Hadlaub
Gleich unterhalb des aargauischen Städtchens Kaiserstuhl stehen die beiden Schlösser Schwarz- und Weiß-Wasserstelz, jenes mitten im Rhein, d.h. näher dem linken Ufer und jetzt noch von allerlei Leuten bewohnt, die es kaufen mögen, dieses zerfallen auf dem rechten Ufer. Zu den Zeiten Rudolfs von Habsburg aber saßen zwei Schwestern auf den beiden Burgen als Erbinnen eines mäßigen Landwesens, das nach seiner Teilung keiner großes Gut übrigließ. Darum suchte die ältere derselben, Mechthildis, welche auf Weiß-Wasserstelz hauste und dessenungeachtet eine fast rußige, finstere und gewalttätige Person war, unablässig ihre jüngere Schwester, Kunigunde auf Schwarz-Wasserstelz, von ihrem Erbe zu verdrängen und mit allen möglichen Ränken in ein Kloster zu treiben. Denn diese Kunigunde war von schöner und lieblicher Gestalt, von der weißesten Hautfarbe und anmutig heitern Wesens und besaß viel bessere Aussichten für eine günstige Heirat als jene bösartige.
Trotzdem war sie den Bewerbungen nicht zugänglich und verwahrte sich gegen solche beinah ebenso sorgfältig wie gegen die Listen und Überfälle ihrer Schwester, welche diese in Verbindung mit andern Übeltätern ins Werk zu setzen suchte. Die schöne Kunigunde verschloß sich zuletzt ganz in ihr festes Wasserhaus, das rings von den tiefen grünen Wellen des Rheines umflossen war. Am Ufer besaß sie eine Mühle, betrieben von einem treuen wehrbaren Dienstmann, der Zufahrt und Eingang des Schlosses bewachte mit seinen bestäubten Knechten. [23] Im übrigen war ringsum Stille der Wälder, und man hörte nichts als das Ziehen des Flusses, bis einmal jemand sagte, er habe in der Nacht durch ein offenes Fenster des Schlosses ein kleines Kind schreien hören, und ein anderes Mal ein anderer, er habe es auch gehört, und zwar bei hellem Tage. Bald aber ging das Gerücht im Land, die Dame auf Schwarz-Wasserstelz werde von einem gewaltigen Manne besucht, der niemand anders sei als des Kaisers Kanzler, Heinrich von Klingenberg, mit dem nicht gut Kirschen essen wäre. Ihm sei die schöne Frau in Liebe ergeben, und als starker Nekromant wandle er, wenn er in die Gegend komme, nächtlich über das Rheinwasser trockenen Fußes, um sie ungesehen zu besuchen; er gleite auf einer wie Gold leuchtenden Strickleiter oder, wie andere meinten, von Dämonen getragen an der Turmmauer empor bis zum offenen Fenster der Dame; denn er hielt sich alsdann im nahen Schloß Röteln oder im Städtchen zu Kaiserstuhl auf, das er später als Bischof von Konstanz von einem der letzten Regensberger auch käuflich erwarb.
Tatsache war, daß nach etwa sieben oder acht Jahren die Frau von Schwarz-Wasserstelz ein gar anmutiges Mädchen nach Zürich bringen ließ, daß sie bald darauf selber, und zwar freiwillig, als Klosterfrau in die Abtei Zürich ging und daß sie nach Ablauf einer weiteren Zeit durch den Einfluß eben desselben Bischofs Heinrich zur Fürstäbtissin gewählt wurde. Ob diese Geistlichwerdung aus Reue geschah und um die Jahre der Leidenschaft abzubüßen oder ob es sich für das vornehme Liebespaar darum handelte, als kirchenfürstliche Personen in freier Gesellschaftlichkeit sich öfter zu sehen und einer beruhigten Zuneigung froh zu werden, ist jetzt nicht mehr zu ermitteln; doch spricht damalige Sitte und das weiter sich Begebende eher für den letzteren Fall. Denn es gab in unserer Stadt Zürich eine mannigfache und ansehnliche Gesellschaft. Neben den Prälaten und ihren Amtleuten waren da angesessene, schon mehrere hundert Jahre alte [24] Geschlechter, die Nachkommen königlicher Verwalter mit seltsam abgedrehten altdeutschen Namen, die, meistens ein- oder zweisilbig, aus ehemaligen Personen- oder Spitznamen zu rätselhaften Familiennamen geworden, mancher verhallende Naturlaut aus dem Rauschen der Völkerwanderung darunter; kleinere Edelleute der umliegenden Landschaften mit den Namen ihrer Wohnsitze zu Berg und Tal drängten sich herbei, und eine Reihe wichtiger Dynasten der oberdeutschen Lande waren in Zürich verbürgert und gingen ab und zu. Unter allem dem waltete eine nicht unzierliche freie Geselligkeit, und wie einst in solchen Kleingebieten der romanische Baustil noch gepflegt wurde, nachdem er in den offenen Großländern längst dem gotischen gewichen, so erfreute man sich eines verspäteten Minne- und Liederwesens ritterlicher Art, nachdem dessen Blütezeit schon vorüber war.
Jetzt müssen wir uns aber nach dem Kinde Fides umsehen, welches eben das natürliche Töchterlein der Fürstäbtissin war. Das tun wir am besten, wenn wir auf der andern Seite der Stadt am Zürichberg hinaufgehen, wo wir das Kind alsbald antreffen werden, und zwar auf einem Spaziergang an der Hand des alten Meister Konrad von Mure, des rühmlichen Vorstehers der Singschule am Großmünsterstift. Der sehr betagte Mann hat das lebhafte Mädchen, das durch den Einfluß des Kanzlers im Hause des Herrn Rüdiger Manesse erzogen wurde, unter die Fittiche seiner besonderen Freundschaft genommen und, da er häufig in der nahen Ritterwohnung verkehrt, aus welcher auch sein Vorsteher, der Probst Heinrich Manesse, stammt, seine kleine Freundin zu dem Gange abgeholt. Je weiter es aber in die Höhe ging, desto weniger vermochte er das rasche und etwas heftige Kind an der Hand zu behalten wegen überhandnehmender Schwäche und Engbrüstigkeit, wie der treffliche Mann denn auch da zumal nicht manches Jahr mehr lebte. Er ließ also das Mägdlein laufen, wie es mochte, und half sich an seinem Stabe in den schattigen Wegen weiter, [25] die zwischen den vielen zerstreuten Bauernhöfen auf die Höhe des Berges führten.
Als er eine genügende Umsicht erreicht, ruhte er eine Weile auf einem Steine sitzend aus und ließ mit Behagen seinen Blick über die weite Landschaft gehen oder vielmehr über die Versammlung von Landschaften, welche ebenso widerspruchsvoll sich aufreihte wie unser Zürich, seine Leute und seine Geschichte überhaupt. Das Gebirgsland gegen Süden war urhelvetischen Charakters, in unruhigem und ungefügem Zickzack, eine wilde Welt, die nur durch das Blau der Sommerluft und den Glanz von Schnee und See einigermaßen zusammengehalten war. Wendete der Kantor aber den Blick rechts, gegen Abend, so sah er in das ruhige Tal der Limmat hinaus, durch welches der Fluß, an wenigen Punkten aufleuchtend, hinzog und in den sanft gerundeten und geschmiegten Höhelinien sich verlor. Von einem massigen Nußbaum und ein paar jungen Eschen eingefaßt, glich das Tal, wenn es im Abendgolde schwamm, in seiner maßvollen Einfachheit einem Bilde des Lothringers, der vierhundert Jahre später malte. Nach dieser Richtung hin schaute der alte Herr Konrad am liebsten, wenn er hier oben ausruhte; denn der Frieden dieses Anblickes ergötzte und beruhigte sein trotz der Jahre immer erregtes Gemüt.
Als er sich nun zum Weitergehen wendete und die Höhe vollends gewann, zeigte sich auf dem Rücken des Berges abermals ein neues Landschaftsbild. Jenseits waldiger Gründe und Hänge dehnte sich gegen Norden und Osten flacheres Land, am weiten Horizonte von tiefblauen schmalen Höhenzügen begrenzt. Im vordersten Plane aber standen Gruppen hoher Eichbäume, zwischen deren Kronendunkel die weißen Wolken glänzten. Diese Gegend konnte ebensogut im Spessart oder im Odenwalde liegen, wenn man das Auge nicht rückwärts wandte. Da und dort zwischen den Bäumen war die Hofstätte eines der Berggenossen zu erblicken, die bis hier hinauf ihre Wohnungen[26] zerstreut hatten, mehr als einer noch von den ursprünglichen freien Männern der Berggemeinde abstammend und den Hof in alter Freiheit fortführend. Unbezweifelt war ein solcher der Bauer Ruoff oder Rudolf am Hadelaub, dessen Haus am Rande eines diesen Namen tragenden Laubgehölzes stand. Der Name deutet auf einen Streit, der einst in dem Holz oder um das Holz geschehen sein mag; er kommt aber unter den jetzigen Flurnamen nicht mehr vor, weil das ganze Grundstück in einem größeren Besitz aufgegangen und auch der Hof längst verschwunden ist; indessen heißt heutigentages noch eine kaum fünfhundert Schritte weiter nördlich gelegene Waldparzelle das Streitholz. Damals aber lag das Haus, aus größeren und kleineren Bach- und Feldsteinen gebaut und mit einem niedrigen Schindeldache versehen, samt dem hölzernen Viehstalle dicht an einer der Schluchten, in welchen der Wolfbach herniederfließt. Hieher lenkte aber jetzt Herr Konrad, das Mädchen an sich rufend, seinen Schritt und sprach bei dem Hofbesitzer vor. Der lange knochige Mann war eben von einem Gerüste aufgestanden, an welchem er in Mußestunden lange Speerschäfte herzurichten pflegte. Das Holz hiezu gaben ihm die schlanken Eschen, die reichlich am Bache und auf den Höhen wuchsen. Er prüfte den Schaft, an dem er eben schnitzte, nach seiner Länge und Gräde, indem er ihn waagrecht vor das Gesicht hielt und darüberhin blinzelte. Dabei entdeckte er die Ankunft des Kirchenmannes und legte langsam seinen Schaft auf den Haufen der bereits glattgeschnittenen Stangen, um jenen zu begrüßen.
»Ruoff, du verdienst den Namen deines Wohnsitzes!« rief der von Mure ihm entgegen, »wo in aller Welt ist denn schon wieder Streit und Mannschlacht, daß du deine Spießmacherei so eifrig betreibst!«
»Es geht immer etwas«, erwiderte der andere, »bald hie, bald da! Übrigens muß ich die Schäfte machen, wenn ich Zeit [27] habe und das Holz trocken ist, so gibt's etwa einen Pfennig Geld! Seid willkommen, Herr Konrad, was bringt Ihr Gutes?«
»Du bleibst halt immer ein gewerbsamer Züricher, ihr seid alle gleich und habt nie genug, unten am Wasser und hie oben auf dem Berg!«
»Ja, wir haben's wie die Wildheuer dort drüben am Hochgebirge, wir müssen trachten, da und dort ein herrenloses Gras zu raffen; statt der hohen Felswände haben wir die Kirchenmauern, drum herumzuklettern! Hofft man ein bequem gelegenes Wieslein oder Ackerlein für sein hart erspartes Geld zu erwerben, so ist schon ein Gotteshaus da, unten, oben, hinten, vorn am Berge, das es nimmt, und man muß es sich noch zur Ehre anrechnen, wenn der bescheidene Mann als Zeuge zugelassen wird!«
»Ruf deine Wirtin herbei«, sagte der Magister lachend, »daß sie dem Kinde hier etwas Milch gibt! Es ist erhitzt und durstig. Oder eher wollen wir einen Augenblick ins Haus gehen, denn ihr Landbebauer kennt ja nicht die höfische Freude, im grünen Klee und unter Blumen zu sitzen, wenn ihr tafelt!«
Der Mann vom Hadelaub schüttelte die Späne von seinem starken Lederschurz, indem er leicht die Stirne runzelte; er liebte nicht, sich gelegentlich, im Gegensatze zu den Herrensitten, gewissermaßen als bäuerisch hingestellt zu sehen. Schon sein sorgfältig rasiertes Gesicht, das nur von einem Kranzbart eingerahmt war, und das halblange Haupthaar bewiesen, daß er als Freier sich zur guten Gesellschaft zählte und nicht mit einem ungeschorenen Hörigen oder Leibeigenen verwechselt werden wollte. Denn die Sitte hatte in diesem Stücke, wie noch in manchem, sich geändert. Geschoren waren jetzt die Herren und langhaarig die Knechte, und nur die Apostel und Könige dachte man sich langbärtig.
»Wenn es höfisch ist, im Freien zu speisen«, sagte er, »so leben wir hier bei Hofe, da wir in Sommertagen hinter dem Hause am Schatten essen. Dort mag auch Euer Mägdlein die [28] Milch trinken, Ihr selbst aber einen Schluck dauerhaften alten Mostes von Holzbirnen, den Ihr kennt.«
»Er ist kühlend und nicht ohne Würze«, erwiderte der Kantor; »kommst du mit deinem Weib nächstens einmal zum Münster, so werde ich euch dafür ein Becherlein welschen Weines vorsetzen, den mir ein sangliebender Herr gebracht hat.«
Sie begaben sich demnach auf die Rückseite des Hofes, wo in der Tat ein uralter Steintisch unter den Bäumen stand, welche vom tiefen Bachtobel heraufstiegen und kühlen Schatten verbreiteten. Nebeneinandergelegte und mit Kies und Rasen bedeckte Baumstämme bildeten eine fahrbare Brücke in den Wald hinüber. An einem laufenden Brunnen wirtschaftete Rudolfs Eheweib, Frau Richenza. Sie war kaum zwei Zolle kürzer als ihr Mann, so daß man erst jetzt, als das Paar beieinanderstand, den hohen Wuchs derselben recht gewahrte. Ihr Haar war an Stirne und Schläfen straff zurückgestrichen und hinten in einen starken Zopf gebunden, wie es arbeitende Frauen nötig haben. Auch das Kleid war etwas kürzer, als es bei Leuten freien Standes damals zu sein pflegte, was ihr, mit ihren raschen Bewegungen verbunden, ein rüstiges Ansehen verlieh, das wiederum durch einen gewissen alemannischen Liebreiz des hellen Gesichtes gemildert wurde. Richenza schüttelte dem Geistlichen und dem Kinde treuherzig die Hand und brachte bald die Milch sowohl als den gelben klaren Most herbei, nebst kräftigem Roggenbrot, während der Mann selbst ebenfalls ins Haus ging und von den geräucherten Vorräten über dem Herde, worüber die Verfügung ihm vor behalten war, langsam und bedächtig eine Wurst herunter schnitt. Denn ihm stand zu, zu ermessen, wie auf dem Heerzuge des Lebens die köstlichere Speise abzuteilen war, daß der Vorrat langte und niemals Mangel, Schuldbedrängnis und Verpflichtung eintraten, die von allen Seiten feindlich lauerten. Nicht lange saß nun die kleine Gesellschaft an dem steinernen Tische, als aus dem Walde drüben heller Gesang eines [29] Kindes schallte und bald eine kleine Herde von Kühen erschien, welche von dem zehnjährigen Knaben des Bauern von der Weide heim und über die Brücke geleitet wurde. Nur mit einem langen blauen Leinenrocke bekleidet, barfuß, von reichem blondem Goldhaar Gesicht und Schultern umwallt, ein hohes Schilfrohr in Händen tragend, gab das Kind mit den Tieren ein ungewöhnlich anmutiges Bild, welches zudem samt dem Waldesgrün vom Lichte der Abendsonne gestreift war, soweit sie durch die Belaubung dringen mochte. Mit Wohlgefallen folgten Konrads Augen der Erscheinung, bis der unbekümmert weitersingende und sich kaum umsehende Knabe die Kühe in den Stall gebracht hatte und nun zum Tische kam, um sein Abendbrot zu empfangen. Er gab dem alten Herren ungeheißen die Hand; dann aber legte er erstaunt die Hände auf den Rücken und betrachtete unverwandt das Mägdlein Fides, welches eben sein Milchbecken am Munde hielt und darüber hinweg seine Äuglein gehen ließ. Einen Augenblick setzte es ab und sagte »Du dummer Bub!« worauf es fertig trank und den Mund wischte. Er schlug beschämt die Augen nieder und wendete sich seitwärts mit zuckendem Munde; denn eine so unhöfliche Anrede war ihm in seinem kurzen Leben noch nie zuteil geworden. Als nun aber Frau Richenza den Knaben an sich zog und beschwichtigte und der Kantor dem Mädchen seine Unart verwies, fing dieses seinerseits an zu weinen, so daß die Frau auch hier einschreiten und besänftigen mußte.
»Sieh, Johannes«, sagte sie zum Knaben, »das Schäppelein des Dämchens ist fast verwelkt, geh mit ihm an den Bach hinunter, wo die vielen Blaublümel stehen, und holet zusammen zu einem frischen Kranze, aber kommt bald wieder, eh es zu kühl wird!« Das Blumenkränzchen, womit das fliegende Haar des Herrenkindes geziert war, befand sich wirklich nicht mehr im besten Zustande, und es wurde das Vornehmen auch von dem Kantor [30] gebilligt. Die Kinder gingen also, leidlich versöhnt, den schmalen Pfad hinunter, wo der Wolfbach heute noch sich durch Steinblöcke von allen Farben, unterwaschene Baumwurzeln und andere Geheimnisse drängt, kleine Wasserfälle und hundert kleine Theater von Merkwürdigkeiten bildet. Sie gelangten auch bald an eine Stelle, wo das Bord länger von der Sonne beschienen und daher fast immer mit blühenden Pflanzen bedeckt war. Besonders von Vergißmeinnicht erschien alles blau, aber auch weiße Sternchen und rote Glöckchen gab's darunter, in jenem blumenliebenden Zeitalter eine Augenfreude nicht nur für Kinder.
Die kleine Fides machte sich auch gleich darüber her und band mit Behendigkeit einen Kranz, zu welchem Johannes ihr kaum genug Blumen reichen konnte, je nach Auswahl und Befehl. Ring und Faden hiezu nahm sie vom alten Kranz und ließ die Überreste desselben den Bach hinabschwimmen. Nachdem sie die neue Zierde aufgesetzt, sah sie sich im weitern um und fing an, auf den Steinen herumzuspringen, welche aus dem rinnenden Wasser hervorragten, bis sie auf einen kam, wo sie nicht mehr fortkonnte, ohne durch das Wasser zu gehen. Das war aber wegen der feinen Schuhe und des Kleides untunlich; nach kurzem Besinnen befahl sie dem Knaben, der ihr nachgesprungen war und ratlos bei ihr auf dem Steine stand, sie ans Ufer zu tragen. Er glitt auch sofort ins Wasser und trug das angehende Frauenwesen auf dem Arme und mit schwerer Mühe über die eckigen und runden Bachsteine, indessen sie sich an seinem Halse hielt, aufs Trockene. Inzwischen rückte Meister Konrad von Mure dem Ziele seines heutigen Ausganges näher. Er hatte, seit längerer Zeit mit den Leuten am Hadlaub in guter Freundschaft lebend, die zarte, aber auch aufgeweckte und gelehrige Beschaffenheit des Knaben Johannes bemerkt und wünschte denselben zu sich zu nehmen, um ihn zunächst zu einem Schreiberlein und Schüler heranzubilden, dessen er zu allerlei Aushilfe ermangelte, dann [31] aber auch einem besseren Lebenslose entgegenzuführen, als er ihm auf dieser Berghöhe beschieden wähnte. Er begann daher von dem Singen des Knaben zu sprechen, wie er allerhand Singspiel in Worten und Weisen richtig aufgefaßt und, wenn auch nur stückweise, innehabe, ohne daß man wisse, wie es zugehe. Dann brachte er allmählich sein Anliegen vor, fand aber keine Zustimmung beim Vater. Der unter brach ihn, als er im besten Zuge war, und sagte »Lieber Herr! Wir wollen hierin nicht weitergehen! Statt eines ehrlichen Christennamens, wie sie auf diesem Berge und rings im Lande altherkömmlich sind, Heinz, Kunz, Götz, Siz, Frick, Gyr, Ruoff, Ruegg, hat man dem Buben einen von den neumodischen Pfaffennamen verschafft, Johannes, ohne daß ich weiß, wie es eigentlich gekommen ist. Aber weiter soll es nun mit dem Pfaffwerden nicht gehen. Es ist mein einziges Kind. Seit unvordenklicher Zeit haben sich meine Väter auf der hiesigen Hofstatt gehalten; ich will mir nicht vorstellen, daß das durch meine Schuld anders werden soll und keiner der Meinigen mehr seinen Pflug hier führe, sein Vieh hier weide und von hier aus mit Schild und Speer zum Heerbann niedersteige.«
»Ei, was die ehrlichen Christennamen betrifft«, antwortete ihm der Alte lächelnd, »so seid Ihr nicht gut berichtet! Ihr habt als solche lauter wilde alte Heidennamen genannt, Euren und meinen nicht ausgeschlossen. Wißt Ihr, wie Euer Name Rudolf sich ehemals geschrieben hat? Hruodwolf, lupus gloriosus, ein berühmter Wolf, ein Hauptwolf, ein Wolf der Wölfe! Schönes Christentum! Wie heilig klingt dagegen das biblische Johannes, sei es nun der Täufer oder der Lieblingsjünger des Heilands oder der Evangelist!«
Soeben kamen nun die beiden Kinder an, und der Kantor zog gleich den Knaben herbei, ergriff dessen Hände und rief »Seht, Kapitan aller Wölfe, sind diese schmalen Händchen diejenigen eines Pflugführers und Speerträgers? Oder nicht vielmehr diejenigen eines Pfaffen oder Magisters? Eines sanften [32] gelehrten Johannes? Merkt Ihr denn nicht die Weisheit der guten Mutter Natur, die aus so reisigem Volk von Zeit zu Zeit selber ein zarteres Pflänzlein schafft, aus dem ein Lehrer oder Priester werden mag, wo Ihr sonst bei aller Stärke in Unwissenheit und Sünde verderben müßtet? Übrigens ist gar nicht gesagt, daß er durchaus geistlich werden soll; ich bin zufrieden, wenn er nur vorerst etwas lernt und die Zeit nicht verlorengeht!«
»Willst du in die Schule gehen zu den Herren am Münster?« sagte nun die Mutter zu dem Knaben, welcher verwundert alle der Reihe nach ansah.
»Willst du schöne Bücher schreiben und malen lernen mit Gold und bunten Farben, Lieder singen und die Fiedel spielen«, sagte der Singmeister, »schöne Mailieder, kluge Sprüche und das Michaelslied O heros invincibilis dux – oder wie hast du heut gesungen?« »O Herr, o Vizibilidux! heißt es«, rief Johannes eifrig, und lachend fragte Konrad, wer ihn das gelehrt habe? »Der Bruder Radpert im Klösterlein«, versetzte jener selbstzufrieden. »Das ist ein uralter Mönch bei den Augustinerbrüdern dort hinter den Eichen, der einst als Kriegsmann noch den Heerzug ins Heilige Land mitgemacht hat und dem Kinde zu erzählen pflegt, wie sie das Lied immer gesungen, wenn es in den Streit ging.« Dies bemerkte die Frau Richenza; Rudolf, ihr Mann, aber sagte jetzt zu dem Knaben »Nun, was ziehst du nun vor? Willst du bei den Mönchen in der Schule sitzen und eine Glatze tragen, oder willst du hier oben in der freien Luft bleiben und ein wehrhafter Geselle werden?« Johannes begriff den Sinn der Unterhaltung nur etwa zur Hälfte; er sah sich nochmals um und vermutete zuletzt, daß es sich um eine Schule handle, in welcher solche kleine Dämchen säßen, wie der Chorherr eines zur Probe mitgebracht habe, und [33] da dieses ihm gefiel, so erklärte er, er wolle in die Schule gehen.
»Genug«, rief der Vater in strengerem Tone, »wir wollen mit solcher Sache nicht länger spielen! Geh hinein, Johannes, und hole das Horn, daß wir die Knechte und Dirnen heimrufen!« Der Chorherr merkte, daß er jetzt nichts weiter ausrichten werde, nahm, da die Sonne sich zum Untergange neigte, Abschied und begab sich auf den Heimweg. Gleichzeitig kamen ein alter und ein junger Knecht mit Ochsen und Eggen in raschem Laufe auf der Hofstatt an, mit lautem Geschrei und Heio, Menschen und Tiere gleich ungeduldig. Während hiedurch die Aufmerksamkeit des Meisters in Anspruch genommen wurde, benutzte Johannes die Gelegenheit, vom Hofe zu entfliehen und dem Kantor und dem Mädchen den Berg hinunter nachzulaufen. Da er barfuß war, so hörten sie ihn nicht. Wenn Herr Konrad einen Augenblick stillstand, um auszuruhen und zu husten, so hielt Johannes in einiger Entfernung ebenfalls an und blieb schüchtern stehen, und wenn sie weitergingen, so lief er wieder hinter ihnen drein. Bei einem solchen Halt entdeckte ihn die zurückschauende Fides; aber sie sah ihn jetzt wieder so stolz und fremd an und schien nicht einmal den alten Herren von seiner Nachfolge in Kenntnis zu setzen, so daß er verschüchtert zurückblieb und ihnen traurig nachblickte, bis sie in den Abendschatten verschwanden. Dann lief er voll Furcht, teils vor den Folgen seines Ungehorsams, teils vor den Geheimnissen der hereinbrechenden Nacht, eilig zurück, bis ihn die Mutter, die ihn bereits suchte, empfing und unbemerkt ins Haus brachte und auf seinem Lager versorgte, dem Anerbieten des ehrwürdigen Kapitelsmannes mütterlich nachsinnend. Als sie nach Jahr und Tag ihrem Eheherren einen zweiten Sohn schenkte, ein Knäblein, das auffallend groß und kräftig war, wurde Rudolf am Hadelaub anderen Sinnes und der Wunsch des Singmeisters der Propstei Zürich erfüllt.
[34] Nach ungefähr acht Jahren finden wir den Johannes Hadlaub, wie er jetzt genannt wurde, als blondgelockten feinen Jüngling unermüdlich bei allerhand gelehrter Arbeit. Konrad von Mure hatte ihn unter seine ganz besondere Obhut genommen und zu allererst so schnell schreiben und lesen gelehrt wie ein Kriegsmann seinen Knaben reiten und fechten. Gleichzeitig mit dieser Übung und durch dieselbe mußte er die Sprache deutsch und lateinisch verstehen lernen, denn der Meister gönnte ihm nicht so viel Zeit hiezu wie den Pfaffen- und Herrenknaben der Stiftsschule. Nach Brauch und Art des Handwerks mußte er so bald als möglich Nützliches hervorbringen, was an seiner Stelle in sauberer und genauer Abschrift bestand; den Inhalt aus den vertrauten Worten des Alten gewissermaßen im Fluge verstehen zu lernen, mußte er sich still und aufmerksam angewöhnen. Mit der Zeit mochte er dann sehen, was er weiter aus sich machte, wenn er ein wirklicher Gelehrter und Theolog werden wollte. Inzwischen mußte er nicht nur Noten und Worte der Kirchenmusik schreiben, sondern auch die Reimwerke Konrads, seine mythologischen, geographischen, naturkundlichen und historischen Traktate fleißig kopieren, bis sein Taufgevatter Johannes Manesse, der Kustos und Scholaster der Propstei Zürich, der Sohn des Herrn Rüdiger, hinter die Sache kam und der flinken und zierlichen Hand des Knaben gewahr wurde. Der zögerte nicht lange, sondern ließ sich von ihm alle die alten und neuen Minnelieder und Rittergedichte abschreiben, deren er habhaft werden konnte in seinem weltlichen Sinne, und Konrad von Mure machte sich eifrig herbei und wachte darüber, daß sie richtig in Ton und Maß geschrieben und vorhandene Fehler ausgemerzt wurden. Hierdurch erlangte der junge Hadlauber, gelehrig und stets munter, eine neue Kenntnis und Übung.
Einige Verzierung der Schrift mit schönfarbigen Tinten gehörte an sich schon zum klösterlichen Schreibewerk; allein hiebei blieb er nicht stehen, sondern suchte bei naiven Bildkünstlern [35] jener Zeit, wie sie etwa in den Bauhütten der beiden Münster zu treffen waren, soviel Erfahrung abzulauschen, als zur Bemalung eines halben oder ganzen Pergamentblattes erforderlich war. Seit mehreren Jahren war nun der greise Kantor und Stiftsherr von Mure tot, Johannes Hadlaub aber an der Singschule und Bücherei beschäftigt geblieben, ohne sich für den Stand der Geistlichkeit bereit zu machen. Sein Vater schien hiemit zufrieden, obgleich sein zweitgeborner Sohn kräftig heranwuchs und ebenso groß und stark zu werden versprach wie er selbst. Wenn Johannes ein geschäftskundiger weltlicher Bürgersmann in der Stadt würde, so war ihm das auch recht, und jener begann in der Tat von verschiedenen Herren bei ihren Verhandlungen als Schreiber benützt zu werden; besonders war es der jüngere Leuthold, Freiherr von Regensberg, der seine Dienste andauernd in Anspruch nahm bei Ordnung seiner schwankenden Verhältnisse. Noch näher trat er in der Folge dem älteren Manesse, Herrn Rüdiger, als dessen Sohn, der »Küster«, ihn eines Tages aufforderte, schleunig seine Fiedel zu nehmen und mit ihm auf den Hof des Manesse zu kommen. Johannes ergriff freudig errötend augenblicklich die Geige und schritt mit dem Chorherren gar stattlich die Kirchgasse, so jetzt Römergasse heißt, hinauf. Freundlich nickte der goldgelockte Jüngling an der Seite des Chorherrn Bekannten zu, welche in den volkreichen Gassen vorübergingen, und er wurde von jeder mann ebenso freundlich wiedergegrüßt, weil er eine liebenswürdige Erscheinung war. In einen faltigen Rock gekleidet, der sich in breite weiße und blaue Querstreifen teilte und fast bis auf die Füße ging, trug er ein purpurrotes Barett, besteckt mit einem weißen Tuche, das Nacken und Schultern deckte. Bald gelangten sie zu der Behausung der Herren Maneß; erregt blickte Johannes an das steinerne Haus empor, welches damals an dem Turme lehnte und das Wohnhaus war. Im zweiten [36] Stock war die Mauer unterbrochen von einer Rundbogenstellung auf zierlichen Säulen, hinter welchen der Saal sich befand, überragt von den Eichenbalken des Daches. Das Erdgeschoß zeigte ein paar Fenster mit ebenfalls verzierten Rundbogen, daneben aber hauptsächlich ein großes Einfahrtstor, das unter dem Hause durch in den Hof führte zu verschiedenen Aufgängen und Treppen. Unter dem Torbogen waren die Steinstufen angebracht, von welchen die Frauen zu Pferde stiegen, wenn sie ausritten. Eine jener steinernen Schneckenstiegen, deren Tritte uns jetzt, wo sie noch erhalten sind, so hoch und beschwerlich vorkommen, führte zum Saale hinauf.
Als Johannes Hadlaub mit seinem Führer in die Türe desselben trat, verließ ihn plötzlich sein frischer Mut. Er war nicht auf die ansehnliche Gesellschaft gefaßt, die da um einen großen Tisch herum in Lehnstühlen oder auf kissenbedeckten Schemeln saß. Da war vor allem Bischof Heinrich von Konstanz, ein schöner Mann mit dunklen Augen und Haar, mit ernsten, aber geistvollen Gesichtszügen; mit der beringten Hand hielt er die Hand der Fürstäbtissin von Zürich, die in weltlicher Damentracht neben ihm saß, eine still vorübergehende Erscheinung, die nur im Lichte jener Augen aufblühte. Zu seiner anderen Seite saß die Hausfrau des Ritters, von dem ebenfalls alteingewohnten Stamme der Wolfleipsch, gleich neben ihr eine andere Konventualin der Abtei, Frau Elisabeth vor Wetzikon, Muhme des Bischofs, die später die bedeutendste Äbtissin wurde, diese auch in weltlicher Tracht. Neben ihr saß der Toggenburger Graf Friedrich, Nachkomme des Minnesingers Kraft von Toggenburg, dann der Herr von Trostberg, Enkel des Sängers gleichen Namens, dann Herr Jakob von Wart, endlich Herr Rüdiger selbst mit ergrauten Locken, aber blühendem Antlitz, in pelzverbrämtem Rocke. Einige Sitze waren leer, da die junge Fides aufgestanden war und mit zwei anderen Frauen im Hintergrunde des Saales auf und nieder ging.
[37] Auf dem Tische standen Blumen und Früchte, Gebäcke und silberne Schalen mit südlichem Weine, dazwischen aber kleine Pergamentbüchlein, größere Hefte und schmale, lange aufgerollte Streifen von gleichem Stoffe, alles dies mit Reimstrophen beschrieben, gedrängt und endlos wie Heerzüge der Völkerwanderung.
Der Hausherr erhob sich und empfing seinen Sohn samt dessen Begleiter.
»Hast du uns den jungen Spielmann mitgebracht?« fragte er, »das ist gut, denn wir haben durch die Gunst dieser Herren einige neue Sachen erjagt und möchten dieses und jenes gerne singen hören; aber niemand singt als der hochwürdigste Fürst Heinrich, und der will nicht mehr, seit er Bischof ist! Da hat uns Graf Friedrich noch einige Lieder seines Großvaters gebracht, die wir nicht besessen; Freund Trostberg nicht weniger als zwei Dutzend Gesänge seines würdigen Vorfahren und hier Baron Jakobus von der Wartburg, rate einmal! sein eigenes Jugendbüchlein, das er uns so lange hinterhalten, achtzehn Lieder, ich hab's schon gezählt! Aber auch er will nicht mehr singen!« »Wenn ich nicht mehr singen darf«, nahm jetzt der Bischof das Wort, »so habe ich dafür Buße gebracht, nämlich die Lieder des edlen und ritterlichen Herzogen von Breslau, meines schönen und guten Heinrich! Leider zugleich mit der Nachricht, daß der Treffliche unverhofft und in jungen Jahren Todes verblichen ist, eine Kunde, die mich tief betrübt hat!« Er zog eine kleine Liederrolle aus seinem Gewande, durchmusterte sie und fuhr fort »Hier ist eines der anmutvollsten Lieder, die wir von dem seligen Manne haben, könnte uns der wackere Knabe das wohl vortragen?« Er winkte Johannes herbei, gab ihm das Lied zu lesen und unterrichtete ihn in halblauten Tönen rasch in der Weise, die jener bald begriff. Johannes legte hierauf die viersaitige Geige [38] flach vor seine Brust und sang das Lied, indem er die Weise eine Terz tiefer dazu spielte und nur jeweilig mit den zwei vorletzten Noten einer Zeile harmonierend ausbog. Es war das Lied:
und so weiter, wie von den angerufenen Richtern jeder seine Strafe verheißt, der Ankläger aber schließlich seine Klage zurückzieht und lieber sterben will, als daß solches Ungemach die Schöne treffe.
Der Gesang war aus der frischen Kehle des frohen unschuldigen Jünglings so wohltönend hervorgequellt, daß alle davon ergriffen und gerührt waren, zumal die Nachricht von dem frühen Ende des Dichters die Gemüter schon weicher gestimmt hatte. Der Bischof aber bereinigte sofort mit dem Johannes und Herrn Rüdiger, der eifrig herzutrat, den Text, in welchem sich durch den gesanglichen Vortrag einige offenbare Unrichtigkeiten in der Silbenzählung bemerklich gemacht hatten.
Jetzt sprang aber der von Wart auf, der sein eigenes Büchlein vom Tisch genommen hatte, und rief »Nur das erste beste von meinen schwachen Gesätzlein möchte ich nochmals von dem Munde dieses Knaben hören.« Er zeigte ihm eines der Liedchen, und Johannes spielte und sang:
Indessen hatte der Bischof die Lieder des älteren Trostberg durchgangen, erhob sich unversehens, nahm von dem jungen Spielmann die Fiedel an sich und sang und spielte in schönen korrekten Tönen:
»Verzeiht, edle Freunde«, sagte er dann, »daß ich mich habe hinreißen lassen! Aber das ist die erste frohe Stunde, die ich genieße, seit ich armer und getreuer Kanzler meinen Herrn Rudolf in die Kaisergruft zu Speier begraben habe!«
Er warf dabei ein blitzendes Auge auf die errötende Äbtissin Kunigunde, und alle bezeugten ihre wohlwollende Teilnahme, obschon jeder wußte, daß der Sangesgruß des Kirchenfürsten der Fürstäbtissin gegolten, welche er heute nach längerem Zeitraume wiedersah. Schon hatte jetzt Jakob von Wart aber eine kleine Harfe, die ihm geschickter war, von der Wand genommen, und angefeuert von dem Beispiel des Bischofs sowohl als durch den edlen Wein, sang der nicht mehr junge Herr das schöne Tagelied, das am Schlusse der von ihm uns erhaltenen Sammlung steht und sich mit den vorzüglichsten Gedichten dieser Art aus der Staufenzeit vergleichen lassen kann. »Nun habt Ihr mir die größte Freude und Ehre gewährt!« sagte Herr Rüdiger, »ja, ich bin froh, dieses Lied und die anderen von Euch zu besitzen! Wer möchte uns aber jetzt eine [40] Probe von des Toggenburgs Liedern singen, daß wir von allem etwas hören?«
Graf Friedrich dagegen meinte, er sei für seine Person nicht besonders erpicht auf das eigene Hausgewächs und wäre eher begierig, von dem jungen Spielmann ein paar allbekannte gute Stücke zu hören.
»Nun«, rief der Bischof, »so soll er uns einiges von dem alten Vogelweider zum besten geben; der steht immer noch über allen an Wohlklang und Geist!«
Walthers gangbarste Weisen waren allerdings dem Jüngling geläufig, und er spielte sogleich das sechsstrophige Lied:
und dabei den feierlichsten Ernst bewahrte, brach die ganze Gesellschaft in ein fröhliches Gelächter aus.
[41] Zuletzt sang er das »Unter der Linde auf der Heide« mit dem Tandaradei-Refrain mit so naiver Unschuld, daß er alle sich geneigt machte und der Bischof ihn umarmte und küßte. Herr Johannes, der Küster, freute sich der guten Aufnahme, welche sein Schützling gefunden, und stellte denselben erst jetzt genauer vor. »Er ist guter Leute Kind«, fügte er hinzu, »sein Vater war Anno 78 mit Rudolf auf dem Marchfelde und einer der wenigen Züricher, die von dort zurückgekommen sind.«
»Dann würde ich ihn wohl wiedererkennen, wenn ich ihn sähe«, antwortete Herr Heinrich von Klingenberg; »denn ich sah sie alle, als sie in dem Völkerstreit standhaft vordrangen mit denen von Schwyz und Uri und der König auf ihre Tapferkeit hinwies.«
»Er ist auch ein Kenner alter Bräuche und weiß stets ohne Schrift, was Rechtens ist«, sagte der ältere Maneß; »mehr als einmal habe ich Gelegenheit gefunden, das zu erproben.«
Johannes Hadlaub mischte sich bescheiden in die Rede, indem er bemerkte, sein Vater habe, seit er, der Sohn, schreiben könne, ihn an stillen Winterabenden schon manches aufzeichnen lassen von dem, was ihm als auf den Höfen weit herum von alters her üblich bekannt sei und nicht in den Rechtsbüchern stehe.
Begierig rief sogleich der Ritter »Mein Sohn! von allem, was der Vater dich solchergestalt niederschreiben läßt, solltest du mir Copia geben, das heißt, wenn er es gestatten will! denn ich fürchte, er gehört zu denen, welche glauben, das Alleinwissen verleihe Macht im Rechtsleben, oder die gar den Aberglauben hegen, solche Kunde sei als etwas Übermenschliches und Gefährliches zu hüten!«
»Das tut er nicht«, antwortete Johannes, »denn er hält es für ein Gemeingut und hält es für ein Übel, daß alles nur in den Gotteshäusern aufgeschrieben und bewahrt werde, wenigstens hier.«
[42] »Sieh, mein Sohn, schon manches hab ich hier, was dir auch zugute kommen kann und was du mir wiederum kannst vermehren helfen!« fuhr der Ritter fort und führte ihn zu einem offenstehenden, in die dicke Mauer des Saales eingelassenen Schranke, aus welchem ein Teil der auf dem Tische liegenden Handschriften entnommen war, in welchem aber noch viele Bücher und Pergamentrollen geschichtet lagen.
Da waren neben dem Parzival, dem Erec, Iwein und Armen Heinrich, dem Tristan, dem Wartburgstreit und anderen poetischen Werken auch verschiedene Bücher beschreibender oder historischer Natur, wie sie damals geschrieben und gelesen wurden, vornehmlich aber sah man da Abschriften wichtiger Rechtsdenkmäler und Urkunden, wie sie nur ein einflußreicher und hochstehender Mann zu sammeln in der Lage war. Herr Rüdiger holte ein besonders eingewickeltes Buch hervor und zeigte es dem Jüngling. Es war die Handschrift des Schwabenspiegels.
»Vorzüglich das Buch hier möchte ich besitzen, denn diese Schrift gehört nicht mir, sondern den Herren am Münster«, sagte er; »wolltest du zuweilen her kommen, so könntest du es hier abschreiben, indem wir es gleicherzeit zusammen lesen; denn es wird etwas schwierig sein, da manches gar alter und eigentümlicher Art ist. Haben wir die Schrift fertig, so wollen wir auch den Spruch an den Schluß setzen, den dieser Schreiber hier am Ende des Lehensrechtes angebracht hat und der auch mir wohlgesagt scheint: ›Es ist niemand so ungerecht, den es nicht unbillig dünkt, wenn man ihm unrecht tut. Darum bedarf man weiser Rede und guter Künste, sie in den Rechten zu verwenden. Wer zu allen Zeiten nach dem Rechte spricht, der macht sich manchen Feind. Dem soll sich der Biedermann gern unterziehen um Gottes und seiner Ehre willen und zum Heil seiner Seele. Der gütige Gott verleihe uns, daß wir das Recht also lieben in dieser Welt und das Unrecht schwächen in dieser Welt, daß wir dessen genießen dort, wo Leib und Seele scheiden!‹«
[43] »Das ist wohl ein schöner Spruch«, sagte unversehens eine jugendliche Frauenstimme dicht hinter Johannes. Rasch kehrte er sich um und stand einem sechszehnjährigen Fräulein gegenüber von einer ganz seltenen und eigentümlichen Schönheit und überaus schlanker Gestalt. Die Anmut ihrer Gesichtszüge war fast etwas verdüstert durch einen tiefen Ernst und doch durch denselben wieder beseelt. Es war Fides, die bisher sich von der Gesellschaft entfernt gehalten.
Johannes hatte alle die Jahre her das Mädchen nie wieder erblickt, obschon er nach Jugendart dasselbe im Gedächtnis bewahrt und heute sofort der Meinung gewesen war, er werde das ehemalige Kind ohne Zweifel endlich finden. Allein eben weil sie nicht mehr ein Kind, sondern eine ganz andere Person und Gestalt war, und dann von der glänzenden Versammlung überrascht und durch das Singen beschäftigt, hatte er sie nicht gesehen und waren seine Gedanken sogar ganz von ihr abgekommen.
Wie sie seine Überraschung bemerkte, betrachtete sie ihn genauer und schien sich zu besinnen, wo sie ihn wohl schon gesehen habe, bis ihr einfiel, daß der hier stehende Schüler des seligen Kantors ja kein anderer als jener Knabe sei, der sie einst durch den Bach getragen und sie dann eine Strecke weit den Berg hinunter verfolgt hatte. Sie nickte ihm mit flüchtigem Lächeln ein weniges zu und ging dann wieder mit ihren Gespielinnen auf und nieder, zuletzt aber aus dem Saal.
»Unser junger Spielmann hat nun aber auch einen Trunk verdient«, sagte jetzt die Hausfrau, »setzet Euch ein Weilchen nieder und erquickt Euch; denn gewiß habt Ihr Euch die Kehle trocken gesungen!«
Sie wies Johannes einen der ledigen Sitze an, auf welchem er sich still und schüchtern verhielt. Herr Rüdiger aber trat plötzlich, nachdem er inzwischen nachdenklich einigemal auf und nieder gegangen war, hinter den Bischof Heinrich und legte ihm die Hand auf die Schulter, [44] so daß die übrigen Anwesenden ihre Gespräche unterbrachen.
»Weißt du, trauter alter Freund! welch ein Gedanke mir eben gekommen ist, als ich mich dort mit dem Bücherwesen unterhielt? Seit mehr als hundert Jahren, so dachte ich, wird in deutschen Landen die Minne gesungen und sonst so mancher weise und tapfere Spruch ersonnen; von Hand zu Hand gehen die Lieder, und noch vermehren sie sich täglich, aber niemand weiß und kennt sie alle, und je mehr der Jahre fliehen, je mehr der Lieder gehen mit den sterbenden Menschen zu Grabe! Wie mancher edle Sänger liegt seit sechzig, siebzig Jahren wohl in seiner Ruhe, noch haben wir seine Lieder, aber schon nur noch wenige seiner Weisen; in abermals siebzig Jahren, was wird noch vorhanden sein von seinen Tönen und von seinem Namen? Vielleicht ein Märchen, wie vom Orpheus, wenn's gut geht!«
»Ich verstehe dich, lieber Herr und Freund!« erwiderte der Bischof, seine Hand erfassend, »du willst die Lieder gründlich sammeln und retten, was zu retten ist, und ich muß solchen Vorsatz nur loben, soviel ich loben kann! Einen guten Anfang habt ihr ja schon gemacht, du und dein würdiger Sohn, von dem ich wiederholt erfahren und vernommen, wie er in allen Burgen und Klöstern nach Geschriebenem bohrt! Aber wir müssen nun ins Breite und Weite gehen und eine gewisse Ordnung in die Sache bringen!«
»Versteh mich recht!« versetzte der Manesse, »ich meine ein einziges großes Buch zu stiften, in welchem alles geordnet beisammen ist, was jeder an seinem Orte singt. Ja, soeben schaue ich«, fuhr er in edler Erregung fort, »schon sehe ich das Buch in schönster Gestalt vor mir, groß, köstlich und geschmückt, wie, ohne Blasphemia zu reden, das Meßbuch des Papstes!«
»Ebenso mein ich es auch«, antwortete der Klingenberger, »und weißt du warum? Weil ich bereits einen Anlauf und Vorgang solchen Unternehmens kenne. In der Bücherei unsers Domsitzes zu Konstanz gibt's ein Buch, worin an die fünfundzwanzig [45] Singer schon beieinanderstehen, wenige davon vielleicht vollständig, aber kundig geordnet und begleitet von ihren Bildnissen. Das alles kannst du größer, schöner, reicher anlegen, vorzüglich aber müssen wir die Namen vervollständigen. Nach meinem Dafürhalten werden wir statt fünfundzwanzig an die hundert Namen bekommen.«
»Es wird gegen die hundertundfünfzig gehen«, rief Johann Maneß, der Chorherr, »wie viele haben wir nur in unseren Gauen zu suchen vom Bodensee bis ins Uechtland und in die Berge des Oberlandes; dann denkt an die Donau, an Bayern, Franken, Sachsen, den Rhein, Niederland und die Nord- und Ostmarken!«
»Um so eher müssen wir beginnen«, sprach wieder Herr Rüdiger, »daher fragen wir Euch, den Herrn Fürsten und Bischof zu Konstanz, hiemit förmlich an, ob wir bemeldeten Liederschatz lehensweise benützen dürfen zur Vergleichung und Umschau?«
»Mit Freuden wird Euch das Werk zur Verfügung gestellt«, antwortete der Bischof mit scherzhaftem Ernste, »wofern unsere hochgelobte gnädigste Fürstin, die große Frau zu St. Felix und Regula in Zürich, für die unbeschwerte Rüchkehr des Schatzes gute Bürgschaft leisten will!«
»Sie will es«, sagte Frau Kunigunde, die Äbtissin, lächelnd, »insofern der Ersatz für so leichte Ware, wie jene Lieder sind, falls sie verlorengehen oder veruntreut werden, in ebenso leichtem Wert geleistet werden kann, etwa in einem Korb Rosen oder Feldblumen, so alljährlich an Kaiser Heinrichs Tag, welches der Namenstag des Herrn Fürsten, meines Oberherrn, ist, nach Konstanz zu schicken wäre, wohlgemerkt unter Gegenverpflichtung, den Boten und sein Roß gehörig zu pflegen und der Tributpflichtigen jedesmal ein Paar neue Handschuhe zurückzusenden!«
»Eine echt weibliche Großmut, die wir in Demut über uns ergehen lassen!« rief der Bischof.
[46]Herr Jakob von Wart aber erhob sich und zugleich seine Trinkschale und rief »Herren! laßt uns der schönen Frauen nicht spotten, zu deren Preis und Hochhaltung das Werk hauptsächlich dienen soll! Denn wird es nicht, recht durchgeführt, vor allem aus ein Denkmal und Zeugnis werden von der Ehre, welche wir den guten Engeln erwiesen haben und erweisen, wie noch nie vordem in der Welt erhört worden ist, aber wie es bleiben soll, solange die Herzen ritterlicher Männer schlagen?«
»Recht so«, fiel Manesse ein, »solche Worte sind glückverheißend für unser Unternehmen, und glückverheißend ist die Anwesenheit des Herrn, der sie sprach, eines echten Ritters und Minnesingers. Lassen wir die Becherlein füllen, bitten wir die edlen Frauen, sie uns zu kredenzen, und trinken wir dann auf das unvergängliche Heil der blühenden Weibesseele, auf das Heil unseres Freundes Wart, der heut hier sein eigenes Lied gesungen hat, und auf das Gelingen unsers Vorsatzes!«
Alle standen von ihren Sitzen auf, die Frauen hielten der Reihe nach alle Becher an ihre Lippen und boten sie den Herren, welche sie wohlgemut leerten.
Maneß umarmte und küßte den Herrn von Wart, welcher freudig bewegt, in der Weise älterer Leute, sich diese Nachblüte seiner Kunst gefallen ließ und nicht ahnte, daß in weniger als zwanzig Jahren seine Burgen zerstört und sein Geschlecht von der Erde hinweggetilgt sein würden. Als sich Frauen und Männer wieder niedergelassen hatten, ergriff der Bischof abermals das Wort.
»Wir wollen nun«, sagte er, »nicht länger säumen, sondern so bald als möglich Ernst machen. Mir scheint am besten, wenn wir gleich eine junge Kraft für unser Vorhaben, das weit aussehend ist und Ausdauer heischt, heranziehen und unseren weiß-blauen Knaben dort zum Herold und Mareschalk des Feldzuges ernennen. In drei Tagen werde ich wieder auf meinem Hirtensitze sein; dann mag er sein zierliches Kleid ausziehen und sich in ein Reiterröcklein begeben, so es Euch recht ist, [47] Freund Rüdiger, um das Liederbuch in Konstanz zu holen. Ich sage das, weil ich dieses sowohl als andere Sachen, die ich hervorsuchen will, ihm selbst übergeben und alle diese Dinge mit einiger Unterweisung begleiten möchte. Denn seit den Lebenstagen des Königs und in dem Trubel der letzten zwei Jahre überhaupt habe ich meine Mappen und Truhen, die noch manches bergen, nicht mehr geöffnet und gemustert. Habe ich dem Knaben dann meine Gedanken über dies und jenes mitgeteilt und hat er sie, wie ich hoffe und glaube, richtig erfaßt, so wird er Euch und Eurem Sohne, dem Kustos, alles zur weiteren Erwägung und Entscheidung vortragen, oder wie dünkt Euch?«
»Ganz vortrefflich scheint mir alles, was Ihr sagt«, erwiderte Rüdiger; »ist der junge Mann vom Berge und nicht minder sein Vater, mit welchem ich selber sprechen werde, damit einverstanden, daß er uns in dieser Sache diene oder vielmehr behilflich sei, so wollen wir gleich darangehen. Am besten wird sein, wenn er das Buch gleich selber schreibt, so haben wir die Aussicht, daß es ganz aus der gleichen Hand entstehen wird, auch wenn wir selbst darüber wegsterben sollten!«
Johannes befand sich wie in einem Traume, so wunderbar ging ihm alles durch den Kopf; er vermochte bloß freudig und verwirrt sich zu verneigen, als ihn der Kustos Johannes fragend ansah, und ging dann, als dieser ihm leise andeutete, daß es jetzt schicklich für ihn sei, sich zu entfernen, sich gegen alle abermals neigend, seine Fiedel unter dem Arme, schleunig davon. So verwirrt und befangen er war, hatte er doch Geistesgegenwart genug, sich auf Flur, Treppen und Hof umzusehen, so gut es mit seinen raschen Schritten sich vertrug; allein er sah oder hörte nicht ein Stäublein und nicht einen Laut von der jungen Dame Fides, die sich in das entlegenste Gemach der weitläufigen Ritterbehausung zurückgezogen zu haben schien.
In etwa acht Tagen ritt er in der Tat nach Konstanz, und zwar auf einem Klepper, welcher zum Gebrauche der Chorherren [48] diente und insbesondere von dem Kustos benutzt wurde, der unruhiger Natur war und immer seine Ausritte zu machen hatte. Der Bischof empfing Johannes mit unverminderter Leutseligkeit und ließ ihn sogleich gut verpflegen. Nachdem er seine Regierungsgeschäfte abgetan, nahm er den Jüngling in sein Kabinett und zeigte ihm das Liederbuch (dasselbe ist jetzt in Stuttgart und führt den Namen der Weingartner Handschrift, weil es sich eine Zeitlang im Besitze des Klosters Weingarten befunden hat); er zeigte ihm die Einrichtung, und da er bemerkte, daß Johannes den Bau der verschiedenen Sprüche, Lieder, Leiche usw. bereits kenne, machte er ihn nur aufmerksam auf die Notwendigkeit, die einzelnen Stücke wohl auseinanderzuhalten und sie darauf hin näher zu prüfen. Zugleich brachte er ein Paket kleinerer Handschriften herbei, welche teils solche Lieder enthielten, die von den Dichtern des größeren Buches herrührten, aber dort fehlten, zum andern Teil aber Sänger aufwiesen, die in dem Buche gar nicht standen. Alle diese Sachen mit ihm durchgehend, zeigte er ihm an einer Anzahl Stellen, wo der Text durch die Schreiber verdorben worden und auf welche Weise die Fehler nach den Gesetzen der Kunst und der Sprache zu verbessern seien. In denjenigen Schriften, die sein Privateigentum waren, fanden sich eine Menge solcher Stellen von seiner Hand schon verbessert. Johannes bewunderte im stillen ehrerbietig das Wissen und die Kunstfertigkeit des großen Herrn und suchte womöglich kein Wort seiner lehrreichen Unterweisung zu verlieren. Endlich gab ihm der Bischof noch ein Verzeichnis von Dichtern, welche sich weder in den vorliegenden Pergamenten noch, soviel er sich entsann, in denjenigen zu Zürich befanden, von denen er aber wußte, daß sie gelebt und gesungen hatten. Bei einigen Namen war angemerkt, wo ihre Lieder ziemlich sicher noch zu finden sein dürften, bei andern angedeutet, wo allenfalls auf die Spur zu kommen wäre.
»Dies alles«, sagte er, »werden die Herren in Zürich vermehren [49] und abklären. Sei nur fleißig und beginne bald mit der Abschrift. Nimm schönes großes Pergament, ohne Makel und Bortfehler; schneide eine große Zahl gleichförmiger Blätter gleich anfangs zu und lege für jeden Singer, den wir bereits haben, ein hinlänglich starkes Konvolut an, liniere es sauber, so kannst du auf allen Punkten zugleich beginnen und bei jedem Namen den nötigen Raum leer lassen für die künftigen Einträge! Natürlich mußt du den vorrätigen Raum nach Umständen bemessen. Von Kaiser Heinrich z.B. werden wir schwerlich jemals mehr als die acht Lieder erhalten, die hier sind; da brauchst du also nur ein Blatt dafür herzurichten!«
Der Bischof warf bei diesen Worten einen Blick über die acht Lieder, wie sie auch in der Handschrift nun stehen, und blieb am letzten haften, das er laut vor sich hin las:
»Wie schön läßt er eine Frau ihr Selbstbewußtsein ausdrücken; der geliebte Mann liegt ihr im Sinn und im Gemüte, ja in den Armen, wie der Edelstein im Golde!«
Der Bischof versank nach diesen Worten einige Augenblicke in Gedanken, wie wenn er vergangener Tage gedächte; dann zog er einen goldenen Ring vom Finger, steckte ihn dem Johannes an die Hand und sagte, ihm durch das Haar streichend »Nimm das zum Zeichen, daß du der jugendliche Kanzler unserer guten Kompanie seiest. Nun geh und nimm mir auch diese Briefe mit, die soeben in meiner Kanzlei gefertigt wurden. [50] Du ersparst uns einen Reiter. Und dieser hier ist für Frau Kunigunde, die Äbtissin; es ist mir lieb, wenn du ihn ihr selber bringst, denn er betrifft keine Geschäftssachen!«
Den letzten Brief hatte er von seinem eigenen Schreibtische genommen, und er verschloß ihn selbst.
Ein vertrauter Verkehr zwischen ihm und der Äbtissin fand nur noch durch Briefe statt; persönlich trafen sie sich immer am dritten Orte und nie ohne mehr oder weniger zahlreiche Zeugen, sei es in öffentlichen oder in gesellschaftlichen Angelegenheiten. Auch in der Abtei empfing ihn Frau Kunigunde zuweilen, aber auch da nur in den öffentlichen Gemächern, wo meistens viele versammelt waren. Wenn sie bei solchen Anlässen sich einen unbefangen heiteren Ton erlaubten und wohl gar eine scherzhaft scheinende zärtliche Vertraulichkeit zur Schau stellten, so war das ein schwacher Ersatz für die Entsagung, die sie sich unverbrüchlich auferlegt, indem sie streng jedes Alleinsein vermieden, die stärkste Prüfung für Liebende, welche kein fremder Wille hindern könnte, sich zu sehen.
Das war nun nicht gerade Reue über das Vergangene; sie bereuten keineswegs, weil sie sich liebten; aber es war die Art, wie ihr Kind das Wissen von seiner Geburt und Stellung in der Welt aufgenommen hatte, welche sie zu jenem strengen Verhalten gegen sich selbst führte. Die Geburt der Fides war ein öffentliches Geheimnis gewesen, welches dem Kinde nicht mehr verschwiegen werden konnte, sobald es herangewachsen war. Die erste Ahnung hatte man ihm werden lassen, als die Wirkung noch keine tiefe sein konnte, damit die Kenntnis ihrer Lage sich gewissermaßen von selbst ausbilde. Als aber die Jungfrau zum vollen Bewußtsein gekommen, nahm sie die Sache keineswegs so leicht, wie zu wünschen gewesen wäre. Aus einem raschen und leidenschaftlichen Kinde war ein tief und stolz fühlendes und nicht minder klar sehendes und verständiges Wesen geworden, dessen Neigungen vorzüglich nach Recht und Ehre gingen, und das nicht [51] zum wenigsten durch das tägliche Beispiel ihres Pflegevaters, des alten Herren Rüdiger. Von dem Augenblick an, wo sie ihrer Stellung in der Welt klar bewußt war, klagte und fragte sie nicht mit einem Worte; aber ihre Heiterkeit war dahin, und keine Ehre, die man ihr erwies, keine vornehmen Sitten, welcher man sie teilhaftig machte, waren imstande, das Verlorene zurückzurufen.
Sie liebte und ehrte ihre Eltern, aber sie sprach sich nie gegen dieselben aus und schien nichts von ihnen zu hoffen. Nur einmal, ganz im Anfang, hatte sie gewünscht, sogleich zur Mutter ins Kloster zu gehen und dort lebenslang zu bleiben. Das war nun nicht tunlich gewesen; zudem wollten weder Kunigunde noch Heinrich, daß die Tochter eine Nonne würde, weil sie die Hoffnung nicht aufgaben, ihr Glück in der Welt zu gründen. Das Wesen des Kindes wirkte aber auf sie selbst zurück, so daß sie nicht nur wegen ihrer hohen Ämter, sondern auch des Kindes wegen sich jene entsagende Lebensführung auferlegten, die sonst durch die Sitten der Zeit und der Vornehmen nicht unumgänglich geboten war. Die Briefe, welche Johannes nach Zürich brachte, bezogen sich auf die Erwerbung der Stadt Kaiserstuhl und der Burg Röteln, die gegenüber auf dem rechten Rheinufer lag, von dem sinkenden Hause der Regensberger. Da diese Besitztümer mit dem Wasserstelzischen Erbe in gewissen Lehensverhältnissen verwickelt waren, so gewann der Bischof als teilweiser Lehnsherr Einfluß auf dieselben, und er setzte sich in den Stand, Fides die Erbfolge zu sichern, indem er sie von den Standeshindernissen, die wegen ihrer unregelmäßigen Geburt erhoben werden konnten, dispensierte. Ihren Besitz dann zu vermehren und ihr so eine gedeihliche Stellung in der Welt zu schaffen, dazu dachte er die Gelegenheit später zu nehmen. Nach seiner Rückkehr besorgte Johannes Hadlaub die verschiedenen Verrichtungen und begab sich auch in das Frauenkloster, [52] wo er in die abgesonderte Wohnung der Äbtissin gewiesen wurde. In einem reichen Gemach, inmitten einiger Frauen, fand er die »große Frau von Zürich«; sie saßen im Halbkreise und stickten an einem großen Tapetenstücke, das ihnen gemeinschaftlich unter den Händen lag; zu ihren Füßen standen die Körbchen mit bunter Wolle und Seide. Mit ähnlichen Teppichwerken waren die Wände des Zimmers bis zu einer gewissen Höhe behangen; dieselben zeigten einen grünen Wald, in welchem die Legende von der Gründung des Klosters vor sich ging, wie die Töchter Ludwigs des Deutschen dem Hirsch nachgehen, wie der König ihnen von dem Bergschlosse Baldern aus zusieht, dann das Münster baut und wie die Gebeine der heiligen Märtyrer Felix und Regula nach diesem Münster getragen werden von Bischöfen und Königen. Im Hintergrunde unter den Bäumen aber bewegten sich noch viele Leute und Tiere, Diana und ihre Nymphen jagten nach Hirschen, Adonis nach dem Eber, Venus beweinte den toten Adonis, Siegfried lief nach dem Bären, und Hagen warf den Spieß nach jenem, es war gewissermaßen die Unruhe der Welt, von welcher sich die friedlichen Szenen des Vordergrundes abhoben. Über den Tapeten war die Mauer bemalt mit knienden Äbtissinnen, deren jede ihren Wappenschild mit Helm und Helmzierde zur Seite hatte. Die Decke des Zimmers samt den sie unterstützenden Balken war von bunten Blumenranken auf weißem Grunde bedeckt, und die kleinen Fenster bestanden aus Glasplatten, dick und ungefüge, in verschiedenen Farben zusammengesetzt. Noch höherer Farbenglanz leuchtete durch die offene Türe eines Nebengelasses, in welchem Betstuhl und Hausaltar der Äbtissin standen, letzterer mit Kleinodien aus karolingischer Zeit.
Von aller dieser Pracht überrascht, wußte Johannes kaum, wo die Augen hinwenden, und geriet nur mit einiger Mühe dazu, der aufschauenden Frau Kunigunde den Gruß des Bischofs auszurichten und ihr seinen Brief zu übergeben; daß [53] Fides unter den Frauen saß, bemerkte er wiederum nicht, obgleich er längst eine unschuldige kleine Anbetung für sie eingerichtet hatte in seinem Herzen.
Während er vor den Frauen stand und seine Blicke an den Wänden herumgehen ließ, ging die Äbtissin mit dem Briefe auf die Seite, um ihn zu lesen; sie schien aber über den Inhalt einigermaßen betroffen und schüttelte unmerklich den Kopf. Bischof Heinrich schrieb ihr nämlich seine Bedenken über das trübsinnige Wesen ihres Kindes Fides und teilte ihr zur reiferen Erwägung einen Gedanken mit, welcher in ihm entstanden sei ob man dem Kinde nicht in allen Züchten und mit aller Vorsicht den gutartigen und unschuldigen Knaben Johannes zum Gespielen geben könnte, um sein dunkles Sinnen aufzuheitern und dem Leben zuzuwenden. Ein so lieblicher und unschädlicher Verkehr würde das Mägdlein aus seinen Träumen wecken, daß es die Menschenscheu verlöre und seine Tage besser verbrächte, bis die Zeit gekommen, es mit Glück und Vorteil zu vermählen. Den Brief verwahrend, ging sie fast unwillig auf und nieder und sagte bei sich selbst »O Heinrich, königlicher Kanzler, gelehrter Bischof, wie töricht bist du!«
Die übrigen Frauen hatten inzwischen den Boten wohlgefällig ins Auge gefaßt und die eine oder andere ihn neckisch über seine Herkunft und Sendung verhört, bis eine rief »Ei, und einen goldenen Ring trägt er am Finger, ein so junger Knabe! Was für ein Glück bedeutet das?«
Johannes verkündigte mit einigem Selbstvertrauen, daß der Herr zu Konstanz ihm den Ring verehrt habe. Plötzlich schaute jetzt Fides von ihrer Arbeit auf, und als er feierlich erklärte, daß er nämlich jetzt der Erzkanzler des ganzen Minnesanges und der Ring das Zeichen seines Amtes sei, ließ sie ein kurzes helles Gelächter ertönen, wendete jedoch sofort errötend die Augen wieder zu ihrer Arbeit. Sie konnte jedoch nicht umhin, noch einmal aufzublicken, gerade als der junge Minnekanzler [54] sprachlos nach ihr hinsah, die er erst jetzt gewahrte in seiner selbstgefälligen Würde oder demütigen Befangenheit. Wie nun die sämtlichen Frauen das angeschlagene Gelächter aufnahmen und fortsetzten über den von einem Bischof kreierten zierlichen Minnekanzler, beugte sich Fides wiederum tiefer, wie niedergedrückt von der Last neuen Errötens und dem dunklen Leid ihres Lebens. Eine Träne entfiel ihren Augen, stille Verlegenheit verbreitete sich im Gemach, und die Äbtissin Kunigunde beeilte sich, selbst mit Rot begossen, den Jüngling zu entlassen, als sie zu spät der seltsamen Verhandlung innegeworden. Für Johannes war Fides immer nur das Fröwelin von Wasserstelz gewesen, wie sie genannt wurde, ohne daß er über ihren Stand weiter etwas wußte oder dachte. Er begriff daher von dem Vorgange nichts als etwa, daß er selbst die Ursache desselben sei und die Betrübnis des Fräuleins am Ende durch seine Nichtbeachtung hervorgerufen habe, was ihm bei seiner wichtigen Stellung nicht unmöglich schien.
Das Unternehmen der Liedersammlung wurde nun eifrigst in den Gang gesetzt, das Verzeichnis der Minnesinger täglich vervollständigt durch die Herren Manesse, den Vater und den Sohn, welche sich keine Mühe gereuen ließen und nach allen Seiten in mündlichen und brieflichen Verkehr traten, wo es die Gelegenheit mit sich brachte. Gleichzeitig wurde an das Herbeischaffen der fehlenden Lieder geschritten und Johannes Hadlaub häufig in Städte, Klöster und Burgställe gesendet, um Abschriften zu nehmen, wenn die dort aufbewahrten Pergamente nicht erhältlich waren. Ebenso wurde für jeden schon vorhandenen Dichter ein Buch eingerichtet und mit dem Ein schreiben der Lieder begonnen, in der Weise, daß alle die einzelnen Bücher nachher zusammengelegt und zu einem Gesamtbande vereinigt werden konnten.
[55] Johann zeigte nun ebensoviel Fleiß als Begabung; er schrieb dem Herrn Rüdiger den Schwabenspiegel ab und verglich den Text während des Schreibens mit den anderen Handschriften, die jener zusammengebracht, und sorgfältig teilte er ihm alle aufgefundenen Abweichungen und Zusätze zur Entscheidung mit; für den Regensberger Herrn Leuthold schrieb er Briefe, und neben und vor allem besorgte er die Liedersammlung. Bei dieser letztern Arbeit verweilte er am liebsten und wendete ihr jede mögliche Stunde zu. Der jugendliche Nachahmungstrieb, der ihn anfänglich bewegt, wandelte sich unvermerkt in ein bewußtes Tun; er lernte die Natur, Erde und Luft, die Jahreszeiten und die Menschen darin wirklich schauen und empfinden, und gleichzeitig verwandelten sich die nachahmenden Anfänge der Frauenverehrung in die angehende Leidenschaft. Im Elternhause hatte er über die Abkunft und Lebensstellung der Fides endlich Kunde erhalten, als man zufällig von diesen Dingen sprach, und mit einem Schlage erschien ihm das stille, stolze Fröwelin von Wasserstelz wie von einem goldenen Lichte umflossen, da sie nicht glücklich zu sein schien. Ihre ungewöhnliche, fast geheimnisvolle Schönheit wurde in seinen Augen durch das ungewöhnliche Schicksal noch erhöht, sie wurde in einem Augenblicke das einzige für ihn, was ihn erfüllte und zugleich sehr schnell sein Herz beschwerte mit einem gelinden Kummer, der seinem Alter sonst auch in Liebessachen nicht eigen war. Sooft er jetzt auch im Hofe des Herrn Rüdiger verkehren mußte, erblickte er das Fräulein doch nur äußerst selten, und wenn es je einmal geschah, sah sie ihn kaum an und grüßte ihn fremd und traurig. Aus den Gedichten, die er täglich und stündlich durchlas und abschrieb, glaubte er aber alles das zu kennen und in der Ordnung zu finden, obgleich es ihm wahrscheinlich nicht so kurzweilig zu Mut dabei war wie allen jenen fahrenden Rittern [56] und Sängern. Als nun der Herbst kam, wurde seine junge Leidenschaft so stark, daß sie sich selbst einen Ausweg schaffte und Johannes eines Tages, als er in der milden Sonne des Berges sich erging, unversehens sein erstes Minnelied ersann, welches beginnt:
Alsogleich war aber die einzige Sorge, seine vermeintliche Schuldigkeit gegen sie zu tun und ihr sein Herzens- und Kunsterzeugnis ganz im geheimen zu kommen zu lassen. Nach langem Sinnen fand er endlich den Weg dazu, als er vernommen, daß Fides jeden Morgen nach dem Frauenmünster in die Frühmette ging, wo sie im Chore neben ihrer Mutter saß. In jener Jahreszeit war es aber um die Stunde der Frühmette noch dunkel.
Johannes schrieb also das Lied so zierlich als möglich auf ein feines Blatt, faltete dieses wie einen Brief und befestigte eine Fischangel daran. Dann erhob er sich zeitig genug von seinem Nachtlager auf dem Berge, nahm einen uralten Pilgermantel, Hut und Stab, die seit undenklicher Zeit hinter der Türe hingen, an sich und machte sich eilig auf den Weg den Berg hinunter, gleich einem der Pilger, welche nicht selten zu den Überresten der heiligen Märtyrer Felix und Regula wallfahrteten. Die Mettenglöcklein tönten um die Wette von allen sieben oder acht Klosterkirchen der Stadt durch den dichten Herbstnebel, der über ihr lag und vom niedergehenden Vollmonde beschienen war wie eine wogende See, aus welcher bald nur noch einzelne Bäume emporragten. Am Himmel standen noch die Sterne. Mit heftig schlagendem Herzen tauchte Johannes in die Tiefe; denn er glaubte mit seiner Liebeserklärung nichts minderes als einen solchen offenen Sternenhimmel bei sich zu [57] tragen und einem Ereignisse entgegenzugehen, das in seiner Art einzig in der Welt dastehe. Als eine Glocke nach der andern verklang, sputete er sich, was er vermochte, durch das offene Tor und langte atemlos im Münster an, wo die Messe schon begonnen hatte und in der schwach erleuchteten Kirche außer den Chorfrauen und den Kapitularen der Abtei nur wenige Leute den Gottesdienst begingen. Johannes erspähte mit scharfem Auge die Gestalt der Fides neben dem Stuhle der Prälatin; er begab sich, als die Handlung zu Ende ging, geschwind hinaus und setzte sich neben die östliche Kirchentür, wo Fides heraustreten mußte.
Nach dem Gedichte, in welchem Hadlaub später das Abenteuer beschrieben, und auch nach dem Bilde, das er für die Sammlung dazu gemalt, war Fides allein und trug als einzige Hut bloß ein kleines Wachtelhündchen unter dem mit Grauwerk gefütterten Kapuzenmantel und dem schwarzen Schleier, welche ihr Haupt und Gestalt dicht umhüllten. Und so schritt die edle Gestalt wirklich mit raschem Gange über die Brücke durch das Zwielicht des dicken Herbstnebels und der rötlich durchscheinenden Mondscheibe, die gerade im Westen unterging.
Der dunkle Pilgrim eilte ihr behutsam auf dem Fuße nach und streckte die Hand aus, um den Brief mit der Angel an ihren Mantel zu heften. Sie merkte wohl, daß ihr jemand folgte, allein sie beschleunigte bloß ihre Schritte, ohne sich umzusehen. Aber das wachsame Hündlein bellte heftig, als einer da leise am Mantel zu zupfen schien; das Fräulein war genötigt zurückzuschauen und blickte dem Verfolger fest ins Gesicht, der augenblicklich stillstand und sich bescheidentlich hinwegschlich; denn freilich war er überzeugt, daß seine Botschaft am Mantel der Schönen hing.
Fides ging, ohne ein Wort zu sprechen, weiter und verlor sich in den noch nächtlichen Gassen, wo indessen überall die Handwerker schon bei Licht fleißig schafften. Johannes dagegen [58] lief wieder den Berg hinauf, auf dessen Höhe man eben die Sonne im Osten aufgehen sah und der Vater Ruoff vom Hadlaub mit den Knechten die Ochsen zum Pflügen rüstete.
»Es ist doch gut«, sagte er zu seiner Frau Richenza, als er den Sohn in seinem Pilgeraufzug daherkommen sah, »daß er ein Schreiber oder Pfaffe wird; denn mit seinen absonderlichen Sitten und Schwärmereien hätte er mir nicht auf den Hof getaugt!«
Seinerseits getraute sich Johannes kaum wieder in die Stadt hinunter an jenem Morgen, und doch glaubte er gehen und sich allen freudigen oder schreckhaften Entwickelungen seiner Tat darbieten und hinstellen zu müssen.
Es ging nun freilich dieser denkwürdige Tag vorüber, ohne daß etwas Weiteres erfolgte. Allein auch am nächsten und am dritten Tage geschah nichts, und viele Tage, Wochen und Monate verflossen, ohne daß Johannes erfuhr, ob Fides den Brief auch nur gefunden und gelesen, geschweige denn, wie sie ihn aufgenommen habe und darüber denke. Sie hielt sich so sorgfältig abgeschlossen, wenn er in den Manessenturm kam, daß sein Auge sie den ganzen Winter hindurch nie erblickte. Es war ihm so wunderlich zu Mut wie einem, der kein Echo hat, dem der Wind nicht widertönt, was er hineinruft.
Die kalte düstere Jahreszeit dauerte über die Maßen lang, und Johannes gewöhnte sich sozusagen an diesen Zustand eines Menschen, der nicht weiß, ob er etwas Gutes oder Übles angerichtet hat. Er dichtete vorderhand kein zweites Lied mehr; da aber endlich der Frühling kam und die Sonne die Herrschaft gewann, taute sein Gemüt ein weniges auf, und es gelüstete ihn plötzlich, jenes erste Lied, das er noch gar nie gesungen, einmal laut zu spielen und zu singen. Nur ein einziges Mal, dachte er sich, und wo es niemand hören kann!
Er nahm also an einem schönen Maientage seine Fiedel, in einem Säcklein wohl verborgen, und ging vor die Stadt hinaus, einen einsamen Ort zu suchen. Er wanderte durch das obere [59] Tor und das Gut Stadelhofen, bis er an den Bach gelangte, der von den Hirslander Höhen her nach dem See hinunterfließt. Diesem Bach entlang führte hinter dem Burgholzbühel hinauf ein stiller Fußpfad, wie zum Teil jetzt noch, beschattet von Bäumen, an Mühlen und kleinen Schmiedewerken vorüber, bis in eine von steilen Halden umgebene grüne Wildnis hinein. Dort floß das Wasser um eine kleine Au, die von Buchenbäumen dicht besetzt war, wie Kristall so klar herum, und alle Blumen, die je in einem Minnelied gemeint werden können, blühten unter den Bäumen und am Wasser.
Da aber das Laub noch zu jung und undicht war, schien es dem Sänger nicht genügenden Schutz zu gewähren, und er suchte eine noch verborgenere Stelle im Dickicht des Abhanges. Eine Buche, welche sich gleich über dem Boden in drei Stämme teilte und zwischen denselben einen traulichen Sitz darbot, der mit Moos wohl gepolstert war, schien ihm endlich für sein Vorhaben geeignet. Er setzte sich zwischen die glatten Stämme, zog die Geige hervor und begann neugierig die Weise zu spielen, die er für sein Lied erfunden, aber noch nicht gehört hatte »Ich wär so gerne froh, nun kann's nicht schlimmer sein, ich minne gar zu hoch, und sie begehrt nicht mein, davon ich Herzensschwere beständig haben muß; mir ward ihr' keine Märe, als fremd und kalt ein Gruß!«
Diesen ersten Vers wiederholte er etwas zuversichtlicher und sang dann allmählich auch die übrigen Strophen mit deutlicher, wiewohl nicht zu lauter Stimme und mit verschiedenen Pausen. Hierauf sang er ein paar alte Lieder, die ihm geläufig waren, und kehrte dann plötzlich mit frischem Einsatz zu seinem eigenen Werklein zurück und sang es in einem Zuge keck zu Ende, wie er die Geliebte bittet, sein Übel nicht zu gering anzuschlagen, da es den Tod mit sich bringen könne, sondern aufmerksam zu prüfen, ob sie nicht durch Gewährung ihrer süßen und reinen Huld das Schlimmste von ihm abwenden und ihn zum Heile bringen möge.
[60] Das Ding dünkte ihm wohlgetan, und er erwog, die Fiedel nachdenklich auf die Knie legend, wie es wohl wirkte, wenn er der Schönen das Lied lebendig vorsingen dürfte? Als er so sann, hörte er weibliche Stimmen über sich laut werden, wie wenn jemand seinem Gesange zugehört hätte, und überrascht emporblickend, sah er in der Höhe durch die Baumwipfel einen sonnebeglänzten Turm ragen. Erst jetzt entdeckte er, daß er am Fuße der Biberlinsburg saß, des Ursitzes jenes auch in der Stadt verbürgerten angesehenen Geschlechtes.
An der Mitte des Turmes befand sich ein kleiner Balkon mit Steingeländer, auf welchem Frauen standen, von der Nachmittagssonne beschienen, die aber anderen Frauen zuriefen, welche unten im Garten und noch tiefer im Laubholz der Burghalde gehen mußten. Gelächter und Gesang ertönte; die Gestalten am Turm oben verschwanden, und zuletzt fanden sich alle unten auf der bachumflossenen blumigen Halbinsel. Sie schienen den Sänger zu suchen, der sich vorhin hatte hören lassen; da sie aber, weil Johannes still geworden und sich verborgen hielt, nichts mehr vernahmen, fingen sie unter den schlanken Bäumen an zu spielen und gewährten dem durch die Büsche lauschenden Jüngling ein liebliches Schauspiel.
Indem sie einen Reigen sangen und in die Hände klatschten, versuchten sie einen Tanz, zu fünfen oder sechsen. Als es dann nicht recht gehen wollte, mischte sich Johannes mit seiner Fiedel sachte in den Handel, erhob sich zugleich und näherte sich langsam den Frauen, immer spielend, bis er unerwartet bei ihnen stand und die Schönen schreiend auseinanderflohen, so daß in weniger als einem Augenblicke er keine einzige mehr um sich sah.
Erst jetzt glaubte er zu seinem Schrecken zu gewahren, daß auch Fides unter den Frauen gewesen und wie ein Schatten verschwunden war. Er hielt es jedoch für eine Täuschung, als alles still blieb, ein leises Kichern und verhohlenes Auflachen ausgenommen, das rings aus dem Grünen tönte. Hätte er mutiger [61] ausgehalten, so würde er erfahren haben, wie es von allen Seiten sich wieder näherte. Allein es dünkte ihn nicht mehr geheuer; in der Meinung, er habe eine Unschicklichkeit begangen, nahm er das Fiedelzeug wieder unter den Arm und machte sich seinerseits auch aus dem Staube oder vielmehr aus den Blumen.
Nun war Fides allerdings bei den Frauen gewesen, und da sie ihn gesehen, am weitesten fortgelaufen, und zwar gerade auf dem Pfade, welchen Johannes gehen mußte, um nach der Stadt zurückzugelangen. Nach einer guten Weile erst bemerkte sie, daß sie sich von der Burg, wo sie auf Besuch war, entfernte, und kehrte daher um, langsamen Schrittes einherwandelnd, als eben Johannes ihr entgegenkam.
Der Pfad war hier neben dem Bache so schmal, daß nicht zwei aneinander vorbeigehen konnten. Johannes ging aber immer zu in seinem Schrecken und schaute unverwandt auf die Erscheinung. Er sah trotz aller Verwirrung deutlich ihre Gestalt, ihr Gesicht und ihre Kleidung, indem er immer darauf zuging. Über dem purpurnen langen Ärmelkleid trug sie ein himmelblaues, zart mit Gold gesäumtes, seidenes Obergewand, fast ebenso lang und mit weiten Armschlitzen, alles ohne Gürtel oder andere Zutaten, weit in wallenden Falten. Unter der kronenartigen flachen Mütze von weißem Tuch, die mit breiter weicher Binde um das Kinn festgebunden war, floß das dunkle Haar wellig, aber offen und lang über Rücken und Schultern. Für ihr Alter schon hochgewachsen, schritt sie doch bescheiden und stolz zugleich daher, die Augen vor sich auf den Boden gerichtet, nachdem sie einen kurzen Blick auf Johannes geworfen. Alles sah dieser genau, aber in bewußtlosem Zustande; denn die Jung frau kam immer näher, umspielt von dem goldenen Abendlichte, das durch die grüne Dämmerung des Waldpfades webte, und begleitet von dem fast betäubenden Gesang und Gezwitscher unzähliger Vögel, die im Laube ringsumher saßen, ohne daß Johannes Anstalt machte, sich zu fassen und die junge Schöne auf schickliche Weise irgendwie zu begrüßen. [62] Schon ganz nahe bei ihr, vermochte er kaum noch schnell zur Seite zu treten, um sie vorbeizulassen. Totenbleich schlug er in diesem feierlichen Moment die Augen nieder, die Knie wankten dem zagen Jüngling, er vermochte nicht ein Wort hervorzubringen, und sie ging an ihm vorüber, ohne ihn zu grüßen, wie er es in einem Liede nachher kläglich beschrieben hat.
Er konnte freilich nicht sehen, wie ein fast fröhliches Erröten ihre ernsten Züge ein weniges belebte und der geschlossene Mund mit einem leisen Lächeln halb sich öffnete, als sie vorbei war und mit unwillkürlich beschleunigten Schritten die Gespielinnen aufsuchte. Beschämt und als ob er dem Teufel entronnen wäre, setzte auch er nun seinen Weg mit der größten Eile fort, noch immer an allen Gliedern zitternd.
Immerhin war, nach wiedererlangter Ruhe, das Abenteuer für ihn ein wichtiges Ereignis und ganz dazu angetan, seine Minnetaten neu in Fluß zu bringen. Auch die grußlose Begegnung mit der Geliebten auf einsamen Wegen war ein Erlebnis, ein Markstein auf der Lebensreise, abgesehen von den übrigen zierlichen Begebenheiten, den spielenden Frauen und der blühenden Wildnis, und Johannes verlor keine Zeit, sondern nützte sie, das Abenteuer in ein kunstgerechtes Lied zu verwandeln. Diesem folgten andere und diesen wieder andere, je nach der Gunst des Augenblicks und dem mehr oder weniger sichtbaren Segen Gottes gefühlvoll und originell oder ein wenig jugendlich langweilig oder unbedacht nachahmerisch, leidenschaftlich oder pedantisch. Jene Gedichte, welche ihm am gelungensten schienen oder die in unmittelbarer Aufwallung seiner Neigung entstanden, wußte er dem Fräulein auf verschiedene, immer geheime Weise in die Hände zu spielen, obgleich er einen wissenden Boten nicht zu brauchen wagte.
Das fortwährende Stillschweigen der Dame beirrte ihn nicht mehr, die Sache war ja im Lauf; er sang an eine hartherzige oder spröde Schöne um Erhörung, und daß diese so lange als [63] möglich ausblieb, mußte er eben gewärtigen und ertragen wie jeder Singer. Es genügte ihm sogar, daß keine Anzeige oder Untersagung seines Vorgehens erfolgte, und er warf gerade auf diesen Grund kühnlich den Anker seiner Hoffnung.
Allein hierin täuschte er sich. Fides las allerdings alle die »Briefe« und bewahrte sie sorgfältig auf; eine Neigung zu dem traulichen Jünglinge machte ihr immer deutlicher zu schaffen, es begann eine zärtliche Wärme ihr Herz zu beschleichen, wenn wieder eines der Lieder in ihre Hand gelangte. Aber sowenig sie gestimmt war, mit dergleichen das übliche geistreiche Spiel zu treiben, ebensowenig war sie gesinnt, ihre ernsten Vorsätze zu brechen und sich einer Verlockung hinzugeben, die ihr verboten war, wie sie wähnte. Sie hielt sich hiezu um so eher für verpflichtet, als sie wohl fühlte, daß auch Johannes trotz aller Schulfuchserei, die an seinem Gebaren haftete, nicht spielte, sondern ihr ernstlich zugetan war. Solche Gesinnung zeugte nicht minder für einen früh gereiften, verständigen Ernst der jungen Person als für das wirkliche Wohlwollen, das sie nun zu dem frischen Jünglinge hegte.
Wie sie jetzt bedachte, auf welche Art sie am füglichsten der Sache ein Ende machen könnte, verfiel sie nicht darauf, sich der Mutter anzuvertrauen oder der Pflegemutter, sondern sie ging zum alten Ritter Manesse; als er allein war, übergab sie ihm das Bündelchen Lieder und bat ihn kurz und gut, aber mit tiefem Ernste, für das Aufhören solcher Zusendungen zu sorgen und den törichten jungen Menschen auf den geziemenden Weg zu weisen.
Allein hiemit hatte sich Fides getäuscht und war nicht vor die rechte Schmiede gekommen.
Anstatt die Stirne zu runzeln und Zeichen des Mißfallens von sich zu geben, zeigte Herr Rüdiger immer größere Heiterkeit, je länger er die Blätter auseinanderwickelte und durchlas.
Er durchging die einzelnen Lieder zum zweiten Male und versicherte sich, daß er nicht Abschriften, sondern neue Erzeugnisse [64] vor sich habe. Der Dämon aller Sammler und Liebhaber kam über ihn.
»Das ist kein törichter Mensch, das ist ein neuer Minnesänger, den du uns erweckt hast, meine Tochter!« sagte er fröhlich zur Fides, die noch dastand und auf eine Äußerung wartete; »diese Nachtigall wollen wir nicht verscheuchen aus unserem Garten! Ei, was denkst du? Sei nur ruhig, das hat nichts auf sich als Gutes und Erfreuliches! Dieses Schifflein wollen wir schon ungefährlich durch die Flut steuern!«
Der Ritter begann nun die Fides zu unterrichten, wie sie gelassen bleiben und die Huldigungen des gutartigen Jungen dulden solle, ohne sich selbst gefangenzugeben. Das sei eben liebliche Sitte und schade keinem Teile; nur solle sie nie sich ihrer Hut entziehen und nichts unternehmen, wovon ihre Freunde und Beschützer nichts wüßten. Vor allem aber solle sie keine von den Liederbotschaften, die sie erhielte, verlieren oder verderben, sondern alles ihm, dem Herrn Manesse, getreulich einhändigen, daß er es aufbewahre.
Fides fühlte sich keineswegs zufriedengestellt; doch war das junge Wesen dem alten, würdigen Ritter und Ratsmann gegenüber unsicher und ging besorgter hinweg, als sie gekommen war.
Daher fand sie sich noch selbigen Tages bewogen, doch einen weiblichen Rat zu suchen, und eröffnete das Geheimnis ihrer Pflegemutter, der wackeren Ehewirtin des Ritters, die ja an der Spitze ihrer Hut stand und den Handel schon bedenklicher, ja äußerst ernsthaft aufnahm.
Bei allem ehelichen Frieden war die gestrenge Frau doch über viele Umstände des äußerlichen Lebens anderer Meinung als ihr Eheherr, und sie führte einen steten geheimen Krieg mit ihm, der wegen der guten Lebensart niemals Geräusch machte. Sie war ohne Zweifel ein Urtypus jener Zürcherinnen, die einer um das Jahr 1784 im Schweizerischen Museo also geschildert hat »Noch gegen End vorgehenden Saeculi war unser Frauenzimmer vom Schrot und Korn früherer Jahrhunderte. [65] Sie konnten unsere Älterväter bereden, Eingezogenheit und haushälterisches Wesen überwäge bei demselben (dem Frauenzimmer) manche andere, glänzendere Eigenschaft; diese Einbildung war allgemein und beherrschte unsere Frauen so stark, daß sie sich auf kein anderes als die Hausgeschäfte legten, die sie mit der genauesten Aufsicht besorgten und ihr scharfes Regiment und Sparsamkeit bisweilen wirklich so weit ausdehnten, daß man es dem Eheherrn und den Kindern an den dünnen Lenden und schmalen Backen wohl ansehen mochte. Eine solche Frau war in ihrem Haus immer die erste aus dem Bett und die letzte darin; keine Kleinigkeit entging ihrem wachsamen Aug; aller Orten trat sie den Mägden auf die Eisen; in Kleidern, Speis und Trank wurden Mann und Kinder geschmeidig gehalten.«
Von solcher Gesinnung war die Frau, die in Rede steht, und sie erstreckte dieselbe auf alle häuslichen und gesellschaftlichen Angelegenheiten, während der Mann, sonst klug, edel und gerecht, gerade in allen jenen Dingen auf eine ihr widerstrebende Weise sich liberal bezeigte. Er war leutselig, gastfrei und glänzend und wußte den heimlichen Krieg ärgerlicherweise bald durch listige Überraschung, bald durch freundliche Ruhe mit wenigen Worten und Blicken stets so zu führen, daß er fast immer mit einer Niederlage der leise fechtenden Frau endigte, oft ehe sie nur das Gefecht in Gang gebracht. Hatte aber das Schicksal des Tages oder der Stunde sich entschieden, so nahm alles den besten Verlauf, da die Besiegte für diesen Fall trefflich erzogen und unterrichtet war. So kam es, daß nirgends so stattlich und anmutig gelebt wurde wie auf dem Manesseschen Hof, wenn der Herr zu Hause war und Gäste lud.
Auch in der vorliegenden Sache stellte sie sich sofort der Meinung ihres Gemahls entgegen, welche Fides ihr vertraut hatte, und sie rief »Das fehlte uns, daß wir dergleichen Mummenschanz in unserm Hause aufführen! Wir leben hier an der Stadt bei Handel und Wandel und nicht auf Hofburgen und in [66] Zaubergärten. Alte Mären lesen wir in den Büchern, aber wir spielen sie nicht selbst wieder ab; denn wir Bürgerinnen müssen für Kraut und Gemüse sorgen und an Haber und Hirse denken für das Gesinde!«
Sie belobte die Pflegetochter wegen ihres Verhaltens und ermahnte sie, den vorlauten Reimschmied nur recht streng abzuweisen und fernzuhalten. Auch versprach sie ihr, die Briefe und Büchlein desselben abzufangen, wo sie könne, und gab ihr den Rat, ihr immer anzuzeigen, wann und auf welche Weise ihr solche in die Hände kämen.
An dem gleichen Tage jedoch erschien auch der Bischof in Zürich, der eben seine Diözese beritt und im Hause der Manessen vorsprach, um das Kind zu sehen. Er erkundigte sich zugleich nach dem Fortgang der Liedersammlung und erfuhr von Herrn Rüdiger im geheimen, was für ein Sänger sich in Johann Hadlaub aufgetan habe und welches der Gegenstand seiner Minne sei.
Mit großem Vergnügen hörte das Bischof Heinrich; es schien ihm gerade sein Umstand zu sein, nach dem er begehrte, und schon sah er im Geiste die schöne Fides, durch fragliches Abenteuer aufgeheitert und an die Welt und ihre Freuden gewöhnt, als gewandte, lebensfrohe Frau vor sich stehen und gehen, die nicht verfehlen werde, dereinst einen ansehnlichen Herrn zu gewinnen, wenn sie nur erst durch den fleißigen Johannes zurechtgesungen und glänzend hervorgehoben sei. Denn er hielt es mit dem klugen Rüdiger für selbstverständlich, daß der junge Mann die Sache nur als eine Sache der »hohen Minne« betreibe, d.h. die Dame seiner Lieder als weit über ihm stehend und im Ernste als unerreichbar betrachte. Hierüber ängstliche Zweifel zu hegen schien ihm unnötig, nachdem so viele adelige, kleine und große Herren seit hundert Jahren in ihren Liedern soviel Unerreichbares, ja Unnennbares gesungen.
Er nahm daher Gelegenheit, die Tochter Fides ebenfalls beiseite zu nehmen und sie vertraulich aufzumuntern, daß sie [67] den Frauendienst sich nur unbedenklich gefallen lassen und keineswegs die Büchlein und Briefe des guten Knaben zurückweisen oder etwa gar vernichten solle. So hatte Fides nun verschiedene Ratschläge erhalten; um deren nicht noch mehr zu bekommen, schwieg sie und beschloß, von dem einen das und von dem andern jenes zu befolgen. Sie behielt ihre Strenge gegen Johannes bei, sprach nie mit ihm und erwiderte niemals seine Botschaften. Dagegen nahm sie die letzteren an sich, wenn sie ihr auf immer neue Weise zukamen, so daß die Manessen-Frau vergeblich darnach spähte und sich wunderte, nichts auf zufangen. Wiederum händigte Fides ab und zu dem Ritter das Reimgut ein, der es behaglich sammelte und besonders aufbewahrte.
Es war nun ganz gegen die Sitte und sollte wohl dartun, daß alles ein Spiel sei, wenn nicht nur Hadlaubs Minnewerben offenkundig gemacht, sondern auch der Name der sogenannten Herrin nicht verschwiegen wurde und das artige Spiel so zum Gemeingut und Vergnügen eines weiteren Kreises sich gestaltete. Jeder, der herzukam, nahm daran teil, spornte den naiven Sänger zur Ausdauer an, versprach ihm süßen Lohn und legte bei der Schönen ein gutes Wort für ihn ein. Sie wurde bald von diesem, bald von jenem Hochstehenden geplagt, bis sie einen widerwilligen Gruß an ihren Diener auftrug oder gestattete, ihm zu hinterbringen, daß sie sogar nach ihm gefragt habe. Selbst die Äbtissin, ihre Mutter, forderte sie zuweilen scherzend auf, freundlicher gegen den Gesellen zu sein, und als man diesen endlich ins Haus lockte, um ihn unversehens vor ihre Augen zu bringen, mußte sie sich trotzig einschließen, da sie weder sich noch ihn solchem Spiele preisgeben wollte. Und doch wurde dieses Spiel durchaus ohne Spott und Lachen, vielmehr mit einer gewissen feierlichen und feinen Freundlichkeit geübt.
Trotz allem schien Fides sich an das seltsame Verhältnis zu gewöhnen und allmählich heiterer zu wer den, obgleich ihr Benehmen [68] gegen Johannes immer das gleiche blieb. So verging ein und das andere Jahr; zu dem reichen blonden Lockenhaar des jungen Mannes gesellte sich bereits ein ebenso blonder Bart um Wangen und Kinn, wenn wir seinem eigenen Konterfei aus jener Zeit glauben dürfen; Fides aber war schon eine der schönsten und stolzesten Frauengestalten geworden, welche weit und breit zu finden waren, und Johannes wurde nicht müde, sie mit allen Jahreszeiten, mit Frühling, Sommer, Herbst und Winter gleichzeitig zu besingen. Alle Reize der wechselnden Natur vereinten sich in seinen Liedern mit Sehnsucht, Klage und Hingebung der Liebe und dem Preise der geliebten Frau. Er war jetzt seiner Töne sicher und Herr Rüdiger bereits im Besitze einer ansehnlichen Sammlung seiner Lieder.
Aber auch die große Sammlung der Minnesänger war jetzt so weit vorgeschritten, daß schon an hundert derselben, meistens vollständig, beisammenlagen und jeder sein eigenes Heft schöner Pergamentblätter hatte, zu einem großen Teile mit Bild und Wappen versehen. Ein florentinischer Gesell, an beiden Münstern in seiner Kunst tätig, war dem Schreibemeister behilflich, woher manche der Gemälde ihre ausdrucksvolle Einfachheit und edle Gewandung erhielten. Für Ausmittlung der Wappen aller der singbaren Herren aber war sowohl der Manesse als insbesondere auch Bischof Heinrich besorgt, der schon, als er Propst in Zürich gewesen zu Zeiten des Konrad von Mure, und später als königlicher Kanzler in dieser Materie große Erfahrung gewonnen hatte, wie er denn überhaupt in allen Sätteln gerecht war.
Deutscher König war jetzt der verwachsene, herrschsüchtige und gewalttätige Albrecht. Sohn Rudolfs, und es war bei Anlaß eines Aufenthaltes desselben in Zürich, als eine größere Zahl geistlicher und weltlicher Herren dort zusammentrafen, von denen nach der Weiterreise des Kaisers manche noch in der befreundeten Stadt blieben, wo fast alle verbürgert waren und fröhlicher wurden, wenn der stachlichte Kronenträger, der [69] es mit niemandem freundlich meinte, wieder verschwand. Eine Reihe von Staatsgeschäften hatte er in Zürich behandelt, unter andern auch mit dem Rate der Stadt, bei welcher Gelegenheit Johannes Hadlaub mit einer Kleinigkeit, ohne es zu wissen, ein günstiges Aufsehen machte. Er war vom Ritter Rüdiger mitgenommen worden, um ihm als Schreiber und Aktenbewahrer zur Hand zu sein. Als nun der Kaiser in böser Laune einst durch das zahlreiche Gefolge hineilte, das in der Wohnung des Reichsvogtes versammelt war, und plötzlich eine unerwartete Richtung einschlug, geriet ihm Johannes unverschuldeterweise in den Weg, also daß jener mit ihm zusammenprallte; Albrecht fuhr ihn ärgerlich an »Wer bist du?« – »Ein Stein des Anstoßes!« erwiderte Johannes lachend, ohne irgendwie rot oder blaß zu werden. »Du bist ein kecker Bursche, fort mit dir!« rief der andere und wandte ihm den Rücken.
Diese Unerschrockenheit des Johannes hatten die Umstehenden, von denen wenige den König liebten, wohlgefällig bemerkt, und man erzählte nachher von dem unbekümmerten, mutigen Wesen des jungen Mannes, und lächelnd klopfte ihm mehr als ein Gewichtiger auf die Schulter, welcher dergleichen nicht vermocht hätte.
Als, wie gesagt, der König fort war, gedachten die Zurückgebliebenen sich noch etwas zu belustigen. Die Fürstäbtin Kunigunde und Walther, der Freiherr von Eschenbach, der westlich und südlich von Zürich viele Herrlichkeit besaß, luden eine große Gesellschaft zur Jagd in jenen Forsten, welche angrenzend am Albisberg und im Sihltal ihnen gehörten und die heutzutage Eigentum der Stadt Zürich sind. Herr Manesse lud auf den gleichen Tag die Jäger zum Mahle in die Burg Manegg, wo er zur Verschönerung des Festes die Liedersammlung, soweit sie gediehen, vorzuweisen und damit dem Johannes einen Ehrentag als Belohnung seines Fleißes zu bereiten gedachte.
Auf den ganzen Plan war seine wackere Frau Manesse nicht gut zu sprechen; abgesehen von der großen Bewirtung, ärgerte [70] sie der Handel mit dem Minnewesen, insbesondere das Hadlaubische Lustspiel, dem sie gar nicht traute. Trotz aller Aufmerksamkeit war ihr beim Fahnden auf Hadlaubs Manifeste ein einziges seiner Lieder unmittelbar in die Hände gefallen, und zwar gerade dasjenige, in welchem er in hergebrachter Weise seinem Unwillen gegen die Merker und die Hut Worte gab »Daß sie verflucht seien mit ihren langen Zungen und mit ihrem verborgenen Schleichen! Sie schielen umher, wie die Katze nach der Maus, der Teufel soll ihr aller Pfleger sein und ihnen die Augen ausbrechen!« hieß es am Schlusse dieses Hymnus.
Obgleich es nicht so böse gemeint war, fühlte sich die Frau Obermerkerin doch wenig geschmeichelt von solchem Gesange, und sie suchte daher die Absicht ihres Eheherrn zu vereiteln. Allein ihre Mühe war fruchtlos, und auch die Bewirtung auf der Manegg wurde in jedem Stücke um so reichlicher vorbereitet, je einfacher es die Frau ausführen wollte. Es war, als ob der Ritter die Augen überall hätte und in der Küche ebensogut Bescheid wüßte wie in der öffentlichen Verwaltung, den Rechtssachen, dem Minnesang und der Wappenkunde.
An einem sonnigen Morgen zu Anfang Septembers ritt die Gesellschaft nach den Albisforsten ab in großer Fröhlichkeit. Es waren dabei der Bischof Heinrich von Klingenberg, die Äbtissin mit mehreren Frauen, worunter die Fides, die Äbte von Einsiedeln und Petershausen, Graf Friedrich von Toggenburg, Lüthold von Regensberg, Herr Jakob von Wart und dessen jugendlicher Sohn Rudolf, die Edlen von Landenberg und Tellinkon und der von Trostberg. Herr Walther von Eschenbach ritt mit den Knechten und den Hunden dem Zuge voraus, und Herr Manesse mit seinem Sohne, dem Kustos, und mit Johannes Hadlaub schloß denselben. Noch andere Herren, Pfaffen und Frauen, die für die Jagd zu bequem waren, wollten sich später auf Manegg einfinden, wo die Manessin inzwischen ihre verzauberte Mahlzeit richtete, die sich ihr, wie gewohnt, unter den [71] Händen aus einem Käse- und Wurstimbiß in eine Hoftafel umgewandelt hatte; gewiß zum letzten Male! nahm sie sich mit unzerstörlichem Vertrauen auf die Zukunft vor, den tröstlichen Leitstern alles Menschentumes.
Welche Schwäche! würde jetzt manche Frau ausrufen; aber wie liebenswürdig war dagegen jene stets für ihren Geiz kämpfende und unterliegende Wirtin, die wegen der Salz- und Pfefferfrage nicht den Hausfrieden brach und es nicht biegen oder brechen ließ, sondern dachte, morgen ist auch wieder ein Tag, und die mildere Zeit, die seldenbäre, wird auch mir noch aufgehen! Und wie schad ist es, daß wir ihren vollen Namen nicht mehr wissen, der von seltenem Wohllaute hätte sein müssen.
Die Jagd förderte sich rasch durch die Waldungen hinauf, es wurde ein einziger Hirsch verfolgt, mehr um in bewegter, freudiger Art auf die oberste Bergeshöhe zu gelangen, als der Beute wegen. In der Schnabelburg, weit über alles Land hinwegsehend, begrüßte Walther von Eschenbach als Hausherr die Gäste, als Nachfolger jener uralten ausgestorbenen Freien von Senableborc; denn schon vor sechshundert Jahren hat es für jene Menschen alte unvordenkliche Zeiten gegeben. Von hier aus übersah man dies- und jenseits des Berges bis über den Reußfluß weg die Burgen und Dörfer des Eschenbacher Freiherrn, und der blühende junge Mann fühlte sich so recht im Glücke, als die Herren und Frauen aus allen Fenstern seines Saales in die Lande schauten und seinen Besitz lobten. Die Seen von Zürich und Zug schienen nur als Spiegel dieses Glückes aus den großen Tälern herüberzuschimmern, und die damals verschlossene Gebirgswelt in ihrem silbernen Schweigen, von den Hörnern des nachmaligen Bernerlandes bis zum Säntis, schien nur als Zeuge einer ewig seligen Gegenwart herum zu stehen.
Nach kurzem Aufenthalte aber stieg alles wieder zu Pferde, um auf dem Rücken des langgestreckten Berges davonzufliegen. [72] Es wurden jetzt Falken gebracht, da in solcher Höhe die Lüfte frei waren, und in heller Freude ließen die »seldenvollen« Frauen die Federspiele steigen. Insbesondere die junge Gattin des Eschenbachers, ihm nicht lange vermählt, die sich dem Zuge angeschlossen, tat sich in Freude hervor, und mit ihr wetteiferte die Braut des jungen Wart, die auf der Schnabelturg zu Gast war, Gertrud von Balm, eine holde Nachbarin aus der Gegend der Lenzburg her. Wie Zwillinge der Freude, in lieblichem Übermut, sprengten sie, die Neuvermählte und die Verlobte, mit wallenden Schleiern allen voran und warfen ihre Falken in die Luft, jauchzend, als sie sahen, wie beide Vögel auf denselben Reiher stießen, der sich vom Türlersee erhoben hatte und ostwärts nach dem Glattal hinübersteuerte. Vor der Kompanie, die in der Richtung nach Norden zog, breitete sich ins Blaue hinaus über Zürich-, Thur- und Aargau hin bis zu den schwäbischen Höhen und den Gebirgen des Jura das Land, und von allen Punkten schimmerten die Türme der herrschenden Geschlechter oder die Gotteshäuser und Kirchen. Einem Zuge von Göttern gleich, eilten sie auf dem Berggrate dahin, Lust und Stolz auf allen Gesichtern; von den hohen Spitzhüten der Herren flatterten die Bindeschnüre, an den Enden zierlich verknüpft, modisch in der Luft und verkündeten den von jedem Drucke freien Sinn des Augenblickes. Einzig die schöne Fides ritt mit ernstem Gesicht, auf welchem Trauer und hoher Mut, Gefühl der Heimatlosigkeit und niedergehaltene Lebenslust sich mischten, geheimnisvoll wie die Dämmerungen der Tiefe, in welcher unsichtbares Volk waltete, dem die Zukunft gehörte.
Endlich tauchte der Jagdzug wieder in den Wald hinab, um auf die Burg Manegg zu gelangen, über welcher man angekommen war und wo die Manessin mit ihren Mägden soeben alle verhaften Zurüstungen tadellos vollendet hatte und inmitten der bereits anwesenden Gäste die Jäger freundlich und höflich empfing. Selbst der Hadlaubische Johannes, der bescheiden zuletzt eintrat, erhielt keinen ungnädigen Blick von ihr, da sie [73] dachte, das Spiel mit ihm werde jetzt wohl sein Ende nehmen, nachdem man ihm die Lieder entlockt.
Allerdings hatte er heute noch eine nicht geringe Vorstellung zu tun; denn als man zu Tische saß, frug Bischof Heinrich nach dem Minnekanzler und ruhte nicht, bis er ihn unter den Gästen sitzen sah. Fides errötete und blickte mit unruhigem, ja unwilligem Wesen um sich; Johannes errötete noch viel mehr und wagte nicht aufzusehen. Nichtsdestoweniger wurde er mit Wohlwollen betrachtet und auch ohne Stolz, da er als freier Abkömmling vom Berge zu dem bürgerlichen Gemeinwesen gehörte, dessen Schutz und guten Willen bereits mancher Herr wohl brauchen konnte.
Nach eingenommenem Mahle aber führte der Hausherr die ganze Gesellschaft in einen Lustsaal, den er auf der Burg neu gebaut hatte. Längs Fenstern und Wänden waren Sitze bereitet, auf welchen man Platz nahm; in der Mitte des Saales stand ein Tisch, und auf diesem lagen auf geschichtet die Bücher der Minnesinger, welche Johannes geschrieben, jedes vorläufig zwischen zwei dünne Holzdeckel gelegt, die mit Seidenzeug bezogen waren, und wo schon Gemälde vorhanden, diese besonders mit einem Vorhange von roter, blauer oder anderer Seide geschützt. Diese Bücher wurden nun in der Art vorgewiesen, daß Johannes eines um das andere herumbieten mußte, nachdem er den Namen des Sängers ausgerufen. Herr Manesse selbst nahm ihm die Bücher ab und gab sie den Frauen, Prälaten und Rittern in die Hände, so daß die schönen weißen Pergamentblätter bald rings im Saale glänzten und die Bilder in Gold und Farben von allen Seiten schimmerten und durch ihren Inhalt rührten oder fröhlich machten.
Nach Kaiser Heinrich VI. im vollen Ornat, nach einem älteren Vorbilde überlieferungsweise gemacht, kam das letzte Staufenkind Konradin der Junge, auf der Falkenjagd, ein feiner Knabe mit goldener Krone, langem grünem Rock und weißen Jagdhandschuhen, auf einem Grauschimmel anspringend, in den [74] frohen Tagen gedacht, bevor er nach dem Throne der Väter zog und das junge Leben verlor. In den wenigen Liedern, die diesem Bilde folgten, zwitscherte das halbe Kind:
Eine Erfindung Johannes' war auch das Bild zu den Liedern König Wenzels von Böhmen. Der saß ebenfalls in allem Pomp, umgeben von seinen Hofämtern, auf dem Throne, zu seinen Füßen zwei Spielleute, ein Fiedler dabei, in welchem Hadlaub sich selbst dargestellt. Ein Pfalzgraf gab einem knienden Ritter den Schwertgurt, und dieser Pfalzgraf, von jugendlicher Gestalt, zeigte ein so zartes und adeliges Gesicht, daß es fast überanmutig schien für einen Mann, bis man entdeckte, daß es eigentlich nichts anderes als das Gesicht der Dame Fides sei. Diese Entdeckung fand jedoch nicht sogleich statt, sondern erst, als einige weitere Bilder die gleiche Erscheinung zeigten und man zu untersuchen begann, warum die edlen Gestalten einem denn so bekannt vorkämen. Denn gleich der nächste Sänger, Herzog Heinrich von Breslau, der, umgeben von seinem Turniergefolge, gewaffnet zu Pferde saß und von den Frauen den Kranz empfing, zeigte wieder das nämliche anmutvolle Gesicht, ebenso Markgraf Heinrich von Meißen, der mit vier Falken jagt, und so weiter andere Ritter mehr, während nirgends eine der vielen Frauengestalten die Gesichtszüge der Fides zeigte.
Der sehnliche Schreiber und Maler erzielte durch diesen Kunstgriff wohl zwei Vorteile einmal konnte er das geliebte Gesicht zum öftern anbringen, ohne die Inhaberin desselben bloßzustellen, und dann erhielten die betreffenden Helden dadurch einen geheimnisvoll idealen Charakter, der sie über die ebenfalls meistens zarten und jugendlichen Gestalten der vielen Nebenfiguren emporhob. Denn es ist merkwürdig, wie diese ganze Bildwelt, gleich archaischen Werken des frühern Altertums, [75] ein ewig heiteres, lächelndes Wesen zeigt und man manchmal die Männer, wo sie nicht in den Eisenhüllen stecken, nur an den kürzeren Haaren von den weiblichen Personen zu unterscheiden vermag, ein Zeugnis, daß das Schöne schöner sein sollte als das wirkliche Leben.
Ungefüge verworrene Kampfszenen erinnerten jedoch an das eiserne Zeitalter in den Schildereien von den Herzogen von Anhalt und Johann von Brabant; auch waren da die vielen Pferde, die durcheinandertobten, nicht die starke Seite des fleißigen Malers, und nur an den energisch geschwungenen Schwertarmen erkennt man einige Kunstgerechtigkeit sowie an der stets korrekten Zügelhaltung. Friedlicher ging es wiederum zu bei Herrn Otto von Brandenburg mit dem Pfeile, der jetzt noch mit seiner Dame am Schachbrett sitzt bei der Musik von vier Spielleuten zwei Posaunenbläsern, einem Sumberschläger und einem Sackpfeifer.
Auf solche Fürstlichkeiten folgten indessen bald die singerlichen Grafen, Ritter und bürgerlichen Meister, und vorzüglich die Sänger des Landes waren zuerst mit Bildern bedacht. Graf Kraft von Toggenburg steigt in hochrotem, schönfaltigem Gewand auf einer Leiter zum Söller der Geliebten empor; der Kopf zeigt prächtiges, edel geordnetes Haar und schönste Gesichtsform. Die Frau reicht ihm einen reichen Blumenkranz, auf einen Goldreif geflochten, entgegen und trägt selbst einen Rosenkranz auf dem Haupte. Als das Buch mit diesem Bilde dem anwesenden Grafen Friedrich in die Hand kam, gab er es mit überschattetem Antlitz sogleich weiter; denn weil die dargestellte Liebesszene an die Zeit erinnerte, wo ein Brudermord das Grafenhaus verfinstert hatte, vermochte sie ihn keineswegs zu erheitern, und er liebte nicht, davon zu sprechen.
Herr Konrad von Altstetten aus dem Rheintale lag mit seiner Geminnten unter einem weitverzweigten Rosenbaum, mit dem Haupt in ihrem Schoße, den Falken auf der Hand; sie beugt sich über ihn und legt ihre Wange auf seine Wange, ihn [76] mit beiden Armen umfassend. Diesem Paare folgte Wernher von Teufen, der ebenfalls mit der Seinen auf der Falkenjagd ist, aber noch zu Pferde sitzt und im Reiten, während sie den Falken hält, sich zu ihr hinüberneigt und ihr zärtlich den Arm um die Schulter legt; alles gar anmutvolle Darstellungen.
Nun erschien aber einer der Anwesenden selbst, als Herr Jakob von Wart ausgerufen wurde. Johannes Hadlaub lächelte schalkhaft, als er seinen Namen rief, weil er ihm das schmeichelhafteste Gemälde gewidmet hatte. In einem Baumgarten, auf blumenbewachsener Erde, sitzt der alte Herr, und zwar in einer Badekufe und entkleidet, so jedoch, daß das Wasser ganz mit Rosen bedeckt ist. Über ihm verbreiten sich Lindenäste, in welchen Vögel singen, und um ihn stehen vier Fräulein, die ihn bedienen. Eine setzt ihm einen Kranz auf das graue, aber blühende und lachende Haupt, eine reicht ihm einen goldenen Becher zum Trinken, und die dritte reibt oder streichelt ihm gar annehmbar Schulter und Arm; diese trägt auf dem Kopfe einen prächtigen Modehut von Netz- und Perlenwerk, die anderen tragen Blumenkränze auf den Locken. Die vierte aber kniet in weißem Gewande und mit verhülltem Kopf, also wohl eine Dienerin, vor einem Feuer, über welchem ein Kessel hängt, und handhabt eifrig den Blasebalg, um stets warmes Wasser für das Bad bereitzuhalten.
»Hier kommt der Lohn der Tugend und Frömmigkeit!« rief Herr Manesse, als er das Buch dem alten Herrn von Wart übergab, und alle, die das Bild mitsahen, wünschten ihm mit heiterem Gelächter Glück und Heil und klatschten in die Hände.
»Ei, ei! wenn ich solches doch nur erlebt hätte!« rief der Alte, gleichmäßig lachend; »aber was hilft mir dies gemalte Scheinbild des Glückes? Herr Ulrich von Liechtenstein will dergleichen zwar genossen haben auf seinen Minnefahrten, auch in Herrn Wolframs Parzival lesen wir von solcher Sitte, ich aber habe leider nichts davon verspürt!«
»Ich will Euch gleich das Bad rüsten lassen, wenn Ihr Euch [77] hineinsetzen wollt, edler Herr!« sagte Frau Manesse, die jetzt über die bestandene Mühe aufgeräumt und fröhlich war.
»Gewiß, tut das«, rief der Ritter, »wir wollen auch unverweilt die vier Damen auswählen, die uns den Rücken reiben! Wie wohl wird uns das tun!«
Während alles über die Fröhlichkeit des ältlichen Ritters noch lächelte, hörte man plötzlich ein helleres Lachen, das von Fides herrührte. Sie schien endlich auch zu heiterem Sinn erwacht, und zwar durch ein seltsames Vogelungetüm, das auf einem Bilde dahergeritten kam. Dasselbe sollte Hartmann von Westerspühl, den Dienstmann der reichen Aue, vorstellen, welcher mutmaßlich den Armen Heinrich, Erec und Iwein gesungen hat. Es mochte eine von den ersten Schildereien Hadlaubs und ohne guten Rat unternommen sein; denn man sah fast nichts als einen großen, unförmlichen Helm auf einem kleinen Rößlein einherreiten, überragt von einem ungeheuerlichen Vogelkopf. Ferner war das unsichtbare Männlein noch gedeckt von dem Schilde mit den drei Hahnenköpfen der Westerspühler, und über ihm flatterte das Banner mit den gleichen drei Gockeln; allein die sechs Köpfe sowohl wie der große Hahn der Helmzierde waren oder sind noch so übel getroffen, daß niemand die Natur des Vogels deutlich erkennen kann und einige denselben für einen Adler halten.
»Was ist das für ein Reitervogel oder Vogelreiter?« rief die Fides; »er sieht aus wie eine Henne mit sechs Küchlein zu Pferde!«
Das Bild ging zur Belustigung der Gesellschaft herum, weil sie vergaß, daß der Urheber sich vielleicht etwas zugute tat auf dasselbe; der ältere Wart aber bemerkte, daß der wunderliche Reitersmann wirklich der Großvater seines Nachbars von der Thur, des jüngern Herrn Hans von Westerspühl, sei und daß auch dieser sich noch einen Dienstmann der Reichenau nenne. »Der führt aber jetzt die drei Hüfthörner im Schilde statt der Hahnenköpfe«, setzte jene hinzu.
[78] Inzwischen hatte Fides schon einen neuen Gegenstand ihrer kritischen Laune gefunden in dem Gemälde vom Sängerkriege, das nun herumging. Auf dem selben saßen oben in ihrer Herrlichkeit Landgraf Hermann und die Landgräfin Sophie als Richter, unten aber auf einer Bank dicht ineinandergedrängt die sieben Sänger. Klingsohr von Ungerland in der Mitte und links und rechts von ihm Heinrich von Ofterdingen, Walther von der Vogelweide, Heinrich von Rißach, der tugendhafte Schreiber, Biterolf, Reinmar der Alte und Wolfram von Eschenbach. In der Tat war es höchst drollig anzusehen, wie die sieben Streitbaren, von Leidenschaft bewegt, so eng zusammengedrückt sich auf dem armseligen Bänklein behelfen mußten, während die Fürsten oben in himmlischer Ruhe sich breitmachten.
»Das ist ja«, rief Fides, »genau jenes Spiel der Schulkinder, welches man ein Käsdrücken nennt, wo die Äußersten der Bank nach der Mitte hin pressen, um die dortigen hinauszudrängen, die Mittleren aber sich gewaltsam ausdehnen, um die Äußersten von der Bank abzusprengen.«
Johannes Hadlaub hatte Fides noch nie so viel sprechen gehört, und nun geschah es nur! um seine wohlgemeinten Taten herabzusetzen und lächerlich zu machen, wie es ihm wenigstens schien; denn daß mancher der Neckerei, die ja nur von erwachendem Frohsinn zeugte, sich eher gefreut hätte, vermochte er nicht zu wissen. Er stand daher trübselig und verdutzt vor der lachenden Gesellschaft und rief tonlos den Meister Gottfried von Straßburg aus, gab das Buch hin und wollte eben das nächste, das Konrad von Würzburg enthielt, ergreifen, als Herr Rüdiger Manesse herzutrat mit einem neuen Buch und laut von der Spitze desselben herunterlas und ausrief: Meister Johans Hadlaub! Er hatte die Lieder Hadlaubs im geheimen zusammengestellt und mit dem Vergnügen eines sammlerischen Beschützers eigenhändig abgeschrieben. Alles wurde aufmerksam, als er nun die Erscheinung eines neuen Minnesingers im eigenen Kreise verkündigte und wie die würdigen Fürsten, Bischof Heinrich [79] und die Äbtissin, mit Beistimmung des Rates von Zürich, den werten Mann in den Stand der Meister zu erheben beschlossen hätten. Die tugendreiche Frau Fides von Wasserstelz aber sei ausersehen, ihm den Kranz aufzusetzen und verdiente Huld zu erweisen.
Gleichzeitig bewegte sich der Bischof, der die Äbtissin Kunigunde führte, gegen Fides hin, um ihr einen vollen Rosenkranz, auf silbernen Reif geflochten, zu übergeben. Fides jedoch erhob sich hastig, von Rot übergossen, und wollte entfliehen. Aber schon standen Eschenbach und der junge Wart, die Gemahlin des ersteren und die Braut des andern hinter ihrem Stuhle, und die beiden Paare hielten sie auf dem Sessel fest und drückten ihr den Kranz in die Hand. Indessen führten Manesse und Toggenburg, gefolgt von den Äbten und anderen Herren, den ganz bleich gewordenen und schwankenden Johannes vor den Sitz der Fides. Der zaghafte Meister, der vor einigen Tagen dem bösen Kaiser ins Gesicht gelacht, tat jetzt, als wenn er zum Tode geführt würde, da er vor seiner reinen, süßen, seldenreichen, minniglichen Frau knien sollte, von der bereits in den vorliegenden Liedern zu lesen war, wie er mit ihr ringen und sie auf ein Bett von Blumen hinwerfen würde, wenn er sie nur dort hätte!
Es gab nichts Schöneres zu sehen als die sitzende Fides in ihrer Bedrängnis, festgehalten von den zwei blühenden jungen Paaren, aber auch nichts Erschütternderes, wenn einer die Zukunft hätte sehen und wissen können, wie in einer kurzen Spanne Zeit der jetzt so frohe Wart wegen König Albrechts Ermordung auf das Rad geflochten sein und eben dieses fröhliche Bräutlein, alsdann seine Gattin, drei Tage und Nächte hindurch betend auf der Erde unter dem Rade liegen würde, bis er den Geist aufgegeben; wie dieser selbe Eschenbacher Freiherr, landesflüchtig, in der Fremde als Hirtenknecht sein Leben fünfunddreißig Jahre lang fristen sollte, verborgen, verschollen in einer Hütte sterbend; wie die Geschlechter vertilgt,[80] der hundertjährige Besitz genommen und die Burgen zerstört wurden, daß die Flamme zum Himmel und das Blut von der Erde rauchte vor den grimmigen Bluträchern. Diese Wolke schwarzen Schicksals, die über dem sonnigen Lebensbilde hing, barg den Blitz einer unbesonnenen, ungeheuern Tat, wie sie, erzeugt durch den Druck ungerechter Gewalt, ungeahnt und plötzlich einmal entsteht und den Täter mit dem Bedrücker vernichtet.
In sorgloser Heiterkeit wurde Meister Hadlaub vor die sitzende Fides gebracht und auf ein Knie niedergelassen, was sich von selbst machte, da er sogar ganz umfallen wollte und rückwärts gesunken wäre, wenn ihn die Herren nicht gehalten und gestützt hätten. Er wendete die Blicke furchtsam zur Seite, als ihm Fides, gedrängt von den Freunden, den Kranz auf den Kopf setzte. Als aber seine Hand genommen und in die ihre gelegt wurde und sie auf allgemeines Zureden endlich halb unwillig, halb lachend zu ihm sagte »Gott grüße meinen Gesellen!« da regte er sich wie ein Tierlein, das sich in der Angst totgestellt hat und nun allmählich wieder bewegt und munter wird. Er sah zu ihr auf, hielt ihre Hand mit beiden Händen fest und blickte ihr ins Antlitz, ganz nahe, wie noch nie. Da sah er nun, was er doch schon so oft beschrieben, zum ersten Mal so recht deutlich ihren Mund, ihre Wängel rosenfarb, ihre Augen klar, die Kehle weiß, ihre weibliche Zucht und die Hände weißer als Schnee. Ja, alles war so und tausendmal schöner, ein Wunder neben dem andern! In diesem Gesichte gab es keine unklaren topographischen Verhältnisse, keine unbestimmten oder überflüssigen Räume, Flächen und Linien, alle Züge waren bestimmt, wenn auch noch so zart geprägt wie in einem wohl vollendeten Metallguß, und alles beseelt von der eigensten, süßesten Persönlichkeit. Die Schönheit war hier von innen heraus ernsthaft, wahr und untrüglich, obgleich ein Zug ehrlicher Schalkhaftigkeit darin schlummerte, der des Glückes zu harren schien, um zu erwachen.
[81] Alles um sich her vergessend, schaute Johannes, dieweil seine beiden Arme auf ihrem Schoße lagen, sie so selig und ganz verklärt an, daß unwiderstehlich ein Hauch des Glückes in ihre Seele hinüberzog und ein liebliches Lächeln auf ihre Lippen trat. Hingerissen von dem anmutigen, wahrhaft rührenden Schauspiele, das die beiden in diesem Augenblicke gewährten, gaben alle Umstehenden ihre Freude und ihren Beifall laut zu erkennen; der Höhepunkt des artigen Spieles war für sie erreicht, und sie genossen dankbar das gelungene Kunstwerklein.
Durch das beifällige Geräusch wurde jedoch Fides aus ihrer Vergessenheit geweckt; sie zuckte zusammen und wollte ihre Hand aus Hadlaubs Händen zurückziehen. Der war aber seinerseits keineswegs erwacht und hielt nur um so fester, bis Fides höchst erregt und mit Tränen in den Augen sich niederbeugte und ihn tüchtig in die Hand biß. Obgleich ihm das nicht im mindesten weh tat, wie er später versicherte, kam er doch nun auch wieder zum Bewußtsein; er ließ ihre Hand sänftlich fahren, und sie erhob sich rasch, um aus dem Kreise der Umstehenden hinauszukommen. Da trat aber ihr Herr Vater, der Bischof, ihr entgegen und bat sie, dem so löblichen Gesellen nun auch irgend etwas zu schenken, zum Gedächtnis dieses Tages, als einen kleinen Minnelohn; das sei gute Sitte. Sie suchte in einer Tasche, die ihr zur Seite hing und worin sie die Handschuhe und anderes stecken hatte, und fand eine Nadelbüchse von Elfenbein, in griechischer Arbeit kunstreich geschnitten, zwei miteinander kämpfende geschuppte Drachen vorstellend; das warf sie hin, um nur endlich frei zu werden.
»Nicht so unfreundlich!« mahnte nun die Mutter Fürstäbtin, welche das Nadelbein aufhob und es ihr wiedergab; »in guten Treuen gib es ihm hin, daß er auch Freude daran haben kann!«
Diese Ermahnung wurde von allen Anwesenden unterstützt und wiederholt. Fides gab ihm das Büchslein in die Hand und floh dann aber schleunigst aus dem Saale.
Johannes hielt das Elfenbein so fest in der Faust, als ob er ein [82] Knöchlein des heiligen Petrus selbst erwischt hätte, und machte sich damit beiseite, während die Fürstin sagte »Es nimmt mich wunder, daß sie es ihm gegeben hat; denn ein Vorfahr hat es übers Meer gebracht, und sie trägt es von Kindesbeinen auf in der Tasche herum.«
Wenn Johannes ein Schneider hätte werden wollen, so wäre er jetzt wenigstens im Besitz einer Nadelbüchse gewesen; sonst verspürte er keinen weiteren Nutzen noch Fortschritt seiner Minnesachen seit dem glückseligen Jagdvergnügen. Es war, als ob Fides aus der Welt verschwunden wäre oder nie gelebt hätte; er sah sie nirgends und hörte sie nie mehr nennen; selbst als er nun einen großen Leich dichtete, erwähnte nicht einmal Herr Manesse derselben, und zwar aus dem Grunde, weil er ihn nicht einmal zu sehen bekam und Fides das betreffende Büchlein wie die andern Briefe, die sie von Johannes erhielt, jenem nicht mehr abgab und niemand mehr wußte, was sie damit machte. Auch als Hadlaub nun in die Fremde zog, erhielt er kein Lebenszeichen, und niemand fragte, ob er nicht Abschied von ihr nehmen möchte; denn es war für gut befunden worden, daß er sich in der Welt umsehe, wozu verschiedene Besorgungen, die man ihm auftrug, Gelegenheit boten. Voraus war es nötig, an Ort und Stelle, wo man noch fehlende Teile für die Liedersammlung zu finden hoffte, selbst nachzugehen, und die vorhandenen Lücken wiesen in dieser Hinsicht nach dem Osten und dem Laufe des Donauflusses hin. Johannes war nun in der Angelegenheit hinlänglich bewandert und dazu angetan, das Werk zu fördern, welches er als seine eigene Sache betrachtete. Überdies sollte er bei der königlichen Kanzlei gewissen Geschäften nachgehen, so die Männer von Zürich anhängig hatten, auch die Sachen des Bischofs Heinrich besorgen, welcher als ehemaliger Kanzler des hingeschiedenen Rudolf zuweilen noch den Sohn Albrecht beriet, um die Kinder Rudolfs, soviel an ihm lag, in den glücklicheren Bahnen des klugen [83] und menschenfreundlichen Vaters zu erhalten. Dergleichen Aufträge wußte Johannes mit Geschick und Bescheidenheit auszurichten und, ohne sich vorzudrängen, aufzumerken, wo die Dinge jeweilig blieben.
Der Bischof gab ihm ein Pferd, Herr Manesse schenkte ihm schönes Gewand, und der Vater versah ihn mit Reisegeld, da er nicht wollte, daß Johannes ganz von den Herren abhinge. Er hatte auch gute Geleitsbriefe von Ort zu Ort, daß er überall wohl aufgenommen war, als er jetzt quer durch Schwaben und Bayern ritt und schließlich mit seinem Rößlein auf einem Donauschiffe unterstand, um vollends durch Österreich hinunterzufahren. Überall in Städten, Schlössern und Hochstiften war er eifrig dabei, abzuschreiben und weitere Kunde zu erwerben, so daß er, ehe er nach Wien kam, von dem einzigen Walther von der Vogelweide gegen zweihundert neue Strophen beieinander hatte, die wenigstens auf dessen Namen umliefen und noch nicht im Buche zu Zürich standen.
Zu Wien hielt er sich fast ein Jahr auf; dort fand er hauptsächlich die breiten Spuren Neitharts von Reuenthal, der etwa siebzig Jahre früher am Hofe Friedrichs des Streitbaren sein Wesen getrieben hatte. Die Sehnsucht, mit welcher seine ungestillte Minne in der einsamen Ferne ihn erfüllte, wurde in seltsamer Weise zuweilen gemildert durch den Gegensatz der ländlichen Dichterei Neitharts, der Poesie der Dörper, der derben Tanzmägde, Dorfsprenzel und Dorfrüchel. In trotziger Stimmung verfiel er selbst in solchen pastoralen Ton, und in einem ersten Liede, das er zu Wien abfaßte, verglich er die Mühsal der ungetrösteten Minner mit der harten Arbeit der Waldköhler, welche hacken und reuten müssen, der Fuhrleute, die in Regen und Wind sich unaufhörlich abplagen, die versunkenen Karren aus dem Schlamme zu heben, in dem sie fluchend steckenbleiben; das Herz solcher Liebhaber, von der Liebe wie mit Zangen gekneipt, zapple unablässig in der Brust, wie ein sperriges schreiendes Ferkel in einem Sacke.
[84] Dann trat wohl das Heimweh hinzu, und er sah das frohe Landleben auf der väterlichen Berghöhe und pries es in den neuen Tönen. In Ernteliedern, die er sang, hieß es nun urplötzlich »Nun bindet eure Zöpfe und setzt Kränzel drauf, feste Dirnen, die Ernte ist da! da gibt es Freuden genug und fröhliche Spiele mit den Knechten auf dem Stroh, dies- und jenseits des Baches, die man kann, ohne sie gelernt zu haben. Käme mir jetzt ein Lieb gelaufen, wahrhaftig, ich machte mich mit ihr in die Scheuer und wäre alle Sorgen los!«
Wiederum in neuem Tone sang er das Wohlleben des Herbstes, als ob er der üppigste Fresser wäre »Ho ho! schüret nun das Feuer gut, laßt den Hafen überwallen von Fett, das weiße Brot zu tunken! Würste, Schinken, süßes Hirn, gut Gekröse, Därme, Bletze, feisten Schweinebraten her, daß in der heißen Stube den Knappen und den stolzen Mägden die glühenden Stirnen glosten! dann neuen Wein genug darauf und wieder Kragen, Magen, Haupt und Füße, siedend brodelnd! Wer trauren will, der bleibe von uns Essern fern, die voll von Freuden und allem Guten sind; wer sich aber mästen will, der komme her, gute Tracht macht das Gesinde fett! Wirt, mach die Stube heißer, sende Gänse und gefüllte Hühner, gesottene Kapaunen, auch lasse Tauben schlagen und Fasanen schießen, daß dem Herbst seine Ehre geschieht! Laß den Hafen wallen, recht Salz hinein, daß wir baß dürsten und die Köpfe glühen, als hätte man sie angezündet!«
Freilich schloß er diese Üppigkeiten gewöhnlich mit einer zarten Wendung nach der feineren Seite hin, indem er bedauerte, daß der nahende Winter bald den Vöglein wehe tun und die Schönheit der geliebten Frauen verhüllen werde mit warmen Kappen, Pelz und Tüchern, kaum die Nasenspitze noch frei lassend, so daß ihre schmachtenden Liebhaber doppelt sehnsüchtig den Frühling erharren müßten, wo die Holden wieder auf dem Anger sichtbar würden. Allein dergleichen Abgesang schien nur anstandshalber den Schweinebraten, den Schafmägen [85] und Klobwürsten lose angehängt zu sein und konnte kaum über die Vergröberung des Hadlaubschen Liedergeistes täuschen.
Um die neue Kunstweise recht akademisch und epigonenhaft zu studieren, ging er sowohl in der Stadt als in den schönen Landschaften von Wien den Vergnügungen des Volkes nach und stand überall hinzu, wo gefiedelt, getanzt und gezecht wurde. Ein uralter Spielmann, der das Land an der Donau durchfuhr und in Wien mit Johannes in der gleichen Herberge wohnte, war dabei sein Führer. Dieser alte Spielmann hatte die sonderbare Eigenschaft, daß er seine Herkunft und seinen Namen gänzlich vergessen, wie er sagte, seit einem Sturz, den er vor mehr als fünfzig Jahren getan, und es haftete in seinem Gedächtnisse auch kein neuer Name, den man ihm gegeben oder um den er gebeten hatte. Einen solchen wiederholte er einige Male, um ihn sich einzuprägen; sobald aber die kleinste Frist vorüber, hatte er ihn verloren und nannte den Namen dessen, der ihn gegeben. Alles war ihm bekannt, nur nicht die Namen seiner Eltern, seiner Heimat und sein eigenes Schicksal vor jenem Fall. Er konnte lesen, aber nicht mehr schreiben und besaß ein ledernes Ränzchen voll verblichener und abgegriffener Liederbüchlein, die alle vor langen Jahren schon geschrieben sein mußten, sein einziges Eigentum außer einer kleinen Harfe, deren Holz von urlangem Gebrauche so dünn wie Papier geworden und vielfach geflickt war mittelst aufgeleimter Leinwandstreifchen. Sein Gewand war verschossen und farblos, sein langer Bart, der silberweiß gewesen, fing stellenweise an, gelb zu werden. Der Kopf war vollständig kahl, aber von zierlichster Form und glänzend wie eine kleine Kuppel von Elfenbein, freilich selten sichtbar; denn sein Haupt war unausgesetzt von einem breiten, abgeschabten Pelzhüte bedeckt, in dessen Schatten der Alte wie unter dem Dache des vergessenen Vaterhauses zu wohnen schien; die tiefliegenden Äuglein schimmerten wenigstens so wohnlich unter dem dunklen Rande wie die [86] Fensterchen unter einem Strohdach. Aus diesem verwitterten Wesen heraus klangen aber mit hellem Tone eine Menge Lieder, und das kleine baufällige Saitenspiel begleitete den Gesang mit auffallender Kraft.
Für Johannes Hadlaub ergab sich indessen keine große Ernte; denn die Lieder, welche der Alte sang, waren fast alles Volkslieder, die schon vor der Zeit des höfischen Kunstgesanges entstanden oder während dieser Zeit in den Niederungen der Gesellschaft geboren waren und niemals einen Namen trugen. Auch in der Form erschienen sie so altertümlich und einfach, daß Johannes sie für seine Zwecke nicht brauchen konnte und es aufgab, den grauen Spielmann für die Sammlung auszubeuten. Dennoch folgte er ihm gerne, wenn er über Feld zog und ihm mitzukommen winkte; er liebte den seltsamen Alten, und dieser war ihm hinwieder zugetan wegen seines gutmütigen und sittsamen Wesens, das von der Wildheit der Menschen vorteilhaft abstach, bei denen er seinen Erwerb suchte.
Das uralte Singmännlein war nämlich erst sehr spät erwerbslustig geworden, als die lebenslange Armut endlich an ihm die Kraft verloren und das Spiel aufgegeben hatte. Einst inbesonders vertraulicher Laune, zeigte er dem jungen Freunde im größten Geheimnis ein Beutelchen voll Gold und Silber, das er unter seinem Gewande verborgen trug, und bekannte ihm, er sei von der Fortuna, die ihn so lang verfolgt, glücklich vergessen worden und sammle nun, unbeachtet von ihr, nicht faul, was ihm reichlich zufalle, und halte sich ganz still dabei, damit die Vettel nicht doch wieder aufmerksam werde. In der Tat wurde ihm auch allenthalben, wo er sang und aufspielte, seines Alters wegen reichliche Gabe zuteil. Fragte Johannes den Alten, für wen er denn so eifrig sammle und spare, so erwiderte er, es könne ihm noch einmal einfallen, wie er heiße und woher er sei, und dann wolle er heimgehen und habe den Seinigen doch etwas mitzubringen.
[87] Eines Tages gingen sie auf das Tulner Feld hinaus, wo eine große Kirchweih mit Messe und Spektakel aller Art stattfand. Kriegsleute, Bauern, Bürger aus der Stadt, Frauen, Dirnen trieben sich da bunt durcheinander; an allen Ecken war Musik, Spiel und Tanz und dampften die Kessel und Backpfannen. Der Alte bat den Johannes, ihn nun allein zu lassen bis zum Abend, weil er ihm mit seinem schönen Gewande die Freigebigkeit verscheuche; Hadlaub sah daher nur ab und zu nach ihm und wurde im übrigen nicht müde, sich unter dem Volke herumzutreiben, was nicht ohne Gefährde blieb. Viele der Bauern waren übermütig und närrisch herausgeputzt mit bunten Wämsern und Bändern; sie trugen große Schnurrbärte und vorn zu jeder Seite des Gesichtes eine lange, rothaarige oder pechschwarze Locke, die bis zum Gürtel herunterhing; dazu waren sie mit mächtigen Schwertern, Dolchen und anderen Waffen behangen, um zu prahlen und den Soldaten zu trotzen, wenn diese ihnen die ebenso bunten Dirnen abjagen wollten. Ihre prunkende Grobheit und Händelsucht kehrten sie dann gegen jeden heraus, der sie nur betrachtete.
Johannes gesellte sich zu einer Truppe lustiger Schüler, welche die guten Weine aufsuchten. Ein Kloster ließ einen solchen ausschenken, der dem jungen Manne bald in den Kopf stieg. Durch die Aufregung wachte seine alte Liebeskümmernis auf und zugleich eine verwegene Lebenslust, die mit jener im Streite lag. Er überbot womöglich die Schüler in Keckheit und Mutwillen. Singend zogen sie umher und fanden ihre Lust vorzüglich darin, den schönen Städterinnen, welche nach dortiger Mode eine Art überbreiter Hüte trugen und damit umherspazierten, unter diese Hüte zu gucken, um des Anblicks ihrer Gesichter teilhaftig zu werden, was sonst unmöglich war. Bekanntlich hat er in einem Liedchen diese österreichischen Frauenhüte besungen und gewünscht, daß sie alle die Donau hinunterschwimmen möchten. Es gab nun manchen freundlichen Scherz, und manchen lieblichen Blick bekam Johannes, was dem [88] Ungetreuen höchlich gefiel, so daß er immer kecker unter die Hüte schaute, um den traulichen Glanz zu suchen. Zuletzt aber entstanden Händel. Junge Handwerker traten den Schülern entgegen, der Lärm und die Kriegslust verbreiteten sich, Soldaten gerieten hinter die Bürger und die Bauern hinter jene, und mit der eintretenden Dunkelheit war die Kirchweih in eine Schlacht verwandelt und das Feld voll Staub, Geschrei und Blutvergießen.
Johannes hatte seine Gesellen längst verloren. Ganz ernüchtert, aber mit zerrissenem Rock und blutendem Gesicht entzog er sich dem Getümmel, dessen bavarische Rauheit ihm ungewohnt und erschreckend war. Besorgt suchte er in der nächtlichen Verwirrung den alten Spielmann; er fand ihn an der Straße nach Wien mit blutigem Kopfe bewußtlos liegen; seine Kleider waren ihm vom Leibe gerissen und das hübsche weiße Schädelrund zerstört, zerschlagen, wie auch die alte kleine Harfe, mit welcher er sich gewehrt haben mochte; denn er war beraubt, sein Schatzbeutel ihm von dem Riemen geschnitten.
Johannes brachte den armen Alten mit Sorge und Mühe nach der Herberge. Dort kam er nochmals zum Bewußtsein; er schien über seinen verlorenen Namen nachzugrübeln, schüttelte seufzend den Kopf, indem er stammelte: »Ich bring's nicht mehr heraus!« und bat Johannes, daß er seine Ledertasche mit den Liedern an sich nehmen und behalten möchte, worauf er den Geist aufgab.
Am anderen Tage untersuchte Johannes das Häufchen beschriebenen Pergamentes genauer, das vor ihm lag. Heutzutage würde man für jedes der verblichenen Büchlein und Röllchen, Stück für Stück, hundert rheinische Gulden bezahlen; Johannes dagegen wußte nicht viel damit anzufangen, da er ein einziges Heftchen fand, das einen Namen trug. Es war das Dutzend kleiner Lieder des von Kürenberg, die wir kennen in ihrer altertümlichen Gestalt, Erzeugnisse eines wirklichen und ganzen Dichters, deren Ursprünglichkeit und Schönheit Hadlaub [89] empfand. Erstaunt ahnte er in diesen kleinen Proben einen von hundert anderen Sängern unterschiedenen Geist, der in unbekannter Einsamkeit waltete, und der tote Spielmann, der diesen Namen allein aufzubewahren für würdig gehalten hatte, erschien ihm erst jetzt in einem geheimnisvoll ehrwürdigen Lichte. Er kehrt zu größerem Ernste zurück, und da seine Zeit überdies vorüber war, so packte er seine Erwerbungen zusammen und wanderte wieder der Heimat zu.
Auf seiner Straße dahinziehend, überdachte er bald freudig, bald traurig, wie es wohl um die Fides stehen möchte und wie er sich zu ihr zu verhalten haben werde, in welcher Hinsicht er freilich keine großen Hoffnungen hegte. Allein vorderhand empfand er die stärkste Sehnsucht, sie nur einmal wieder zu sehen, wie man in dunkler Zeit des Sonnenscheins bedürftig ist, auch wenn man keinen eigenen Weinberg besitzt, der daran reifen soll.
Er fand aber die Dinge nicht mehr vor, wie er sie verlassen hatte, als er endlich in der Heimat anlangte. Das Lehen war jetzt auf Fides übertragen durch die Bemühungen des Bischofs, und sie saß als Freiin von Wasserstelz auf der Burg am Rhein, einsam, wie einst ihre Mutter. Denn sobald sie ihre eigene Herrin geworden, war sie hingezogen und hielt sich die meiste Zeit dort auf, ohne sich dareinreden zu lassen. Die Burg war in jenen Tagen größer als jetzt; statt des Schlößchens mit dem achteckigen Oberbau und dem kleinen Garten nahm sie damals den ganzen Grundfelsen im Fluß ein mit starken Mauern und Türmen. Außer einigen Dienerinnen, die sie aus ihrer geringen Herrschaft im Dorfe zu Fisibach genommen, hatte Fides noch ein paar feste Knechte in die Burg gezogen, die ihr nebst den streitbaren Leuten in der Schloßmühle genugsamen Schutz gewährten. Mit der bösen Muhme Mechthildis auf Weiß-Wasserstelz stand sie übrigens in leidlichem Frieden. Nachdem diese endlich eingesehen, daß das Erbe ihrer Schwester für sie jedenfalls [90] verloren sei, beschränkte sie sich darauf, die junge Frau auf Schwarz-Wasserstelz das »saubere Kräutchen« und das »schöne Unkraut da drüben« zu nennen, verschmähte aber dabei nicht, ihr Korn in der Mühle mahlen zu lassen und das Mehl selbst zu holen in ihrem Schiffchen, da Fides sie jedesmal gut bewirtete.
Bald nach Hadlaubs Rückkehr waren im Haus Manesse Gäste geladen, denen der zufriedene Herr Rüdiger die poetische Reisebeute des jungen Meisters vorwies. Es wurde über die Beschaffenheit und Echtheit der einzelnen Teile Ratschlag gehalten und dies oder jenes Stück versuchsweise vorgetragen, um Ton und Weise festzustellen, wobei Johannes selbst Hilfe leisten mußte. Es waren meistens die bekannten Herren da; mitten in der Unterhaltung trat aber eine für Johannes neue Erscheinung auf, die seine höchste Aufmerksamkeit erregte.
Es war der Graf Wernher von Homberg auf Rapperswyl, ein junger Mann von ungefähr zwanzig Jahren, hoher und prächtiger Gestalt und von Ansehen schon ein vollendeter Ritter, fest und gemessen auftretend, kühn und feurig von Blick, derselbe, der nach Albrechts Tode noch bei jungen Jahren unter König Heinrich von Lüzelburg Reichsvogt in den drei Ländern der Urschweiz, dann oberster Reichsfeldhauptmann in Italien und Führer des lombardischen Ghibellinenbundes wurde und durch seine Kriegstaten sich auszeichnete. Wenn er in Waffen erschien, so war er mehr als sieben Fuß hoch, denn über seinem Helme wölbten sich die weißen Hälse des Wandelburger Doppelschwanes empor, die funkelnden Rubinringe in den Schnäbeln und solche Steine in den Augen, während der goldene Schild die Hombergischen Adler von schwarzem Zobel zeigte. Mit gleichen Schilden war der lange, faltige Waffenrock übersäet, und das Schwert ging ihm nieder auf die Sporen wie einem jungen Siegfried.
Als dieser glänzende Ritter jetzt mit sicherer Hand in die Unterhaltung eingriff und sich mit wenigen Worten als sangeskundigen [91] Mann erwies, sah ihn Johannes vollends mit großen Augen an, bis man ihm in die Ohren raunte, daß der Graf schon an mehr als eine Frau Lieder gerichtet habe und im Geruche stehe, zur Zeit die schöne Fides von Wasserstelz in Minne zu besingen. Johannes erblaßte; diese Neuigkeit, so natürlich sie sein mußte, war ihm allzu neu, und er stand ratlos vor derselben. Obwohl er mit sehr unbestimmten oder gar keinen Hoffnungen liebte, so war er bis jetzt doch nicht gewöhnt gewesen, Rivalen neben sich zu sehen; und obgleich mit dem Erscheinen des ersten noch nicht gesagt war, daß dieser ohne weiteres die Braut heimhole, so fühlte er doch unverweilt den Ruck, den es in einem Verliebten tut, wenn unerwartet der Fremde, Unbekannte, Widerwärtige vor ihm steht, der nach seiner Meinung der Sache gelassen ein Ende machen könnte.
Daß dieser Graf, gerade weil er ein vornehmer Ritter war, vielleicht gar keine ernsten Absichten, wie man heute sagen würde, mit seinem Minnedienste verband, nach alter Sitte, da man nicht freite, wo man minnte, das konnte ihm nicht möglich scheinen. Und das war ihm um so eher zu verzeihen, als er in der Folge wohl bemerkte, wie die Freunde, voran die Eltern der Fides, diesmal ein ernstes Spiel und ihr die verhoffte Lebenswendung herbeizuführen wünschten.
Seinerseits hatte auch der junge Dynast von der Person Hadlaubs, dessen Verhältnisse und Minnetaten er bereits kannte, Notiz genommen und betrachtete ihn nicht unfreundlich lachend von oben bis unten. Je mehr er aber sich den hübschen Meister mit den leuchtenden Augen besah, desto ernster und kälter wurden seine Züge, und als dieser ihm unabsichtlich auf einer Treppe nahe kam, machte er beinahe mit der Faust eine jener zornigen Bewegungen, mit welchen er später geharnischte Guelfen im Genick packte und sie auf ihrem Pferde und samt demselben davonjagend gefangennahm.
Auch andere von den Rittern, welche früher freundlich gegen Johannes gewesen, änderten ihr Benehmen, und mehr als einer [92] von den Dynasten sah ihn halb drohend an, wenn er sich mit Rede oder Bewegung vorwagte.
Nur Herr Rüdiger Manesse blieb in seiner ruhigen und sichern Gunst gegen ihn beharren, und auch Bischof Heinrich, als Johannes bei ihm zu verkehren hatte, war fast leutseliger als zuvor und munterte ihn sogar auf, mit seiner Liederkunst nicht nachzulassen und sich in dem edlen Frauendienst, als der Quelle aller schönen Übung, ja immer mehr auszubilden. Der schlaue Staatsmann dachte hiedurch den persönlichen Wert der Tochter klüglich zu unterstützen und den zögernden Grafen anzureizen.
Der bekümmerte Johannes, der aus dem Wirrsal von Liebesleidenschaft und Widerspruch der Welt keinen andern Ausweg fand, als sich zunächst wieder an den Ursprung seines Übels zu wenden, befolgte den Rat des Bischofs und sandte der Herrin kurz hintereinander neuerdings einige Boten, d.h. Liebeslieder, was er von der Burg des Regensbergers aus ins Werk setzte, wenn er bei diesem beschäftigt war. Der Freiherr hielt auch noch zu ihm; er war mehrfach von den Zürichern abhängig, und als ein zur Ruhe gesetzter Dynastensproß, dessen einst mächtiger Oheim schon im Schutz und Weichtilde der Stadt Zürich gestorben, kannte er die Vergänglichkeit aller Größe; und überdies hielt er dafür, daß der junge Graf Wernher, dessen vereinigtes väterliches und mütterliches Haus jetzt noch groß und hochstehend war, während die Güter desselben auch schon schwanden, schwerlich auf eine Heirat mit der nur wenig begüterten Fides denken, vielmehr bestimmt sein werde, seine glänzende Person in dieser Hinsicht so vorteilhaft als möglich zu verwerten.
So gewährte es ihm einiges Vergnügen, dem Grafen Wernher in der Gestalt des bescheidenen Meister Hadlaub einen Rivalen zu unterhalten, soviel an ihm lag. Doch warnte er diesen vor der leicht ausbrechenden Gewalttätigkeit Wernhers, der eifersüchtig und zum Zorne geneigt sei und, soviel man habe beobachten [93] können, die Umgebungen des Wasserschlosses in neuester Zeit heimsuche und bewachen lasse. Hierin werde er von anderen Herren unterstützt, die es nicht dulden wollen, daß ein bürgerlicher Singmeister und Schreiber offenkundig einer Freiherrin nachstelle.
Der Verdacht der Nachstellung beleidigte fast den harmlosen Johannes; wie er aber auf der Rückkehr von der Veste Regensberg die erhaltenen Winke erwog und die Sache überlegte, erwuchs daraus gerade das Verlangen, dem Verdachte und den Drohungen Trotz zu bieten und um jeden Preis wieder einmal nach dem Anblicke des geliebten Wesens zu trachten, den er nun schon länger als ein langes Jahr entbehrte.
Und wie er mit solchen Gedanken in der Abenddämmerung die Stadt betrat und an den Flußmühlen vorbeiging, näherte sich ihm ein junges Müllerknechtchen, das ihm geheimnisvoll einen Brief in die Hand schob. Er erkannte den Gesellen als einen Angehörigen der Propstei und erinnerte sich, daß derselbe kürzlich gewandert war. Der Bursche sagte nichts, als daß er zuletzt in einer Rheinmühle unterhalb Kaiserstuhl gewesen sei und dort von der Müllerin den Brief zur sicheren Bestellung erhalten habe.
Johannes eilte mit dem Briefe pochenden Herzens nach Hause; er ahnte etwas höchst Gutes und Merkwürdiges, ohne doch das Rechte zu erraten in seiner Bescheidenheit; denn es war nichts anderes als eine Botschaft der Fides selbst als Antwort auf seine letzte Sendung. Der Brief lautete:
»Der Meister, so das Nadelbein hat und unermüdlich Briefe sendet, mag seine Rede verantworten und, wenn er meint, entschuldigen vor der, welche es angeht. In der Nacht vor Kreuzerfindung wartet seiner ein Schifflein bei der Fähre zu Rheinsfelden. Aber auch dorthin muß er ungesehen kommen und dem Schiffsmann die zwei Drachen weisen, im übrigen gewärtig sein' daß er Leib und Leben verlieren kann.«
[94] Der Tag der Kreuzerfindung ist bekanntlich der dritte Mai, und da jetzt schon der letzte April war, so hatte Johannes keine Zeit mehr zu verlieren, wenn er die Fahrt wagen wollte. Was für eine Fahrt und was für ein Wagnis?
Das war nun freilich dunkel wie der Inhalt der Botschaft. Ging er einem Verrat entgegen oder dem Glücke, das er sich trotz seiner Meisterschaft in allen möglichen Tage- und Wächterliedern nur als etwas höchst Fragliches und Fabelhaftes vorzustellen vermochte? Gleichviel; mit allen Zweifeln, die sein Herz bestürmten, bereitete er sich wie zu einer langen und gefahrvollen Reise vor; er räumte seine Sachen sorgfältig zusammen und verwahrte jedes an seinem Ort, damit alles leicht zu finden wäre, wenn er nicht wiederkehrte, als ob er den Orkus beschreiten müßte. Dann suchte und prüfte er Waffen, legte sie aber weg, da ein sonniges Vertrauen die Oberhand gewann und er es für besser erachtete, dem Abenteuer unbewaffnet entgegenzugehen.
Dafür rüstete er sauberes Gewand und einen Reisemantel und ging an dem bestimmten Tage um die Mittagsstunde ganz still und unbemerkt von dem Hofe seines Vaters hinweg quer durch Gehölze und Feldwege hinüber nach den Höhen des untern Tößtales, wandte sich dort nordwärts und wanderte durch die Wälder, bis er am Abend in dem Rheinwinkel bei den Tößrietern anlangte. Dort warb er einen Fischer, der ihn in seinem Kahne mit einbrechender Nacht den Rhein hinunterfuhr, unter der Brücke von Eglisau hindurch, bis wo die Glatt neben dem Burgstall derer von Rheinsfelden einmündete und ein Fährmann die Leute über den Fluß setzte. Der war aber jetzt im Bette, und auch das Schlößchen war bis auf ein einziges Fensterlein dunkel. Johannes belohnte den Fischer und stellte sich, als ob er landeinwärts gehen wollte, so daß jener arglos seinen Kahn wieder rheinaufwärts schaltete. Gleich nachher legte ein Schifflein, das von unten her kam, sich ans Ufer; Johannes trat hinzu und zeigte dem Schiffer, welches der weiße Müller von [95] Schwarz-Wasserstelz war, das elfenbeinerne Nadelbüchslein, worauf dieser ihn eintreten ließ und ihn weiter den Rhein hinunterführte.
Die waldigen Ufer links und rechts waren still wie das Grab. Der Vollmond stand am Himmel und verwandelte den Rhein in eine wallende Silberstraße; das Ruder des Fährmanns troff unaufhörlich von funkelndem Silber; doch fuhr das Schifflein unbehelligt zu Tale, selbst an Kaiserstuhl und Röteln vorbei, wo Stadt und Schloß noch bei Lichte und voll Geräusch waren. Auf der Brücke sogar schienen noch Reisige zu stehen und plaudernd an der Brustwehr zu lehnen.
Jetzt hatten sie noch eine kleine Weile zu fahren, und die Burg der schönsten Fides stieg, vom Monde beschienen, unmittelbar aus den ziehenden Wellen. Oben schienen viele Lichter zu brennen, die Fenster der Maiennacht geöffnet und Menschen versammelt zu sein. Immer stärker schlug Hadlaubs Herz, daß ihm beinahe der Atem verging, als der Schiffer jetzt auf der äußern, dem jenseitigen Ufer zugekehrten Seite anlegte, wo aus einem kleinen Pförtchen eine schmale Steintreppe ins Wasser ging.
Der weißliche Schiffer pochte leise an dem Pförtchen; dasselbe öffnete sich geräuschlos und schloß sich sofort hinter dem eingetretenen Johannes, der im Dunkeln von der Hand einer unsichtbaren Person ergriffen, eine Treppe hinuntergeführt und in ein finsteres Verlies hineingestoßen wurde, dessen Türe man dreifach verschloß und verriegelte.
Der eingesperrte Johannes tappte herum, bis er auf einen hölzernen Schragen stieß, der die für eine Frau unwirtliche Einrichtung einer Gefangenschaft zu verraten schien. Als er sich aber auf das Gerüste niedersetzte, bemerkte er, daß der Kerker bis jetzt in einem friedlicheren Sinne benutzt worden, da Apfel ausgebreitet lagen, welche er zur Seite schieben mußte, um Platz zu gewinnen. Durch die Mauer des Gefängnisses hindurch hörte er das Rauschen des Rheinwassers und konnte daraus [96] auf die Tiefe des Loches schließen, in welchem er saß. Wie einst Herr Walther von der Vogelweide schlug er die Beine übereinander, stützte den Ellenbogen darauf und das Kinn auf die Hand; er konnte jedoch nichts heraussinnen, als daß er kürzlich noch in der schönsten Maiennacht auf dem grünen Rheine gefahren sei, voll süßen Ahnens, und jetzt im Finstern sitze, allerdings in der Nähe der Geliebten. Er fühlte auch keine rechte Beängstigung und begann von den Äpfeln zu essen, da er seit zwölf Stunden nichts mehr genossen.
Oben in den Räumen des Lichtes aber saß der Fürstbischof von Konstanz, der im Schlosse Röteln und zu Kaiserstuhl mit seinem Gefolge lagerte und den Herrn Grafen von Homberg und Rapperswyl mitgebracht hatte. Sie waren unerwartet erst am Abend heranspaziert gekommen und blieben bis nach Mitternacht. Der Bischof war besorgt, die ernste Wirtin, die es an nichts fehlen ließ, aufzuheitern und zugänglich zu machen; auch war sie seit etwa einer Stunde in sichtlich zufriedener Laune, was der Fürst der vollkommen ritterlichen Weise zuschrieb, mit welcher der junge Graf sich um sie betat. Wäre die Frau Fürstäbtissin dabeigewesen, so hätte sie wiederum gedacht O törichter Mann! Denn sie würde zu ihrem Mißfallen wohl bemerkt haben, daß Herr Wernher nicht Augen machte wie einer, der eine Frau sucht, sondern wie einer, dem es um einen geheimen, verwegenen und süßen Frauendienst zu tun ist und sich demgemäß mit zarter Vorsicht benimmt.
Endlich brachen die beiden Gäste auf und wurden ans nahe Ufer übergesetzt, wo Diener mit Fackeln bereitstanden, ihnen heimzuleuchten.
Als Fides von ihrer Burg aus sah, daß sie weit weg waren, und die Landschaft ganz still geworden, stieg sie mit einer Magd in den Turm hinunter, in welchem Johannes gefangenlag, und schloß das Steingemach selber auf. Sie trat errötend hinein, die Ampel in der Hand, und beleuchtete den still Dasitzenden, um zu sehen, ob er's wirklich sei.
[97] »Man hat Euch übel empfangen, Meister Johannes!« sagte sie hierauf mit halb verhehltem Lächeln, »und ich muß Euch sogar noch länger in Gewahrsam halten, bis ich Eure Angelegenheit an Hand nehmen kann; denn es ist eine Gefahr für Euch um den Weg. Aber Ihr sollt wenigstens ein besseres Logement beziehen, wenn Ihr dieser Person hier folgen und mir versprechen wollt, Euch dort so lange still zu halten, als ich es für gut finde!«
Johannes war schon aufgestanden und sagte »Ich fürchte mich nicht und vermag abzuwarten, was daraus werden soll. Solang ich in Eurer Nähe bin, so lang leb ich!«
Fides war aber schon wieder fort. Die Magd führte ihn nun im gleichen Turme viele Treppen hinauf in ein kleines Gemach, das mit einem Bette, Tisch und Stühlen versehen war, holte ihm Speise und Trank, und als er nichts mehr bedurfte, schloß sie die feste Türe von außen zu und brachte den Schlüssel ihrer Herrin, die nun auch zu Bette ging und den Schlüssel unter ihr Kopfkissen legte.
Johannes schlug sich die wenigen Stunden bis zum Morgen wohl durch hundert Träume hindurch, die sich unablässig jagten und ihn stets an die Schwelle des Erwachens drängten. Wegen der Ermüdung erwachte er aber nicht, bis die ersten Strahlen der Morgensonne in die Kammer schienen. Denn die Burg hieß Schwarz-Wasserstelz, weil sie den ganzen übrigen Tag hindurch im Schatten der hohen Uferhalden stand. Johannes sah nun, daß sein Fensterchen nach Osten den Rhein hinauf ging und jeder Beobachtung entzogen war.
Bald kam wiederum die Magd, um ihm die nötige Pflege angedeihen zu lassen, deren schweigende Übung sie nicht hinderte, den Gefangenen prüfend zu betrachten. Auch Hadlaub faßte sie ins Auge, um dem Rätsel seines gegenwärtigen Daseins näherzukommen. Es schien eine an ruhigen Gehorsam und Ordnung gewöhnte, aber auch wohlgehaltene, nicht unzufriedene Person von guten Sitten zu sein, was nach der Weltkenntnis, [98] die er bereits erworben, nicht auf eine Herrin von bösem Wesen oder auf ein Haus raten ließ, in welchem grausame und ungeordnete Dinge vorfielen. Den Kopf hielt er deshalb einstweilen für gesichert; desto ungewisser sah es mit dem Schicksal seines Herzens aus, sonderlich da er zu bemerken glaubte, daß die Magd im Hinausgehen ein gewisses Lachen unterdrückte.
Sie schloß ihn wieder ein und übergab den Schlüssel abermals der Herrin, welche ihn in die Tasche steckte und den Grafen samt seinem Gefolge empfing, der bei guter Zeit sie nach Kaiserstuhl holte, wo der Bischof dem dortigen Schultheiß und übrigen Edelleuten sowie dem Vogt zu Röteln und andern Dienstmännern der Umgegend einen Hofhalt gab. Auch die schwärzliche Muhme Mechthildis war zugegen, und als am Nachmittage der Bischof aufbrach, um weiterzureisen, und die ganze Gesellschaft auseinanderging, bestieg Fides schnell mit ihr den Nachen von Weiß-Wasserstelz und entschlüpfte so dem Grafen, der sie durchaus wieder nach Hause geleiten wollte. Denn zu der schwarzen alten Hexe in den Kahn zu steigen, hielt er nicht für sicher, so mutvoll und tapfer er auch auf dem festen Lande war.
Er ritt daher für diesmal auch von hinnen, und Fides fuhr zufrieden den Rhein hinunter und ließ sich an dem gleichen Pförtchen aussetzen, an welchem Johannes gestern gelandet. Sie griff suchend nach dem Schlüssel in ihrer Tasche, indem sie kräftig an der Glocke zog, welche neben dem Pförtchen angebracht war.
Ein schönes Kind aus der Mühle hielt sich den größten Teil des Tages in der Burg auf; das nahm Fides an die Hand, als sie jetzt in den Turm hinaufstieg, um das Schicksal, das sie dort eingesperrt hatte, zu untersuchen und unter Umständen loszulassen. Nicht vom Treppensteigen, sondern von innerer Bewegung atmete sie stark, als sie die Kammer aufschloß. Ein Kind, das eine Spinne in einem Schächtelchen eingeschlossen [99] hält und den Deckel ein wenig lüftet, kann nicht ängstlicher gespannt sein, als Fides war. Sie setzte sich auf einen der niedrigen Stühle und hob das Kind auf den Schoß, dasselbe mit den Armen fest umfangend; es guckte freundlich und neugierig daraus hervor auf den nicht minder erregten Johannes, der sich auf ihr Geheiß ihr gegenüber niedergelassen hatte, so entfernt, als es die Enge des Gemaches erlaubte.
Nachdem sie einen ernsten Blick auf ihn geworfen und eine Weile nach Worten gesucht hatte, die eine unverfängliche Einleitung bilden sollten, sagte sie nun:
»Ihr habt mich zum Gegenstande Eueres Minnesingens gemacht und zum Vergnügen der wohlgeborenen Herren, ja meiner eigenen schwachen Eltern, ein artiges Spiel mit mir gespielt, ohne mich zu fragen, ob das mir auch wohl oder wehe tue! Was habt Ihr Euch eigentlich dabei gedacht?«
Johannes, der bislang nur seine Augen auf ihr hatte ruhen lassen, schlug sie jetzt errötend nieder und suchte seine Gedanken zu sammeln.
»E«, sagte er endlich, »wenn ich mich darauf besinnen soll, so habe ich immer nur das dabei gedacht, was in den Liedern eben steht, das heißt in denen, die Euch allein angehen, denn wie Ihr wißt, sind es zweierlei; es sind solche, die man selbst empfindet und erlebt und nicht anders machen oder unterlassen kann, und wieder andere, die man sonst so zur guten Übung hervorbringt, aus Lust am Singen und gewissermaßen zum Vorrat! So wißt Ihr ja selbst, daß ich zum Beispiel keine Ursache zu Tageliedern habe und in meiner Torheit doch solche singe!«
»Ungefähr weiß ich das!« erwiderte Fides; »das bringt mich nun eben auf die Sache! Wenn es allenfalls zu dulden ist, eine Frau zu besingen, die es nicht hindern kann, so sollte man ihr zu Ehren wenigstens auf einem edleren Tone verharren und nicht die Dirnen auf dem Stroh und die gesottenen Schweinsfüße und den groben Bauerntanz neben jene Frau setzen. Wißt Ihr nicht, wie beleidigend das ist?«
[100] »Ich bitte Euch, mir diese Zuchtwidrigkeiten zu verzeihen«, antwortete Johannes mit aufrichtiger Bekümmernis; »ich habe sie schon bereut, obgleich ich sie nur in einem Unmute begangen habe, der von meiner verschmähten Neigung und von Eurer Härte herkam! Ich bin aber dafür schon gestraft worden, als ich in jenen gleichen Tagen alte Lieder fand, die mich mit meiner ganzen Singerei genugsam beschämten!«
»Wie das?« fragte Fides, und Johannes erzählte getreulich das Erlebnis mit dem alten Spielmann sowie den Fund des Kürenbergers.
»Ich will Euch ein einziges kleines Lied sagen«, fuhr er fort, »das tausendmal besser und schöner alle Sehnsucht und alles Weh enthält, die in mir sind, als alle meine Lieder und Leiche, obschon es eigentlich eine Frau ist, die spricht!«
Fides forderte ihn lächelnd auf, das Liedchen zu sagen, das wir jetzt allgemein kennen, damals aber verschollen war:
[101] Die schöne Herrin von Schwarz-Wasserstelz hatte gegen das Ende dieses einfachen Liedchens das Kind, das sie auf dem Schoße hielt und das sich spielend unruhig bewegte, wieder fester an sich gezogen und küßte ihm beide Wänglein, den Mund und den Nacken, um ihre Augen zu bergen, in welche Tränen getreten waren.
In diesem Augenblicke wurde sie von einer ihrer dienenden Frauen abgerufen, die ihr vor der Türe mitteilte, daß der Graf Wernher plötzlich wieder zurückgekommen sei und, die Überfahrt begehrend, mit sei nen Pferden vor der Mühle stehe. Fides gab schnell ihrem Gefangenen das Kind zu halten für eine kleine Weile, wie sie sagte, zog den Schlüssel der Kammer wiederum ab und begab sich, von zwei Mägden begleitet, unter das der Mühle gegenüberstehende Tor ihrer Burg, vor welchem schon der Graf im Schiffe angekommen und im Begriffe war hinauszuspringen.
Er hatte nämlich den Reisezug des Bischofs, der nach Zürich ging, wieder erreicht gehabt gerade in der Nähe des Lägerberges, als der Regensberger Herr Leuthold, der aus genannter Stadt nach Hause ritt, des Weges kam und nach stattgefundener Begrüßung beiläufig fragte, ob sich nicht der junge Hadlaub im Gefolge befinde. Derselbe sei seit einigen Tagen verschwunden, und man vermute, daß er beim Fürstbischof sich aufhalte. Sogleich wurde der Graf von Argwohn und Eifersucht ergriffen und auch der Bischof davon angesteckt, der anfing zu besorgen, der Singmeister könnte am Ende seine Harmlosigkeit verlieren und seine, des Bischofs, Pläne durchkreuzen. Sie wurden daher rätig, der Graf solle spornstreichs zurückreiten und die Fides einladen und in die Abtei zu Zürich bringen unter die Obhut der Frau Mutter.
Gestreckten Laufes war der Graf mit seinen Leuten davongeeilt und stand jetzt, wie gesagt, in dem schwankenden Nachen, im Begriffe, denselben zu verlassen; Fides jedoch erhob die Hand, in welcher sie den bewußten Schlüssel hielt, und [102] winkte ihm innezuhalten. Sie rief ihm anmutig lachend zu, er möchte sein Begehren oder seine Verrichtung vom Schiffe aus kundtun, da sie allein im Hause sei und ohne Verletzung guter Sitte keinen Ritter einlassen könne. Etwas unbesonnen wollte aber der Graf, anstatt zu sprechen, dennoch auf die Landungsstufen springen, als der Müller, der das Ruder führte, auf einen Wink der Fides das Schiff mit einem kräftigen Ruck drehte und wieder dem Ufer zuwendete. Im gleichen Augenblicke kam ein anderes Fahrzeug um die Ecke der Wasserburg geschossen, in welchem die Muhme Mechthildis saß, die kundschaften wollte, was da noch vorgehe. Denn sie hatte von ihrem Burgsitz aus gewahrt, daß noch Reiter angekommen seien. Ihr Schiff stieß nun so heftig gegen das eben im Kehren begriffene Schiff des Grafen von Homberg, daß dieser, der aufrecht stand, in den Rhein stürzte, zugleich aber auch die schreiende Dame über Bord fiel und sich an den badenden Ritter mit beiden Armen anklammerte. Mit einiger Mühe wurde das Paar von den Müllerknechten und Schiffern aus dem Wasser gezogen, ohne daß die Hexe von dem Ritter gelassen hätte.
Beschämt sah er, was für eine schöne Nixe er gefangen, schüttelte sich los und bestieg, von Wasser triefend, sein Pferd, jede Hilfe verschmähend, indem er rief: »Hole der Teufel das ganze Wassernest mit allen weißen und schwarzen Bachstelzen!« und ritt in einem Trabe nach Zürich, obgleich der Weg wohl fünf Stunden mißt.
Nie behelligte er mehr die schöne Fides; die Muhme aber wurde in der Mühle trocken gemacht, gewärmt und gepflegt, und sie fuhr noch in der Nacht über den Rhein zurück.
Inzwischen war Fides, als sie das Haustor wohl verschlossen, wieder in den Turm hinaufgeeilt, wo Johannes mit dem Kinde saß. Er hielt es auf den Knien und küßte es zärtlich auf beide Wänglein, den Mund und den Nacken, gerade wie Fides getan hatte; sie kam eben dazu und sah ihn so im Widerscheine einer[103] großen goldenen Abendwolke, die im Osten überm Rheine stand.
Wie sie ihm das Kind abnehmen wollte, hielt es schalkhaft lächelnd an ihm fest, so daß sie ganz nahe treten mußte, um die Ärmchen von seinem Halse loszumachen; das Kind bot ihr mutwillig das Mäulchen hin, daß sie es küssen sollte, und über diesem Spiele fielen sich die zwei großen Leute um den Hals und umfingen sich, das Kind vergessend, so eng, daß dieses stark gedrückt wurde, ängstlich zwischen ihnen hervorstrebte und in eine Ecke floh. Dort öffnete es den Mund und begann laut zu weinen, weil es glaubte, daß die zwei schönen Menschen, durch irgendeine feindliche Macht gezwungen, einander das größte Leid zufügten, sich schädigten und weh täten.
Das war aber keineswegs der Fall, obwohl sie unter ihren ungleichen, bald kurzen, bald langen Küssen sehr ernsthafte Gesichter machten. Vielmehr erhoben sie sich plötzlich, gingen ein paarmal in dem engen Raume herum und ließen sich gleich wieder auf ein Bänklein in der Mauervertiefung nieder, so daß ihre Häupter auf dem Goldgrunde des Abendhimmels schwebten, freilich so nah beisammen, daß auf der inneren Seite kaum zwischen den Hälsen etwas von dem Golde durchschien.
Erst jetzt bemerkte Fides endlich die Verzweiflung des Kindes; sie lockte es auf ihren Schoß zurück und trocknete ihm die Augen, ließ es aber bald wieder fahren, um den Johannes zu umhalsen, und das Kind saß jetzt frei auf ihren Knien und schlug fröhlich die Händchen zusammen.
Dann legte sie eine Hand auf das Herz des Mannes und sagte:
»Hier will ich nun mein wahres Leben aus Gottes Hand empfangen, hier meine sichere Burg und Heimat bauen und in Ehren wohnen!«
»Es ist dein rechtes Eigen und alles schon wohl gegründet und gebaut«, rief Meister Hadlaub; »aber ich stehe davor wie ein [104] geharnischter Wächter und werde es schützen für dich und mich bis zum Tode!«
Fides lauschte diesen Worten mit begieriger Aufmerksamkeit; denn sie klangen mit volltönender sicherer Stimme wie aus einer anderen als der bisherigen Brust, wie wenn sie wirklich aus Panzer, Schild und Helm hervorschallte, wie von der Mauerzinne einer festen Stadt herunter.
Indessen hatten sie unbewußt begonnen, das Kind gemeinsam zu liebkosen, und zögerten über diesem Spiele nicht länger, ihre Ehe zu beschließen und zu besprechen. Fides lehnte sich dabei in das offene Fenster zurück; ein Windhauch hob einen Augenblick ihr langes dunkles Haar empor, daß es vom höchsten Turmgemache wie eine Fahne in die Luft und über den Rhein hinaus flatterte, als ob es Kunde davon geben möchte, daß eine schöne Frau hier in ihrer Seligkeit sitze.
Sie sandten nun Botschaften nach allen Seiten, um eine rechte Verlobung zu bewerkstelligen; das taten sie aber so, daß die betreffenden Freunde nicht wußten, um was es sich handelte, hingegen doch glauben mußten, daß es höchst dringend sei, nach dem Wasserschloß zu reisen, um eine Gefahr abzuwenden oder eine Hilfe zu leisten oder einen Rat zu erteilen.
So kamen sie am dritten Tage von allen Seiten an. Es kam die Äbtissin Kunigunde auf einem schwerfälligen Wagen mit Frauen und Kaplänen und traf verwundert mit Herrn Bischof Heinrich zusammen, der halb verdrießlich den Weg schon wieder machte, den er vor kurzer Zeit geritten. Es kam Herr Rüdiger Manesse wie auch Herr Leuthold von Regensberg, dann des Bischofs Vogt von Röteln und der Schultheiß von Kaiserstuhl, Heinrich von Rheinsfelden und der Junker im Turm zu Eglisau als Nachbarn und Zeugen; schließlich kam Johannes' Vater, der alte Hadlaub, mit seinem jüngeren Sohne, der aufgewachsen war wie ein junger Eichbaum, und mit noch zwei Männern vom Zürichberg. Diese trugen Eisenhüte und Waffen. Der Saal auf der Burg war voll Gäste, die alle nicht wußten, zu [105] was sie eigentlich herbeschieden seien, und sich voll Verwunderung begrüßten und befragten; aber niemand wußte Bescheid zu geben.
So stand alles an den Wänden, nur der Bischof und die Äbtissin saßen auf Stühlen. Da erschien Fides im Saale, ungewöhnlich reich gekleidet, von Johannes Hadlaub an der Hand geführt, und sie verkündete mit bewegter, aber ebenso entschieden als wohl klingender Stimme, daß sie sich mit diesem ehrlichen freien Manne, der seit Jahren ihr in treuer Minne gedient, verlobe, wie es keinem von allen den werten Freunden, die nächsten nicht ausgenommen, die so freundlich beflissen dazu geholfen, unerwartet oder unlieb sein werde.
Sie hatte den Ehering ihrer Großmutter, den ihr die Mutter einst geschenkt, dem Johannes gegeben und von diesem des Bischofs Ring, den er an der Hand trug, dafür verlangt. Diese Ringe tauschten sie jetzt feierlich aus, und die beiden kirchenfürstlichen Personen sahen sich bestürzt und schmerzlich an. Als aber das Paar ihnen nahte, um ihnen zuerst Ehre zu erweisen und Segen zu erbitten, fuhr Herr Heinrich, der Bischof, in die Höhe, um Einsprache zu tun. Er verstummte aber einen Augenblick, wohl fühlend, daß er nicht als Vater zu sprechen das Recht habe, weil Fides nicht seinen Namen trug oder tragen durfte; er fuhr daher als Fürst und Lehensherr fort zu sprechen, jedoch nur wenige Worte, weil einerseits die Äbtissin ihm beschwichtigende Laute zuflüsterte, anderseits Herr Rüdiger Manesse vortrat und mit milder Stimme sagte:
»Beruhige dich, gnädigster Herr und Fürst! Der junge Mann, unser guter Freund, ist in diesem Falle wohl lehensfähig! Da unser heiteres Spiel diese ernsthafte Wendung genommen hat, so wollen wir das übrigens auch sonst als ein Zeichen der Zeit freundlich hinnehmen und uns freuen, daß in dem unaufhörlichen Wandel aller Dinge treue Minne bestehen bleibt und obsiegt.«
Dessenungeachtet ging eine murrende Bewegung unter den [106] übrigen Herren herum, denen das unverhoffte Abenteuer nicht einleuchten wollte. Jetzt stellte sich aber der alte Ruoff vom Hadelaub mit weitem Schritte hervor, und seine Freunde traten dicht hinter ihn.
»Auch mir«, rief er, »hat dieser Handel nie recht gefallen, und er würde mir auch jetzt nicht gefallen, wenn ich das Kind Fides nicht für eine preiswerte und vollkommen gewordene Frau erachten würde, die verdient, in allen Ehren zu leben. Ein Lehen braucht mein Sohn von niemandem; denn ich habe in eben diesen Tagen für ihn den Kauf eines guten steinernen Hauses eingeleitet, das am neuen Markte zu Zürich steht, da er einmal ein Mann von der Stadt sein will. Er wird also im Schirme der Stadt wohnen und auch dort teil an meinem Eigentum auf dem Berge haben!«
»Ich rate«, rief jetzt der Regensberger lachend, »daß wir den Männern von Zürich diesen schönen Vogel überlassen, der unser Lied nicht mehr singen will; sonst pfänden sie uns mehr, als er wert ist.«
Die Nachbarn, zu denen er hauptsächlich gesprochen hatte, lachten auch und gaben sich zufrieden, und so ging die Verlobung ohne weitere Störung vor sich. Selbst der Bischof wendete den Sinn mit einem Male, da er an den Augen der Fides sah, daß sie in wirklicher Liebe erblühte, und die Äbtissin war froh, daß das Kind und sie selbst damit zur Ruhe kam.
Fides richtete ein musterhaftes Mahl zu, und als die Gäste sich zerstreuten, zog Johannes mit denen von Zürich und seinen Verwandten, aus der Gefangenschaft entlassen, bis zur Hochzeit nach Hause.
Es fügte sich nun, daß ein verloren gewesener ältlicher wasserstelzischer Vetter aus fernen Landen auftauchte und sich mit der Dame auf Weiß-Wasserstelz vermählte, so daß auch diese noch zu Ehren kam. In die Hände dieses Ehepaares wurde durch nützliches Abkommen das ganze Lehen wieder vereinigt, und[107] Fides zog als Bürgersfrau in die aufstrebende Stadt. Sie war stets heiter und gut beraten und machte am liebsten zuweilen einen raschen Gang auf den nahen Berg, wo die Schwiegereltern noch lange Freude an ihr gewannen.
Die Vollendung des Codex Manesse erlebte kein einziger von den Herren mehr, die seine Entstehung gesehen hatten. Lange schon ruhte Herr Rüdiger Manesse in der Gruft bei den Augustinern zu Zürich und lagen die Eltern der Fides unter Grabmälern ihrer Münsterkirchen, getrennt durch Land und Wasser. Selbst der Graf von Homberg endete sein bewegtes Kriegerleben schon im Jahre 1320 im Felde vor Genua. Hadlaub schrieb noch die wenigen Lieder, die man von ihm besaß, in das Buch und widmete ihm ein tapferes Schlachtenbild; dann schloß er endlich die Sammlung und schrieb unter den Index:
Die gesungen hant nu zemale sint C und XXXVIII.
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