Anna Louisa Karsch
Neue Gedichte

[3] Vorbericht

[von Karl August Küttner]


Diese wenigen Gedichte, die hier im Druck erscheinen, könnten sehr gut der Vorrede entbehren, wenn ihre Verfasserinn nicht ein und das andre zu erinnern hätte. Die Erfindung der Erzählung Cybele kann sie nicht ganz sich zueignen; sie hat sie blos nach dem rohen Entwurfe eines andern ausgebildet, und als noch ungeläuterte Schlacken, die er ausgrub, umgeschmolzen und gereiniget. Die zwey Gedichte an Herrn Leibmedicus Zimmermann entstanden bey seiner Gegenwart in Berlin, wo er wegen einer gefährlichen Wundkur sich einige Zeit aufhielt, und durch sein vortrefliches, wohlwollendes Herz die ganze Hochachtung und Liebe der Verfasserinn erweckte. – Sie hätte diese Sammlung durch noch einige andere Stücke vergrößern können, die entweder einzeln herausgekommen, oder, oft wider ihr Wissen, in verschiedne periodische Schriften aufgenommen worden sind, wenn sie nicht entschlossen wäre, mit der Zeit eine vollständige Ausgabe ihrer sämmtlichen Gedichte zu veranstalten, wozu sie indeß ihre eignen Berichtigungen und die Stimmen einiger ihrer kritischen Freunde sammlen wird.

[4]

[4] An die verwittwete Frau Baronesse von Sievers in Altona

Dir, edle Trauerfrau, die mit dem Aschenkruge
Ihr turteltäubisch Herz vermählt,
Und sich nach Sievers Sternenfluge
Nie einen Busenfreund erwählt;
Dir, Freundinn meines Herzens und Gesanges,
Der Deinen Lippen oft ein Lächeln abgewann,
Mit einer Art des süßen Zwanges,
Wenn Deine Blicke finster sahn,
[5]
Voll Schwermuth deiner bangen Seele;
Dir soll das Schicksal der Cybele,
Ihr Klagen und des Amors Hohn,
Den Mund zu lauten Lachen zwingen;
Eh' noch des Liedes Warnungston
In andrer Wittwen Ohr wird dringen:
Dich warnt die Muse nicht; der schlaue Cypripor
Erfuhr es schon in Jahren deiner Jugend,
Daß er an Dir die Macht verlor,
Und für der Thorheit Pfeil bewahrt Dich Deine Tugend.
Dir leg' ich den Gesang nur vor,
Nebst wenig andern kleinen Liedern,
Um Deine Freundschaft, Deine warme Zärtlichkeit
Durch einen Funken zu erwiedern
Mit öffentlicher Dankbarkeit.

[6] Cybele,

eine Erzählung


Die ihr schon ein halb Jahrhundert überlebt,
Und noch schöne Jünglinge bewundert,
Und nach ihrer Liebe strebt,
Wittwen! hört die Strafgeschichte
Einer alten Göttinn an,
Die das blühende Gesichte
Eines Jünglings liebgewann!
Euch zur Warnung, euch zur Lehre,
Sing' ich ihre Lust und Schmach,
Und wer Ohren hat, der höre,
Und wer klug ist, richte sich darnach.
[7]
Die Göttermutter, die thurinköpfige Cybele,
Ward endlich, zur Betrübniß ihrer Seele,
Zur Trauer ihres Herzens, alt,
Und tadelte nunmehr Gang, Mienen und Gestalt
An allen jüngeren Göttinnen;
Sie spottete zum Zeitvertreib;
Die große Juno war ein gar zu stolzes Weib,
Minervens Sittsamkeit war hölzern, steif und trocken,
Die blonde Ceres war, mit ihren goldnen Locken,
Zu plump gebaut, zu fleischigt um die Brust,
Diana ward so wild genennet,
Als der gejagte Hirsch, der durch Gebüsche rennet;
Und Cypria, die Göttinn süßer Lust,
Die Schöpferinn der inniglichsten Freuden,
War nichts, als eine freche Dirn';
Sie konnt' an ihr die glatte Stirn'
Und den beflammten Blick nicht leiden;
[8]
Es hieß ohn' Unterlaß: Vulkan, der arme Mann,
Wie herzlich muß ich ihn beklagen!
Zwar ich war einst auch schön und jugendlich,
Doch wer von mir kann so was sagen,
Den will ich sehn, der melde sich.
Sie sprachs, und brüstete dabey sich übermüthig
Auf ihre Tugend – und verfuhr
Mit allen Töchtern scharf, und mit den Söhnen – gütig.
Wenn Zeus zum Stiere ward, und listiglich Merkur
Ihm seine Donnerkeile mauste,
Und Bacchus taumelnd, wie der Most im Fasse brauste,
Und Gott Apollo manchen Streich
Bey hübschen Erdenkindern spielte,
Da war ihr Herz zu mütterlich, zu weich,
Als daß es Zorn darüber fühlte;
Da sprach sie nur: Die losen Söhne sind
Beweglich, wie das Meer, und flüchtig, wie der Wind;
[9]
Ihr ganzer Hohn fiel einzig auf die Töchter. –
Jedoch, die Strafe trifft am Ende die Verächter
Und bittre Spötter allemal.
Das Schicksal hatte sich die Rache vorbehalten,
Und wählete darzu in einem Phrygerthal
Den Wohlgestaltesten von allen wohlgestalten
Und jungen Schäfern, gleich dem jugendlichen May,
Wenn er vom Himmel fährt, die Erde zu beschwängern:
Er war in Phrygien von Tänzern und von Sängern
Der allerlieblichste, und auf der Feldschalmey
Und auf dem Haberrohr, und auf der süßen Flöte
Kam keiner diesem Atys gleich;
Sein lächelnd Angesicht war wie die Morgenröthe,
Sein schwarzes Auge feuerreich,
Und seine Lippen, wie Korallen;
Er tanzte bey Cybelens Fest,
Sie sah sein braunes Haar um weiße Schultern wallen;
Sie sah ihn, wie den jungen West,
[10]
Leichtfüßig über Blumen schlüpfen;
Da fieng ihr Herz im Busen an zu hüpfen;
Bey jeder Wendung, jedem Sprung
Des schlanken Jünglings, ward ihr Blut von neuem jung,
Und feuriger, als es vor Zeiten kaum gewesen,
Als sie den Marsias sich zum Gemahl erlesen.
Sie lächelte ohn' Unterlaß;
Sie konnt' ihr Auge von dem Tänzer nicht verwenden.
Itzt glüht ihr Angesicht, itzt zittern ihre Lenden,
Itzt wird sie roth, itzt wieder blaß,
Und weil das Schicksal sie nun einmal will bestrafen,
So regt sich ihr Verstand und ihre Tugend nicht;
Nein, die sind tief in ihr entschlafen.
Zuweilen staunt sie zwar und denkt:
Ist das die Liebe, die mich zu dem Schäfer lenkt?
[11]
Nein, es ist Götterhuld, es ist ein wenig Gnade,
Womit ich ihm ergeben bin,
Wodurch ich nicht der Hoheit schade.
So dachte sie, und sah begierig nach ihm hin,
Schien mit den Augen ihn zu küßen;
Verstellte sich in eine Schäferinn;
Rief ihm, und sprach: O! laß mich, schöner Hirte, wissen:
Wer wand dir diese Rosen um das Haar,
Die nicht so blühend sind, wie deine Stirn und Wangen;
Verlaß die Hirtinn, die mit dir im Tanze war,
Du sollst von mir bald einen bessern Kranz empfangen.
Von mir – Von meiner eignen Hand –
So sprach sie freundlich und verschwand,
Fuhr gen Olymp zurück, und suchte
Daselbst die Einsamkeit, und frug sich tausendmal:
Liebst du Cybele? – Du, die sonst der Göttinn fluchte,
Die für den Mars entbrannt; du hast im Erdenthal
[12]
In einen Schäfer dich verliebet,
Der noch ein Jüngling ist? und ach! du bist schon alt? –
Doch ob gleich meine Stirn schon graues Haar umgiebet;
So bin ich dennoch von Gestalt
Nicht häßlich anzusehn, ich bin noch zu ertragen;
Und was den Unterschied des Standes anbelangt,
Davon ist weniger zu sagen.
Hat nicht die Venus, die mit so viel Reizen prangt,
Einst den Adonis und auch den Anchis geküßet?
Ihr Götter und Göttinnen nehmt
Mirs nur nicht übel: denn ihr wisset,
Die keusche Cynthia selbst hatte sich bequemt,
In eines Hirten Arm zu ruhn, und von Auroren
Weiß jedermann, sie war verliebt in Cephalus.
Was wunderts euch, wenn ich den Atys mir erkohren?
Ich sehe wohl, daß ichs ihm selber sagen muß.
[13]
Ich will mich gern herunter lassen,
Und ihm gestehn: ich liebe dich.
Das junge schöne Blut, er wird bestürzt erblassen;
Beym Jupiter, ich fürchte mich
Das er vor Freuden stirbt – Auch hab ich Muth vonnöthen.
Soll mir die Schaam das Wort nicht auf der Zunge tödten.
Sie sagts, und fasset den gefülleten Pokal,
Thut sieben Züge draus, und setzt ihn siebenmal
Von neuen an den Mund: itzt wachsen ihre Triebe;
Sie schmecket schon voraus des jungen Schäfers Liebe,
Schwingt sich auf ihres Löwenwagens Sitz,
Und fährt, geschwinder als der Blitz,
Herab ins Thal und sieht in einer kleinen Grotte
Mit Muschelschaalen ausgeziert,
Den Atys schlummern, gleich dem schönen Tagesgotte,
Als ihm sein Schicksal in die Schäferwelt geführt.
[14]
Er fährt erschrocken auf: – fällt ihr verstummt zu Fuße;
Sie aber hebt ihn auf, und spricht mit heißem Kuße:
Ich komme vom Olymp zu dir,
Um deine Tugenden durch Liebe zu belohnen.
Von allen die dort oben wohnen,
Erkießt' ich keinen mir;
Dich hab ich auserwählt. Dir meine Hand zu geben,
That ich den sonderbaren Schritt –
Ich komm, und theile dir der Gottheit Würde mit:
Mein Arm soll dich gewaltiglich erheben,
Ich schwöre dir beym Styx den fürchterlichsten Eyd,
Dich soll an dampfenden Altären
Mit mir zugleich das Volk der Phrygier verehren;
Und dafür heisch' ich nichts, als deine Zärtlichkeit.
[15]
Hier bückt der Schäfer sich mit seinem Rosenmunde
Nach ihrer mütterlichen Hand,
Und küßt sie dreymal stark, aus dem Bewegungsgrunde
Des Stolzes, den sein Herz empfand;
Denn Liebe konnt er nicht empfinden.
Sie aber läßt, zu Hoffnung größrer Luft,
Dadurch ihr gierig Herz entzünden;
Drückt ihn voll Inbrunst an die Brust,
Will in Entzückungen sich ganz und gar verlieren;
Und zwinget ihn zu Gegenschwüren.
Er schwört, weil ers nicht ändern kann,
Bey dem Neptun und bey dem Pan,
Ihr ewig, ewig treu zu bleiben,
Drauf sinket sie mit ihm auf eine Bank von Moos;
Und welche Wollust da durch ihren Busen floß,
Dies kann nur Wieland euch beschreiben.
[16]
Sie ward berauscht von Süßigkeit
Und fiel in Schlaf der trunknen Leute;
Indessen schlich der Hirt mit leiser Schlauigkeit
Sich unvermerkt von ihrer Seite,
Und flog – Wohin? Dieß rathet, wenn ihr könnt.
Drey Stunden lang blieb er von ihr getrennt;
Sie blieb in einem honigsüßen Traume
Verwickelt, bis vom nächsten Baume
Minervens Vogel kläglich schrie.
Ihr Götter, nun erwachte sie;
Fuhr plötzlich auf, und rief vergebens:
Ach! Atys, du Vergnügen meines Lebens.
Wirst du schon meiner Küße satt.
Wo bist du? Welcher Dämon hat
Aus meinen Armen dich gerissen?
Wo wird mein Fuß dich suchen müssen?
Wo findet dich mein Blick, dem in der Unterwelt,
Und im Olympus selbst, nichts außer dir gefällt!
[17]
Sie sprachs, und schwang sich auf den Wagen,
Dem schönen Atys nachzujagen,
Der allzufrüh die Treue brach;
Fuhr über Stock und Stein und Hügel;
Und gleich wie Hektor einst mit seinen Pferden sprach,
So sprach sie jetzt durch manches Ach!
Mit ihren Löwen. Seyd, rief sie, wie Flügel,
Des Windes, bringet mich in einen jeden Hayn,
In jede Flur, bis ich mein Liebstes wieder finde!
Sie fuhr umsonst durch alle Gründe,
Durch jeden Hayn im Phrygerland:
Hier lenkte sie zurück, und fand
Nicht weit von der verlaßnen Grotte
Ein Myrtenwäldchen, wo mit Lust zu bittern Spotte,
Ein Satyr vor dem Eingang stand.
Hier stieg sie ab und gieng in eine dunkle Laube,
Auf der ein Tauber saß mit einer jungen Taube,
Und in der Laube selbst befand
[18]
Sich Atys, den ein Arm, ein schöner Arm umschlossen,
Und seine Seele war in Freuden wie zerflossen.
Er hörte nicht Cybelens Tritt;
Er sahe nicht, was ihre Götterseele litt.
Matronen, die ihr oft, von Wollust hingerissen,
An junger Männer Herz den alten Busen drangt,
Und eurer Lüsternheit gerechten Lohn empfangt,
Matronen, sagts, ihr müßt mehr als die Muse wissen –
Wie dieser Göttinn ist geschehn;
Als sie den Atys und die Philaris beysammen,
Versunken in ein Meer von süßen Liebesflammen,
Unvorbereitet angesehn.
Sie war wie von dem Donner Jupiters getroffen;
Das Auge starrete, der Mund blieb gräßlich offen;
Doch endlich brach der Zunge Band.
Da schrie sie laut, wie der Cyklope,
Dem der Gemahl der Penelope
Sein einzig Auge weggebrannt.
[19]
Cybele schrie nicht mehr, sie brüllte
Und ihre Löwen brüllten drein.
Das junge Paar sprang auf und ein Gewölke hüllte
Sie beyde, wie den Paris, ein;
So daß sie der Gefahr entkamen:
Cybele blieb wie angewurzelt da,
Und wiederholete den hassenswerthen Namen
Des Hirten, den sie nicht mehr sah.
Ihr Mund, ihr Auge sprühten Funken
Des Grimmes, und ihr Herz in schwarzen Gram versunken,
Wollt immer brechen, und nun stammelte sie dies
In rauhen und gebrochnen Tönen:
Verwünschter Jüngling, o! verfluchte Philaris –
Nun ist mir Schimpf und Schmach gewiß.
Wie werden mich nunmehr die Göttinnen verhöhnen!
[20]
Was hilft, was nutzet mir mein ängstlich Klaggeschrey? –
Und itzt zog ihr Geheul den Cypripor herbey:
Der ohngefähr mit seinem siegesreichen Bogen
Von Tempe kam daher geflogen,
Wo seine Macht ein Paar zu spröde Seelen zwang.
Er jubelte, das ihm die feine List gelang,
Und wird erblicket von Cybelen;
Sie fährt nach Art empörter Seelen
Ihn zornigpolternd an und spricht:
Du Schalk, du kleiner Bösewicht,
Du Räuber meines Ruhms und meiner stolzen Ruhe,
Du sollst erfahren, was ich thue.
Warum hast du mein Herz entbrannt,
Und diesen Atys, mir zum Schimpfe,
Zu gleicher Zeit zu einer Thälernymphe,
Zu einer Bäuerinn gewandt.
[21]
Warum? sprach Amor; kannst du fragen?
Die Hirtinn ist dem Schäfer gleich
An Herkunft und an Reiz, und jugendlichen Tagen;
Und beyde sind sie flammenreich,
Und beyde hab ich längst verbunden.
Es ist ein gar zu schönes Band.
Verräther, schrie darauf die Göttinn mehr entbrannt,
Was sagst du – deine Bubenhand
Hat ihn und sie schon längst ins Liebesgarn gewunden?
Und dennoch freventlich, durch Mißbrauch deiner Macht,
Mein schon verloschnes Busenfeuer
Zu neuen Flammen angefacht?
O! fürchte, kleines Ungeheuer,
Den itzt erstarrten Arm, und zittere vor mir;
Ich will dirs nach Verdienst vergelten.
[22]
Der Gott der Liebe sprach: Wie kannst du mich so schelten?
Du wurdest nicht entflammt von mir.
Nein! Ahnfrau, nein! bey diesem Bogen schwör ichs dir,
Mit dem ich itzt zu meiner Mutter eile:
Die Thorheit stiehlt mir dann und wann
Wenn ich entschlummert bin, aus meinem Köcher Pfeile;
Und zielt damit, so schnell sie kann,
In abgelebte Weiberherzen:
Die Thorheit ist allein der Grund,
Ist die Urheberinn von deinen herben Schmerzen.
Er sprachs – und flog nach Amathunt.

[23] Aphrosine

Ein Erzählung


In einer königlichen Stadt,
Die großen Prunk und große Sünder
Und Häuser hatte, wie Berlinathen sie hat,
Zog Aphrosine zwey zugleich gebohrne Kinder
Nunmehr ins zehnte Jahr, und sparte keinen Fleiß
Und keine Sorgfalt, sie zur Tugend aufzuziehen.
Denn Madchen, die so roth und weiß
Wie Lilien und Rosen blühen,
Sind ohne Furcht und Sitten, nichts.
Schön waren diese Töchter beyde:
Die Feinheit ihres Angesichts
Gab ihrer Mutter Trost im schweren Wittwenkleide;
[24]
Doch ihres Busens Liebling war
Die lieblichlächelnde Dorine;
Ihr zarter Wuchs, ihr dunkles Haar
Und ihre geistbelebte Miene
Und feuerreiches Augenpaar,
Zwang jeden Menschen, der sie sahe,
Zur staunenden Bewunderung;
Und da dies schon anitzt geschahe,
Da noch ihr Auge viel zu jung
Zum Herzbestricken war; was wäre nicht geschehen,
Wenn sie mit reifgewordner Macht
Den Jüngling siegend angesehen,
Und ihrer äußern Reize Pracht
Mit innren Reizungen vermehret?
Die Mutter sahe schon voraus
Von einem Eydam sich verehret,
Der ihre Tochter in ein goldgeschmücktes Haus,
Palästen ähnlich, führen würde.
Die zwote Tochter, Aphrosis,
War etwas minder schön, doch fromm war sie gewiß.
[25]
Sie machte stets die große Bürde
Der schmerzlichsten Bekümmerniß
In ihrer Mutter Herzen leichter;
Wenn ihre beyde Wangen feuchter
Von Thränen waren, als vom Fall
Des Abendthau's die Sonnenblume,
Dann sang die Tochter süß, gleich einer Nachtigall,
Ein heilig Lied zum Götterlob und Ruhme,
Und küßete der Mutter Thränen vom Gesicht,
Das gute Kind! Sie wußt es nicht,
Ihr Vater gieng vor sieben Jahren
An einen schilfbewachsnen Fluß,
Und tödtete mit einem Bogenschuß
Zween Wasservögel, die dem Flußgott heilig waren;
Und stieg itzt in ein kleines Boot,
Um seine Beute sich zu hohlen,
Und fand im Wasser seinen Todt,
Nachdem er Weib und Kind den Göttern anbefohlen,
[26]
Als ihm die schnelle Fluth empfieng;
Die Fischer kamen ihm, ach! allzuspät zu Hülfe,
Starr brachten sie ihn aus den Schilfe,
Der armen Gattinn, und seit diesem Tage gieng
Dies bange Weib mit jeder Abendsonne
Zum Ufer, wo sein Grabmal war.
Hier, sprach sie: hier liegt meine Wonne,
Und gab ihr aufgelöstes Haar
Den Lüften Preis, und füllete die Lüfte
Mit ihrem klagenden Geschrey.
Sie brachte frische Blumendüfte
Zum Todtenopfer, wenn der May
Die Fluren und den Garten krönte,
Goß Milch und Wein aufs Grab und söhnte
Den Flußgott jährlich aus mit eines Böckchens Blut.
Einst blieb sie ungewöhnlich lange;
Der Sturmwind heulete; da war den Kindern bange;
Sie sahen mit verzagtem Muth
[27]
Durchs Fenster, legten sich heraus mit halben Leibe
Und stürzeten zugleich herab:
O! Wehe dem betrübten Weibe!
Sie kam, und dieser Anblick gab
Ihr Stiche, die das Herze treffen müssen;
Denn, ach! Dorine lag zerschmettert und entstellt,
Gleich einem Apfel, der vom Wipfel abgerissen,
Von Ast zu Ast, stark auf den Boden fällt;
Sie warf sich über ihre Leiche, mit Verlangen
Zu sterben, und sie frug nach Aphronisen nicht.
Ein Wunderwerk war mit dem Kinde vorgegangen;
Im Fallen hatte sie der Sturmwind aufgefangen,
Und unbeschädiget, mit heiterm Angesicht,
Drey Häuser weit davon, so sanft herabgelassen,
So leicht, als wärs ein Myrtenblatt.
Sie kam, die Mutter zu umfassen,
Die leichenblaß und sterbensmatt
[28]
Auf hartem Pflaster lag und in Dorinens Blute.
Und seht, den Augenblick erschien im Flügelhute
Der Götterbothe, der Merkur,
Und sagte zur Verzweiflungsvollen:
Sey ruhig, klage nicht. Die Götter wollen
Der Menschen Bestes nur.
Er sprach es und verschwand, und Aphrosine sahe
Im späten Alter sich gelabt,
Von Aphronis, an der das Wunderwerk geschahe.
Die Götter hatten sie mit Tugenden begabt,
Und überdies mit glänzendem Verstande:
Dadurch ward sie berühmt in ihrem Vaterlande;
Und jedermann rief ihrer Mutter zu:
Heil dir, du frohe Mutter, du.

[29] Alzindor und Lucinde

Ein Romanze


Alzindor und Luzinde
Genossen lange Zeit,
Beschützt von Cypris Kinde,
Das Glück der Zärtlichkeit:
Der Mutter bliebs verborgen,
Wie lieblich manche Nacht
Bis an den grauen Morgen
Die Tochter zugebracht.
[30]
Der Jüngling stieg behende
Zum Fenster ein und aus:
So klettert an die Wände
Und auf das Taubenhaus
Die blickbeflammte Katze
Des Nachts mit kühner List,
Wie er zu seinem Schatze
Hinaufgeklettert ist.
Was sie dort alles thaten,
Von Wonne ganz berauscht,
Das mögen die errathen,
Die nie der Mond belauscht
Bey schlaugestohlnen Küßen,
Die niemals nachgedacht,
Was ohne Vulkans Wissen
Mars bey der Venus macht.
[31]
Doch großes Glück ist, leider!
Wie aller Welt bekannt,
Nicht ohne bittre Neider,
Nicht frey von Unbestand.
Alzindors Freund, voll Tücke,
Gab insgeheim sich Müh,
Das er ihr Herz berücke;
Und ihn verschmähte sie.
Da sucht er sich zu rächen,
Nach Art der jungen Herrn,
Die viel aus Prahlsucht sprechen
Von Schönen, die sie gern
Durch Schmeichelkunst betrogen. –
Hört, wie der Höllenbrand
Alzindors Ohr belogen
Und leichten Glauben fand!
[32]
Von Bosheit angetrieben,
Spricht sein verwünschter Mund:
Lucind' hat mir geschrieben,
Daß ich den Liebesbund
Mit ihr vollziehen solle,
Und daß sie schon darzu
Ein Mittel finden wolle,
Wie man es heimlich thu.
Alzindor wird durchdrungen
Von gräulich wilder Wuth. –
Wie nach Verlust des Jungen,
Die Löwinn Jägerblut
Im Walde brüllend fodert,
So fodert er voll Glut,
Die schröcklich in ihm lodert,
Lucindens Busenblut.
[33]
O! Weh, o! Schreck, o! Jammer,
Mit bloßem Degen kömmt
Er schnell in ihre Kammer,
Und stürzet, ungehemmt
Von ihrer süßen Stimme,
Wie Sturmwind auf sie zu;
Und fragt mit Donnerstimme:
Sag' an: Wem schreibest du?
Lucinde spricht gelassen:
An deinen Freund schrieb ich.
Ha! nun mußt du erblassen,
Ruft er; und mörderlich
Fährt ihr bey sanften Lächeln
Der Degen stark und tief
Ins Herz; und ach! mit Röcheln
Lallt sie: Hier ist – der – Brief.
[34]
Sie sinkt, und läßt im Sinken
Ihr Auge, brechendmatt,
Noch seine Blicke trinken.
Er liest das Unglücksblatt:
Dem Lügner war geschrieben:
Herr, plagt mich länger nicht!
Nur einen kann ich lieben,
Und dieser seyd ihr nicht.
O Scheusal! – ruft er plötzlich:
Stirb nach, hier liegt dein Weib!
Drauf sticht er sich entsetzlich,
Wie Kato, durch den Leib;
Fällt auf Lucindens Leiche,
Stirbt ächzend, und verflucht
Nunmehr in Plutos Reiche
Den Zorn der Eifersucht.

[35] Recept wider böse Weiber

Eine Romanze


Ein armer Ehegatte,
Der ohne seine Schuld
Die Höll' auf Erden hatte,
Ward endlich der Geduld
Nach langen Jahren müde,
Und schaffte schnell und klug
Sich vor dem Engel Friede,
Der ihn mit Fäusten schlug.
[36]
Sein Weib war bitterböse,
Die Tobsucht rief aus ihr,
Bey manchem Zankgetöse:
Ein Leides thu ich mir!
Ja ja, du Weiberhasser,
Du Teufel, der du bist,
Ich springe noch ins Wasser,
Wo es am tiefsten ist.
Sie sprachs zu tausendmalen,
Und sprang ins Wasser nie.
Auf neue Männerqualen
Dacht ihre Seele früh,
Sobald der Tag erwachte.
Ihr Dämon, schwarz und klein,
Blies ihr im Traum bey Nachte
Den Stoff zum Zanken ein.
[37]
Einst fieng beym Abendtische
Ihr Zorn zu donnern an,
Und still, wie stumme Fische,
Blieb ihr geplagter Mann;
Ließ ihrer frechen Zunge
Den Zügel – gab ihr nach,
Bis sie vom Wassersprunge
Mit blauen Lefzen sprach.
Da warf der Mann sein Messer
Tief in den Tisch, und riß
Das Weib an ein Gewässer.
Hier, sprach er: Thue dieß
Was du zu thun beschlossen.
Hier springe mir hinab. –
Hier sah sie, furchtbegossen,
Ins grause Wassergrab.
[38]
Sie hieng an seinen Armen
Und fühlte Todesquaal;
Er aber, ohn Erbarmen,
Er tauchte siebenmal
Sie unter mit dem Kopfe,
Bis sie die Luft verlor:
Und hub sie drauf beym Zopfe
Stark aus der Fluth empor.
Das Mittel half geschwinde;
Sie seufzte leichenblaß:
Ach! Männchen, sey gelinde,
Ach! liebes Männchen, laß
Mich diesesmal nur leben,
Und ende meine Pein,
Ich will mich gern bestreben,
Recht lämmerfromm zu seyn.
[39]
Der Mann ließ sich bedingen,
Das Weib ward zahm gemacht,
Und an kein Wasserspringen
Ward künftig mehr gedacht.
Sie lebten, sanft wie Tauben,
Von keinem Zank gequält,
Und alle Welt wirds glauben
Weil es ein Weib erzählt.

[40] Dorimön und Amariette

Ein Idyll

Bey der Vermählung des jungen Grafen von Stollberg-Wernigerode.

Dorimön.

Du Wonne meiner jungen Tage,
Du Leben meines Lebens, sage,
Wie diese Hütte dir gefällt?
Amariette.

Wie einer von den Erdgöttinnen
Der allerhöchste Thron der Welt!
Dorimön.

Mein Vater wohnete darinnen
Viel schöne Sommer lang, und fand
Vergnügen dran, mit eigner Hand
[41]
Die zarten Bäume zu begießen,
Die dazumal von mir sich noch umspannen ließen,
Und nun so hoch empor gestrebt;
Hier hat mein Vater froh gelebt,
Wie in dem seligen Gefilde
Der erste Mensch mit seiner Braut.
O! du nach eines Engels Bilde
Für mich so liebenswerth gebaut,
Hier will ich leben, dir zur Seite,
So glücklich wie der erste Mann.
Amariette.

Hier geb ich dir durch Blumen das Geleite
Vom kunstgepflanzten Garten an
Bis in die wilden Rosenhecken.
Dorimön.

Der Laube grünes Dach soll dich und mich verstecken,
So oft der Mittag glüht, hier will ich Rosenduft
In langen Zügen geizig trinken,
Und wenn aus ungepaarten Finken
[42]
Die bange Liebe lockend ruft,
Und wenn die Nachtigallen klagen,
Daß Fels und Hügel Antwort giebt,
Dann will ich im Entzücken sagen:
Ich bin geliebt, geliebt, geliebt!
Amariette.

Und ich will mich von deinem Busen stehlen
Des Morgens, wenn aus Lerchenkehlen
Das erste Lied gen Himmel tönt;
Ich will die schönsten Blumen pflücken,
Den kleinen Altar auszuschmücken,
Den deine Mutter oft gekrönt
Mit Rosen und mit Rebenranken;
Dann wecket dich mein sanfter Kuß,
Dann folgst du meinem Wink und kniest mit mir am Fuß
Des Opferheerdes, dem zu danken,
Der alle Menschen werden hieß,
Und über unsern Häuptern Sonnen
[43]
Und um uns her die Flur entstehen ließ,
Und dich erschuf, den ich so zärtlich lieb gewonnen,
Dich meines Herzens süßen Freund;
Dann beten wir und loben mit einander
Den guten Gott, der uns vereint,
Und unser Lob steigt an einander
Gleich zweyen Flammen hoch empor,
Und unser Lob erreicht sein Ohr.

[44] Ode auf die Geburt des jungen
Prinzen von Preußen

Meine Seele taumelt, nicht berauscht vom Weine,
Im bemoosten Fasse hergebracht vom Rheine,
Oder übers Meer gesandt;
Wonnetrunken bin ich, mich erfüllen deine
Freuden, liebes Vaterland.
Alle Kinder jauchzen, alle Greise glühen;
Friedrich, dein Erhalter, wiegt auf seinen Knieen
Diesen königlichen Sohn,
Den er dir zum Herrscher weislich wird erziehen,
Und der Zögling lächelt schon,
[45]
Denn er scheint zu horchen, was sein Lehrer saget,
Der ihn zärtlich küßet, und ihn freundlich fraget:
Ob er künftig sich bestrebt,
Daß er über alle seine Väter raget,
Die bisher berühmt gelebt.
Liebling meines Herzens, spricht der große Weise,
Wie der müde Wandrer schmachtend Trank und Speise,
Wie der Steuermann den Rand
Tiefer Fluten wünschet auf der weiten Reise:
Also wünschte dich das Land.
Heil mir, daß du kamest! Heil sey deiner keuschen
Jugendlichen Mutter, die das Sehnsuchtsheischen
Meines Volkes hat gestillt!
Du wirst meine Hofnung nimmer nimmer täuschen;
Sie wird ganz in dir erfüllt.
[46]
Früh wirst du erkennen, daß man auf der Erde
Durch die Tugend jenem Herrscher ähnlich werde,
Dessen Herrschaft ewig ist;
Und daß du dem Hirten bey der kleinsten Heerde
Deine Güte schuldig bist.
Deine höchste Wollust wirst du mit Entzücken
In der Uebung finden, Menschen zu beglücken,
Und dafür geliebt zu seyn.
Keinem, als dem Schmeichler, wirst du zornig blicken,
Und ihm nie dein Ohr verleihn.
Also redet Friedrich, seine Thränen feuchten
Diese Stirne, welche dermaleinst wird leuchten
Ueber dich voll Gnad' und Huld.
Wohl uns, daß wir unsrer Wünsche Ziel erreichten
Nach so langer Ungeduld.
[47]
Die verlebten Männer nebst den grauen Müttern,
Sprechen: Wohl euch, Enkel! Eure Kinder zittern
Nie vor dem Erobrungsgeist!
Keine Donner werden diesen Thron erschüttern;
Dieser Thron wird nie verwayst!
Töchter, streuet Blumen, bringet Opfergaben
Um die goldne Wiege; kleine muntre Knaben
Macht ein Singechor, und sprecht:
O! du sollst zum Opfer unsre Herzen haben,
Kind vom göttlichen Geschlecht!

[48] An Herrn Leibmedicus Zimmermann

Bey seiner ausgestandnen Wundkur in Berlin, 1771.


Der große Kato war kein Weiser,
Als er in Utika dem Schicksal widersprach,
Und wegen Cäsars Lorberreiser,
Sich wüthend in die Leber stach:
Das Bürgerblut ward nicht gerochen,
Roms Freyheit nicht beschützt, und ihre Fesseln nicht
Durch seine wilde That zerbrochen;
Nie sing' ich ihm ein Lobgedicht.
[49]
Dich aber möcht' ich gern besingen,
Du, der dein Leben des Erhaltens werth geschätzt,
Und mit der größten Quaal zu ringen,
Sich heldenmüthig vorgesetzt.
So viel hat Herkul kaum gelitten,
Da des Centauren Blut ihm durch und durch entbrannt,
Als bey zweytausend Messerschnitten
Des Arztes – deine Brust empfand. 1
Noch staunet Schmucker in Gedanken;
Er sieht dich unter seiner kunstberühmten Hand
Noch immer ohne Zuck und Wanken;
In keinem Blick ist Widerstand.
[50]
Wenn er zum Schaudern wird bewogen,
So munterst du ihn auf, so wird nach deiner Art
Der Mund zum Lächeln sanft verzogen
Mit großer Geistesgegenwart.
Du wolltest leben, und du lebtest
Für deine Kinder, und auch für die feine Welt,
In welcher du dir Ruhm erstrebtest,
Die manch Geschenk von dir erhält.
Kein Stoikus war in dem alten
Gestrengen Sparta mehr voll Muth und Schmerzenstrutz,
Als Zimmermann, der sich erhalten,
Durch Marter, zum gemeinen Nutz.
Du bist gesund für tausend Kranken,
Die du von Charons Kahn in Jahresfrist zurück
Ins Leben zeuchst, und alle danken
Dir ihres neuen Daseyns Glück:
[51]
Du lebst für Aesculapens Söhne
Die von dir lernen, und o! Freund, vielleicht, vielleicht
Lebst du auch noch für eine Schöne,
Die dir an sanftem Herzen gleicht,
Die irgendwo für dich gebohren
Und auferzogen von der Huldgöttinnen Fleiß,
Das Kleinod, welches du verloren,
Die Gattinn – zu ersetzen weiß.

Fußnoten

1 Dies geschah den 24sten Junii in einer Zeit von anderthalb Stunden bey der Operation.

[52] Der Leibmedicus Zimmermann,
in Sanssouci

Den 1ten November, 1771.


Wie Alexanders Zeitgenossen
Nach Delphos giengen, und des Gottes Gegenwart,
Von heilgem Schauer übergossen,
Mit schneller wundersamer Art
Empfanden auf des Tempels Stufen;
So gieng der Schweizer, Zimmermann,
Jüngsthin nach Sanssouci, vom Könige berufen,
Und staunte da den Marmor an,
[53]
Und fühlete die Gegenwart der Musen
Die vor und um den König gehn.
Sein schwellend Herz erhub sich klopfend in dem Busen
Und blieb an seinem Munde stehn.
Itzt kam der König – itzt ergriff ihn Frost und Hitze,
Ihm war zu Muth' als käme, mit dem Blitze
In aufgehobner Hand, von des Olympus Spitze
Der Göttergott herab.
Jedoch, so bald der König mit dem Geiste
Leutselger Sanftmuth ihm zween holde Blicke gab;
Und einmal lächelte – da ward der Schweizer dreiste,
Und seine Rede floß den Honigworten nach,
Die Friedrich eine ganze Stunde
Hindurch aus vollem Herzen sprach.
Auf Cicerons und Cäsars Munde
Hat nie die Suada so geschwebt:
[54]
Nie sprach im edlen Markaurele
Mehr eine königliche Seele,
Die Göttern nachzuahmen strebt,
Mit einem Römer oder Griechen.
Nach dieser theuren Stunde pries
Der Schweizer Gott durch Thränen heiß und süß,
Daß nicht sein Geist von ihm gewichen,
Daß er ihn auf der Erde ließ,
Um diesen König anzuschauen.
Ihr Völker, die ihr euch bemüht,
Ihm Ehrensäulen aufzubauen;
Ihr Dichter, die ihr ihm ein Lied
Wollt singen, wie Virgil gesungen,
Seyd noch so stark von seinem Ruhm durchdrungen;
Wer nicht sein strahlend Auge sieht,
Wer nicht in ihm die Menschenliebe höret,
Mit aller ihrer Göttlichkeit;
Der weiß noch nicht genug, das er die Nachwelt lehret,
Was Friedrich war zu unsrer Zeit.

[55] An Herrn Hofrath Raspe,
in Cassel

Der du auf Steinen und auf graugewordnen Münzen
Des Alterthums berühmte Köpfe kennst,
Und unter allen vergötterten Prinzen
Den jüngern Cäsar göttlich nennst;
Weil ihn Horaz und Maro sangen,
Und beyde Sänger auf ihr goldnes Saytenspiel
Den Sonnenblick von seiner Huld empfangen.
Freund, solcher Prinzen giebts nicht viel
[56]
In alten und in neuern Zeiten.
Doch läßt nicht Cäsar Joseph itzt
Die deutsche Musen, die sein Doppeladler schützt,
In hundert Wettgesängen streiten?
Erweckt das Lächeln seiner Gunst
Nicht edlen Ehrgeiz in dem Spieler auf der Bühne?
Er strebet, daß er sich durch Molierens Kunst
Zwiefachen Lorbeer, so wie Molier, verdiene –
Und muntern nicht zu neuen Liedern mich
Die Helden auf vom Gwelfenstamme?
Wie frisches Oel die zitternde Flamme
Der sterbenden Ampel belebt;
Also beleben mein sinkendes Feuer
Die Prinzen durch ihren huldwinkenden Blick.
Auch Dessaus Fürstinn, – Welch ein Glück! –
Wirft meiner beneideten Leyer
Die selbst der Pariser hört,
Oft Blumen zu vom fühlenden Busen
[57]
Im Arme Leopolds, und lehrt
Sanft ihren ersten Sohn – Kind, opfre früh den Musen
Und Grazien, und horche gern, wie wir,
Die vaterländischen Gesänge.
Kein fremdes Lied, kein gallisch Spiel verdränge
Das Lied Teutoniens bey dir.

[58] An Brücknern

Als er die Rolle Medons spielte


Den Erdgebohrnen allen
Ward ein bestimmtes Loos,
Nachdem es den Göttern gefallen,
Klein, mittelmäßig, oder groß,
Verschiedenen wurden Talente gegeben,
Hervorzuschimmern in der Welt,
Und wenn ihr Bau vom Staube zerfällt,
Noch in dem Tempel der Ehre zu leben.
[59]
Als Brückner einst gebohren ward;
Da sprach der Musenvater:
Nehmt Töchter dies Knäbchen von feuriger Art
Und bildet es für das Theater.
Da neigete Terpsichore
Zuerst ihr Haupt – Da legte
Die Hand aufs Herz Melpomene,
Thaliens Busen regte
Sich pflegegierig empor.
Doch mit geflügelten Füßen
Kam einer der Götter den Musen zuvor.
Sie lächelten und ließen
Den künstelehrenden Merkur,
Das Knäbchen lehren und bewahren.
Sie ließen ihm aber den Zögeling nur
Bis zu den Jünglingsjahren,
Da ward er ganz der Ihrige, ganz
Erfüllet – Begeistert von ihnen
Erringt er sich einen unsterblichen Kranz,
Auf dieser Bühne, die unter den Bühnen
[60]
Germaniens glänzt,
Wie Hesperus unter den Sternen.
Schon lange ward er mit Ehre bekränzt
Und strebet noch immer zu lernen.
Melpomene lehret noch immer ihm vor:
Noch immer trinket sein horchendes Ohr
Der Göttinn weise Gesetze,
Und sinnet vom Morgen bis Abend darauf,
Damit er nicht eines verletze,
Damit er nicht strauchle im rühmlichen Lauf.
Sagt, Kenner, was will er noch werden?
Bewegt er euch alle nicht schon
Durch Ausdruck seiner Gebehrden,
Durch seiner Stimme mächtigen Ton,
Durch seine gewaltigen Blicke,
Zum Trauren, oder zur lachenden Lust?
Wenn über ein grausam Geschicke
Aus Medons bestürmeter Brust
Die Klage bricht; und was er leide
Aus jeder Miene blickt;
[61]
Dann fühlen wir alle vom hämischen Neide
Die Tugend und Unschuld gedrückt,
Und ächzen voll Kummer und Schmerzen,
Und wenn er den kriechenden Feinde vergiebt,
Und siegend die Rache des Weisen verübt,
Dann quellen aus fröhlichen Herzen
Die Thränen zum Auge, wir glühn,
Und lieben die Tugend, den Dichter und ihn.

[62] Auf die Geburt der Königinn
Charlotte von Großbritannien

Ja Klio redet oft mit liederreichem Munde
Selbst Jupiters Gedanken nach;
Sie sagte mir, was in Charlottens erster Stunde
Die göttliche Lucina sprach.
Willkommen, Tochter, dich wird Pallas unterweisen!
Heil dir, beglücktgebohrnes Kind,
Dich wird die größeste der Nationen preisen,
Die vom Neptun beschützet sind.
[63]
Ihr König wird aus deinem kleinen Vaterlande
Dich übers Meer zum Throne ziehn,
Und Hymen knüpfte nie so diamantne Bande,
Als zwischen deiner Hand und ihn.
Dich wird in seinem Arm Saturnia beneiden;
Denn du bist seliger als sie.
Du wirst geliebt, du schmeckst der Liebe süße Freuden,
Und ihre Quaalen kennst du nie.
Von allen Müttern, die der Erde Fürsten geben,
Wirst du die glücklichste genannt;
Ein ganzer Heldenkreiß bekömmt von dir das Leben
Und wächset an Minervens Hand.
Auch hilft die Gütigkeit der sanften Charitinnen,
Dir schöne Töchter auferziehn:
Sie werden einst als junge Königinnen
Dem mütterlichen Arm entfliehn.
[64]
Durch deren hohen Reiz und Schönheit du Georgen,
Der freyen Britten besten Fürst,
Noch immer fesselst, wenn du, wie ein Wintermorgen,
Weiß um die Schläfe bist.
Von eurer Eintracht und Geselligkeit bewogen,
Ahmt Albion euch nach, und macht,
Daß Amor niemals mehr mit schlaugespannten Bogen
Des Ehegottes lacht.
So sprach die Göttin itzt; und ihr, ihr holden Töchter
Des meerumfloßnen Albions,
Ihr edlen Söhne tausendjähriger Geschlechter,
Liebt diesen Schmuck des Throns!
Liebt diese Königinn mit Zärtlichkeit und tretet
In ihrer Tugend Fußtritt früh;
Und ihr Matronen und ihr grauen Männer betet
Aus Liebe gern für sie.

[65] Kleont und Julie

Den 19 Nov. 1771


Kleontes hieng allein den Musen an,
Ihn reizten seines Landes Töchter nicht;
Schön, wie der Blumengöttinn Lieblingskind,
Erschluf er in platonischer Entzückung sich
Oft träumerisch ein reizend Ideal,
Das nirgend war, als nur in seiner Seele.
Vergebens blickt er Jahre lang umher,
Und endlich fand sein Auge zum Erstaunen
Auf jener Flur, wo meine Thestylis
Gebohren ward, ein Mädchen, dessen Miene
Dem Lächeln seiner Selbstgeschaffnen glich;
Die durch ihr himmlischschönes, edles Herz
So liebenswerth, als Medons Klelie,
Und durch die Kunst des goldnen Saitenspiels,
[66]
Das sie mit Meistergriffen zaubrisch rührt,
Ihm lieb, ihm lieb ist, wie Melpomene.
Mit dieser geht der glückliche Kleontes
Heut in den Tempel Hymens an der Hand
Des Liebesgottes, und der Göttin Freunde,
Und alle Musen, die mit ihm vertraut
Seit seinem letzten Knabenspiele waren,
Weißagen sich von ihm und Julien
Im nächsten Jahr' den ersten schönen Knaben,
Den sie zum deutschen Sophokles erziehn.

[67] Auf Ihro königl. Hoheit die
Fürstin von Anhalt Dessau

Den 24 August 1771.


Schön ist im fürstlichen Garten die Frucht
Des Pfirsichbaumes, den die goldne Morgensonne
Mit honigflößendem Blicke besucht –
Doch dreymal schöner ist des Fürsten Augenwonne,
Die, für ihn geschaffen, der kommende Herbst
Gleich einer späten Rose brachte.
O Nachwelt, die du einst ihr Bild in Marmar erbst,
Dieß Grazienangesicht machte
Sie nicht allein anbetenswerth;
Nein Göttergüte, die zuweilen
Von dem Olympus in Sterbliche fährt,
Eh sie ans Tagelicht eilen,
[68]
Und alle Tugenden, mit welchen die Götter vordem
Des Telemachs Mutter geschmücket,
Die machten sie so himmlisch angenehm,
Und alle Seelen entzücket.
Wohin ihr liebliches Auge sich wandt',
Voll süßer geistiger Strahlen,
Ward jeder Busen entbrannt:
Kein Rubens wüßte dieß Auge zu mahlen,
So reizend, so voll sanfter Majestät. –
Ihr längst nach uns gebohrnen Töchter seht
Das eigentlichste Bildniß der holden
In Enkelinnen noch durch jedes Seculum,
Und hörts, sie machte Leopolden
Sein Dessau zum Elysium.
Er ward von ihr geliebt, als ein arkadischer Hirte,
Er flocht ihr Blumen in ihr lockigt Haar,
Und sie wand einen Kranz von Myrte,
Die jugendgrün und knospigt war,
[69]
Um sein friedselig Haupt, und sagte:
Wohl mir, daß du, mein lieber Fürst,
Nie nach dem Kranze ringen wirst,
Um welchen Hektor einst sein muntres Leben wagte,
So bitter sich auch über ihn
Andromache, sein armes Weib beklagte. –
Nein, du wirst nie mit der Bellona ziehn,
Mars wird dich nie von meinem Arme trennen.
Dein Unterthan wird stets im Freudenton
Dich segnen, und dich Vater nennen;
Und Friedrich, unser Sohn
Wächst unter deinen Augen auf, und lernet
Die große Kunst, durch welche der Regent
Von seinem Volk den Ueberdruß entfernet,
Indem es gegen ihn von Kinderliebe brennt,
Und sich von ihm geliebt erkennt.

[70] Auf die krankgewesene Braut des kochischen Acteurs,
welcher in der Emilie den Grafen Apiani macht

Am 12. April 1772.


Endlich, gutes Kind, gelangst
Du nach mancher Todesangst
Noch zum Ziel der Bräute;
Hymen zog den Knoten zu,
Wer ist fröhlicher als du,
Und der Freund an deiner Seite?
Ach! den Göttern sey es Dank,
Daß du nur noch liebeskrank
Dich an H... lehnest,
Und nach jenem Aesculap,
Der dir neues Leben gab,
Dich nicht mehr so seufzend sehnest.
[71]
Deine Sehnsucht ist der Mann,
Der so freundlich lächeln kann,
Der so herzlich weinte,
Und so kläglich hat gethan,
Als dich in den Schattenkahn
Charon mitzunehmen meynte.
Klopfend sprach das Herz in dir:
Alter Fährmann, laß mich hier;
Ich bin jung von Jahren:
Und mein Bräutigam ist süß; –
Und der alte Schiffer ließ
Seinen Kahn vom Ufer fahren.
Wohl dir, angenehme Braut,
Amor hat ein Grab gebaut,
Wo du nicht verdirbest;
Wo du nur auf Blumen sinkst,
Und indem du Küsse trinkst
Eines sanften Todes stirbest.
[72]
Schmecke diesen Wonnetodt,
Und mit Wangen rosenroth
Wache vom Entzücken
Wieder auf, und sprich: o Mann
Nur allein Gott Hymen kann
Mich mit neuem Reize schmücken.
Hymen sey dein Lebelang
Bis ins Alter dein Gesang,
Und die Frucht von Hymen
Werd' ein junger Apian,
Den einst auf der Spielerbahn
Große Kunstempfinder rühmen. –

[73] Wiegenliedchen,

dem Sack- und Spaldingischen Enkel zu Magdeburg gewidmet


Den 3ten September 1771.


Enkel zweyer großen Priester,
Die so fromm als heiter sind,
Nie sey deine Stirne düster,
Weine nicht, du süßes Kind.
Lächle deiner Mutter Busen
Dankbar und zufrieden an;
Künftig tränken dich die Musen,
Wenn dein Geist erst saugen kann.
Künftig wirst du, holder Knabe,
Durstig nach der Weisheit seyn;
Und dein Vater hat die Gabe,
Freundlich flößt er sie dir ein.
[74]
Wenn du deinen Namen hören
Und den seinen lallen kannst,
Wird er dich schon sanft belehren,
Daß du nicht umsonst begannst.
Wirst du größer, kleines Wesen,
Dann enthüllt sich dein Verstand;
Dann wirst du ein Büchlein lesen,
Das Bestimmung wird genannt.
O! da lernst du, nimmer müde,
Tugendhaft und glücklich seyn;
Aber jetzt schlaf bey dem Liede
Deiner guten Freundinn ein.

[75] Das Versprechen eines Mannes
an seine kranke Frau

Der Jungfer Fethackin erzählt im Stahlschen Hause.


Mepsantus gieng zu seinem Weibe,
Die mit geschwollnem kranken Leibe
Schon manche Nacht und manchen Tag
Auf einem bangen Bette lag;
Sie seufzte: Schatz, bey meinem bittern Leiden
Will mir der Arzt die Schenkel noch zerschneiden;
Die Waden sind schon wundenvoll
Vom spanschen Fliegenbisse,
Und ach, der böse Doctor sagt,
Daß ich den Schnitt noch überstehen müsse.
Bin ich nicht schon genug geplagt?
Was aber thut man nicht sein Leben zu erhalten?
[76]
Hier nahm der freundliche Mepsant
Die kranke Gattinn bey der Hand,
Und bat sie, lasse dir die Schenkel nicht zerspalten!
Die Aerzte martern nur den schwachen Körperbau,
Der wie der Tag hat abgenommen.
Stirb lieber, stirb geschwind, o meine gute Frau,
Ich schwöre dir bald nachzukommen.
Er sprachs, und seine Kranke litt
Kein Wasserzapfen, keinen Schnitt;
Sie quälte sich noch sieben Wochen,
Und starb, und endete die Noth.
Doch, Freundinn, kurz darauf erschien der blasse Tod
Dem Mann im Traum, und sprach:
Mepsant, du hast versprochen,
Der lieben Frau bald nachzugehn;
Hast du den Tag schon auserlesen?
[77]
Ich werde keinen Spaß verstehn.
Tod, rief Mepsant, es ist ja nicht mein Ernst gewesen,
Ich wollte nur das Doctorlohn,
Das viele Geld ersparen.
Ich bin ein muntrer Mann von zwey und vierzig Jahren,
Und wünsche mir nichts weniger, als schon
Dem Weibe nachzufahren.

[78] Ueber die Emilie Galotti

An Sr. Durchl. den Feldherrn Ferdinand Herzog zu Braunschweig und Lüneb.


Im April 1772.


O Ferdinand, bey dessen Namen
Der Britte schwört, der Deutsche sich verbeugt,
Der Gallier die Schrecken noch bezeugt,
Die über ihn im Treffen kamen,
Als um dich her die Donner Jupiters gekracht –
Du bists, dem nie die schwere lange Weile
Verdrüßliche Minuten macht.
Du hast vielleicht mit Schnitzung neuer Pfeile,
Mit Schärfung deines Schwerdts den Wintertag verbracht;
Und einen Theil der trüben Nacht
[79]
Beym Schauplatz dich erhohlt, wo neulich, tief im Schleyer
Die Braut Emilie verhüllt,
Als wie vor einem Ungeheuer,
Von Furcht und Schrecken ganz erfüllt,
An ihrer Mutter Busen stürzte,
Und strenger Sittsamkeit getreu
Den strengren Vater bat, daß er ihr Leben kürzte.
Mit einer frommen Tyranney
Wußt er den schönsten Busen zu durchstechen.
Dein Beyfall und dein Urtheilsprechen
War Ehre für den Mann, der uns die Heldinn schuf,
Und Ehre für das Weib, von der sie ward gespielet.
Groß ist des Dramadichters Ruf,
Und groß die feine Kunst, die nur ein Kenner fühlet.
[80]
Auch ich empfand die mütterliche Wuth
Der Klaudia letzthin drey Tage nacheinander:
Der Thetis Auge war in keiner stärkren Glut,
Als einst Achilles am Skamander
In einer schrecklichen Gefahr
Verfolgt von Wellen, und fast umgeschleudert war,
Und sie, mein Sohn! mein Sohn! geschrieen.
Auch konnte Klytämnestra nicht
Durch jeden Zug im zornentbrannten Angesicht
Mehr sagen, um ihr Kind dem Kalchas zu entziehen,
Als unsre feinste Spielerinn:
Ihr Blick, ihr Ton, ihr Armausbreiten
Riß mich und alle Seelen hin;
Und ich versetzte mich in jene graue Zeiten
Des Sophokles und Aeschylus,
Und rief den Seelen zu, die dazumal gelebet:
[81]
Seht eure Dichter, eure Spieler aufgelebet,
Und weint noch einen Thränenguß,
Und fühlt noch einmal, daß ihr lebet.
Ich sprachs, und weinte noch aus voller Augenquell,
Als Klaudia den Marinell
Nicht mehr mit ihrem Donner bebend machte.
O dieser Marinell wie fein, wie wundersam,
Er Aug und Ohr zur Staunung brachte,
So bald er auf den Schauplatz kam;
Mit welcher Wahrheit und mit welcher Kunst er spielte,
Darzu ist jeder Ausdruck viel zu klein,
Dieß könnte Leßing nur allein
So nacherzählen, so beschreiben, wie ichs fühlte:
Denn bis zum Abscheu ward die List
Des schlauen Hofmanns vorgestellet,
Der nur aus Eigennutz ein Freund des Fürsten ist,
Und seine schwache Tugend fället,
[82]
Indem er Streich auf Streich ihr anzubringen weiß,
Und wenn er sie aus seiner Brust getrieben,
Mit unermüdet bösem Fleiß
Die Laster schminkt, damit sein Herr sie möchte lieben,
Und ihnen süße Namen giebt.
Ich wandte mich von diesem Lüstlingsknechte
Zur Gräfinn, welche bis zum Unsinn heiß verliebt
Das ganze männliche Geschlechte
Verwünschte, und mit Gift und Stahl
Gerüstet kam, den Prinzen noch einmal
Zu sehn, und ihn und sich zu morden.
Hohn, Rachsucht, Liebesneid, und Liebesraserey
Sprach wechselsweise, sprach aus ihrem Blick und Munde,
Ich glaubte, daß Medea gegenwärtig sey,
Als nun Orsina in dem neuen Freundschaftbunde
Dem alten Graf der Rache Werkzeug lieh,
Medea lächelte, wie sie,
[83]
So bitter, und mit solchen Trieben,
Und doch muß ich die arme Gräfinn lieben,
Die so verlassen, so verachtet sich befand.
Ich zürnte, daß der Graf den Zorn in sich versteckte,
Dem Prinzen ohne Widerstand
Sein Kind zu lassen schien, und ihm nicht kühn entdeckte:
Prinz, ich weiß alles, weiß daß dieser Marinell
Die Mörder Apians gerüstet;
Ich weiß, daß dich nach diesem reinen Quell,
Nach meiner Tochter hier, gelüstet.
Ich fluche dir mein Ach und Weh,
Und ehe sie den fremden Händen
Wird anvertraut, soll sie, gleich der Virginie,
Von meiner Hand durchbohrt, ihr junges Leben enden.
Der Prinz war weich, war kein vorsetzlicher Tyrann,
Die Schaam, die bittre Reue hätten
[84]
Ihn schnell ergriffen, und der alte böse Mann
Der konnte leicht das süße Mädchen retten.
Der furchtbegoßne Fürst gestand
Sein schwaches Herz und seines Dieners Tücke,
Ward wider ihn von Grimm entbrannt,
Und hieß, mit einem Fluch im Blicke,
Ihn ewig aus den Augen gehn;
Und gab den Göttern dieser Erde,
Die lange Zeit nach ihm entstehn,
Zur Lehre, daß ein Fürst leicht zum Tyrannen werde,
Wenn ihn ein Busenfreund regiert,
Der sieben Teufel in dem Herzen
Und einen Schmeichler in den Honigmunde führt.
Ich sprachs umsonst, und sah mit Schmerzen
Der schöngebrochnen Rose Fall,
Und seufzte laut, und überall
Ward nachgeseufzt, denn alle Seelen fanden
Den Marinell verwünschungswerth.
Da gieng ich fort, und dachte Ferdinanden
Der gern mein Lied im sanften Tone hört,
[85]
Nur keine Schmeichler, keine Marinelle,
Die ganz ohnfehlbar als ein Kind
Unmittelbar ein Geistchen aus der Hölle
Erhielten, und durch ihn verteufelt sind.
Nein, dacht ich, nein, die Gwelfen alle schützen
Ihr großes Herze vor dem Gift
Der Schmeicheley, und insgesammt besitzen
Sie der Minerva Schild auf den kein Wurfpfeil trift –
Auf den sie sich mit ihrer Tugend stützen.

[86] An Mademoiselle Rehbeld in Berlin,
nach überstandnen Pocken

Einzige Tochter des sorgenden Paares,
Welches dich nähret, lehret und schützt,
Und in dir ein süßes, wahres
Wiedergeschenktes Vergnügen besitzt –
Danke mit deinem zukünftigen Leben,
Lobe mit jeder Empfindung die Macht
[87]
Welche dem Tode Befehle gegeben,
Nicht mit ewiger Nacht
Dein schon zitterndes Auge zu decken.
Ach, dein keuchender Busen empfand
Schon des Grabes gewaltige Schrecken,
Und gen Himmel gewandt
War das Auge der Mutter, mit Thränen
Ueber und über benetzt.
Durch dein winselndes Stöhnen
Ward ihr liebendes Herze verletzt.
Mit ihr weinte, von Kummer durchdrungen,
Auch der minder weichliche Mann,
Den noch keiner zu Thränen gezwungen,
Der sonst jedem Unglück trotzen kann,
Wann es ihn bedrohen sollte –
Diesem befürchtenden Vater entfiel
Aller Muth, wenn er dich trösten wollte,
Denn er sahe dich am Ziel
[88]
Deines kaum begonnenen Lebens:
Sein Gedanke wiederholte tausendmal:
Armes Mädchen, ach! du strebst vergebens
Hier zu bleiben, deiner Jahre Zahl
Ist vollendet, wie die Zahl der Monden
Von dem jugendlichblühenden Stahl,
Dem die Grazien zu Londen
Rosen auf sein Grab gestreut,
Und dabey voll Mitleid sangen:
Deutscher Jüngling, deine Redlichkeit
Lächelte von deinen Wangen
Und von offener Stirne herab,
Und der Mann, der sie dir erblich gab,
Wird umsonst nach dir verlangen,
Ruft umsonst den einzigen Sohn,
Den die böse Krankheit weggerissen,
Welcher vom bräutlichen Lager und Thron
Oft die Fürstenkinder folgen müssen.
[89]
Fremdes Erdreich deckt dein schönes Haupt,
Deinen Schwestern, deinen Spielgesellen
Ist nichts weiter vom Schicksal erlaubt,
Als im Geist sich um die Gruft zu stellen,
Die dich, Blume der Jugend, geraubt.

[90] An die Mütter des reisenden Chur- und liefländischen Adels

Edle Mütter, die ihr eure Seelen
Oft zu reisenden Söhnen gesandt,
Laßt euch bey der Wiederkunft erzählen,
Welches Fürstengehorchende Land
Ihnen am besten gefallen,
Welche Königsstadt
[91]
Unter den Königsstädten allen
Ihre größte Bewunderung hat?
Und sie werden euch sagen,
Daß Berlin den Preis
Ganz davon getragen.
O! der Künsteverfeinende Fleiß
Strebet hier unter dem Schutze des Weisen
Nach dem Gipfel der Vollkommenheit!
Eure Kinder werden alles preisen.
Meine Liederfähigkeit
Ist zu klein, die Wunder zu beschreiben,
Die nur eine Kunst enthält. –
Ewig groß wird Katharina bleiben
Bey der Heldenbewundernden Welt –
Ewig schön, und ewig aufbehalten
Das Geschenke Friedrichs von Berlin.
[92]
Bleiche zitternde Gestalten,
Ueberwundner Ottomannen knien
Vor dem Porcelaingemachten Throne,
Weiß, wie ein gefallner Schnee;
Und in ernster Grazie
Unter einer Lorberkrone
Blickt die Kaiserinn umher;
Auf dem köstlichen Tafelgeschirre
Flammt das brennende Meer,
Fliehn die Türken, in der Irre
Liegen sie vor den Siegern gestreckt,
Mit lebendigen Farben gemahlt,
Werden die Grauen des Todes entdeckt,
Und die Thaten der Reußen erzählt.
Unnachahmliche Thaten des Krieges,
Dem kein römischer glich,
[93]
Als vor helfenden Göttern des Sieges
Mithridat von Wald zu Walde wich –
Und die fürchterlichen Hanniballen
Und das stolze Karthago zuletzt
Vor dem römischen Muthe gefallen,
Der Freyheit höher, als Leben geschätzt.

Notes
Erstdruck der Buchausgabe: Mietau (Jakob Friedrich Hinz) 1772.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Karsch, Anna Louisa. Neue Gedichte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9079-2