[129] An den Herrn Rector Reitz, meinen ehemaligen Lehrer, in Düsseldorf

Pempelfort bey Düsseldorf, den 24. Octob. 1778.


Wer Zauberlieder singen will',
Um auf dem Meer die Wogen still,
In Goldgebirgen schwarze Drachen
Der zahmen Taube gleich zu machen;
Wer Zauberlieder singen will,
Den kalten Jenner zum April
Sich umzuschaffen, und Violen
Aus tiefem Eis hervorzuhohlen –
Der muß bey krausem Talismann,
Beym Wirrwarr fein geschlungner Fäden,
In Mitternächten dann und wann
Mit Geistern aus der Hölle reden.
Und ach! wer Lieder singen will,
Den Aufruhr in der Seele still,
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Des Neides finstern Blick zum Lachen,
Und schweren Kummer leicht zu machen –
Den wird gewiß für solche Kunst
Sein eigen Herz, der Menschen Gunst
Mit tausendfacher Freude lohnen;
Oft aber wird, aus Höllen-Dunst
Gezeugt, mit seinen Legionen
Von ungestalten Qual-Dämonen,
Der Hypochonder bey ihm wohnen.
Um Leyer und um Lorber-Kranz
Beginnen sie den Fratzen-Tanz;
Sie wedeln mit dem Ottern-Schwanz,
Und öffnen weit die Eulen-Schnäbel:
Da hilft uns kämpfende Vernunft,
Zu steuern dieser frechen Zunft,
So wenig als der beste Säbel
Dem Helden tief im Schatten-Reich;
Sie mehren sich auf jeden Streich;
Man haut sie matt, und spaltet Nebel.
Das einzige, was Sicherheit
Gewähren kann, was von dem Grimme
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Des Hypochonders uns befreyt,
Ist eines Mädchens holde Stimme,
Ist eines Freundes Angesicht. –
Wenn jenes süße Worte spricht,
Wenn dieser treu die Hand uns reichet,
Dann kräht der Hahn zum Morgenlicht,
Und jedes Nachtgespenst entweichet.
O Freund! ob meine Lieder gleich
Mich nicht den Meistern zugesellten,
So läßt mich dennoch, trüb und bleich,
Ein Kobolt den Gesang entgelten;
Ich aber leid' es ohne Schelten,
Und klage nicht den Himmel an.
Wo lebt der nervenfeste Mann,
Deß harte Faust den Hammer führen,
Zugleich die Saiten zärtlich rühren,
Und Gram in Wonne schmelzen kann?
Ich klage nicht den Himmel an;
Denn was mich plötzlich oft erschüttert,
Wenn Berg und Kluft den Hagel wittert,
Und Schwermuth in die Wälder sinkt,
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Ist eben das, was mich durchzittert,
Wenn mir im Thau die Rose blinkt;
Denn eben diese Phantasie,
Die manchen Tag, ich weiß nicht wie,
Gleich scheuen Rossen, da sich bäumt,
Wo von Gefahren keinem träumt,
Ermannt die Seele wiederum.
Wenn, ohne Blatt und Vogel, stumm
Der Lusthain ist, die Eichen ächzen,
Am starren Fluß die Raben krächzen;
Wenn hinter blank gefrorner Au
Gestorbne Büsche, dunkel grau,
Im Feuerroth des Abends glänzen,
Und hohe Pappeln, zwischen Eis,
Den Fuß beschneyt, den Wipfel weiß,
Mit Epheu sich den Stamm bekränzen;
Dann sehen Tausende die Flur
In allgemeiner Trauer nur.
Doch mir verschleyert die Natur,
Beständig mild und groß und kühn,
Nicht ihren Schmuck; der Tanne Grün,
Auf Silberschnee der Sonne Gluth,
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Gibt meinem Herzen Kraft und Muth,
Ihr Mutter-Antlitz mit Vertrauen
Und vollem Jubel anzuschauen.
So, Freund, so mach' ich jederzeit
Die Richtung mir von Glück und Leid,
Und bin zufrieden mit der Summe;
Bins heute noch, da beym Gebrumme
Des Schornsteins, mir zum Weh und Ach,
Der Reuter auf des Nachbars Dach
Vom dunkeln regenhaften West
Den Pferde-Kopf sich drehen läßt,
Und hinter ihm mein Dämon reitet,
Der blut'gen Krieg auf mich und Pest
Im Windgeheule niederleitet.
Du aber laß ihm heute nicht
Den kecken Spaß an mir gelingen;
Und weil's an Mädchen hier gebricht,
Die spottend ihn zu Ruhe zwingen,
So weise mir dein Angesicht,
Dein Biederauge, sonder Harm:
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Da wollen wir dem ganzen Schwarm
Von Zwergen, Fledermäusen, Drachen,
Und allen Sorgen Beine machen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Jacobi, Johann Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. An den Herrn Rector Reitz. An den Herrn Rector Reitz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8A6D-9