Episteln und Erzählungen

[143][145]

An die Prinzessinn Heinrich

Halberstadt, den 23. Febr. 1762.


Durchlauchtigste Prinzessinn


Gnädigste Frau!


Ich befinde mich außer den Umschanzungen Magdeburgs, an dem Tage, der die Palläste erleuchtet von dem Glanz der Feierlichkeit, wovon Ew. Königl. Hoheit die Ursache sind; aber meine Erinnerung ist nichts desto weniger lebhaft. An diese Festlichkeit gedenk ich und wünsche mir, in derselben die Prinzessinn [145] zu sehen, die im leicht flatternden Morgengewand alle Reizungen einer Bezauberung hat; ich beneide meinen Freund, aus dessen Hause ich mir das Glück gebe, Ewr. Königl. Hoheit zu schreiben. Er macht mir Beschreibungen von dem Stolz, den er zu bekämpfen hatte, nach der Gnade, die ihm ein Zufall gab: Sie kamen, gnädigste Prinzessinn! durch Halberstadt, und die veralterten Gemäuer zitterten Ihnen Ehrfurcht entgegen.


Grün wie der Frühling war Dein Kleid;
Weiß, wie der Schnee zur Winterzeit,
Die Stirne, die voll Lieblichkeit
Herab zu allem Volke redte.
Die Grazien sahn neidisch nach,
Der Dichtergott Apollo sprach:
Wer sich in Dich verkleidet hätte.
Diana, sprach er, stieg herab,
Und weil der Wald ihr keine Freuden
Für ihre Götterseele gab,
Gefiel es ihr sich menschlich einzukleiden;
Prinzessinn! also sprach Apoll
Zu seinem Sohn den Kriegesdichter:
Indem erblicktest Du hoch auf dem Dohm zween Lichter,
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Und forschtest nach, warum? Der Dichter sprach: es soll
Vor Alters sich verirrt ein frommer Bischof haben,
Der ordnete alsdann vor künftige Gefahr
Die Lichter an, die nun fünf hundert volle Jahr
Dem Wandrer in der Nacht getreu bezeichnet haben
Die rechte Straße nach der Stadt.
Du lächeltest und sprachst:
»Der gute Bischof hat
Das beste Werk gethan, weil vor fünf hundert Jahren
Die Menschen, wie die Zeit, so ganz verfinstert waren.«
Welch seiner Witz sprach dazumal
Im Engelten aus Deinem Munde.
Und stolzer als mein Freund bin ich auf eine Stunde,
In der mich Deiner Reime Wahl 1
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Aufmunterte an Deiner Seite.
So glücklich war die Griechinn nicht,
Die Sapho hieß, sie sang vor keinem Angesicht,
Das Deiner Hoheit Strahlen um sich streute.

Ja in Wahrheit, gnädigste Prinzessinn, ich empfinde einen Ansatz zum Stolz, ich setze diese glückliche Stunde Gleim entgegen, wenn er mir sagt, wie er Sie einst im Nahmen des Herrn Dohm-Dechants empfing, und eben jezt ruf ich ihm zu, daß er nicht mit mehr Ehrfurcht Ewr. Königl. Hoheit ergeben ist, als Sapho.

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Fußnoten

1 Ihre K.H. hatten der Dichterin Endreime vorgeschrieben, welche sie mit ihrer gewöhnlichen Leichtigkeit im höchsten Beisein der Prinzessinn mit Gedanken ausfüllte.

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TextGrid Repository (2012). Karsch, Anna Louisa. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1792). Episteln und Erzählungen. An die Prinzessinn Heinrich. An die Prinzessinn Heinrich. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8F5C-5