Klagen über eine gestorbene Rose

an meinen Freund R. 1


Den grübchenlächelnden Jünks besang neulich der
Kleine Birtyll, wegen des anmuthigen Getränkes
Der Cacaobohne mit Zucker gemischt; ich singe
Dir darüber kein Lied, ich schmeichle Dir nicht,
Wegen Deiner Geschicklichkeit, denn unsern Halbgöttern
Und Göttinnen sind jene Täfelchen bekannt, welche
Du für ihren unterscheidenden Gaumen zubereitest,
Ihr freundlicher Lobspruch beim Morgentrinktische
Gehet weit über meinen Gesang;
Aber fragen will ich dich ehrlicher, gefälliger Freund, hast
Du keinen aromatischen Blumengeist unter den
Wundern deiner Kunst? Keinen, der meiner
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Gestorbenen Rose ihren Geruch wieder geben kann?
O sie war schön, wie die
Junge Friedrika von Preußen;
Sie war eine Knospe. Milon brachte sie
Mir frisch abgebrochen vom Rosenstocke, welchen
Er selber gepflanzet, gepflegt und durch
Gottesfürchtige Frömmigkeit vor schädliche Taue
Bewahret hat. Ich küßte die Knospe,
Die Milon mir gab, noch unaufgefächelt vom
Lüsternen Zephir, noch festverschlossen, wie
Ein glühendes Herz, welches in sich das Geheimniß
Der Liebe verbirgt. Ich erhielt ihr welkendes
Leben acht Tage lang in einem kleinen Gefäße
Mit Wasser, wie deine labende Tränke,
Deine Cordialgewässer den sterbenden
Kranken aufhalten, so erhielt ich die Rose;
Denn ich gab ihr frisches Wasser, wenn die
Morgenröthe mich weckte, und wenn der Sonnen-
Wagen hinter dem schattichten Hain im
Silbernen Schooß der Najade zu sinken
Schien. – Am neunten Tage legt ich traurig
Meine geliebte Verblichne in eine Grabkiste
Von Silber und Perlmutter. Ach! Ihre Farbe gleichet
Der Farbe des Angesichts eines gestorbenen Mädchens,
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Das über und über bis auf die Lippen ährengelb
Wird. Ich öffne die Kiste dreimal des Tages, und
Klage die Rose. Sie starb! ihre süßen Gerüche
Verflogen! aber nur eines von ihren Blättern
Verlor sie, Zephirus wollt' es aufhaschen, ich
Nahms ihm wieder mit einem Kusse des klagenden Mundes,
Ich weinete Thränen des zärtlichsten
Kummers auf die gestorbene Rose; sie verlor
Alles, Fard und Geruch – Verwesung duftet
Aus ihrem Grabe, Tod aus ihren vertrockneten
Blättern. Ach! sie verdienet besser die Klage
Der Musen und die Balsamirung der
Apothekischen Künste, als jene verderbliche
Schönheit, jene Egyptische Königin,
Die am verzweifelnden Busen sich
Eine giftzungige Natter legte, zum
Erstaunen des triumphirenden Cäsars,
Dessen Siegeswagen sie schmücken gesollt.
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Fußnoten

1 Verstorbenen Apotheker und Naturforscher hierselbst

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Karsch, Anna Louisa. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1792). Lieder der Liebe. Klagen über eine gestorbene Rose. Klagen über eine gestorbene Rose. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8FAC-4