[23] Aphrosine

Ein Erzählung


In einer königlichen Stadt,
Die großen Prunk und große Sünder
Und Häuser hatte, wie Berlinathen sie hat,
Zog Aphrosine zwey zugleich gebohrne Kinder
Nunmehr ins zehnte Jahr, und sparte keinen Fleiß
Und keine Sorgfalt, sie zur Tugend aufzuziehen.
Denn Madchen, die so roth und weiß
Wie Lilien und Rosen blühen,
Sind ohne Furcht und Sitten, nichts.
Schön waren diese Töchter beyde:
Die Feinheit ihres Angesichts
Gab ihrer Mutter Trost im schweren Wittwenkleide;
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Doch ihres Busens Liebling war
Die lieblichlächelnde Dorine;
Ihr zarter Wuchs, ihr dunkles Haar
Und ihre geistbelebte Miene
Und feuerreiches Augenpaar,
Zwang jeden Menschen, der sie sahe,
Zur staunenden Bewunderung;
Und da dies schon anitzt geschahe,
Da noch ihr Auge viel zu jung
Zum Herzbestricken war; was wäre nicht geschehen,
Wenn sie mit reifgewordner Macht
Den Jüngling siegend angesehen,
Und ihrer äußern Reize Pracht
Mit innren Reizungen vermehret?
Die Mutter sahe schon voraus
Von einem Eydam sich verehret,
Der ihre Tochter in ein goldgeschmücktes Haus,
Palästen ähnlich, führen würde.
Die zwote Tochter, Aphrosis,
War etwas minder schön, doch fromm war sie gewiß.
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Sie machte stets die große Bürde
Der schmerzlichsten Bekümmerniß
In ihrer Mutter Herzen leichter;
Wenn ihre beyde Wangen feuchter
Von Thränen waren, als vom Fall
Des Abendthau's die Sonnenblume,
Dann sang die Tochter süß, gleich einer Nachtigall,
Ein heilig Lied zum Götterlob und Ruhme,
Und küßete der Mutter Thränen vom Gesicht,
Das gute Kind! Sie wußt es nicht,
Ihr Vater gieng vor sieben Jahren
An einen schilfbewachsnen Fluß,
Und tödtete mit einem Bogenschuß
Zween Wasservögel, die dem Flußgott heilig waren;
Und stieg itzt in ein kleines Boot,
Um seine Beute sich zu hohlen,
Und fand im Wasser seinen Todt,
Nachdem er Weib und Kind den Göttern anbefohlen,
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Als ihm die schnelle Fluth empfieng;
Die Fischer kamen ihm, ach! allzuspät zu Hülfe,
Starr brachten sie ihn aus den Schilfe,
Der armen Gattinn, und seit diesem Tage gieng
Dies bange Weib mit jeder Abendsonne
Zum Ufer, wo sein Grabmal war.
Hier, sprach sie: hier liegt meine Wonne,
Und gab ihr aufgelöstes Haar
Den Lüften Preis, und füllete die Lüfte
Mit ihrem klagenden Geschrey.
Sie brachte frische Blumendüfte
Zum Todtenopfer, wenn der May
Die Fluren und den Garten krönte,
Goß Milch und Wein aufs Grab und söhnte
Den Flußgott jährlich aus mit eines Böckchens Blut.
Einst blieb sie ungewöhnlich lange;
Der Sturmwind heulete; da war den Kindern bange;
Sie sahen mit verzagtem Muth
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Durchs Fenster, legten sich heraus mit halben Leibe
Und stürzeten zugleich herab:
O! Wehe dem betrübten Weibe!
Sie kam, und dieser Anblick gab
Ihr Stiche, die das Herze treffen müssen;
Denn, ach! Dorine lag zerschmettert und entstellt,
Gleich einem Apfel, der vom Wipfel abgerissen,
Von Ast zu Ast, stark auf den Boden fällt;
Sie warf sich über ihre Leiche, mit Verlangen
Zu sterben, und sie frug nach Aphronisen nicht.
Ein Wunderwerk war mit dem Kinde vorgegangen;
Im Fallen hatte sie der Sturmwind aufgefangen,
Und unbeschädiget, mit heiterm Angesicht,
Drey Häuser weit davon, so sanft herabgelassen,
So leicht, als wärs ein Myrtenblatt.
Sie kam, die Mutter zu umfassen,
Die leichenblaß und sterbensmatt
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Auf hartem Pflaster lag und in Dorinens Blute.
Und seht, den Augenblick erschien im Flügelhute
Der Götterbothe, der Merkur,
Und sagte zur Verzweiflungsvollen:
Sey ruhig, klage nicht. Die Götter wollen
Der Menschen Bestes nur.
Er sprach es und verschwand, und Aphrosine sahe
Im späten Alter sich gelabt,
Von Aphronis, an der das Wunderwerk geschahe.
Die Götter hatten sie mit Tugenden begabt,
Und überdies mit glänzendem Verstande:
Dadurch ward sie berühmt in ihrem Vaterlande;
Und jedermann rief ihrer Mutter zu:
Heil dir, du frohe Mutter, du.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Karsch, Anna Louisa. Gedichte. Neue Gedichte. Aphrosine. Aphrosine. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8ECB-6