Höllenbilder

1.


Geister aus noch tiefrer Nacht
Hat das Tintenfaß gebracht,
Als den Satz ich umgerührt.
Niemals hätt' ich den berührt,
Hätt' ich eher schon erfahren,
Wie so groß sind die Gefahren,
Wenn man mit dem Tintensatze,
Vorab nachts, klecksographiert;
Dann erscheint oft eine Katze,
Schneidend eine Teufelsfratze,
[73]
Satan ist's der uns vexiert.
Oft den Kleksographen prellen
Schwarze Geister durchs Verstellen,
Wechseln oftmals die Gestalten,
Sie für andere zu halten;

2.


Wie im Leben einst, dem hellen,
So in schwarzen Höllenspalten
Sind und bleiben sie die alten,
Nicht zu bessernden Gesellen.

[74] 3.


Hier stieg herauf der Falschheit Bild,
Du, die dem Höllenpfuhl entsprossen,
Wär' noch mein Tintenfaß gefüllt,
Ich hätt' mit Tint' dich übergossen.
Du gift'ge, verhüllte Fratze,
Auf deinem Kopf sitzt eine Katze,
In deiner Brust der Katze Kater.
Fort! fort! zurück zum Feuerkrater
Der Hölle, wo du heimatlich,
Nur halb klecksographier' ich dich.

[75] 4.


Du teuflische Fratze,
Halb Mensch und halb Katze!
Was willst du von mir?
Ich klecksographier'
Nicht Ritter vom Besen,
Das bist du gewesen,
Zum Teufel mit dir!

[76] 5.


Was dieser Kobold einstens war,
Das ist nur mir geworden klar.
Der eine sagt: »Ein Aktuar,
Bekannter Schlemmer und Bocksreiter.«
Der ander, der sich denkt gescheiter,
Spricht: »O, der war ein Pfarrer gar,
Man sieht das ja aufs allerbeste
An seiner rabenschwarzen Weste.«
Der dritte sprach: »Ein Apotheker
War er, der mit ganz schlechter War'
Vergiftet die Arzneienschlecker.«
Ich sprach, und alle wurden heiter:
»Der Bocksbart zeiget mir fürwahr,
So wie das Maß für Tuch und Kleider,
Das völlig falsch und diebisch war,
Daß dieser Kobold gar nichts weiter
Gewesen als ein dieb'scher Schneider.«

[77] 6.


Dies ganz teuflische Gesicht,
(Glaubt es, oder glaubt es nicht,)
Eine Amme ist's gewesen,
Wohlgeübet auf dem Besen,
Manches Kind verhexte sie,
Daß es zappelte und schrie,
Bis man schob dem armen Tropf
Eine Bibel untern Kopf.
Oft zu Teufelstanz und Spiel
Fuhr sie auf dem Besenstiel,
Doch zum nahen Galgen nur.
Jetzt ganz teuflische Natur,
In der Hölle schwarzem Pfuhl
Wirbelt sie in feur'gen Wirbeln
Um des Höllenmeisters Stuhl.

7.


Hier das Kind kam, das die Hexe
Hat gesäugt und dann verhext,
Einzig nur drei Tintenkleckse
Haben dieses Kind gekleckst.
Doch man sieht schon ohne Luppe,
[78]
Daß bereits aus seiner Puppe
Wachsen lichte Doppelschwingen,
Die's zum Kinderhimmel bringen.

8.


Daß ich ein Paar auch aus dem Hexenkluppe,
Die Amm' und die von ihr verhexte Puppe,
[79]
Klecksographierte ohne Rücksicht dreist,
Das hat empöret eine ganze Gruppe
Beisitzer aus dem alten Höllenpfuhl,
Aufklärlinge, Ungläubige, allermeist
Zöglinge aus Mephistos Musterschule,
Daß sie aus ihrem Schoß den schwarzen Geist
Emporgeschickt, um vom Klecksographenstuhle
Zu stoßen mich, zu brechen mir den Hals.
Ich sah ihn lächelnd an, sprach gar nichts als:
»Gelobt sei Jesus Christ!« – da fuhr er plötzlich
Hinab mit einem Wehschrei, der entsetzlich.

9.


Als ich mit Druckerschwärze heut klecksographiert',
Wozu mich nur der Teufel hat verführt,
Kam dieses Skandalum heraufspaziert.
Nicht weiß ich, wer der ist, noch wer der war,
Faustus vielleicht, des Drucks Erfinder gar,
Der nie war (wie bekannt) ein gläub'ger Christ
[80]
Und als Schwarzkünstler in der Hölle ist.
Mög' solches wahr sein, oder sein nicht wahr,
Kommt das bei mir heut nicht so in Betracht,
Als daß dies Bild so schmählich sich gemacht,
Dieweil es ganz aus jener Schwärze kam,
Die manchen schon versetzt in schwarzen Gram.
Druckfehler druckt die, wer sie liest, laut lacht,
Indes der Autor stirbt voll Zorn und Scham,
Der armen Frau zuruft in stiller Nacht:
»Du Frau, und ihr, ihr lieben Kinder, wacht!
Wie eine Druckerpresse hat's gekracht«,
Worauf in einem schwarzen Pfuhl ich schwamm.
Und wieviel Kreuz die Schwärze noch gebracht,
Das wird von mir gesagt nicht, – nur gedacht.
Nur eines steh' noch da
Exempli gratia:
Oft spricht zum Autor der Buchhändler klagend:
»O wenn doch nichts gedruckt von Ihnen wär'!
Ihr ind'sches Lexikon, auf meine Ehr',
Liegt zehen Jahre, völlig nichts ertragend,
Und Ihre Streitschrift! – doch, ich bitte sehr!
Mit andern Büchern geht es auch sehr schwer,
Es häufen sich die Krebse immer mehr.«
So spricht er, – und wär' all dies auch nur Finte.
Ja, Druckerschwärze! deiner ganz entsagend,
Nehm' zum Klecksographieren ich nur Tinte,
Mich nimmermehr mit deiner Schmiere plagend.
Kaum daß ich dieses schreib', fuhr's mit Gekrach
Durch das Kamin herauf bis unters Dach,
Und Steine stürzten donnernd vom Kamin,
Ich wußte nicht, wo ich nur sollte hin.
»Weh!« rief ich, »daß ich unter Teufeln bin!«
Das war im ersten Schrecken nur, doch plötzlich
Sprang ich gefaßt ans offne Ofenloch,
Draus quoll ein Dampf durchs ganze Haus, der roch
Nach Kreosot und Druckerschwärz' entsetzlich;
Ich sah durch ihn hinauf, da sah ich noch,
Wie die klecksographierte Unnatur,
Aller Druckfehler schreckliche Figur,
Hohnlachend meiner, hu! der Hexenschlingel
Zum Ritt sich schwingend auf den Pressebengel,
Wie ein Weltkönig stolz von dannen fuhr.

[81] 10.


Als ich vor dem Tintenfaß
Wieder mit der Feder saß
Und mit solcher tief gestochen
In die Tinte bis zum Satz,
Kam etwas heraufgekrochen,
Wie der Schwanz von einer Katz'.
Mir doch ward es immer bänger,
Denn das Ding wurd' immer länger,
Gar zu lang für eine Maus,
Und der Teufel kroch heraus.
Erst macht er drei Reverenzen,
Schlingend mit dem Schwanze Ringe,
Und erzählt mir Wunderdinge
Von sich, um vor mir zu glänzen,
Daß er einst gewesen sei
In Neapels Hofkanzlei.
[82]
»Jetzt bin ich (Sie werden's merken)«,
Spricht er, »nun an andrer Stelle,
(Jedem wird nach seinen Werken),
Ein klein wenig in der Hölle.
Einstens war ich groß und reich,
Jetzt, um's kurz zu sagen gleich,
Bin ich zwar ein armer Schlucker,
Doch ein emsiger Geselle
Und der Druckerschwärze Reiber
Von des Satans Hofbuchdrucker,
Wollte Ihnen sagen schnell:
Daß für schwarze Höllenleiber
Ihre Tinte ist zu hell,
Werde, um sie schwarz zu frischen,
Sie mit Druckerschwärze mischen.« –
»Fort!« rief ich, vor Zorn ganz blaß,
»Meinst du nicht, ich merk' nicht, daß
Du der vor'ge Teufel, nur
Mit veränderter Figur,
Der hinaus zum Schornstein fuhr.
Ließ' ich mich vom Zorn hinreißen,
Würd' ich dir das Tintenfaß
Luth'risch an den Bockskopf schmeißen.
Doch genug für dich ist – das
Drauf hab' ich ein Kreuz geschlagen,
Was die Teufel nicht ertragen,
Da ward schnell er dünner noch,
Dünner als der Spinne Waden,
Und als schwarzer, här'ger Faden
Fuhr er durch das Schlüsselloch.

11.


Als ich ob'ges schrieb: »Brum! brum!«
Tönt' es um mein Ohr herum.
Teuflische Nachtschmetterlinge,
Schwarz, umflogen mich im Ringe;
Aber in mein rechtes Ohr
Klang's wie aus der Engel Chor:
»Ha! wie ist's hier unten trübe!
Doch nicht ewig währt die Nacht!
Eine Liebe, eine Liebe
Selbst noch ob der Hölle wacht.
[83]
Strahlen schickt in alle Ringe
Seines Alls Gott noch so weit,
Seine Wahrheit, seine Klarheit,
Liebe und Barmherzigkeit,
Und durch sie
Bringt zu einer Harmonie
Er zurück einst alle Dinge.«

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TextGrid Repository (2012). Kerner, Justinus. Höllenbilder. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-A55D-6