Auf eine andere Manier

Was war/ was ist/ und was noch werden kan/
Bedenckt und sieht ein Weiser an.

Aria.

Komt ihr seeligen Gedancken/
Stellt mir meine Jugend für.
Aber ach/ wie grauet mir!
Geist und Seele wollen wancken/
Und die Kleinmuth herrscht allhier.
Dennoch kommet ihr Gedancken/
Stellt mir meine Jugend für.
Was war ich vor? soll ich zurücke sehn/
So seh ich eine Menge stehn/
Die mich unendlich muß erschrecken.
[66]
Sinds Feinde? Nein/
Sie wollen meine Kinder seyn/
Ach Kinder/ so die Sünden hecken.
Nehm ich den Spiegel vor/ von der vergangnen Zeit/
Mein Gott/ ach welche Häßlichkeit!
Was hab ich nicht vor Flecken im Gewissen!
Wie ist mein Kleid der Unschuld doch zerrissen!
Wie unrein ist mein Angesicht!
Wusch ich mich denn vor diesem niemahls nicht?
Wo ist das Bild/ das Gott nach sich geschaffen?
Ach alles sieht erbärmlich aus!
Wie ist so voller Staub und Koth/
Denn deiner Seelen Hauß?
Der Herr darinnen hat bißhero stets geschlaffen.
Wie bist du denn so voller Angst und Noth?
Was hast du Armer doch gethan?
Was mich betrüglich hat ergetzet/
Anitzt in Jammer setzet/
Vielleicht auch ewig kräncken kan.
Was aber thust du nun?
Ich scheue mich/ die Augen aufzuthun.
Aria.

Wenn meine Augen auf mich sehn/
So müssen Thränen drinnen stehn.
Denn meine Schönheit ist verlohren/
Und mein Gewissen muß den Mohren
Vollkommen gleich am Brande gehn.
Wenn meine Augen auf mich sehn/
So müssen Thränen drinnen stehn.
Was ist die gegenwärtge Zeit?
Ein Raub der Uppigkeit.
Mein Leben ist verkehrt/
Und mein Verstand bethört.
[67]
Mein edles Leben will sich enden/
Ich reiße mir die Adern selber auf/
Und kan des Blutes Lauf/
Zu meinem Tode sehn
Doch endlich will mir das Gesicht vergehn.
Ich muß das Haupt nach jener Seiten wenden/
Wo man die künffte Zeit erblickt/
Was war/ was ist/
Daß ist ein Stein/ der mein Gewissen drückt.
Doch was noch werden kan/
Diß schau ich voller Glauben an.
Aus einem Kinde dieser Erden/
Kan ich ja wohl ein Kind des Lichtes werden.
Aria.

Klugheit machet wieder schön/
Wenn wir noch so heßlich sehn.
Alle Thorheit muß ersterben/
Und das Auge dahin gehn/
Wo wir nicht zu dem Verderben/
Ewig angeschrieben stehn.
Zwey Schlangen sind/ die uns verletzen/
Und auch ins Heil versetzen/
Der/ die der Fluch de Höchsten trifft/
Nimt man den Gifft.
Der andern borgt man Klugheit ab/
Und legt sein Sünden Kleid von sich und in das Grab.
Nun so verfluch ich diese Wege/
Die Laster-Bahn/ die vor mein Fuß berührt.
Und seelig preis' ich diese Stege/
Wohin mich jetzt die Klugheit führt.
Was war/ was ist und was noch werden kan/
Diß schaue Seele weißlich an/
Das erste mit bereuen/
[68]
Das letzte mit erfreuen.
Damit dein Hertz nicht vor entsetzen bricht/
Wenn alles diß geschicht/
Was einst mit dir und dieser Erden/
Nach Gottes Schluß wird werden.
Aria.

Bedencke/ Seele was du thust/
Verlasse nicht der Weißheit Bahn.
Laß mir den Trost im Sterben werden/
Vor Gott im Himmel und auf Erden/
War alles gut und wohl gethan.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Hunold, Christian Friedrich. Gedichte. Academische Nebenstunden allerhand neuer Gedichte. Moralische Uber-Schrifften- und Gedichte. Auf eine andere Manier. Auf eine andere Manier. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-85B9-7