[3] An die Rose

Rose, komm! der Frühling schwindet;
Veilchen haben dich verkündet,
Mayenblumen starben hin:
Oeffne dich beym Lust-Getöne
Dieser Fluren; komm, o schöne,
Holde Blumen-Königinn!
Als du kamst im ersten Lenze,
Hingen tausendfache Kränze
Schon um Anger, Berg und Thal;
Ufer lockten, Wälder blühten,
Pomeranzen-Haine glühten
Weit umher im Sonnenstrahl.
Libanons umwölkte Gipfel
Hoben ihre Cedern-Wipfel
Duftend in den Morgenschein;
[3]
Doch auf dehmuthsvollem Throne
Solltest du der Schöpfung Krone,
Der Geschaffnen Wonne seyn.
Und du gingst mit leisem Beben
Aus der zarten Knosp' ins Leben;
Erd' und Himmel neigten sich;
Und es huldigten die Wiesen;
Nachtigallen-Chöre priesen,
Alle Nymphen liebten dich.
Goldne Schmetterlinge schlugen
Froh die Flügel; Winde trugen,
Wo die Luft in Jubel war,
Deinen Balsam; Herzen pochten
Dir entgegen; Mädchen flochten
Unter Perlen dich ins Haar.
Die von Weiber-Armuth sangen,
Mahlten sie mit Rosen-Wangen;
Jede Seele, gut und mild,
Arglos, unschuldvoll, bescheiden,
War in ihren höchsten Freuden
Dein getreues Ebenbild.
[4]
Und der Schönheit und der Jugend
Wächterinnen, Schaam und Tugend,
Zu den Knospen hingebückt,
Hüllten unter deinem Nahmen
Ihr Geheimniß; Bräute kamen
Nicht umsonst mit dir geschmückt.
Da begann der rohe Zecher,
Den von dir umblümten Becher
Keuschen Grazien zu weihn.
Allen Helden, allen Göttern
Ging das Volk mit deinen Blättern
Weg und Tempel zu bestreun.
Mit verjüngtem Herzen schlichen
Greise zu den Wohlgerüchen
Deines vollen Kelchs herbey;
Lehrten segnend ihre Söhne:
Daß hienieden alles Schöne,
Selbst die Rose sterblich sey.
An des Freundes heil'gem Grabe
Wurdest du zur letzten Gabe
Seinem Schatten dargebracht;
[5]
Solltest ihm den Pfad umschlingen,
Thränen ihm und Küsse bringen
In die leere Todes-Nacht.
Fromme singen an zu loben,
Sahn gen Himmel, ließen droben,
Zwischen Palmen ewig grün,
In des Paradieses Hallen,
Wo die reinen Geister wallen,
Dich zum Sieges-Kranze blühn.
Rose, komm! In stiller Feyer,
Unter jungfräulichem Schleyer,
Warfen Lilien auf dich;
Und für deine Schönheit offen,
Steht mein Herz in süßem Hoffen,
Liebes-Hauch umsäuselt mich.
O wie friedlich, o wie lauter
Diese Liebe! Wirst mich, trauter
Als der Morgensterne Pracht,
Von der Weisheit unterrichten,
Die so stolz der Berge Fichten,
Dich so klein und schön gemacht,
[6]
Daß in deinem holden Wesen
Wir der Seelen Unschuld lesen,
Uns die Brust von Ahndung schlägt;
Daß der Geist der niedern Blume
Unsern Geist zum Heiligthume
Schöner Gottes-Engel trägt.

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TextGrid Repository (2012). Jacobi, Johann Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. An die Rose. An die Rose. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8A5D-D