[78] Ueber die Emilie Galotti

An Sr. Durchl. den Feldherrn Ferdinand Herzog zu Braunschweig und Lüneb.


Im April 1772.


O Ferdinand, bey dessen Namen
Der Britte schwört, der Deutsche sich verbeugt,
Der Gallier die Schrecken noch bezeugt,
Die über ihn im Treffen kamen,
Als um dich her die Donner Jupiters gekracht –
Du bists, dem nie die schwere lange Weile
Verdrüßliche Minuten macht.
Du hast vielleicht mit Schnitzung neuer Pfeile,
Mit Schärfung deines Schwerdts den Wintertag verbracht;
Und einen Theil der trüben Nacht
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Beym Schauplatz dich erhohlt, wo neulich, tief im Schleyer
Die Braut Emilie verhüllt,
Als wie vor einem Ungeheuer,
Von Furcht und Schrecken ganz erfüllt,
An ihrer Mutter Busen stürzte,
Und strenger Sittsamkeit getreu
Den strengren Vater bat, daß er ihr Leben kürzte.
Mit einer frommen Tyranney
Wußt er den schönsten Busen zu durchstechen.
Dein Beyfall und dein Urtheilsprechen
War Ehre für den Mann, der uns die Heldinn schuf,
Und Ehre für das Weib, von der sie ward gespielet.
Groß ist des Dramadichters Ruf,
Und groß die feine Kunst, die nur ein Kenner fühlet.
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Auch ich empfand die mütterliche Wuth
Der Klaudia letzthin drey Tage nacheinander:
Der Thetis Auge war in keiner stärkren Glut,
Als einst Achilles am Skamander
In einer schrecklichen Gefahr
Verfolgt von Wellen, und fast umgeschleudert war,
Und sie, mein Sohn! mein Sohn! geschrieen.
Auch konnte Klytämnestra nicht
Durch jeden Zug im zornentbrannten Angesicht
Mehr sagen, um ihr Kind dem Kalchas zu entziehen,
Als unsre feinste Spielerinn:
Ihr Blick, ihr Ton, ihr Armausbreiten
Riß mich und alle Seelen hin;
Und ich versetzte mich in jene graue Zeiten
Des Sophokles und Aeschylus,
Und rief den Seelen zu, die dazumal gelebet:
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Seht eure Dichter, eure Spieler aufgelebet,
Und weint noch einen Thränenguß,
Und fühlt noch einmal, daß ihr lebet.
Ich sprachs, und weinte noch aus voller Augenquell,
Als Klaudia den Marinell
Nicht mehr mit ihrem Donner bebend machte.
O dieser Marinell wie fein, wie wundersam,
Er Aug und Ohr zur Staunung brachte,
So bald er auf den Schauplatz kam;
Mit welcher Wahrheit und mit welcher Kunst er spielte,
Darzu ist jeder Ausdruck viel zu klein,
Dieß könnte Leßing nur allein
So nacherzählen, so beschreiben, wie ichs fühlte:
Denn bis zum Abscheu ward die List
Des schlauen Hofmanns vorgestellet,
Der nur aus Eigennutz ein Freund des Fürsten ist,
Und seine schwache Tugend fället,
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Indem er Streich auf Streich ihr anzubringen weiß,
Und wenn er sie aus seiner Brust getrieben,
Mit unermüdet bösem Fleiß
Die Laster schminkt, damit sein Herr sie möchte lieben,
Und ihnen süße Namen giebt.
Ich wandte mich von diesem Lüstlingsknechte
Zur Gräfinn, welche bis zum Unsinn heiß verliebt
Das ganze männliche Geschlechte
Verwünschte, und mit Gift und Stahl
Gerüstet kam, den Prinzen noch einmal
Zu sehn, und ihn und sich zu morden.
Hohn, Rachsucht, Liebesneid, und Liebesraserey
Sprach wechselsweise, sprach aus ihrem Blick und Munde,
Ich glaubte, daß Medea gegenwärtig sey,
Als nun Orsina in dem neuen Freundschaftbunde
Dem alten Graf der Rache Werkzeug lieh,
Medea lächelte, wie sie,
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So bitter, und mit solchen Trieben,
Und doch muß ich die arme Gräfinn lieben,
Die so verlassen, so verachtet sich befand.
Ich zürnte, daß der Graf den Zorn in sich versteckte,
Dem Prinzen ohne Widerstand
Sein Kind zu lassen schien, und ihm nicht kühn entdeckte:
Prinz, ich weiß alles, weiß daß dieser Marinell
Die Mörder Apians gerüstet;
Ich weiß, daß dich nach diesem reinen Quell,
Nach meiner Tochter hier, gelüstet.
Ich fluche dir mein Ach und Weh,
Und ehe sie den fremden Händen
Wird anvertraut, soll sie, gleich der Virginie,
Von meiner Hand durchbohrt, ihr junges Leben enden.
Der Prinz war weich, war kein vorsetzlicher Tyrann,
Die Schaam, die bittre Reue hätten
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Ihn schnell ergriffen, und der alte böse Mann
Der konnte leicht das süße Mädchen retten.
Der furchtbegoßne Fürst gestand
Sein schwaches Herz und seines Dieners Tücke,
Ward wider ihn von Grimm entbrannt,
Und hieß, mit einem Fluch im Blicke,
Ihn ewig aus den Augen gehn;
Und gab den Göttern dieser Erde,
Die lange Zeit nach ihm entstehn,
Zur Lehre, daß ein Fürst leicht zum Tyrannen werde,
Wenn ihn ein Busenfreund regiert,
Der sieben Teufel in dem Herzen
Und einen Schmeichler in den Honigmunde führt.
Ich sprachs umsonst, und sah mit Schmerzen
Der schöngebrochnen Rose Fall,
Und seufzte laut, und überall
Ward nachgeseufzt, denn alle Seelen fanden
Den Marinell verwünschungswerth.
Da gieng ich fort, und dachte Ferdinanden
Der gern mein Lied im sanften Tone hört,
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Nur keine Schmeichler, keine Marinelle,
Die ganz ohnfehlbar als ein Kind
Unmittelbar ein Geistchen aus der Hölle
Erhielten, und durch ihn verteufelt sind.
Nein, dacht ich, nein, die Gwelfen alle schützen
Ihr großes Herze vor dem Gift
Der Schmeicheley, und insgesammt besitzen
Sie der Minerva Schild auf den kein Wurfpfeil trift –
Auf den sie sich mit ihrer Tugend stützen.

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TextGrid Repository (2012). Karsch, Anna Louisa. Gedichte. Neue Gedichte. Ueber die Emilie Galotti. Ueber die Emilie Galotti. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8F98-0