An die Muse,
daß sie den Abend der großen Illumination singen solle

Den 4. April 1763.


Die du das Feld des Krieges überflogest,
Durch Schwefelduft und Kugelregen drangst,
Zum Sieger, und mit ihm durch Ehrenpforten zogest,
Und seines Einzugs Jubel sangst,
O Muse! singe nun auch kühn den stolzen Abend,
Der von des Sturmwinds Flügeln loß,
Den Sternenmantel um sich habend,
Herabsah, auf Berlin, das seinen König groß,
Und seinen Frieden ewig nannte,
Und, von der Kunst beflammt, den Sphären ähnlich brannte,
Ganz ähnlich jenem Pomp der prächtigen Natur.
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Hast du sie nachgezählt, die hundert tausend Flammen,
Durch deren Glanz der Sieger fuhr?
Sanftlächelnd, wie sein Gott, wenn, auf der Weizen-Flur
Von tausend Schnittern froh zusammen
Die Stimmen mischen sich in ein harmonisch Lied,
Und jeder Busen dankbar glüht!
Und jeder Blick emporgehoben,
Den Erndtegeber wünscht zu sehen und zu loben,
Und seiner Güte Bild weit ausgebreitet sieht:
So ausgebreitet, also mächtig fortgerissen,
Drang Freude sich von Brust zu Brust;
Es staunte, trunken von des Patrioten Lust,
Das Auge, wenn den Hercul der beschützten Preussen,
Des Amphitrions Sohn mißgünstig vor sich sah,
Wild, trozend, stand das Bild des Stierbekämpfers da,
Und schwang, mit Riesenarm die knotenreiche Keule;
Du glaubtest, daß der Schlag geschah,
Und bebtest vor dem Zungenpfeile
Des siebenköpfigen, gekrümmten, schlangengleich
Geformten Thieres, das ihm drohte,
Und größer wuchs nach jedem Streich;
O! dich erschreckte selbst die todte
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Giftlose Hyder, an dem Fuß
Des Halbgotts, der sich tief verbeugen
Vor Friedrichs Göttergröße muß.
Wenn Malerei und Dichtkunst schweigen;
So redet von dem Vater mehr, als von dem Held,
Sein Landvolk, das ein ödes Feld
Nun wieder tief in Furchen ziehet;
Aus Vorrathshäusern Korn empfängt;
Und Hütten, die der Feind versengt,
Aus ihrer Asche steigen siehet.
Ihm tönet Lob der Mildigkeit
Erhabner, aus der Kinder Munde,
Als Siegsgesänge, nach dem Streit,
Der jedes Lorbeerblatt erkauft mit einer Wunde
Des Königlichen Herzens hat.
O Muse! hörst du nicht das arme Volk der Stadt?
Es jauchzt, und tanzt umher, mit heiterm Angesichte,
Und feiert über seinem Hunger großen Sieg,
Preißt den Geschmack der Friedensfrüchte,
Und tilget jeglichen Gedanken an den Krieg
Mit dem Gedanken seiner Freude,
Den göttlich Sorgenden zu sehn;
Der seine Feinde zwang, die Herzen umzudrehn;
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Und Sieg vergaß, und frug, ob schweren Mangel leide
Sein Volk, bey dessen Zärtlichkeit
Sein großes Herz sich mehr erfreut,
Als wenn Berlin, dem Ueberwinder, und dem Frieden
Colossen aufgebaut, und mit der Lampen Pracht,
Auf weißen Marmorpyramiden,
Dreimal den Mond beschämt gemacht.
[51]

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TextGrid Repository (2012). Karsch, Anna Louisa. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1792). Gedichte. An die Muse. An die Muse. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-914C-F