[54] 13. Zwo Elegieen

Göttingen 1758 zuerst gedruckt.


Ich hätte nur auf dem Titel melden dürfen, daß die erste folgender Elegieen durch den Verlust meiner Ehegattinn, Johanna Rosina geborne Baumann, ist veranlaßt worden, wenn ich Umstände, auf die sich gewisse Stellen beziehen, in Anmerkungen hätte erzählen wollen. Will man sich gefallen lassen, sich dieselben hier im voraus bekannt zu machen, so wird das Lesen durch die Bemühung, Erläuterungen am Ende der Seiten aufzusuchen, nicht unterbrochen werden.

Eine vieljährige Bekanntschaft mit ihr hatte bey mir Gesinnungen gegen sie erregt, die ich in dem Gedichte an sie ausgedrückt habe, das im ersten Theile meiner vermischten Schriften mit der Zeile anfängt 1:

Wie stark, wie treu mein Herze dich verehret.

Diese Gesinnungen versicherten mich in Allem, was auf uns selbst ankäme, eines dauerhaften Vergnügens, so lange es der Vorsicht gefallen würde, uns vereinigt zu lassen. Wir verließen im October des Jahres 1756 unsere Vaterstadt Leipzig gesetzter, weil wir beyde uns eine Welt waren. Im Anfange des Jahres 1757 erneuerte sich bey ihr eine Krankheit, die sie schon 1751 dem Grabe nahe gebracht hatte. Die Elegie nächst der vorher erwähnten, im ersten Theile meiner vermischten Schriften 2:

Noch kurze Zeit darf ich dich meine nennen;

ist damals an sie gerichtet worden. Was sie jetzt erlitten hat, das auszudrücken, bin ich zu schwach, sonst hätte ich es in den nachfolgenden Zeilen gethan. Und wem dürfte ich zumuthen, es zu lesen? Die ersten beyden Strophen gegenwärtigen Gedichtes hat sie selbst von mir den 22. April des vorigen Jahres angehört; einige Tage darauf habe ich ihnen noch die beyden nächsten beygefügt. Furcht und Hoffnung, oder vielmehr Furcht und Begierde zur Hoffnung, wechselten die folgende Zeit zu heftig bey mir ab, als daß ich diese Reime hätte fortsetzen können, denen ich auf das herzlichste wünschte, daß die Welt sie nie sehen möchte.

[55] Der 4. März des jetztlaufenden Jahres war der letzte Tag ihres Lebens. Zusammengehäufter und verdickter Schleim hatte ihr schon lange das Hinunterschlingen und bey sich Behalten der Speisen höchst beschwerlich gemacht, und verschloß denselben Tag auch dem geringsten Tropfen jeder Art von Feuchtigkeit den Durchgang. Zwischen zwey und drey Uhr Nachmittags bat sie, daß ihr der Herr ihres Lebens vor ihrem Ende nur noch die Wohlthat erzeigen möchte, ihre schmachtende Zunge mit einem Trunke zu laben. Als sie aber solches mit etwas frischem Wasser vergebens vornahm, und es mit großer Beängstigung wieder von sich geben mußte, waren die Worte: »ich will auch den lieben Gott nicht mehr versuchen,« ihre letzten Worte, weil sie eher als eine Stunde darauf aller Angst befreyet war.

Die Erläuterungen, deren das zweyte Gedicht bedarf, sind ihm beygefügt. Muß ich wohl seine Bekanntmachung hier entschuldigen, und zeigen, in was für Verbindung es mit dem ersten steht? Das wäre für Denjenigen nöthig, der Leichengedichte und Ehrenbezeigungen gegen Verstorbene für einerley hält. Mir ist es nicht glaublich, daß Geister, die den Umgang höherer Wesen genießen, von der Ehre, die ihnen die Welt nach ihrem Abschiede erzeigt, würden gerührt werden, wenn sie auch etwas davon wüsten: aber die Nachricht müßte ihnen gewiß angenehm seyn, daß Seelen, die sich noch im Stande der Prüfung befinden, durch ihr Andenken eifrig werden, auch dahin zu streben, wo sie sind. Leichengedichte, welche dergleichen Eifer zu erregen zur Absicht haben, sind die einzigen, die sich vor Vernunft und Religion rechtfertigen lassen.

Göttingen, den. 10. März 1758.

[Daß du an mich im Himmel solltest denken]

Daß du an mich im Himmel solltest denken,
Sang ich von dir, und nannte dich schon Geist:
Ach! wollte Gott dich damals mir noch schenken,
Daß er dich jetzt mir schmerzlicher entreißt?
So spät, so kurz, wollt' er den Wunsch gewähren,
Den frommen Wunsch: dein vor der Welt zu seyn;
Und unbenetzt von einer Freundinn Zähren
Nimmt fremder Sand hier deinen Leichnam ein!
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Mißfielen denn dem Höchsten unsre Triebe?
Vor Ihm stellt sich der Herzen Abgrund dar:
Er strafe mich, wenn nicht für meine Liebe
Dein größter Reiz nur deine Tugend war.
In Einsamkeit, wo Gott und Engel hören,
Wo sich das Herz von Erd' und Tand erhöht,
Hab' ich, mit dir Ihn eifriger zu ehren,
Ihn oft um dich mit Thränen angefleht.
Wir, deren Blick nicht in die Ferne reichet,
Verstehn es nie, was unsere Bittet wagt:
Mit einer Huld, die seiner Weisheit gleichet,
Verzeiht sie Gott, auch wenn er sie versagt.
Wie, daß mit dir mein Glück hier zu genießen,
Noch jetzt mein Wunsch sich unbedachtsam sehnt!
Gott hat vielleicht dich meiner Noth entrissen:
Ruft mich zum Kampf, und du bist schon gekrönt.
Und wär mir hier nur Freude zugetheilet,
Wär er nunmehr doch gegen dich kühn,
So bäte den, der nun aus Grönland eilet,
Ein wilder Freund: bey Fischtrahn zu verziehn.
Welch eine Lust im Reich der Eitelkeiten,
Wär wohl für dich erlittner Schmerzen werth?
Was gönnt dir Der, der auf dein hartes Streiten
Den Sieg noch fern, und neuen Kampf begehrt?
Noch konnt' ich mich nicht von dem Wunsch entwöhnen,
Ihn that das Herz, wenn ihn Vernunft verbot:
Lang' ließ dich Gott nach deiner Rettung stöhnen;
Und dein Gebet war nur Geduld und Tod.
Und sahst du uns voll Jammer um dich treten,
So batest du, um deinen Tod zu flehn:
Nichts hast du noch umsonst von mir gebeten,
Die Bitte nur konnt' ich nicht zugestehn.
Herr, deine Huld hüllst du in Grausamkeiten!
Machst Frommer Kreuz der Bösen Strafe gleich;
Pflegst Seelen so zu Engeln zu bereiten,
Und bist zum Lohn für sie gerecht und reich.
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Die Christinn ächzt, nur noch den Durst zu stillen,
Wenn ängstend schon der Tod im Schlunde drückt:
Sie ächzt umsonst, ergiebt sich deinem Willen,
Und wird indem mit Engeltrank erquickt.
Ihm dankst du jetzt, Beglückte, für dein Leiden,
Dem Gott voll Huld, der nicht von Herzen plagt.
Er führte dich zu ewig großen Freuden
Durch eine Qual, wo die Natur verzagt.
Soll ich zu dir, durch gleiche Pein bald dringen,
Ist härtre noch, mich mehr zu läutern, noth,
Und hilft es mir, der bey dir stand, vollbringen:
Welch irdisch Glück ist mehr, als so ein Tod?

Fußnoten

1 [Siehe die zehnte Elegie.]

2 [Siehe die elfte Elegie.]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kästner, Abraham Gotthelf. Gedichte. Elegieen. 13. Zwo Elegieen. [Daß du an mich im Himmel solltest denken]. [Daß du an mich im Himmel solltest denken]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-93F4-3