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Wochenpredigt
In heißem Glanz liegt die Natur,
Die Ernte wimmelt auf der Flur.
In langen Reihn die Sichel blinkt,
Mit leisem Geräusch die Ähre sinkt.
Doch hinter jenen grünen Matten,
In seines Kirchleins kühlem Schatten
Geborgen vor dem Stich der Sonne,
Da steht das Pfäfflein der Gemeine,
Auf diesem, dann auf jenem Beine,
In seiner alten Predigertonne,
Hoch an dem Pfeiler, grau und fest,
Gleich einem Storch in seinem Nest.
Schwarz glänzt das kurzgeschorne Haar,
Wie Röslein blüht das Wangenpaar;
Nur etwas schläfrig blinzen nieder
Die Äuglein durch die fetten Lider,
Weil er sich seiner Wochenpredigt
Mit ziemlich saurer Müh entledigt.
So spricht er von dem ewigen Leben,
Das es werd nach dem Tode geben:
Wie man auch da noch müsse ringen
Und immer weiter vorwärtsdringen,
Und nie von Wandel und Handel frei,
Bis man zuletzt vollkommen sei;
Von einem Stern zum andern hupfen
Und endlich in den Urquell schlupfen.
[266]
Doch unten in des Kirchleins Tiefen
Die Hörer auf den Bänken schliefen.
Sie waren alle hoch an Jahren,
Mit weißen oder gar keinen Haaren,
Ganz klingeldürre Fraun und Greise,
Gebeugt von ihrer langen Reise;
So lehnten sie an ihren Krücken
Mit lebensmüdem sanftem Nicken.
Sie hatten gelebt und hatten gestritten,
Erde gegraben und Garben geschnitten,
Bürden getragen und Freuden gehabt
Und, wenn sie gedürstet, sich gelabt.
Sie hatten nicht ihr Leben verfehlt,
Kein Genie und keine Tugend verhehlt,
Auch keine Schwänke unterlassen;
Wen s' konnten bei der Nase fassen,
Den haben sie gar fest ergriffen
Und ihn mit Freuden ausgepfiffen.
Sie hatten geweint und öfter gelacht
Und genugsam Kinder gemacht.
Die Predigt schweigt, sie sind erwacht,
Die Kirchentür wird aufgemacht,
Und leuchtend bricht der grüne Schein
Der Bäume in die Dämmrung ein.
Die Alten stehen mühsam auf
Und setzen langsam sich in Lauf
Und schleichen seltsam kreuz und quer
Über die grünen Gräber her.
Sie setzen sich auf die Leichensteine
Und reiben ihre kranken Beine,
Sie hüsteln wunderlich und lachen
Und sprechen bewußtlos kindische Sachen.
[267]Sie schauen in die goldnen Auen,
Wo ihre Söhne und Sohnesfrauen
Im fernen Sonnenglanze gehen,
Die reifen Früchte rüstig mähen;
Sie sehen in all den hellen Schein
Mit blöden Augen stumm hinein.
Schon ist verklungen, leis und weit,
Das Lied von der Unsterblichkeit.
Und wie vor langen achtzig Jahren
Die Flämmlein im Entstehen waren
Und mählich aus der tiefen Nacht
Sich in ein helles Licht entfacht
– Das freilich auch sich ewig schien –,
So glimmen jetzt sie wieder hin
Und denken Beßres nicht zu tun,
Als ewig, ewig auszuruhn!
Von Durst nach neuem Kommerzieren,
Wenn recht ihr schaut, ist nichts zu spüren.
Das Pfäfflein ist nach Haus gekommen,
Hat einen Trunk zu sich genommen
Und wandelt jetzt im schönen Garten,
Den kühlen Abend zu erwarten,
Wo er sich freut auf ein Gelage,
Zu dem er freundlich ist gebeten;
Doch steht die Sonn noch hoch am Tage.
Des ist er nun in großen Nöten:
Er weiß, die besten Bachforellen
Werden auf blumiger Schüssel schwellen;
Ausländische Wurst und köstlicher Schinken
Reizen ihn zu frohem Trinken.
Er kennet die staubigen Flaschen zu gut
In des Kollegen frommer Hut,
[268]Die schön geschliffenen Gläser dringen
Schon in sein Ohr mit feinem Klingen;
Er kennt das Tischlein hinter der Türen,
Von wo die Flaschen hermarschieren,
Bis er eine mit silbernem Hals entdeckt,
Die vor dem Abschied doppelt schmeckt.
Und noch drei lange, lange Stunden! –
Hier hat er Ranken angebunden,
Ein nagendes Räupchen abgelesen,
Dort aufgehoben einen Besen
Und an das Gartenhaus gelehnt;
Dann einen Augenblick gewähnt,
Er wolle auf den Sonntagmorgen
Noch schnell für eine Predigt sorgen.
Dann ist er davon abgegangen,
Hat einen Schmetterling gefangen,
Warf einen Socken über den Hag,
Der mitten in einem Beete lag.
Die Sonne steht noch hoch am Tag.
Er wird der langen Weil zum Raube
Und sinkt in eine kühle Laube,
Macht dort ein Ende seiner Pein,
Schläft zwischen Rosen und Nelken ein.
O Pfäfflein, liebes Pfäfflein, sag,
Ist dir zu lang der eine Tag:
Was willst du aus all den Siebensachen,
Den Millionen Sternen und Jahren machen?