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Schon war die letzte Schwalbe fort
Und längst seit vielen Wochen auch
Die letzte Lilie abgedorrt,
Nach altem Erdenbrauch.
Es flimmerte der Buchenhain
Wie Rauschgold rot im Abendlicht –
Herbstsonne gibt gar sondren Schein,
Der stets ins Herz mir sticht.
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Ich traf sie da im Walde an,
Nach der allein mein Herz begehrt,
Mit weißen Kleidern angetan,
Vom goldnen Schein verklärt.
Sie war allein; doch grüßt ich sie
Nur ehrfurchtsvoll im Weitergehn,
Weil ich sie, seit ich liebte, nie
So still und schön gesehn!
Doch schaut' aus ihrem Angesicht
Ein fremdes Etwas kalt hervor;
Es lag vor ihrer Augen Licht
Wie leichter, dunkler Flor.
Es war, als ob dicht hinter ihr
Ein Schatten schwebt' im Abendstrahl,
Der gaukelnd, lachend gegen mir,
Ihr folgte durch das Tal.
»Mir ist ein Rival aufgewacht!«
Sprach ich und sah ins Abendrot,
Bis es erlosch und bis die Nacht
Die kalte Hand mir bot!

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TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Gedichte. Gedichte. Siebenundzwanzig Liebeslieder. 16. [Schon war die letzte Schwalbe fort]. 16. [Schon war die letzte Schwalbe fort]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9BB7-7