Emire und Agathokles

Emire fing ihr Leben an zu haßen
Als ihr Agathokles leichtsinnig sie verlassen.
Sie floh die große Welt, die vormals sie verehrt,
Sie floh die Freundschafft selbst, allein in sich gekehrt;
Die Welt schien ihr nicht mehr ein Sitz voll Lust und Wonne,
Die Flur nicht blumenreich und minder hell die Sonne.
Ein Lustschloß, in der Nacht von einem dicken Wald,
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War ihre Zuflucht iezt und liebster Aufenthalt.
Sie ging oft in des Hayns Gewölben, lebensmüde,
Nicht mehr gereitzt, wie sonst, von Philomelens Liede,
Noch von der Quelle, die durch Blumen floß. Nicht seyn,
Dünkt ihr das größte Glück, und war ihr Wunsch allein.
Mußt ich, so dacht sie oft, Agathokles nur lieben
Ihn ewig iezt zu scheun, mich ewig zu betrüben?
Ich glaubt ihn so getreu als liebenswerth. Sein Schmerz
Und seine Thränen nur erwarben ihm mein Herz;
Nicht Leichtsinn! Laster nicht! Ich liebte seine Tugend
Und seine Seele mehr, als allen Reitz der Jugend.
Doch alles was er sprach, Versicherung und Schwur,
Kam aus dem Herzen nicht, kam von den Lippen nur.
Untreuer! Ich bin zwar der Raub von deinen Lügen,
Allein wirst du, wie mich, den Himmel auch betrügen?
Furcht ihn! er straffet noch! Vielleicht fühlst du einmal,
Wenn dein Gewissen wacht, gedoppelt meine Quaal –
Doch dieses wünsch ich nicht. Du sollst den Schmerz nicht nähren,
Nur such einmal mein Grab und schenk ihm einge Zähren,
Und denk: Hier ruhet die, die sich um mich betrübt;
Die Treue lebte noch, hätt' sie mich nicht geliebt. –
So bracht Emire hier ihr Leben lange zu;
Ihr stiller Gram schien falsch, Gelaßenheit und Ruh.
Gesucht von Ehr und Gunst der Großen, hatt' indeßen,
An fernen Höfen, sie Agathokles vergeßen.
Doch endlich überfiel ihn unverhofte Reu;
Sein wankelmüthig Herz fühlt alte Lieb und Treu;
Er kehrte schnell zurück – Er floh nach ihrer Wohnung,
Beflügelt von der Lieb und Hoffnung der Belohnung.
Er sahe sie, und nahm die schöne Hand – Doch wie
Erschrack er! – wie gerührt vom Wetterstrale – Sie
War starr – Verzeuch, rief er, nur einge Augenblicke!
Emire, höre mich, und ruf den Geist zurücke!
Verzeuch! Dich und mein Glück hab ich nicht halb gekannt,
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Nicht Untreu, Irrthum nur, hat mich von dir verbannt.
Mein Herz hätt' alles Gold der Welt, Glück, Ehr und Leben,
Als klein, für dem Besitz von dir, dahin gegeben.
O schöne Unschuld! sieh mich nur noch einmal an,
Und sage mir, daß mich dein Herz nicht hassen kan! –
Sie hatte schon den Geist dem Himmel zugeschickt,
Empfing der Treue Lohn, und war bereits beglückt.
Er fiel erstarrt dahin, für Schrecken und für Leide. –
Das Leben kam zurück, doch ohne Ruh und Freude,
Und seine Klagen hat die Gegend lang gehört.
Durch alles was er sah, ward seine Pein gemehrt.
Die Stellen wo sie ging und schlief, wo sie geseßen,
Und wo sie starb, konnt er nicht sehn, und nicht vergeßen.
Ihr Schloß, sonst seine Lust, in Blüthen ganz versteckt,
Dünkt ihm anjezo schwarz, er ward dadurch erschreckt.
Der Tod schien ihm ein Glück, das Leben eine Strafe,
Und Schwermuth foltert ihn sogar im kurzen Schlafe.
Bis sein bekriegter Fürst zum Heer ihn gehen hieß,
Und Fried und Ruh durch ihn den Völkern schenken ließ.
Doch weint er jährlich um ihr Grab an diesem Tage,
Und sein ganz Leben war nur eine lange Klage.

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TextGrid Repository (2012). Kleist, Ewald Christian von. Gedichte. Neue Gedichte vom Verfasser des Frühlings. Emire und Agathokles. Emire und Agathokles. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B06B-F