Nach Katharinas Tod

1.

O sel'ge Herrin! Stern aus Norden,
Der sich einst mild zu uns gewandt,
Du, die zum Liebesstern geworden
Dem hoffenden, dem armen Land.
Bist schon verschwunden, kaum gekommen,
Ein Morgen über Tal und Höhn,
Und deine Saat, des Lichts benommen,
Muß nun im Keime traurend stehn.
Wie liegt es bang auf jedem Herzen!
Wie tun es tausend Tränen kund!
Und wer da spricht, der spricht von Schmerzen,
Und wie sein Innres tödlich wund.
Wohl manchem ist's, als könnt' er scheiden
Fortan mit Lust von Herd und Haus,
Als löschten mit dir alle Freuden,
Jedwedes Licht auf einmal aus.
Ihr Glocken mit geweihtem Schalle!
Ruft durch die traurend stille Luft:
»Ihr Armen! kniet und betet alle!
Hört's! eure Mutter deckt die Gruft!
Ihr Reichen, hört's! nun ist verschwunden
Sie, euer Stolz, sie, aller Hort!
Kniet! schwört: das Band, das sie gebunden,
Ein Heiligtum, zu binden fort.«
[106]
Wie Well' an Well' schlag' Zähr' an Zähre,
Wehlaut! fahr über Land und Meer,
Ruf aus: »Ihr Länder und ihr Meere!
O trauret all! Sie ist nicht mehr!«
Wie jubelt's in den Sternenhallen!
Wie flammt in Lust des Himmels Zelt!
Bei uns, wie ist es öd, zerfallen!
Wie ohne Heimat jetzt die Welt!

2.

Auf flog sie nun zur ew'gen Sternenhalle,
Dahin, woher sie segnend einst gekommen,
Wir aber stehn, erkrankt in Tränen alle,
Kein Trost, kein Heilkraut kann uns Armen frommen,
Doch wie wir stehn, so jedes Trosts benommen,
Ertönt's zu uns mit himmlisch süßem Schalle:
»Schaut himmelan! ich bin euch ja geblieben!
Ein Schutzgeist schweb' ich waltend ob euch Lieben.«
Nun ist sie erst um uns und bei uns allen,
Von keinem mehr getrennt durch Tal und Höhen,
Wo Seufzer stöhnen, heiße Tränen fallen,
Verlaßne Arme still zum Himmel flehen,
Da wird man hören oft ein leises Wallen,
Wird ungehoffte Hilfe staunend sehen.
Dann fraget nicht: woher ist das gekommen?
Es kam von ihr, dem Schutzgeist aller Frommen.

3.

Die Glocken haben ausgeklungen,
Die schwarzen Kleider zog man aus,
Und Blum' und Blüte ist gedrungen
Glanzreich ans Licht aus dunklem Haus.
Mag noch so bunt die Aue prangen,
Steht paradiesisch Feld und Hain,
Der Schmerz, daß sie von uns gegangen,
Der dringt ins Herz durch Blüten ein.
Doch ist's, als käm' von ihr gesendet
Der Blütenhimmel reich und klar,
Wie sie den Samen mild gespendet,
Die Heilige im Leidensjahr.
[107]
Doch ist's, als flöss', was noch von Segen
Des Himmels fühlt dies arme Land,
Mondlicht und Sonnenschein und Regen
Herab aus ihrer milden Hand.
Was Menschen tun, kann nimmer frommen,
Uns retten Gottes Engel nur;
Nie wird ein Hungerjahr mehr kommen, –
Sie schwebt ein Schutzgeist ob der Flur.

4.

Als sie unter euch gewandelt,
Spracht ihr manches schiefe Wort,
Ruhig doch hat sie gehandelt
Und gesegnet immerfort.
Nun die Heilige verschwunden,
Hebt's euch aus dem Schlaf empor,
Und ihr fühlt in tausend Wunden,
Was die Welt an ihr verlor.
Drum bei solchem Los auf Erden
Zürnt nicht, wann die Muse ruft:
Muß man, um geliebt zu werden,
Liegen erst in Sarg und Gruft?

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Kerner, Justinus. Nach Katharinas Tod. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-A52B-3