Ueber die Begierden und Wünsche

An den jungen Herrn von der H*st.


O glaube mir, der Du im Jünglingsfuße
Die Flüchtigkeit des Rehes hast,
Du wünschest viel, und bist doch im Genusse,
Was Du erwünschest, satt.
Der Garten lockt; Du girrest gleich der Taube,
Die lange Zeit verlassen ward:
»Freund, laß mich gehn zum Rosenstock. – Erlaube,
Mein lieber Eberhard?«
Er wird besiegt durch süße Schmeicheleyen,
Wie von der Juno Jupiter,
Du hüpfest fort, und alsobald erfreuen
Die Blumen Dich nicht mehr.
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Dir ekelt vor dem Honigduft der Rose,
Wie Jakobs Enkeln vor dem Mann;
Dein Auge blickt gleich einem Gräbermoose
Die grüne Myrthen an.
Dein Busen schwillt von neuen Wünschen schwanger
Bis an das glatte Kinn herauf,
Der Sommertag ist dir ein leerer, langer
Beschwerter Stundenlauf.
Dein Führer braucht bey mancher ungestümen
Begierde, die Dein Busen fühlt,
Mehr Kraft, als Nestor, der die Lenkungsriemen
Der scheuen Rosse hielt,
Da Diomed wie Mars daher gefahren
Vor Ilium, bis seinem Drohn
Des Donnergottes Blitze schrecklich waren
Und er zurückgeflohn.
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Notes
Entstehungszeit unbekannt.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Karsch, Anna Louisa. Ueber die Begierden und Wünsche. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-90ED-B