[48] [53]Erster Theil

Erster Gesang

Sing', unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung,
Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet,
Und durch die er Adam's Geschlecht zu der Liebe der Gottheit,
Leidend, getödtet und verherrlichet, wieder erhöht hat.
Also geschah des Ewigen Wille. Vergebens erhub sich
Satan gegen den göttlichen Sohn; umsonst stand Juda
Gegen ihn auf: er that's und vollbrachte die große Versöhnung.
Aber, o That, die allein der Allbarmherzige kennet,
Darf aus dunkler Ferne sich auch Dir nahen die Dichtkunst?
Weihe sie, Geist Schöpfer, vor dem ich hier still anbete,
Führe sie mir, als Deine Nachahmerin, voller Entzückung,
Voll unsterblicher Kraft, in verklärter Schönheit entgegen.
Rüste mit Deinem Feuer sie, Du, der die Tiefen der Gottheit
Schaut und den Menschen, aus Staube gemacht, zum Tempel sich heiligt!
Rein sei das Herz! So darf ich, obwol mit der bebenden Stimme
Eines Sterblichen, doch den Gottversöhner besingen
Und die furchtbare Bahn mit verzieh'nem Straucheln durchlaufen.
Menschen, wenn Ihr die Hoheit kennt, die Ihr damals empfinget,
Da der Schöpfer der Welt Versöhner wurde, so höret
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Meinen Gesang, und Ihr vor Allen, Ihr wenigen Edlen,
Theure, herzliche Freunde des liebenswürdigen Mittlers,
Ihr mit dem kommenden Weltgerichte vertrauliche Seelen,
Hört mich und singt den ewigen Sohn durch ein göttliches Leben.
Nah an der heiligen Stadt, die sich jetzt durch Blindheit entweihte
Und die Krone der hohen Erwählung unwissend hinwegwarf,
Sonst die Stadt der Herrlichkeit Gottes, der heiligen Väter
Pflegerin, jetzt ein Altar des Bluts, vergossen von Mördern;
Hier war's, wo der Messias von einem Volke sich losriß,
Das zwar jetzt ihn verehrte, doch nicht mit jener Empfindung,
Die untadelhaft bleibt vor dem schauenden Auge der Gottheit.
Jesus verbarg sich diesen Entweihten. Zwar lagen hier Palmen
Vom begleitenden Volk; zwar klang dort ihr lautes Hosanna;
Aber umsonst. Sie kannten ihn nicht, den König sie nennten,
Und den Gesegneten Gottes zu sehn, war ihr Auge zu dunkel.
Gott kam selbst von dem Himmel herab. Die gewaltige Stimme:
»Sieh, ich hab' ihn verklärt und will ihn von Neuem verklären!«
War die Verkündigerin der gegenwärtigen Gottheit.
Aber sie waren, Gott zu verstehn, zu niedrige Sünder.
Unterdeß nahte sich Jesus dem Vater, der wegen des Volkes,
Dem die Stimme geschah, mit Zorn zu dem Himmel hinaufstieg.
Denn noch einmal wollte der Sohn des Bundes Entschließung,
Seine Menschen zu retten, dem Vater feierlich kund thun.
Gegen die östliche Seite Jerusalem's liegt ein Gebirge,
Welches auf seinem Gipfel schon oft den göttlichen Mittler
Wie in das Heilige Gottes verbarg, wenn er einsame Nächte
Unter des Vaters Anschaun ernst in Gebeten durchwachte.
Jesus ging nach diesem Gebirg. Der fromme Johannes,
Er nur folgt' ihm dahin bis an die Gräber der Seher,
Wie sein göttlicher Freund die Nacht in Gebete zu bleiben.
Und der Mittler erhub sich von dort zu dem Gipfel des Berges.
Da umgab von dem hohen Moria ihn Schimmer der Opfer,
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Die den ewigen Vater noch jetzt in Bilde versöhnten.
Ringsum nahmen ihn Palmen ins Kühle. Gelindere Lüfte,
Gleich dem Säuseln der Gegenwart Gottes, umflossen sein Antlitz.
Und der Seraph, der Jesus zum Dienst auf der Erde gesandt war,
Gabriel nennen die Himmlischen ihn, stand feirend am Eingang
Zwoer umdufteter Cedern und dachte dem Heile der Menschen
Und dem Triumphe der Ewigkeit nach, als jetzt der Erlöser
Seinem Vater entgegen vor ihm in Stillem vorbeiging.
Gabriel wußte, daß nun die Zeit der Erlösung herankam.
Diese Betrachtung entzückt' ihn; er sprach mit leiserer Stimme:
»Willst Du die Nacht, o Göttlicher, hier im Gebete durchwachen?
Oder verlangt Dein ermüdeter Leib nach seiner Erquickung?
Soll ich zu Deinem unsterblichen Haupt ein Lager bereiten?
Siehe, schon streckt der Sprößling der Ceder den grünenden Arm aus
Und die weiche Staude des Balsams. Am Grabe der Seher
Wächst dort unten ruhiges Moos in der kühlenden Erde.
Soll ich davon, o Göttlicher, Dir ein Lager bereiten?
Ach, wie bist Du, Erlöser, ermüdet! Wie viel erträgst Du
Hier auf der Erd' aus inniger Liebe zu Adam's Geschlechte!«
Gabriel sagt's. Der Mittler belohnt ihn mit segnenden Blicken,
Steht voll Ernst auf der Höhe des Bergs am näheren Himmel.
Dort war Gott. Dort betet' er. Unter ihm tönte die Erde,
Und ein wandelndes Jauchzen durchdrang die Pforten des Abgrunds,
Als sie von ihm tief unten die mächtige Stimme vernahmen.
Denn sie war es nicht mehr, des Fluches Stimme, die Stimme,
Angekündet in Sturm und in donnerndem Wetter gesprochen,
Welche die Erde vernahm. Sie hörte des Segnenden Rede,
Der mit unsterblicher Schöne sie einst zu verneuen beschlossen.
Ringsum lagen die Hügel in lieblicher Abenddämmrung,
Gleich als blühten sie wieder, nach Eden's Bilde geschaffen.
Jesus redete. Er und der Vater durchschauten den Inhalt
Grenzlos; dies nur vermag des Menschen Stimme zu sagen:
»Göttlicher Vater, die Tage des Heils und des ewigen Bundes
Nahen sich mir, die Tage, zu größeren Werken erkoren
Als die Schöpfung, die Du mit Deinem Sohne vollbrachtest.
Sie verklären sich mir so schön und herrlich als damals,
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Da wir der Zeiten Reih' durchschauten, die Tage der Zukunft,
Durch mein göttliches Schaun bezeichnet, und glänzender sahen.
Dir nur ist es bekannt, mit was vor Einmuth wir damals,
Du, mein Vater, und ich und der Geist die Erlösung beschlossen.
In der Stille der Ewigkeit, einsam und ohne Geschöpfe,
Waren wir bei einander. Voll unsrer göttlichen Liebe,
Sahen wir auf die Menschen, die noch nicht waren, herunter.
Eden's selige Kinder, ach, unsre Geschöpfe, wie elend
Waren sie, sonst unsterblich, nun Staub und entstellt von der Sünde!
Vater, ich sah ihr Elend, Du meine Thränen. Da sprachst Du:
›Lasset der Gottheit Bild in dem Menschen von Neuem uns schaffen!‹
Also beschlossen wir unser Geheimniß, das Blut der Versöhnung
Und die Schöpfung der Menschen, verneut zu dem ewigen Bilde!
Hier erkor ich mich selbst, die göttliche That zu vollenden.
Ewiger Vater, das weißt Du, das wissen die Himmel, wie innig
Mich seit diesem Entschluß nach meiner Erniedrung verlangte!
Erde, wie oft warst Du in Deiner niedrigen Ferne
Mein erwähltes, geliebteres Augenmerk! Und, o Kanan,
Heiliges Land, wie oft hing unverwendet mein Auge
An dem Hügel, den ich von des Bundes Blute schon voll sah!
Und wie bebt mir mein Herz von süßen, wallenden Freuden,
Daß ich so lange schon Mensch bin, daß schon so viele Gerechte
Sich mir sammeln, und nun bald alle Geschlechte der Menschen
Mir sich heiligen werden! Hier lieg' ich, göttlicher Vater,
Noch nach Deinem Bilde geschmückt mit den Zügen der Menschheit,
Betend vor Dir; bald aber, ach, bald wird Dein tödtend Gericht mich
Blutig entstellen und unter den Staub der Todten begraben.
Schon, o Richter der Welt, schon hör' ich fern Dich und einsam
Kommen und unerbittlich in Deinen Himmeln dahergehn.
Schon durchdringt mich ein Schauer, dem ganzen Geistergeschlechte
Unempfindbar, und wenn Du sie auch mit dem Zorne der Gottheit
Tödtetest, unempfindbar! Ich seh' den nächtlichen Garten
Schon vor mir liegen, sinke vor Dir in niedrigen Staub hin,
Lieg' und bet' und winde mich, Vater, in Todesschweiße.
Siehe, da bin ich, mein Vater. Ich will des Allmächtigen Zürnen,
Deine Gerichte will ich mit tiefem Gehorsam ertragen.
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Du bist ewig! Kein endlicher Geist hat das Zürnen der Gottheit,
Keiner je den Unendlichen, tödtend mit ewigem Tode,
Ganz gedacht und keiner empfunden. Gott nur vermochte
Gott zu versöhnen. Erhebe Dich, Richter der Welt! Hier bin ich!
Tödte mich, nimm mein ewiges Opfer zu Deiner Versöhnung!
Noch bin ich frei, noch kann ich Dich bitten, so thut sich der Himmel
Mit Myriaden von Seraphim auf und führet mich jauchzend,
Vater, zurück in Triumph zu Deinem erhabenen Throne!
Aber ich will leiden, was keine Seraphim fassen,
Was kein denkender Cherub in tiefen Betrachtungen einsieht;
Ich will leiden, den furchtbarsten Tod ich Ewiger leiden!«
Weiter sagt' er und sprach: »Ich hebe gen Himmel mein Haupt auf,
Meine Hand in die Wolken und schwöre Dir bei mir selber,
Der ich Gott bin wie Du: ich will die Menschen erlösen.«
Jesus sprach's und erhub sich. In seinem Antlitz war Hoheit,
Seelenruh' und Ernst und Erbarmung, als er vor Gott stand.
Aber unhörbar den Engeln, nur sich und dem Sohne vernommen,
Sprach der ewige Vater und wandte sein schauendes Antlitz
Nach dem Versöhner hin: »Ich breite mein Haupt durch die Himmel,
Meinen Arm aus durch die Unendlichkeit, sage: ich bin
Ewig! und schwöre Dir, Sohn: ich will die Sünde vergeben.«
Also sprach er und schwieg. Indem die Ewigen sprachen,
Ging durch die ganze Natur ein ehrfurchtvolles Erbeben.
Seelen, die jetzo wurden, noch nicht zu denken begannen,
Zitterten und empfanden zuerst. Ein gewaltiger Schauer
Faßte den Seraph, ihm schlug sein Herz, und um ihn lag wartend,
Wie vor dem nahen Gewitter die Erde, sein schweigender Weltkreis.
Sanftes Entzücken kam allein in der künftigen Christen
Seelen, und süßbetäubend Gefühl des ewigen Lebens.
Aber sinnlos und zur Verzweiflung nur noch empfindlich,
Sinnlos, wider Gott was zu denken, entstürzten im Abgrund
Ihren Thronen die Geister der Hölle. Da jeder dahinsank,
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Stürzt' auf jeden ein Fels, brach unter jedem die Tiefe
Ungestüm ein, und donnernd erklang die unterste Hölle.
Jesus stand noch vor Gott; und jetzt begannen die Leiden
Seiner Erlösung, ein Vorgefühl, so in furchtbarer Nähe
Grenzt' an das wirkliche, wie, ihn zu richten, Gott von des Throns Höhn
Kommen, mit Schuld ihn belasten der Spruch der verworfensten Menschen,
Er, mit Blute beströmt, den Tod der Kreuzigung sterben
Würd' auf Golgatha. Gabriel lag in der Fern' auf dem Antlitz,
Tiefanbetend, von neuen Gedanken mächtig erhoben.
Seit den Jahrhunderten, die er durchlebt, so lang', als die Seele
Sich die Ewigkeit denkt, wenn sie dem Leib in Gedanken
Schnelles Fluges entfleugt, seit diesen Jahrhunderten hatt' er
So erhabne Gedanken noch nie empfunden. Die Gottheit,
Ihre Versöhnten, die ewige Liebe des göttlichen Mittlers,
Alles eröffnet sich ihm. Gott bildete diese Gedanken
In des Unsterblichen Geiste. Der Ewige dachte sich jetzo
Als den Erbarmer erschaffner Wesen. Der Seraph erhub sich,
Stand und erstaunt' und betet', und unaussprechliche Freuden
Zitterten durch sein Herz, und Licht und blendendes Glänzen
Ging von ihm aus. Die Erde zerfloß in himmlische Schimmer
Unter ihm hin, so dacht' er. Ihn sah der göttliche Mittler,
Daß er den Gipfel des ganzen Gebirgs mit Klarheit erfüllte.
»Gabriel,« rief er, »hülle Dich ein, Du dienst mir auf Erden!
Mache Dich auf, dies Gebet vor meinen Vater zu bringen,
Daß die edelsten unter den Menschen, die seligen Väter,
Daß der versammelte Himmel der Zeiten Fülle vernehme,
Die er mit innigem, heißem Verlangen verlangte. Dort leuchte
Als der Gesendete Jesus', des Mittlers, im Glanze der Engel!«
Schweigend, mit göttlichheitrer Geberd' erhub sich der Seraph.
Jesus schaut' ihm vom Oelberg nach. Der Göttliche sah schon,
Was der Seraph that, an dem Throne der Herrlichkeit Gottes,
Eh der eilende noch des Himmels Sonnen erreichte.
Jetzo erhuben sich neue, geheimnißvolle Gespräche
Zwischen ihm und dem Ewigen, schicksalenthüllendes Inhalts,
Heilig und furchtbar und hehr, voll nie gehoffter Entscheidung,
Selbst Unsterblichen dunkel, Gespräche von Dingen, die künftig
Gottes Erlösung vor allen Erschaffnen verherrlichen werden.
Unterdeß eilte der Seraph zum äußersten Schimmer des Himmels
Wie ein Morgen empor. Hier füllen nur Sonnen den Umkreis,
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Und gleich einer Hülle, gewebt aus Strahlen des Urlichts,
Zieht sich ihr Glanz um den Himmel herum. Kein dämmernder Erdkreis
Naht sich des Himmels verderbendem Blick. Entfliehend und ferne
Geht die bewölkte Natur vorüber. Da eilen die Erden
Klein, unmerkbar dahin, wie unter des Wanderers Fuße
Niedriger Staub, von Gewürme bewohnt, aufwallet und hinsinkt.
Um den Himmel herum sind tausend eröffnete Wege,
Lange, nicht auszusehende Weg', umgeben von Sonnen.
Durch den glänzenden Weg, der gegen die Erde sich wendet,
Floß seit ihrer Erschaffung, am Fuß des Thrones entspringend,
Einst nach Eden ein Strom der Himmelsheitre herunter.
Ueber ihm oder an seinem Gestad', erhoben von Farben,
Gleichend den Farben des Regenbogens oder der Frühe,
Kamen damals Engel und Gott zu vertraulichem Umgang
Zu den Menschen. Doch schnell ward der Strom herüber gerufen,
Als durch Sünde der Mensch zu Gottes Feinde sich umschuf.
Denn die Unsterblichen wollten nicht mehr in sichtbarer Schönheit
Gegenden sehn, die vor ihnen des Todes Verwüstung entstellte.
Damals wandten sie schauernd sich weg. Die stillen Gebirge,
Wo noch die Spur des Ewigen war; die rauschenden Haine,
Welche vordem das Säuseln der Gegenwart Gottes beseelte;
Selige, friedsame Thäler, sonst von der Jugend des Himmels
Gern besucht; die schattigen Lauben, wo ehmals die Menschen,
Ueberwallend von Freuden und süßen Empfindungen, weinten,
Daß Gott ewig sie schuf; – die Erde trug des Fluches
Lasten jetzt, war ihrer vordem unsterblichen Kinder
Großes Grab. Doch dereinst, wenn die Morgensterne verjünget
Aus der Asche des Weltgerichts triumphirend hervorgehn;
Wenn nun Gott die Kreise der Welten mit seinem Himmel
Durch allgegenwärtiges Anschaun alle vereinet:
Dann wird auch der ätherische Strom von dem himmlischen Urquell
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Wieder mit hellerer Schöne zum neuen Eden sich senken.
Nie wird dann sein Gestade von hohen Versammlungen leer sein,
Die zu der Erde, Gespielen der neuen Unsterblichen, wallen.
Dies ist der heilige Weg, mit welchem Gabriel fortging
Und von fern dem Himmel der göttlichen Herrlichkeit nahte.
Mitten in der Versammlung der Sonnen strahlet der Himmel,
Rund, unermeßlich, des Weltgebäu's Urbild, die Fülle
Jeder sichtbaren Schönheit, die sich gleich flüchtigen Bächen
Ringsum durch den unendlichen Raum nachahmend ergießet.
Wenn er wandelt, ertönen von ihm auf den Flügeln der Winde
An die Gestade der Sonnen des Wandelnden Harmonien
Rauschend hinüber. Die Lieder der göttlichen Harfenspieler
Schallen mit Macht, wie beseelend, darein. So vereiniget schweben
Töne vor dem, der das Ohr gemacht hat, und Preise vorüber.
Wie sein freudiger Blick an seiner Werke Gestalten
Sich ergetzt, so vergnügten sein Ohr die Gesänge des Himmels.
Die Du himmlische Lieder mich lehrst, Gespielin der Engel,
Seherin Gottes, Du Hörerin hoher, unsterblicher Stimmen,
Melde mir, Sionitin, das Lied, das die Engel itzt sangen.
Sei uns gegrüßt, Du heiliges Land der Erscheinungen Gottes!
Hier erblicken wir Gott, wie er ist, wie er war, wie er sein wird,
Siehe, den Seligen ohne Verhüllung, nicht in der Dämmrung
Fern nachahmender Welten. Dich schauen wir in der Versammlung
Deiner Erlösten, die Du auch würdigst des seligen Anblicks.
Ach, unendlich vollkommen bist Du! Zwar nennt Dich der Himmel,
Und der Unaussprechliche wird Jehovah geheißen!
Unser Gesang, lebendig durch Kräfte der Urbegeistrung,
Suchet Dein Bild, doch umsonst; auf Deine Verklärung gerichtet,
Können Gedanken sich kaum von Deiner Gottheit besprechen.
Ewiger, Du bist allein in Deiner Größe vollkommen!
Jeder Gedanke, mit dem Du Dich selbst, o Erster, durchschauest,
Ist erhabner, ist heiliger als die stille Betrachtung,
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Auf erschaffene Dinge von Dir hernieder gelassen.
Dennoch entschlossest Du Dich, auch außer Dir Wesen zu sehen
Und auf sie den beseelenden Hauch hernieder zu lassen.
Erst erschufst Du den Himmel, dann uns, die Bewohner des Himmels.
Fern wart Ihr da von Eurer Geburt, Du jüngerer Erdkreis,
Und Du Sonn', und Du Mond, der seligen Erde Gefährten.
Erstgeborner der Schöpfung, wie war Dir bei Deinem Hervorgehn,
Da nach undenkbarer Ewigkeit Gott zu Dir sich herabließ,
Dann zu der Stätte Dich der Herrlichkeit kor und des Anschauns?
Dein unermeßlicher Kreis, heraufgerufen zum Dasein,
Bildete sich zu seiner Gestalt; die schaffende Stimme
Wandelte noch mit dem ersten Getöse krystallener Meere;
Ihre Gestade, die sich wie Welten zusammengebirgten,
Hörten sie; noch kein Unsterblicher nicht! Da standest Du, Schöpfer,
Auf dem neuen erhabenen Thron Dich selber betrachtend,
Einsam und ernst. O, jauchzt der denkenden Gottheit entgegen!
Damals, ja, damals erschuf er Euch, Seraphim, Geistergeschöpfe,
Voll von Gedanken, voll mächtiger Kraft, die Gedanken des Schöpfers,
Die er in Euch von sich selber erschafft, anbetend zu fassen.
Halleluja, ein feirendes Halleluja, o Erster,
Sei Dir von uns unaufhörlich gesungen! Zur Einsamkeit sprachst Du:
Sei nicht mehr! und den Wesen: Entwickelt Euch! Halleluja!
Unter dem Liede, das nach dem Dreimalheilig der Himmel
Allzeit singet, hatte des Mittlers heiliger Bote
Eine der nächsten Sonnen am Himmel leuchtend betreten.
Ueberall schweigen die Seraphim jetzt und feiren den Anblick,
Welcher, des Preisgesangs Belohner, von Gott auf sie strahlte.
Und sie erblickten den helleren Seraph am Sonnenmeer. Gott
Schaut' auf ihn, der Himmel mit Gott. Er betete knieend.
Zweimal die Zeit, in der ein Cherub den Namen Jehovah,
Tief in Gebet, und das Dreimalheilig der Ewigkeit ausspricht,
Würdiget ihn des Anschauns Gott. Dann eilet der Thronen
Erstgeborner herab, ihn fei'rlich vor Gott zu führen.
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Gott nennt ihn den Erwählten, der Himmel Eloa. Vor Allen,
Die Gott schuf, ist er groß, ist der Nächste dem Unerschaffnen.
Schön ist ein Gedanke des gottgewählten Eloa,
Wie die ganze Seele des Menschen, geschaffen der Gottheit,
Wenn sie, ihrer Unsterblichkeit werth, gedankenvoll nachsinnt.
Sein umschauender Blick ist schöner als Frühlingsmorgen,
Lieblicher als die Gestirne, da sie vor dem Antlitz des Schöpfers
Jugendlichschön und voll Licht mit ihren Tagen vorbeiflohn.
Gott erschuf ihn zuerst. Aus einer Morgenröthe
Schuf er ihm einen ätherischen Leib. Ein Himmel voll Wolken
Floß um ihn, da er ward. Gott hub ihn mit offenen Armen
Aus den Wolken und sagt' ihm segnend: »Da bin ich, Erschaffner!«
Und auf einmal sahe vor sich Eloa den Schöpfer,
Schaut' in Entzückungen an und stand und schaute begeistert
Wieder an und sank, verloren in Gottes Anblick.
Endlich redet' er, sagte dem Ewigen alle Gedanken,
Die er hatte, die neuen, erhabnen Empfindungen alle,
Die das große Herz ihm durchwallten. Es werden die Welten
Alle vergehn und neu aus ihrem Staube sich schwingen,
Ganze Jahrhunderte werden dann erst in die Ewigkeit eingehn,
Eh der erhabenste Christ die großen Empfindungen fühlet.
Jetzo kam Eloa auf neu erwachenden Strahlen
Zu dem gesendeten Engel in seiner Schönheit hernieder,
Ihn zum Altar des Versöhners zu führen. Er ging noch von ferne,
Da er schon Gabriel kannte. Der Seraph zerfloß in Entzückung,
Von den Unsterblichen einen zu sehn, mit dem er vor diesem
Jeden Kreis der Schöpfungen Gottes und seine Bewohner
Sah, und mit dem er unnachahmbarere Thaten vollführte,
Als durch die Besten aus ihm das vereinte Menschengeschlecht that.
Jetzo verklärten sie sich schon liebend gegen einander.
Schnell, mit brünstig eröffneten Armen, mit herzlichen Blicken
Eilten sie gegen einander. Sie zitterten Beide vor Freuden,
Als sie sich umarmten. So zittern Brüder, die Beide
Tugendhaft sind und Beide den Tod für das Vaterland suchten,
Wenn sie, von Heldenblute noch voll, sich nach ewigen Thaten
Sehen und sich vor ihrem noch größeren Vater umarmen.
Gott sah sie und segnete sie. So gingen sie Beide,
Herrlicher durch die Freundschaft, dem Thron des Himmels entgegen.
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Also kamen sie weiter zum Allerheiligsten Gottes.
Nah bei der Herrlichkeit Gottes, auf einem himmlischen Berge
Ruhet des Allerheiligsten Nacht. Lichthelles Glänzen
Wacht inwendig um Gottes Geheimniß. Das heilige Dunkel
Deckt nur das Innre dem Auge der Engel. Zuweilen eröffnet
Gott die dämmernde Hülle durch allmachttragende Donner
Vor dem Blick der himmlischen Schauer. Sie sehen und feiren.
Sieh, auf einmal stand bei des Allerheiligsten Eingang,
Wie ein Gebirg, der Altar des Versöhners vor Gabriel's Auge
Wolkenlos da. Er sah ihn und ging in festlicher Schönheit
Priesterlich zu dem Altar und trug zwo goldene Schalen,
Heiliges Räuchwerks voll, und stand tiefsinnig am Altar.
Neben ihm stand Eloa und rief aus seiner Harfe
Göttliche Töne, zum hohen Gebet den opfernden Seraph
Vorzubereiten. Der hört' ihn, und durch die mächtige Harfe
Hub sich sein Geist entflammter empor, wie der Ocean aufwallt,
Wenn auf ihm in Sturme daher die Stimme des Herrn geht.
Gabriel schauete Gott und sang mit mächtiger Stimme.
Jetzo hört der ewige Vater, es höret der Himmel,
Mittler, Dein Söhnungsgebet. Gott zündete selber das Opfer
Wunderbar an, und heiliger Rauch stieg mit dem Gebete
Stillbegleitend empor, dann hub er sich weiter und wallte,
Wie von der Erde Gebirgen ein ganzer Himmel, zu Gott auf.
Nieder zur Erde hatte bis jetzt Jehovah geschauet.
Denn es hielt noch immer der Sohn aus der Fülle der Seele
Mit dem Vater Gespräche des schicksalenthüllenden Inhalts,
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Heilig und furchtbar und hehr, voll nie gehoffter Entscheidung,
Selbst Unsterblichen dunkel, Gespräche von Dingen, die künftig
Gottes Erlösung vor allen Erschaffnen verherrlichen werden.
Aber itzt füllte des Ewigen Blick den Himmel von Neuem;
Jeder begegnete feirend und still dem göttlichen Blicke.
All' erwarten die Stimme des Herrn. Die himmlische Ceder
Rauschte nicht, der Ocean schwieg an dem hohen Gestade.
Gottes lebender Wind hielt zwischen den ehernen Bergen
Unbeweglich und wartete mit verbreiteten Flügeln
Auf der Stimme Gottes Herabkunft. Donnerwetter
Stiegen zum Wartenden langsam das Allerheiligste nieder.
Aber noch redete Gott nicht. Die heiligen Donnerwetter
Waren Verkündiger nur der nahenden göttlichen Antwort.
Als sie schwiegen, that vor der Thronen freudigem Blick Gott
Offenbarend sein Heiligthum auf, die verlangenden Thronen
Zu den hohen Gedanken des Ewigen vorzubereiten.
Und da wandte sich Urim voll Ernst, mit göttlichem Tiefsinn,
Cherub Urim, des ewigen Geistes vertrauterer Engel,
Zu dem hohen Eloa und sprach: »Was siehst Du, Eloa?«
Seraph Eloa stand auf, ging langsam vorwärts und sagte:
»Dort an den goldenen Pfeilern, da sind labyrinthische Tafeln
Voll Vorsehung; dann Bücher des Lebens, welche dem Hauche
Mächtiger Winde sich öffnen und Namen künstiger Christen,
Neue belohnende Namen, des Himmels Unsterblichkeit aufthun.
Wie die Bücher des Weltgerichts, gleich wehenden Fahnen
Kriegender Seraphim, furchtbar sich öffnen! Ein tödtender Anblick
Für die niedrigen Seelen, die wider Gott sich empörten!
O, wie Gott sich enthüllt! Ach, Urim, in heiliger Stille
Schimmern die Leuchter im Silbergewölk, bei tausenden tausend
Schimmern sie, Vorbilder der gottversöhnten Gemeinen!
Zähle sie, Urim, die heilige Zahl!« – »Die Welten, Eloa,
Siehe, der Engel gekrönete Thaten, die Freuden der Engel
Sind uns zählbar; allein die Folgen der großen Erlösung,
Gottes Erbarmungen nicht.« Da sprach Eloa: »Ich sehe
Seinen Gerichtsstuhl! Schrecklich bist Du, Weltrichter, Messias!
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Schau des hohen Stuhles Gestalt. Er tödtet von ferne!
Und die zur Rache gerüstete Gluth! Ein lebender Sturmwind
Hebt ihn in donnernden Wolken empor. Ach, schone, Messias,
Schone, Richter der Welt, mit ewigem Tode bewaffnet!«
So besprachen Eloa und Urim sich unter einander.
Siebenmal hatte der Donner das heilige Dunkel eröffnet,
Und die Stimme des Ewigen kam sanftwandelnd hernieder:
»Gott ist die Liebe. Ich war's vor dem Dasein meiner Geschöpfe.
Da ich die Welten erschuf, war ich auch Der. Bei der Vollendung
Meiner geheimsten, erhabensten That bin ich Ebenderselbe.
Aber Ihr sollt durch den Tod des Sohns den Richter der Welten,
Ganz mich kennen und neue Gebete dem Furchtbaren beten.
Hielt' Euch dann des Richtenden Arm nicht, Ihr würdet im Anschaun
Dieses großen Todes vergehn. Denn Ihr seid endlich.«
Und der Auszusöhnende schwieg. Die tiefe Bewundrung
Faltete heilige Hände vor ihm. Jetzt winkt' er Eloa,
Und der Seraph verstand die Red' in dem Antlitz Jehovah,
Wandte sich gegen die himmlischen Hörer und sagte zu ihnen:
»Schaut den Ewigen an, Ihr vorerwählten Gerechten,
Heilige Kinder! Erkennt sein Herz, Ihr wart ihm das Liebste
Seiner Gedanken, als er sich das Heil des Erlösenden dachte.
Euch hat herzlich verlangt, Gott selber ist Euer Zeuge,
Endlich zu sehn die Tage des Heils und seinen Messias.
Seid gesegnet, Ihr Kinder des Herrn, von dem Geiste geboren!
Jauchzet, Kinder, Ihr schaut den Vater, das Wesen der Wesen.
Siehe, der Erst' und der Letzte, der ist er, und ewig Erbarmer!
Der von Ewigkeit ist, den keine Geschöpfe begreifen,
Gott, Jehovah, läßt zu Euch sich väterlich nieder.
Dieser Bote des Friedens, von seinem Sohne gesendet,
Ist zu dem hohen Altar um Eurentwillen gekommen.
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Wäret Ihr nicht zu der großen Erlösung Zeugen erkoren,
O, so hätten sie sich in entfernter Stille besprochen,
Einsam, geheim, unerforschlich. Doch Ihr, Geborne der Erde,
Sollt die Tage mit Wonne, mit ewigem Jauchzen vollenden;
Wir mit Euch. Wir wollen den ganzen verborgenen Umfang
Eurer Erlösung durchschaun; mit viel verklärterem Blicke
Werden wir diese Geheimnisse sehn, als Eures Erlösers
Fromme, weinende Freunde, die noch in Dunkelheit irren.
Aber seine verlornen Verfolger! der Ewige hat sie
Lang' aus den heiligen Büchern vertilgt; allein den Erlösten
Sendet er göttliches Licht. Sie sollen das Blut der Versöhnung
Nicht mit weinendem Auge mehr sehn. Sie werden es sehen,
Wie sich vor ihnen sein Strom in das ewige Leben verlieret.
O, dann sollen sie hier, in des Friedens Schooße getröstet,
Feste des Lichts und der ewigen Ruh triumphirend begehen.
Seraphim und Ihr Seelen, erlöste Väter des Mittlers,
Fangt Ihr die Feste der Ewigkeit an! Sie dauren von jetzo
Mit der Unendlichkeit fort. Die noch sterblichen Kinder der Erde
Werden Geschlecht auf Geschlecht zu Euch sich alle versammeln,
Bis sie dereinst vollendet, mit neuen Leibern umgeben,
Nach vollbrachtem Gericht zu einer Seligkeit kommen.
Gehet indeß von uns aus, Ihr hohen Engel der Throne,
Meldet den Herrschern der Schöpfungen Gottes, daß sie sich der Feirung
Dieser erwählten, geheimnißvollen Tage bereiten.
Und Ihr Frommen des Menschengeschlechts, Ihr Väter des Mittlers –
Denn von jenem Gebein der Sterblichkeit, das Ihr im Staube
Reifend zur Auferstehung zurückließt, stammt der Messias,
Er, der Gott ist und Mensch – auch Euch ist die Freude gegeben,
Die allein bei sich mit seiner Gottheit Gefühl Gott
Ganz empfindet; unsterbliche Seelen, eilt zu der Sonne,
Welche den Kreis der Erlösung umleuchtet! Hier sollt Ihr von ferne
Eures Erlösers und Sohns versöhnende Thaten betrachten.
Diesen Lichtweg steiget hinab! Aus allen Bezirken
Sieht Euch die weite Natur mit verneuter Schönheit entgegen.
Denn Jehovah will selbst nach dieser Jahrhunderte Kreislauf
Einen Ruhtag Gottes, den zweiten erhabneren Sabbath
Bei sich feiren. Der ist viel höher als jener berühmte,
Jener von Euch, Ihr erhabenen Wesen, Seraphische Schaaren,
[66]
Heilig besungene Tag, den Ihr nach Vollendung der Welten
Einst an dem Schöpfungsfeste begingt. Ihr wißt es, o Geister,
Wie die neue Natur in liebenswürdiger Schöne
Da sich erhub, wie in Eurer Gesellschaft die Morgensterne
Vor dem Schöpfer sich neigten. Allein jetzt wird sein Messias,
Sein unsterblicher Sohn, viel größere Thaten vollenden.
Eilt, verkündigt es seinen Geschöpfen! Sein Sabbath erhebt sich
Jetzt mit des hocherhabnen Messias freiem Gehorsam.
Gott Jehovah nennt ihn den Sabbath des ewigen Bundes.«
Staunend schwieg Eloa, und schweigend sahe der Himmel
Zu dem Allerheiligsten auf. Dem Gesendeten Christus'
Winkte Gott; da stieg er hinauf zu dem obersten Throne.
Dort empfing er an Uriel und die Beschützer der Erde
Wegen der Wunder beim Tode des Sohns geheime Befehle.
Unterdeß waren die Thronen von ihren Sitzen gestiegen.
Gabriel folgte. Da er dem Altar der Erde sich nahte,
Höret' er Seufzer, die fern den hohen Gewölben entwallten
Und mit weinendem Laute das Heil der Menschen verlangten.
Aber vor allen Stimmen erscholl die Stimme des Ersten
Unter den Menschen. Er dachte den Fall Aeonen herunter.
Dieser ist der Altar, von dem auf Patmos des neuen,
Blutenden Bundes Prophet das himmlische Bild erblickte.
Dort war's, wo sich im hohen Gewölbe der Märtyrer Stimme
Klagend erhub; dort weinten die Seelen Thränen der Engel,
Daß er den Tag, der Richter den Tag der Rache verzögre!
Als jetzt zu der Erd' Altar der Seraph hinabstieg,
Eilt' ihm mit jedem heißen Verlangen Adam entgegen,
Nicht ungesehn; ein schwebender Leib, aus Heitre gebildet,
War dem seligen Geist zur verklärten Hülle geworden.
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Seine Gestalt war schön wie Du vor des Schöpfers Gedanken,
Göttliches Bild, da er Adam zu schaffen gedankenvoll dastand,
Und im gesegneten Schooße des lebenduftenden Edens
Unter ihm heiliges Land zum werdenden Menschen sich losriß.
Also gebildet nahte sich Adam. Liebliches Lächeln
Machte sein Antlitz wie göttlich; er sprach mit verlangender Stimme:
»Sei mir gegrüßt, begnadigter Seraph, Du Friedensbote!
Da uns die Stimme Deiner erhabenen Sendung erschallte,
Hub sich mein Geist in Jubel empor. Du theurer Messias,
Könnt' ich Dich auch holdselig in jener menschlichen Schönheit
Wie der Seraph hier sehn! ach, in jener Gestalt der Erbarmung,
Die Du korest, in ihr mein gefallnes Geschlecht zu versöhnen.
Zeige mir, Seraph, die Spur, wo mein Erlöser gewandelt,
Mein Erlöser und Freund, ich will ihn nur ferne begleiten!
Ruhstatt jenes Gebets, wo unser Mittler sein Antlitz
Aufhub, schwur, er wollte die Kinder Adam's erlösen,
Dürfte der erste der Sünder mit Freudenthränen Dich anschaun!
Ach, ich war ja vordem Dein erstgeborner Bewohner,
Mütterlich Land, o Erde! wie sehn' ich nach Dir mich hinunter!
Deine vom Donnerworte des Fluchs zerstörten Gefilde
Wären mir in des Messias Gesellschaft, den jenes Todes
Leib umhüllet, welchen ich dort in dem Staube zurückließ,
Lieblicher als Dein Gefilde, nach himmlischen Auen erschaffen,
O Paradies, verlorner Himmel!« So sagt er voll Inbrunst.
»Deine Verlangen will ich, Du Erstling der Auserwählten,«
Sprach mit freundlicher Stimme der Seraph, »dem Söhnenden kundthun.
Ist es sein göttlicher Wille, so wird er Adam gebieten,
Daß er ihn seh', wie er ist, die erniederte Herrlichkeit Gottes.«
Jetzo hatten den Himmel die Cherubim feirend verlassen
Und sich überall schnell in der Welten Kreise verbreitet.
Gabriel schwebt' allein herab zu der seligen Erde,
Die der benachbarte Kreis vorübergehender Sterne
Still mit seinem allgegenwärtigen Morgen begrüßte.
Rings erschollen zugleich die neuen Namen der Erde.
Gabriel hörte die Namen: »Du Königin unter den Erden,
Augenmerk der Geschaffnen, vertrauteste Freundin des Himmels,
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Zweite Wohnung der Herrlichkeit Gottes, unsterbliche Zeugin
Jener geheimen, erhabenen That des großen Messias!«
Also ertönte, durchhallt von englischen Stimmen, der Umkreis.
Gabriel hört' es, doch kam er mit eilendem Fluge zur Erde.
Schlummer sank und Kühle noch hier in die Thäler, und stille,
Dunkle, gesellige Wolken verhüllten noch ihr Gebirge.
Gabriel ging in der Nacht und suchte mit sehnendem Blicke
Gott den Mittler. Er fand ihn in einem niedrigen Thale,
Das sich herabließ zwischen den Gipfeln des himmlischen Oelbergs.
Hier war, tief in Gedanken versenket, der Gottversöhner
Eingeschlafen. Ein Felshang war des Göttlichen Lager.
Gabriel sah ihn vor sich in süßem, luftigen Schlafe,
Stand bewundernd still und sah unverwandt auf die Schönheit,
Durch die vereinte Gottheit der menschlichen Bildung gegeben.
Ruhige Liebe, Züge des göttlichen Lächelns voll Gnade,
Huld und Milde, noch Thränen der ewigtreuen Erbarmung
Zeigten den Geist des Menschenfreundes in seinem Antlitz;
Aber verdunkelt war durch des Schlafes Geberde der Abdruck.
Also sieht ein wallender Seraph der blühenden Erde
Halbunkenntliches Antlitz an Frühlingsabenden liegen,
Wenn der Abendstern am einsamen Himmel heraufgeht
Und, ihn anzuschaun, aus der dämmernden Laube den Weisen
Herwinkt. Endlich red'te nach langer Betrachtung der Seraph:
»O Du, dessen Allwissenheit sich durch die Himmel verbreitet,
Der Du mich hörest, obgleich Dein Leib von Erde da schlummert,
Deine Befehle richtet' ich alle mit eilender Sorg' aus!
Als ich es that, eröffnete mir der erste der Menschen,
Wie er Dein Antlitz zu sehn, erhabener Mittler, sich sehne.
Jetzo will ich, so hat's Dein großer Vater geboten,
Wieder von hier, die Versöhnung mit zu verherrlichen, eilen.
Schweiget indeß, o nahe Geschöpfe! die flüchtigsten Blicke
Dieser eilenden Zeit, da Euer Schöpfer noch hier ist,
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Müssen theurer Euch sein als jene Jahrhunderte, die Ihr
Euren Menschen mit emsiger, reger Sorge gedient habt.
Schweig, Getöse der Luft, in dieser Oede der Gräber,
Oder erhebe Dich sanft mit stillem, bebenden Säuseln.
Und Du, nahes Gewölk, o, senke Du tiefere Ruhe
In die kühlenden Schatten aus Deinen Schößen herunter.
Rausche nicht, Ceder, und schweig, o Hain, vor dem schlummernden Schöpfer!«
Also verlor sich mit sorgsamem Ton des Unsterblichen Stimme.
Und er eilete zu der Versammlung der heiligen Wächter,
Die, Vertraute der Gottheit und ihrer verborgneren Vorsicht,
In geheimer Stille mit ihm die Erde beherrschen.
Diesen sollt' er noch jetzo, eh er sich erhübe zur Sonne,
Jenes Verlangen der seligen Geister, die nahe Versöhnung,
Und den zweiten, den Sabbath des großen Geopferten kund thun.
Der Du nach Gabriel jetzo den Kreis der Erlösung beherrschest,
Göttlicher Hüter der Mutter so vieler unsterblicher Kinder,
Die sie wie ihre Begleiter, die schnellen Jahrhunderte, eilend
Und unerschöpflich an Fülle, den höheren Gegenden sendet,
Dann zertrümmert die Hütte des ewigen Geistes hinabgräbt
Unter Hügel, auf denen der fliehende Wandrer nicht ausruht;
O Du, dieser einst verherrlichten Erde Beschützer,
Seraph Eloa, verzeih es Deinem künftigen Freunde,
Wenn er Deine Wohnung, seit Eden's Schöpfung verborgen,
Von der Sängerin Sion's gelehrt, den Sterblichen zeiget.
Hat er in tiefe Gedanken sich je voll einsamer Wollust
Und in die hellen Kreise der stillen Entzückung verloren,
Hat mit Gedanken der Geister sich sein Gedanke vereinigt,
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Und die enthülltere Seele der Himmlischen Rede vernommen:
O, so hör' ihn, Eloa, wenn er, wie die Jugend des Himmels,
Kühn und erhaben, nicht singt verschwundene Größe des Menschen,
Sondern des Todes Geweihte, der Auferstehung Geweihte
Zu der Versammlung der Himmlischen führt, zu dem Rathe der Wächter.
In dem stillen Bezirk des unbetrachteten Nordpols
Ruhet die Mitternacht einsiedlerisch, säumend, und Wolken
Fließen von ihr wie ein sinkendes Meer unaufhörlich herunter.
So lag unter der Finsterniß Gottes, von Moses gerufen,
Einst der Strom Aegyptus, in vierzehn Ufer gedränget,
Und Ihr, ewige Pyramiden, der Könige Gräber.
Niemals hat noch ein Auge, von kleineren Himmeln umgrenzet,
Diese Gefilde gesehn, die in nächtlicher Stille ruhen
Unbewohnt, und wo von des Menschen Stimme kein Laut tönt,
Wo sie keinen Todten begruben, und keiner erstehn wird.
Aber, tiefen Gedanken geweiht und ernster Betrachtung,
Machen sie Seraphim herrlich, indem auf ihren Gebirgen
Gleich Orionen sie wandeln und, in prophetische Stille
Sanft verloren, der Sterblichen künftige Seligkeit anschaun.
Mitten in diesem Gefild' erhebt sich die englische Pforte,
Die der Erde Beschützer zu ihrem Heiligthum einführt.
Wie zu der Zeit, wenn der Winter belebt, ein heiliger Festtag
Ueber beschneiten Gebirgen nach trüben Tagen hervorgeht;
Wolken und Nacht entfliehen vor ihm, die beeisten Gefilde,
Hohe durchsichtige Wälder entnebeln ihr Antlitz und glänzen:
So ging Gabriel jetzt auf den mitternächtlichen Bergen,
Und schon stand des Unsterblichen Fuß an der heiligen Pforte,
Welche vor ihm wie rauschender Cherubim Flügel sich aufthat,
Hinter ihm wieder mit Eile sich schloß. Nun wandelt der Seraph
In der Erd' Abgründen. Da wälzten sich Oceane
Ringsum, langsamer Fluth, zu menschenlosen Gestaden.
Alle Söhne der Oceane, gewaltige Ströme
Flossen, wie Ungewitter sich aus den Wüsten heraufziehn,
Tiefauftönend ihm nach. Er ging, und sein Heiligthum zeigte
Sich ihm schon in der Nähe. Die Pfort', erbauet von Wolken,
Wich ihm aus und zerfloß vor ihm wie in himmlische Schimmer.
Unter dem Fuße des Eilenden zog sich flüchtige Dämmrung
[71]
Wallend weg. Nah hinter ihm an den dunkeln Gestaden
Blieb es in seinem Tritte zurück wie wehende Flammen.
Und der Unsterbliche war zu der Engelversammlung gekommen.
Da, wo ferne von uns zu der Mitte die Erde sich senket,
Wölbt sich in ihr ein weiter Bezirk voll himmlischer Lüfte.
Dort schwebt, leise bewegt und bekrönt mit flüssigem Schimmer,
Eine sanftere Sonne. Von ihr fließt Leben und Wärme
In die Adern der Erd' empor. Die obere Sonne
Bildet mit dieser vertrauten Gehilfin den blumigen Frühling
Und den feurigen Sommer, vom sinkenden Halme belastet,
Und den Herbst auf Traubengebirgen. In ihren Bezirken
Ist sie niemals auf- und niemals untergegangen.
Um sie lächelt in röthlichen Wolken ein ewiger Morgen.
Unterweilen thut, der alle Himmel erfüllet,
Seine Gedanken den Engeln daselbst durch Zeichen in Wolken
Wunderbar kund; dann erscheinen vor ihnen die Folgen der Vorsicht.
Also entdeckt sich Gott, wenn nach wohlthätigen Wettern
Ueber besänftigten Wolken der Himmelsbogen hervorgeht
Und Dir, Erde, den Bund und die Fruchtbarkeit Gottes verkündigt.
Gabriel ließ jetzo auf dieser Sonne sich nieder,
Die, ungesehen von uns, die innere Fläche der Erde
Und was dort Lebendigkeit athmet, mit bleibendem Strahl labt.
Also unsers Mondes Gefährt'. Wir sehn ihn nicht wallen;
Denn ihm entquillt nur dämmernder, bald versiegender Schimmer,
Auch verfinstert er nicht, so locker vereinte sein Stoff sich;
Aber die Menschen im Hesperus sehn, die im Jupiter sehn ihn.
Also der hohe Saturn. Der himmlischen Aehre Bewohner
Sehen des mondumwimmelten Sterns weitkreisenden Lauf nicht.
Um den Seraph versammelten sich die Beschützer der Völker,
Engel des Kriegs und des Todes, die im Labyrinthe des Schicksals
Bis zu der göttlichen Hand den führenden Faden begleiten;
Die in Verborgnem über die Thaten der Könige herrschen,
Wenn sie damit triumphirend als ihrer Schöpfung sich aufblähn.
Dann die Hüter der Tugendhaften, der wenigen Edlen,
Die in seiner Entfernung den denkenden Weisen begleiten,
Wenn er das Menschengewebe der Erdeseligkeit fliehet
Und die Bücher der ewigen Zukunft betend eröffnet.
Auch sind sie oft insgeheim bei einer Versammlung zugegen,
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Wo der feurige Christ die Herabkunft Gottes empfindet,
Wenn ein brüderlich Volk, durch das Blut des Bundes geheiligt,
Vor dem Versöhner der Menschen in Jubellieder sich ausgießt.
Wenn die Seelen entschlafner Christen ihr todtes Antlitz
Und den Schweiß und die traurigen Züge des siegenden Todes
Und die bezwungne Natur auf ihrem Leichnam erblicken,
So empfangen sie diese Gefährten mit tröstendem Anblick:
»Lieber, wir wollen dereinst die Trümmern alle versammeln!
Eben diese Wohnung der Sterblichkeit, diese Gebeine,
Welche die Hand des gewaltigen Todes so traurig entstellt hat,
Soll mit dem Morgen des Richters zur neuen Schöpfung erwachen.
Kommt, zukünftige Bürger des Himmels, helleres Anschaun,
Siehe, der erste der Ueberwinder erwartet Euch, Seelen!«
Auch die Seelen, die zarten, nur sprossenden Leibern entflohen,
Sammelten sich um den Seraph herum. Sie flohen noch sprachlos,
Mit der Kindheit zärtlichem Weinen. Ihr schüchternes Auge
Hatte kaum staunend erblickt der Erde kleine Gefilde;
Darum durften sie sich auf der Welten furchtbaren Schauplatz,
Noch ungebildet, so bald hervorzutreten nicht wagen.
Ihre Beschützer geleiten sie zu sich und lehren sie reizend,
Unter beseelender Harfen Klang in lieblichen Liedern:
Wie und woher sie entstanden, wie groß die menschliche Seele
Von dem vollkommensten Geiste gemacht sei, wie jugendlich heiter
Sonnen und Monde nach ihrer Geburt zu dem Schöpfer gekommen.
»Euch erwarten vollendete Väter! Herrliches Anschaun
Eures Erbarmers erwartet Euch dort am ewigen Throne!«
Also lehren sie diese der Weisheit würdigen Schüler,
Jener erhabneren Weisheit, nach deren flüchtigem Schatten,
Durch ihr Glänzen geblendet, die irren Sterblichen eilen.
Jetzo hatten sie Alle die schimmernden Lauben verlassen
Und sich zu ihren Vertrauten, der Erde Hütern, versammelt.
Gabriel that jetzo der ganzen Geisterversammlung
Alles das kund, was Gott ihm befahl vom Messias zu sagen.
Diese blieb wie entzückt um den hohen göttlichen Lehrer,
Senkte froh die Gedanken in tiefe Betrachtungen nieder.
Aber ein liebenswürdiges Paar, zwo befreundete Seelen,
Benjamin und Jedidda, umarmten einander und sprachen:
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»Ist das nicht, o Jedidda, der holde, vertrauliche Lehrer?
Ist's nicht Jesus, von welchem der Seraph es Alles erzählte?
Ach, ich weiß es noch wohl, wie er uns inbrünstig umarmte,
Wie er uns an die klopfende Brust mit Zärtlichkeit drückte!«
»Eine getreue Zähre der Huld, die seh' ich noch immer,
Netzte sein Antlitz; ich küßte sie auf, die seh' ich noch immer,
Benjamin, und da sagt' er zu unsern umstehenden Müttern:
›Werdet wie Kinder, sonst könnt Ihr das Reich des Vaters nicht erben.‹« –
»Ja, so sagt' er, Jedidda. Und Der ist unser Erlöser;
Durch Den sind wir so selig! Umarme Deinen Geliebten!«
Also besprachen sie sich mit Zärtlichkeit unter einander.
Gabriel aber erhub sich zur neuen Botschaft.. Der Feier
Festlicher Glanz floß über den Fuß des Unsterblichen nieder.
Also sehen der Erde Tag die Bewohner des Mondes,
Ihren Nächten zu leuchten, in stiller, thauender Wolke
Auf die Gipfel ihrer Gebirge herunterwallen.
Also geschmückt stand Gabriel auf, und unter dem Nachruf
Jauchzender Engel und Seelen betrat er den freieren Luftkreis.
Rauschend wie Pfeile vom silbernen Bogen, zum Siege beflügelt,
Flieget er neben Gestirnen vorbei und eilt zu der Sonne.
Und schon sinket er schwebend auf ihren Tempel herunter.
Auf der Zinne des Tempels fand er die Seelen der Väter,
Die unverwandt den suchenden Blick mit den Strahlen vereinten,
Welche den weckenden Tag in die Thäler Kanaan's sandten.
Unter den Vätern war einer von hohen, denkendem Ansehn,
Adam, der Sohn der erwachenden Erd' und der Bildungen Gottes.
Gabriel, er und der Sonne Beherrscher erwarteten sehnend
Unter Gesprächen vom Heil der Menschen des Oelbergs Anblick.

Notes
Die 20 Gesänge sind in dem Zeitraum von 1745 bis 1773 entstanden. Erstdruck des 1.-3. Gesangs in: Neue Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und des Witzes (Bremen und Leipzig), 4. Band, 4. u. 5. Stück, 1748. Erstdruck des 4. und 5. Gesangs in der Ausgabe der ersten 5 Gesänge: Halle (Hemmerde) 1751.
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TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Erster Gesang. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B47D-5