[125] An Mademoiselle Stahl
Soll ich dein schwarzes Auge loben,
Du jüngste Tochter meines Stahls,
Soll von der Muse nur dein Antlitz seyn erhoben?
Wie Schönheit eines bunten Thals.
Ist an den Apfel auch die Schaale
Bewegungsgrund zur Lüsternheit?
Verdient ein reizend Bild, im goldnen Fürsten-Saale
Anbethung oder Zärtlichkeit?
Der äußre Fürniß des Gesichtes
Wird von den Jahren abgehaucht,
So ganz auch die Natur in Farben reines Lichtes,
Den feinen Pinsel eingetaucht.
[126]
Nichts sind auf Stirne Mund und Wangen,
Die Lilien, und Rosen nichts
Sind Augen voller Tag, wenn sie gleich Sonnen prangen
Am Himmel eines Angesichts.
Wenn Sittsamkeit nicht aus der Seele
Sich in die sanften Blicke gießt,
Und nicht der schöne Mund, wie ein Gefäß mit Oele,
Aus Herzens-Quellen überfließt.
Dann haß ich alles; selbst dem Witze
Des Lasterhaften fluch ich laut,
Und wäre gleich sein Kopf, auf eine Marmor-Stütze
Des weissen Halses, schön gebaut.
Doch müst ich, ihn verachtend, lieben,
Dich himmlisch fühlend, sanftes Kind
Auf dessen Antlitz ward, von der Natur geschrieben
Wie fein des Herzens Reize sind.