[14] Der Schrecken im Bade

Eine Idylle

Johanna.

Klug doch, von List durchtrieben, ist die Grete,
Wie kein' im Dorf mehr! »Mütterchen«, so spricht sie,
Und gleich, als scheute sie den Duft der Nacht,
Knüpft sie ein Tuch geschäftig sich ums Kinn:
»Laß doch die Pforte mir, die hintre, offen;
Denn in der Hürd ein Lamm erkrankte mir,
Dem ich Lavendelöl noch reichen muß«:
Und, husch! statt nach der Hürde, die Verrätrin,
Drückt sie zum Seegestade sich hinab. –
Nun heiß, fürwahr, als sollt er Ernten reifen,
War dieser Tag des Mais und, Blumen gleich,
Fühlt jedes Glied des Menschen sich erschlafft. –
Wie schön die Nacht ist! Wie die Landschaft rings
Im milden Schein des Mondes still erglänzt!
Wie sich der Alpen Gipfel umgekehrt,
In den kristallnen See danieder tauchen!
Wenn das die Gletscher tun, ihr guten Götter,
Was soll der arme herzdurchglühte Mensch?
Ach! Wenn es nur die Sitte mir erlaubte,
Vom Ufer sänk ich selbst herab, und wälzte,
Wollüstig, wie ein Hecht, mich in der Flut!
Margarete.

Fritz! – Faßt nicht Schrecken, wie des Todes, mich!
– Fritz, sag ich, noch einmal: Maria – Joseph!
Wer schwatzt dort in der Fliederhecke mir?
– Seltsam, wie hier die Silberpappel flüstert!
Husch und Lavendelöl und Hecht und Sitte:
Als obs von seinen roten Lippen käme!
Fern im Gebirge steht der Fritz, und lauert
Dem Hirsch auf, der uns jüngst den Mais zerwühlte;
Doch hätt ich nicht die Büchs ihn greifen sehen,
Ich hätte schwören mögen, daß ers war. –
[15] Johanna.

Gewiß! Diana, die mir unterm Spiegel,
Der Keuschheit Göttin, prangt, im goldnen Rahm:
Die Hunde liegen lechzend ihr zur Seite;
Und Pfeil und Bogen gibt sie, jagdermüdet,
Den jungen Nymphen hin, die sie umstehn:
Sie wählte sich, der Glieder Duft zu frischen,
Verständiger den Grottenquell nicht aus.
Hier hätt Aktäon sie, der Menschen Ärmster,
Niemals entdeckt, und seine junge Stirn
Wär ungehörnt, bis auf den heutgen Tag.
Wie einsam hier der See den Felsen klatscht!
Und wie die Ulme, hoch vom Felsen her,
Sich niederbeugt, von Schlee umrankt und Flieder,
Als hätt ein Eifersüchtger sie verwebt,
Daß selbst der Mond mein Gretchen nicht und nicht,
Wie schön sie Gott der Herr erschuf, kann sehn!
Margarete.

Fritz!
Johanna.

Was begehrt mein Schatz?
Margarete.

Abscheulicher!
Johanna.

O Himmel, wie die Ente taucht! O seht doch,
Wie das Gewässer heftig, mit Gestrudel,
Sich über ihren Kopf zusammenschließt!
Nichts, als das Haar, vom seidnen Band umwunden,
Schwimmt, mit den Spitzen glänzend, oben hin!
In Halle sah ich drei Halloren tauchen,
Doch das ist nichts, seit ich die Ratz erblickt!
Ei, Mädel! Du erstickst ja! Margarete!
[16] Margarete.

Hilf! Rette! Gott mein Vater!
Johanna.

Nun? Was gibts? –
Ward, seit die Welt steht, so etwas erlebt!
Fritz ists, so schau doch her, der junge Jäger,
Der morgen dich, du weißt, zur Kirche führet! –
Umsonst! Sie geht schon wieder in den Grund!
Wenn wiederum die Nacht sinkt, kenn ich sie
Auswendig, bis zur Sohl herab, daß ichs
Ihr, mit geschlossnem Aug, beschreiben werde:
Und heut, von ohngefähr belauscht im Bade,
Tut sie, als wollte sie den Schleier nehmen,
Und nie erschaut von Männeraugen sein!
Margarete.

Unsittlicher! Pfui, Häßlicher!
Johanna.

Nun endlich!
In dein Geschick doch endlich fügst du dich.
Du setzest dich, wo rein der Kiesgrund dir,
Dem Golde gleich, erglänzt, und hältst mir still.
Wovor, mein Herzenskind, auch bebtest du?
Der See ist dir, der weite, strahlende,
Ein Mantel, in der Tat, so züchtiglich,
Als jener samtene, verbrämt mit Gold,
Mit dem du Sonntags in der Kirch erscheinst.
Margarete.

Fritz, liebster aller Menschen, hör mich an,
Willst du mich morgen noch zur Kirche führen?
Johanna.

Ob ich das will?
[17] Margarete.

Gewiß? begehrst du das?
Johanna.

Ei, allerdings! Die Glock ist ja bestellt.
Margarete.

Nun sieh, so fleh ich, kehr dein Antlitz weg!
Geh gleich vom Ufer, schleunig, augenblicklich!
Laß mich allein!
Johanna.

Ach, wie die Schultern glänzen!
Ach, wie die Knie, als säh ich sie im Traum,
Hervorgehn schimmernd, wenn die Welle flieht!
Ach, wie das Paar der Händchen, festverschränkt,
Das ganze Kind, als wärs aus Wachs gegossen,
Mir auf dem Kiesgrund schwebend aufrecht halten!
Margarete.

Nun denn, so mag die Jungfrau mir verzeihn!
Johanna.

Du steigst heraus? Ach, Gretchen! Du erschreckst mich?
Hier an den Erlstamm drück ich das Gesicht,
Und obenein noch fest die Augen zu.
Denn alles, traun, auf Erden möcht ich lieber,
Als mein geliebtes Herzenskind erzürnen.
Geschwind, geschwind! Das Hemdchen – hier! da liegt es!
Das Röckchen jetzt, das blaugekantete!
Die Strümpfe auch, die seidnen, und die Bänder,
Worin ein flammend Herz verzeichnet ist!
– Auch noch das Tuch? Nun, Gretchen, bist du fertig?
Kann ich mich wenden, Kind?
Margarete.

Schamloser, du!
Geh hin und suche für dein Bett dir morgen,
Welch eine Dirn im Orte dir gefällt.
[18]
Mich, wahrlich, wirst du nicht zur Kirche führen!
Denn wisse: wessen Aug mich nackt gesehn,
Sieht weder nackt mich noch bekleidet wieder!
Johanna.

Gott, Herr, mein Vater, in so großer Not,
Bleibt auf der Welt zum Trost mir nichts, als eines.
Denn in das Brautbett morgen möcht ich wohl,
Was leugnet ichs; doch, Herzchen, wiß auch du:
In Siegismunds, des Großknechts, nicht in deins.
Margarete.

Was sagst du?
Johanna.

Was?
Margarete.

Sieh da, die Schäkerin!
Johanna ists, die Magd, in Fritzens Röcken!
Und äfft, in eines Flieders Busch gesteckt,
Mit Fritzens rauher Männerstimme mich!
Johanna.

Ha, ha, ha, ha!
Margarete.

Das hätt ich wissen sollen!
Das hätte mir, als ich im Wasser lag,
Der kleine Finger jückend sagen sollen!
So hätt ich, als du sprachst: »Ei sieh, die Nixe!
Wie sie sich wälzet!« und: »Was meinst du, Kind;
Soll ich herab zu dir vom Ufer sinken?«
Gesagt: »komm her, mein lieber Fritz, warum nicht?
Der Tag war heiß, erfrischend ist das Bad,
Und auch an Platz für beide fehlt es nicht«;
Daß du zu Schanden wärst, du Unverschämte,
An mir, die dreimal Ärgere, geworden.
Johanna.

So! Das wär schön gewesen! Ein züchtig Mädchen, wisse,
Soll über solche Dinge niemals scherzen;
[19]
So lehrt es irgendwo ein schwarzes Buch. –
Doch jetzt das Mieder her; ich wills dir senkeln:
Daß er im Ernst uns nicht, indes wir scherzen,
Fritz hier, der Jäger, lauschend überrasche.
Denn auf dem Rückweg schleicht er hier vorbei;
Und schade wär es doch – nicht wahr, mein Gretchen?
Müßt er dich auch geschnürt nie wiedersehn.

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TextGrid Repository (2012). Kleist, Heinrich von. Gedichte. Gedichte. Der Schrecken im Bade. Der Schrecken im Bade. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B157-4