Grab-Lied
Weh dir! daß du gestorben bist.
Du wirst nicht mehr Auroren sehn
Wenn sie vom Morgen Himmel blickt
In rother Tracht, mit güldnem Haar;
Und die bethauten Wiesen nicht,
Auch nicht im melancholschen Hayn
Die Sonn im Spiegel grüner Fluth.
Der Veilchen Duft wird dich nicht mehr
Erfreun, und das Gemurmel nicht
Des Bachs, der Rosen-Büsche tränckt,
Auf dem vor Zephirs sanftem Hauch
Die kleinen krausen Wellen fliehn.
[98]Auch wird dich Philomele nicht
Mehr rühren, durch der Töne Macht,
Auch meines Krausens
1 Laute nicht
Die Philomelen ähnlich seufzt.
Allein, du wirst auch nicht mehr sehn,
Daß sich der Tugendhaffte qvält,
Sich seiner Blöse schämt und darbt
Und seine Lebenszeit verweint;
Indeßen daß in Seid und Gold
Der Bösewicht stolzirt und lacht.
Du wirst nicht sehn, daß ein Tyrann
Die Ferse, freygebohrnem Volck
In den gebognen Nacken setzt,
Das ihm Tribut und Steur bezahlt,
Nicht für den Schutz, nein, für die Luft.
Kein Narr, kein Höfling wird dich mehr
Mit dummer Falschheit peinigen,
Und keine Rachsucht sieht auf dich
Mit scheelen Blicken eines Wolfs.
Nicht Ungewitter, Pestilenz
Und Erderschütterung und Krieg
Erschreckt dich mehr. Der Erde Punckt
(Samt Pestilenz und Krieg und Noth)
Flieht unter deinen Füßen fort,
In Dunst und Blitz gewickelt. Sturm
Und Donner ruft weit unter dir,
Und Ruh und Freude labt dein Herz
In Gegenden voll Heiterkeit.
Wohl dir, daß du gestorben bist!