[180] Patmos

Dem Landgrafen von Homburg

[Vorstufe einer späteren Fassung]

Voll Güt ist. Keiner aber fasset
Allein Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.
Im Finstern wohnen
Die Adler und furchtlos gehn
Die Söhne der Alpen über den Abgrund weg
Auf leichtgebaueten Brücken.
Drum, da gehäuft sind rings, um Klarheit,
Die Gipfel der Zeit,
Und die Liebsten nahe wohnen, ermattend auf
Getrenntesten Bergen,
So gib unschuldig Wasser,
O Fittige gib uns, treuesten Sinns
Hinüberzugehn und wiederzukehren.
So sprach ich, da entführte
Mich unermeßlicher, denn ich vermutet,
Und weit, wohin ich nimmer
Zu kommen gedacht, ein Genius mich
Vom eigenen Haus. Es kleideten sich
Im Zwielicht Menschen ähnlich, da ich ging,
Der schattige Wald
Und die sehnsüchtigen Bäche
Der Heimat; nimmer kannt ich die Länder;
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Doch bald, in frischem Glanze,
Geheimnisvoll
Im goldenen Rauche blühte
Schnellaufgewachsen
Mit Schritten der Sonne
Von tausend Tischen duftend
Mir Asia auf, und geblendet ganz
Sucht eins ich, das ich kennete, denn ungewohnt
War ich der breiten Gassen, wo herab
Vom Tmolus fährt
Der goldgeschmückte Paktol
Und Taurus stehet und Messogis,
Und schläfrig fast von Blumen der Garten,
Ein stilles Feuer, aber im Lichte
Hoch blüht der silberne Schnee,
Und Zeug unsterblichen Lebens
An unzugangbaren Wänden
Uralt der Efeu wächst und von lebenden Säulen
Getragen sind, von Zedern und Lorbeern,
Die felsenharten,
Die göttlichgebauten Paläste.
Es rauschen aber um Asias Tore
Hinziehend da und dort
In ungewisser Meeresebene
Der schattenlosen Straßen genug,
Doch kennt die Inseln der Schiffer.
Und da ich hörte,
Der nahegelegenen eine
Sei Patmos,
Verlangte mich sehr,
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Dort einzukehren und dort
Der dunkeln Grotte zu nahn.
Denn nicht, wie Cypros,
Die quellenreiche, oder
Der anderen eine
Wohnt herrlich Patmos,
Gastfreundlich aber ist
Im menschenlosen Hause
Sie dennoch,
Und wenn vom Schiffbruch oder klagend
Um die Heimat oder
Den abgeschiedenen Freund
Ihr nahet einer
Der Fremden, höret sie gern das; und die Kinder,
Die Stimmen des heißen Hains,
Und wo der Sand fällt und sich spaltet
Des Feldes Fläche, die Laute,
Sie hören ihn, und lieblich widertönt
Es von den Klagen des Manns. Eins Tages diente
Patmos, tiergleich, dem Seher, denn dem war es ein Übel,
Dem menschenliebenden, der im Sausen des Rohrs, war, in der Jugend,
Gegangen mit
Dem Sohne des Höchsten, unzertrennlich, denn
Nicht gar allein sein mochte, des Geistes wegen,
Der Sohn des Höchsten, doch sahe der Jünger
Wohl, wer er wäre,
Damals da, beim Geheimnisse des Weinstocks, sie
Zusammensaßen, zu der Stunde des Gastmahls,
Und in der großen Seele, ruhigahnend, den Tod
Aussprach der Herr, und die letzte Liebe, denn nie genug
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Hatt er, Von Güte, zu sagen
Der Worte, damals, und zu schweigen, da
Ers sahe, das Zürnen der Welt.
Denn alles ist gut. Drauf starb er. Vieles wäre liebes
Zu sagen. Und es sahn ihn, wie er siegend blickte,
Den Freudigsten die Freunde noch zuletzt,
Doch trauerten sie, dieweil
Es Abend worden, erstaunt,
Denn Großentschiedenes hatten in der Seele
Die Männer, aber sie liebten unter der Sonne
Das Leben und lassen wollten sie nicht
Vom Angesichte des Herrn
Und der Heimat. Eingeboren war,
Wie Feuer im Eisen, das, und ihnen ging
Zur Seite der Schatte des Lieben.
Darum auch sandt er ihnen
Den Geist, und freilich bebte
Das Haus und die Wetter Gottes rollten
Ferndonnernd über
Die ahnenden Häupter, da, schwersinnend,
Versammelt waren die Todeshelden,
Itzt, da er scheidend
Noch einmal ihnen erschien.
Das heißet, es erlosch der Sonne Tag,
Der Königliche, und zerbrach
Den geradestrahlenden,
Den Zepter, göttlichleidend, von selbst,
Denn wiederkommen sollt es,
Zu rechter Zeit. Nicht wär es gut
Gewesen, später, und schroffabbrechend, untreu,
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Der Menschen Werk, und Freude war es
Von nun an,
Zu wohnen in liebender Nacht und bewahren
In einfältigen Augen unverwandt
Abgründe der Weisheit. Manchem ward
Sein Vaterland ein kleiner Raum,
Doch furchtbar wahrhaft ists, wie da und dort
Unendlich hin zerstört das Lebende Gott.
Denn schon das Angesicht
Der teuern Freunde zu lassen
Und fernhin über die Berge zu gehn
Allein, wo zweifach
Besorget, übereins
War himmlischer Geist. Bei jenen aber wars
Ein Zerfall, und das Heiligtum das Spiel des Moria
Und der Zornhügel zerbrach, damals, wenn ihnen plötzlich
Ferneilend zurück blickte
Der Gott und schwörend,
Damit er halte, wie an Seilen golden zusammengenommen,
Gebunden hinfort
Das Böse nennend, sie die Hände sich reichten, –
Wenn aber stirbt alsdenn,
An dem am meisten
Die Schönheit hing, daß an der Gestalt war
Ein Wunder und die Himmlischen gedeutet
Auf ihn, und wenn, ein Rätsel ewig füreinander,
Sie sich nicht fassen können
Einander, die zusammenlebten
Im Gedächtnis, nicht das nur und wenn es den Sand
Wegnimmt und die Weiden und die Tempel
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Ergreift, wenn aber die Ehre
Des Halbgotts und der Seinen
Verweht und unerkenntlich, bei ihm selber,
Im Himmel der genannt war,
Ergrimmt, weil nirgend ein
Unsterbliches mehr am Himmel ist zu sehen oder
Auf grüner Erde, was ist dies?
Es ist der Wurf das eines Sinns, der mit
Der Schaufel fasset den Weizen,
Und wirft schwingend dem Klaren zu ihn über die Tenne.
Ein furchtbar Ding, Staub fällt.
Korn aber kommet ans Ende.
Nicht gar ein Übel ists, wenn einiges
Verloren gehet manchmal, von Reden
Verhallet der lebendige Laut.
Denn göttliches Werk auch gleichet dem unsern.
Alles will nicht der Höchste zumal.
Nun Eisen träget der Schacht
Und glühend Harz der Aetna,
So hätt ich auch Reichtum,
Zu bilden ein Bild und ähnlich
Den Christ zu schaun, wie er gewesen.
Wenn aber einer spornet sich selbst,

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hölderlin, Friedrich. Gedichte. Gedichte 1800-1804. [Hymnen]. Patmos [Vorstufe einer späteren Fassung]. Patmos [Vorstufe einer späteren Fassung]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7B2F-C