[200] Vorbitte wegen eines Nußbaums
an Palemon
(Zu Magdeburg den 18ten des Herbstmonats 1761.)
Erheitre nicht des Garten-Hauses Wände,
Und fälle nicht, um einer Handbreit Raum,
Durch Eisen und durch zwey gedungne Hände,
Den schattigten Baum.
Selbst der Prophet, der Ninivens Verderben
Hartnäckig foderte, ganz Menschenfeind,
Hat einst, gerührt von einer Pflanze Sterben,
Den Kürbis beweint.
Und du, ganz Menschenfreund, du willst die Hiebe
Im hohen Baum? auf dessen Zweigen oft
Ein Vogel singt, der lockend, seiner Liebe
Befriedigung hofft?
[201]Das willst du nicht. Denn wann auf weichem Sitze
Du wie ein Fürst, in selbst geschaffner Ruh
Dich hier verbirgst, dann decket vor der Hitze
Sein Schatten dich zu.
Er ist ein Herzog im Bezirk des Gartens.
Die Pyramiden-Bäume wuchsen nur
So durch die Kunst. Er spottete des Wartens,
Ihn zog die Natur!
O welch ein Leib! mit was für starken Gliedern
Versah sie ihn! So stand in Priams Stadt
Einst Hector unter allen seinen Brüdern,
Von Kampfe nicht matt.
Dein Baum, der Held, steht, wann der Frost dem Leben
Des Weinstocks und des Pfirsich-Baumes droht,
Dann steht er von Pomonens Schutz umgeben,
Nicht fürchtend den Tod.
[202]Mit andern Trauben als der Weinstock träget
Prangt er im Herbst; und liefert seinem Herrn
Indem ein Holz ihn unbarmherzig schläget
Den lieblichen Kern,
Gewachsen in dem Umfang harter Schalen.
So liegt im schlechten Cörper oft versteckt
Ein Herz, nicht mit dem Glanze zu bezahlen
Der Mißgunst erweckt.
So hart wie sie, soll gegen fremde Lüste
Dein Mädchen seyn, für dich allein nur schön.
Weyh ihr den Baum, und sag einst: du Geküßte!
Dir ließ ich ihn stehn!