Das Schicksal

Sr. Wohlehrwürden des Herrn Feldprediger Klettke bei Gelegenheit dessen Nahmensfestes gesungen.


1755.


O hätt ich jezt den Geist der Unzerin,
Das denkende und das erhabne Wesen,
Um feuriger und aufgeklärt im Sinn
Begriff und Bilder auszulesen,
Welch ein Gemähld' entwürf ich da von dir,
O Schicksal! dein verborgnes Winken,
Und wie dein Wink der Dinge Gang regier,
Und wie dich der Vernünftler Dünken
Mit schielem Blick unüberdacht verkennt,
[358]
Und wie dein Ausspruch unserm Leben
Die Reihen der Begebenheiten nennt;
Dies alles würd ich dann der Welt vorzüglich zu betrachten geben.
Eh dies Gebäu, was jezt so prächtig steht,
Sich aus des Klumpens Unform risse,
Noch eh der Staub beseelt ward und erhöht,
Und seines Schöpfers Abbild hieße;
Da sahst du schon Jahrhunderte entdeckt,
Du sahsts entziffert vor dir liegen,
Wohin der Trieb und seine Folge zweckt,
Hier ordnete dein ewig Fügen,
Der Reiche Fall, hier theiltest du voraus,
Eh noch geborne Herrscher waren,
Die theure Last der König-Kronen aus,
Hier seztest du den Zeitpunkt fest, in welchem wir uns offenbaren.
Dein Finger schreibt in Tafeln hell von Glanz
Die Ordnungen, die sich erhalten,
Die Wesenheit bleibt durch dich immer ganz,
Die Welten müssen nie veralten,
Du hießest sie in ihren Kreisen gehn,
In denen sie sich jezt noch winden,
Nicht ungefähr kann was geschieht entstehn,
[359]
Es fügt dein überdacht Verbinden
In einer Welt, die doch die beste bleibt,
Das Einzle in Zusammenhänge,
Daß jens entspringt, und daß es dies vertreibt,
Ist darum, daß sich nichts unachtsam durcheinander menge.
Der Bissen Zahl, wodurch der Mensch sich nährt,
Berechnest du, eh er sie isset,
Das Glückliche, was Jeden widerfährt,
Ist so, wie es dein Vorsehn misset;
Des Geistes Zier, der innern Gaben Zahl
Theilt die Natur nach deinem Wollen
Auf dein Geheiß, nach deiner weisen Wahl
Muß die Vernunft uns Güter zollen;
Dem giebt sie viel des innerlichen Lichts,
Und Jenem mittelmäßge Strahlen,
Der andre spührt vom heitern Witze nichts,
Und dieser kann uns die Natur in ihrer ganzen Schöne mahlen.
Der Forschende, der unter dreymal Dreyn
Der Würdigste zum Lehrer ware,
Sog durch dich Lust zu Wissenschaften ein,
Und daß der Frühling Seiner Jahre
Den Tugenden die Augenblicke gab,
[360]
Hat dein verborgner Trieb gemachet,
Und deine Kraft hat von der Höh herab
Die Brust zur Weisheit angefachet,
Noch wenn Er sich in Einsamkeit verschließt,
Um daß Er Andrer Heil bedenket,
So zeigt dein Wink wie würksam daß du bist,
Dein Wink, der Ihm erst die Gedanken und auch alsdann die Seelen lenket.
O lenk Ihm doch nur auch ein Herze zu,
Was zart an Seine Brust sich bindet;
Du knüpfst ja Viel, wolan stöhr Seine Ruh,
Mach daß dein Ordnen überwindet.
Nur so ein Herz, dem du ein zwiefach Pfund
Von Tugend und Vernunft verliehen,
Nur solch ein Herz schickt sich, in einen Bund
Des Klettkens freie Brust zu ziehen.
O laß Ihn doch die Lieb ein Grabmahl baun,
Man lese auf dem leichten Steine:
Hier armen sich die Huld und das Vertraun,
Hier schlummern, die das Schicksal hieß: daß sie ein Gleich-Gefühl vereine!
[361]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Karsch, Anna Louisa. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1792). Anhang. Das Schicksal. Das Schicksal. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-90B2-F