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Hör an, mein Kind, was ich dir kosend sage,
Wie mich ein Traum betrog so wunderbar:
Es war an einem stillen Feiertage,
Als ich mit dir bei Gott im Himmel war.
Er schaute eben noch vom Taubenschlage
Aus in die Sonntagswelt, so weit und klar,
Und ob dem fernen Glockenklang allmählich
Entschlief er auf ein Stündchen sanft und selig.
Man hörte kaum die Menschen unten singen,
Im Himmel aber war es still und leer;
Nur an der Sternenuhr das Pendelschwingen
Klang langsam und gemessen hin und her,
Und mäuschenstill, in seligem Umschlingen,
Sah ich in deines Augs urtiefes Meer;
Da hatte plötzlich ich den Mut gefunden:
Bat um den ersten Kuß dich unumwunden!
»Um dreie von den Sternen, die dort schweben,
Geb ich dir, Lieber, meinen ersten Kuß!«
So sagtest lächelnd du, mein süßes Leben;
Ich aber eilte, schon im Vorgenuß,
Die Goldnen aus den Angeln zu erheben,
Und brachte sechse dir zum Überfluß;
Du aber drauf: »Wie mich die Dinger laben!
Um noch zwölf andre sollst den Kuß du haben!«
So ging es fort; verdoppelt immer wieder
Erhöhtest du den teuren Liebespreis;
Und zwiefach dürstend holte ich hernieder
Dir Stern um Stern aus ihrer Brüder Kreis.
Du schmücktest emsig deine schönen Glieder,
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Verlachend heimlich meinen heißen Fleiß;
Und zu erkaufen meine höchste Wonne,
Blieb mir am Ende nur noch Mond und Sonne!
Ich brachte sie; und um die Stirne hingest
Die helle Sonne du mit stolzer Lust,
Mit Sternen du den Schwanenhals umfingest,
Der Mond erstrahlte mild an deiner Brust;
Dann himmelauf und -ab du dich ergingest,
All deiner Schönheit siegreich dir bewußt!
Von dir allein nun strömte alle Helle,
Ich lag vor dir als vor des Lichtes Quelle!
Der Himmel ruhte noch im tiefsten Schweigen,
Wie vor dem Jüngsten Tag ein stilles Grab;
Und eben wolltest du dich selig neigen,
Gerührt, bezwungen, sanft auf mich herab,
Die süße Gunst mir endlich zu erzeigen,
Wofür ich Sterne, Sonn und Mond dir gab:
Da brach ein Angstschrei durch des Himmels Hallen,
Als wollt die Welt aus ihren Fugen fallen.
Indem ich dir den Sternenschmuck errungen,
Hatt ich die Welt um Licht und Zeit gebracht;
Des hatte sich die Klage aufgeschwungen,
Und schreiend lag die Erde in der Nacht.
Der erst so friedlich in den Schlaf gesungen,
Gott Vater ist da zornig aufgewacht,
Verweisend mich an meiner Schulter rüttelnd;
Du flohst davon, den Schimmer von dir schüttelnd!
Du flohst davon und lachtest mit Behagen,
Indessen ich mit saurem Schweiß begann,
Die Sterne wieder alle fortzutragen,
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Und sie zu ordnen mühsam mich besann.
So hatte sich der Handel schon zerschlagen,
Von welchem ich so bösen Lohn gewann!
Heut ist an dir das Träumen und das Dichten:
Willst du mir nun die süße Schuld entrichten?

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TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Gedichte. Gedichte. Siebenundzwanzig Liebeslieder. 10. [Hör an, mein Kind, was ich dir kosend sage]. 10. [Hör an, mein Kind, was ich dir kosend sage]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-982F-4