers Haut! Das Messer nimm
und opfre mich, solang ich selbst mich feßle:
denn ich will leben, ich will König sein,
ich will die Königin auf diesem Thron
aus nacktem Stein zu meinem Weibe machen!
Ich bin ein König und ein Ungeheuer
in einem Leib, erwürge beide schnell:
Kein Gott trennt eins vom andern, töte mich!
Ich könnte wähnen, daß ich diese Nacht
die Tat getan hab, die vom zuckenden
Gefild des Himmels sich mit seliger Hand
die Lebensblume reißt! ich könnte wähnen,
daß ich der größte aller Menschen bin,
der auserwählte Sohn des Glücks. Da nimm!
schnell! töte mich!

Er läßt sich vor Kreon nieder in der Haltung dessen, der sich opfert.
KREON
trunken von der unbegreiflichen Wendung des Schicksals, schwingt den Dolch über den, der wie das gebundene Opfertier vor ihm kauert.
Ihr Götter, seid bedankt!

Wie er zustoßen will, lähmt ein Etwas von innen heraus seinen Arm.

Ich kann ja nicht!

Er hebt nochmals den Dolch, mit dem Schicksal ringend.

Was macht ihn jetzt noch stärker? Er ist nichts.
Mein Traum ists, der ihn stärker macht. Mein Traum
setzt mir den Fuß auf meinen Nacken!

Er wirft, von Grausen gepackt, den Dolch weg, daß er klirrend fällt. In diesem Augenblick fällt ein Blitz. Sogleich entzündet sich, unsichtbar, der Baum auf der Felsklippe, und es fällt starkes Licht von oben links herein.
KREON
vom Blitz geblendet, schreit auf.
Ah!

Er flüchtet, sich mit dem Mantel das Gesicht
verhüllend, von Ödipus weg. Ödipus springt auf.
KREON
fünf Schritte von ihm, voll Angst vor ihm.
Du bist ein Gott! verschone mich!
ÖDIPUS
wie aus tiefem Traume erwachend.
Das Licht der Götter!
Was willst du mir?
KREON
gebeugt, jeden Augenblick bereit, ihn anzubeten.
Du bist ein Gott! es schwebte
der ungeheure Blitz aus blauer Nacht
hernieder wie ein goldner Adler hinter dir!
ÖDIPUS
in Staunen verloren.
Das Licht!
KREON.
Der tausendjährige Baum, der droben
auf kahler Klippe horstet, steht in Flammen!
Du bist ein Gott! ich küsse das Gestein
vor deinem Fuß. Die Götter zünden dir
mit eigner Hand die Hochzeitsfackel an.
ÖDIPUS
wie oben.
Mit ihrer eignen Hand!
KREON.
Die Adler kreisen
als deine Feuerboten um den Berg!
Mein König, laß mich dein Gewand anrühren

Er wirft sich vor ihm nieder.

und heb mich auf!
ÖDIPUS
reckt beide Arme in die Luft.
O meine Eltern, Phönix!
Korinth! herab mit euch! ... Steh auf und sag mir
den Namen!
KREON.
Kreon bin ich.
ÖDIPUS.
Du? wer fragt nach dir!
Ich frag nach einem Namen auf der Welt:
den Namen nenne mir!
KREON.
Jokaste heißt
die Königin.

Der Baum ist abgebrannt. Fahles Dämmerlicht geht bald in den ersten grünlichen Schimmer des Morgens über.
ÖDIPUS
den Namen in sich saugend.
Wie seicht sind Träume: nie
hab ich den Klang geträumt.

Von unten, aus großer Ferne dumpfrollende Pauken. Allmählich näher. Allmählich auch leise, wie man es von der Spitze eines hohen Berges aus dem Tal heraufklingen hört, ein feierliches Singen. Auch dieses allmählich nahend, immer aber tief unten,
weit, fern heraufdringend.

Doch seit ich ihn
gehört hab, ist es mir als ob dumpf donnernd
der Puls der Welt, das ruhelose Meer
sich hüb und senkte, lustvermählt dem Schwellen
und Sinken meiner Adern.
KREON.
Ödipus,
das sind die heiligen Pauken, die du hörst,
geschlagen dir zu Ehren!
ÖDIPUS.
Wird der Berg
lebendig?
KREON.
Das ist Theben, das sich hebt
wie eine Sturmflut, seinen König sich
herabzuholen von der Klippe.
ÖDIPUS
läuft nach rückwärts an den Rand des Felsens, winkt Kreon zu sich.
Sie spähen beide hinab.
Dort,
der ungeheure Zug?
KREON.
Das Volk, die Priester,
die Heiligtümer!
ÖDIPUS.
Dort, das dumpfe Blitzen
aus eignem Licht, von keinem Strahl des Tags
getroffen! Mensch, was blitzt so aus der Nacht?
KREON.
Das ist das Königsschwert. Das ist das Schwert
des Kadmos.
ÖDIPUS
in ungeheuerer Erregung, erträgt es nicht, rückwärts zu stehen und zu warten.
Er stürmt nach vorne, Kreon mit sich schleifend.
Bleib bei mir und sei mein Bruder!
Den Sturm, der durch mich geht, kann keine Seele
ertragen, ohne einen Bruder!

Wieder zurück, mit Kreon, an den Felsenrand.

Dort,
das auf dem Wagen, den sechs Pferde ziehn,
das, eingehüllt in dunkle Schleier, Kreon,
ist das ein Götterbild?
KREON.
Das ist Jokaste!
ÖDIPUS
vom Rande weg nach vorne sich jäh werfend.
Gehüllt in dunklen Glanz, so wie ein Stern
in eine Wolke! es sind Schleier: meine
ah! meine Hände heben euch – dann schlägt
die Flamme in die Flamme!

Trunken, eilt er wieder zurück an den Rand, beugt sich über, ruft hinab, königlich ungeduldig.

Schneller, schneller!

Dann tritt er wieder zurück vom Rand.
KREON
hat noch hinabgespäht, springt jetzt zu Ödipus.
Sie haben dich gesehn! sie grüßen dich
wie einen Gott, sie recken heilige Zweige
zu dir empor! Ha, siehst du den Rubin
im königlichen Reif? Er hat das Blut
getrunken von Giganten. Ödipus!
er wird auf deiner Stirne glühn!

Plötzlich überwältigt ihn das Gefühl des eigenen Schicksals, und jäh wirft er sich auf den Boden, schlägt die Hände ins Gestein, voll Wut und Schmerz.
ÖDIPUS
in seiner Trunkenheit dessen, was in Kreon vorgeht, nicht achtend, reißt ihn stürmisch empor, an sich.
Du Fürst,
mein Bruder Kreon, wie du vor mir stehst!
wie schön du bist! was wirst du bleich und dunkel
wie das Olivenlaub im Wind! Kreon, wir wollen leben
wie ein Geschlecht von Seligen! Dies Theben
soll blühn wie eine Feuerblume! Kadmos,
dein Blut soll blühn in einer Brut von Adlern,
aus Feur geboren!
KREON
indessen wieder an den Rand gebeugt.
Ödipus, sie steigt
vom Wagen!
ÖDIPUS
vorne stehend, jubelnd, indes Kreon fern von ihm steht, dort am Felsenrand.
Kreon, herrsch ich hundert Jahr
zu Theben, das vergeß ich nicht, daß du
der Bote warst, der dies mir zurief!
KREON
am Felsenrand.
König,
sie kommt allein herauf.

Kreon tritt links zurück.
Ödipus steht vorne, starrend in Erwartung.
Jokaste steigt herauf, eine Krone auf dem Kopf.
Das Volk, unsichtbar, ist dem Gipfel nahe gekommen. Die Unruhe einer Menge, die still sein will, wogt dann und wann herauf.
JOKASTE.
Was suchst du, Kreon,
wo eine Königin zu einem König kommt?
Tritt hinter dich.
KREON
tritt noch weiter zurück.
JOKASTE
erblickt Ödipus.
Sie steht noch rückwärts, nah dem Rande. Sie ruft, über die Schulter, gebietend zurück.
Zurück auch ihr und trete keiner nah.

Sie geht auf Ödipus zu, bleibt zehn Schritte vor ihm stehen.

Du bist ein Gott. Nur Götter schaffen um,
was sie berühren. Ich bin dein Geschöpf:
in einen Schlaf hast du mich wie in Feuer
hinabgeworfen und mir drin erneut
die Seele und die Glieder. Sprich: soll dein
Geschöpf hinknieen zwischen deine Hände?
ÖDIPUS
schweigt.
JOKASTE.
Ich habe nie mit einem Gott geredet:
sag selber mir, wie ich dich grüßen soll.
ÖDIPUS.
Ich bin ein Mensch wie du, Jokaste!
JOKASTE.
Selig,
die dich getragen hat. Sag mir den Namen
der Mutter, die dich trug! Ich will sie ehren
wie keine Göttin.
ÖDIPUS.
Nichts von meiner Mutter!
Dies alles hängt nicht mehr an mir. Ich hab mich
mit Schwerteshieben losgelöst. Der Ödipus,
der vor dir steht, ist seiner Taten Kind
und diese Nacht geboren. Kommst du mir
nicht näher, Königin?
JOKASTE
tritt heran.

Drei Schritte vor ihm bleibt sie stehen. Sie hebt die Hände gegen ihn wie gegen ein Götterbild.
ÖDIPUS.
Ist dies dein Herz,
das deine Hand so glänzen macht?
JOKASTE
läßt die Hände sinken.
ÖDIPUS
leiser, vorgeneigt.
Um dich,
die mir kein Traum gezeigt, hab ich die Jungfraun
verschmäht in meiner Jugend Land.
JOKASTE
leise, zart, alle Gewalt der geheimsten Sehnsucht in ihren Augen.
O Knabe,
bist dus, um den ich sterben wollte, wenns mich
hinunterzog zu meinem Kind? Kein Traum
hat mir es zeigen wollen – wars, damit
dein Dastehn, dein Lebendiges, in mich
mit solchem Strahl hat stechen sollen?
ÖDIPUS.
Du
hast sterben wollen, du, Jokaste?
JOKASTE.
Ich.
Nicht einmal, hundertmal. Mein Leben war
nur mehr ein Schatten. Bin ich denn Jokaste,
hab ich nicht ihren Leib geborgt und bin
ein Gast von drunten aus der finstern Welt
und will das Blut aus deiner Brust? O Knabe,
nimm dich in acht vor mir.
ÖDIPUS.
Mit deiner Stimme
bewegst du in der Schlucht die Nacht und wirfst
auf alle Gipfel Licht.
JOKASTE.
Mach deinen Blick
von meinen Händen los. Die Adern waren
dem selbstgeführten Messer allzunah.
Das Blut in ihnen, das du schimmern siehst,
muß finster sein für alle Zeit. Was will
das traurige Weib beim jungen Knaben. Laß mich.

Er nimmt ihre Hand, läßt sie gleich wieder.
ÖDIPUS.
Mir ist, als wüßt ich Dinge, deren Namen
das Blut gefrieren machen. Doch, Jokaste,
ich hab sie nur gelernt, in deinen Armen
sie zu vergessen.
JOKASTE
kreuzt ihre Arme über der Brust.
Jeder Mutterschaft
hab ich geflucht, gepriesen hab ich laut
den kinderlosen Schoß.
ÖDIPUS.
Jokaste, ich
hab mit gebäumter Seele in den Tod
verflucht mein Leben.
JOKASTE
alle Finsternis hinweglächelnd.
Weh, wie wir einander
im Schlimmen gleichen.
ÖDIPUS.
Wie wir sind und nicht sind!
Jokaste! Wie dies alles schnaubt und zuckt
und vor dem Feuer weicht, das aus der Tiefe
des seligen Blutes bricht.

Er will sie an sich ziehen.
JOKASTE.
Oh, wie mir wird,
wie schwach und leicht –

Sie hält sich an den Fels.

Ich müßt in deinen Armen
des Todes sein!
ÖDIPUS
dicht bei ihr, ohne sie zu umfassen.
Um dieses Todes willen,
durch den du dich getragen hast, Jokaste,
muß ich dich lieben, wie kein Mann auf Erden
sein jungfräuliches Weib. Um deinen Gürtel,
in düstrem Feuer glänzend, sitzen die
Geheimnisse des Todes: aber ich –
ich sage dir: so wahr der nackte Stein,
der meine Gruft hat werden sollen, nun
zum Thron sich baut für mich und dich – und weiß
um nichts und ist behängt mit Glanz
und heiliger Vergessenheit – so wahr
als dies, was dort von Klippe springt zu Klippe,
geflügelt, rasend, sich herüberschwingt –
JOKASTE
dem plötzlichen Glanze zugewandt, ehrfürchtig schaudernd.
Das heilige Licht!
ÖDIPUS.
So wahr als dies der Bote
der ungeheuren Götter ist, so wahr
sind du und ich nur Rauch, daraus sich funkelnd
gebären will ein Neues, Heiliges,
Lebendiges!
JOKASTE
hauchend, von der Erinnerung überflogen.
Ich habe einem Manne
gehört.
ÖDIPUS
reißt sie an sich.
Vorbei! Vergessend leben wir!
Jokaste!
JOKASTE
sinkt über seinen Arm wie eine geknickte Blume.
Ah, was ist es, das wir tun?
ÖDIPUS.
Die blinde Tat der Götter.
DAS VOLK.
Heil dem König!
Dem unbekannten König Heil!
KREON
vortretend.
Heil König Ödipus!
JOKASTE
leicht sich entwindend, mit trunkenem Blick.
Der Mensch dort weiß den Namen, den du hast –
und ich – ich häng an dir und weiß ihn nicht.

Sie lacht ein kurzes unbeschreiblich leichtes, flüchtiges Lachen.

Du – ich – nicht blind! – was sagst du – nein, nicht blind!
sehend wir beide! du kein Gott und ich,
du Knabe, keine Göttin! Knabe, Knabe,
arm sind sie gegen uns, die Götter, die
nicht sterben können, arm! Doch du – und ich:
dein Dastehn, da auf diesem heiligen Berg,
dein Blut, das dich getrieben hat, dein Leid,
das dich gejagt hat – meine Tag und Nächte,
mein Blut, das leben nicht noch sterben konnte:
und heute, dieses Heute, du und ich!
Die Tage, die nun kommen, Tage, Tage,
das Namenlose, das noch kommt und doch
schon da ist, Tag und Nächte, Nächt und Tage,
das Dunkel, das wir wissen, und doch lachen wir –
und du mich weihend, ich dich weihend, dein
Gesicht bei mir und mein Gesicht bei dir!
Wo sind die Götter, wo ist denn der Tod,
mit dem sie immer unser Herz zerdrücken?
er war doch immerfort um mich, er war
vor meinem Aug, in meinem Haar, er hing ja
an mir so wie ein Rauch, wo ist er hin?
er ist in meinen Leib hineingesunken,
wie eine namenlose Lust, ein ungeheueres
Versprechen: o mein König,
o du: wir sind mehr als die Götter, wir,
Priester und Opfer sind wir, unsere Hände
heiligen alles, wir sind ganz allein
die Welt!

Sie hängt an seiner Brust.
ÖDIPUS.
Jokaste, stirb mir nie!
JOKASTE
schwach.
Trag mich hinab; ich glaub, es steht ein Haus,
darin zu ruhen.
ÖDIPUS.
Meine Königin!

Das Volk unsichtbar, schreit den gleichen Ruf gewaltig herauf, donnernd wie eine brandende
Woge.
JOKASTE
indem sie beide schon zum Hinabsteigen gewandt sind, er sie führend, fast tragend, löst sie sich von ihm, hält nun seine Hand in ihrer Hand.
Ja Volk!
Du schreist nach deinem König. Dieser ists,
an dem ich hange.
DAS VOLK
mächtig.
König Ödipus!

Kreon springt vor, wirft den Mantel ab, breitet ihn Ödipus und Jokaste vor die Füße. Er selbst, im purpurnen Gewand, fürstlich, fällt vor ihnen nieder, wie sie an ihm vorbeischreiten, hinabzusteigen.
Vorhang.

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TextGrid Repository (2012). Hofmannsthal, Hugo von. Dramen. Ödipus und die Sphinx. Ödipus und die Sphinx. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7928-E