[52] [55]Zwölfter Gesang

Trüb ist und bang in ihren verborgensten Tiefen die Seele,
Wenn sie fürchtet, daß Gott sie aus ihrem himmlischen Erbe
Stoßen werde. Verirrt in dem Labyrinthe der Vorsicht,
Wenden sich weg von weiterem Forschen alle Gedanken;
Jede von ihren Empfindungen treffen die Flüche vom Sina
Und von dem Ebal, mehr des hohen Golgatha Schrecken.
Ach, nun wird sie das weiße Gewand der Sieger nicht kleiden,
Ihr in dem Himmel die Palme der Ueberwinder nicht werden,
Und die Krone nicht strahlen! Sie liegt hinschmachtend im Staube;
Und sie würde vergehn, wenn sie ein Gedanke nicht hielte,
Er ihr Retter nicht wär', ihr Engel, gesandt von dem Himmel,
Dieser große: sich Gott in Allem zu unterwerfen!
So voll Jammers und so von jeder Hoffnung verlassen
War der kleine Haufe der Wenigen unter den Menschen,
Die den Versöhner kannten des Ewigen, da ihn ihr Auge
Starr und todt auf Golgatha sah und um ihn nun Alles
Oed' und verstummt; und so war's Der von Arimathäa,
Er der Eine, daß sie nicht ganz dem Jammer erlagen.
Dich zu begraben, Du Todter des Herrn, entschloß sich Joseph,
Muthiger jetzt und Rächer an seiner vorigen Kleinmuth.
Laut ruft' er auf Golgatha, daß es der Hauptmann der Römer
Und, wie sehr auch Angst sie betäubte, die Zeugen es hörten:
»Ich begrabe den Todten des Herrn! Dort gegen uns über
Lieget sein Grab und meins. Nein, ich will nur bei des Felsen
Eingang ruhen. Auf, Nikodemus, und alle Myrrhen,
Alles, was Du von der Aloe brachst, das nimm und erwarte
[55]
Mich bei dem Kreuz. Ich geh', und ich komme vom Fürsten der Römer
Schnell zurück; auch bring' ich die Leinwand zu dem Begräbniß.«
Und er eilte. So eilt der Entschluß, das Leben zu ändern,
Wenn er wahr ist, und jeder Entschluß der Sünde vergebens
Gegen ihn den blinkenden Dolchstoß wüthend emporhebt
Oder umsonst Einschläfrungen ihm und Seligkeit zusingt,
Also eilt er zur That. Der Arimathäer erreichte
Bald des Heiden Palast und fand ihn umgeben von Unruh,
Sahe Portia bleich und trüb ihr Auge von Jammer.
P. »Was begehrst Du von mir?« J. »Des Todten Leichnam, Pilatus,
Den Du nicht kanntest, und den Du, von meinem Volke verleitet,
Heut auf Golgatha kreuzigen ließest. Ich will ihn begraben.«
P. »Aber was geht der Todte Dich an?« J. »Sehr viel, o Pilatus,
Und nur weniger als den Richter droben, der Götter
Gott!« P. »Am Kocytus, und nicht in dem Himmel, richten die Götter;
Er nicht, den Du voll Stolz den Gott der Götter itzt nanntest,
Israelit! Rhadamantus und Minos und Aeakus richten.«
J. »Ob die Götter der Römer, und ob am Kocytus sie richten,
Laß uns dann, o Pilatus, entscheiden, wenn unsere Leichen
Urne füllen und Grab. Itzt fleh' ich, o unser Beherrscher,
Auch der Mörder Beherrscher, die den Propheten erwürgten,
Innig Dich an: Gieb mir, gieb wenigen Frommen den Leichnam
Dieses göttlichen Manns!« P. »So wär' er so schnell denn gestorben?
Sag, ist er wirklich todt?« Jetzt hielt es Portia's Wehmuth
Länger nicht aus. »Gieb diesem redlichen Manne den Todten,
Oder begrabe mich selbst!« Sie sprach's, und es stürzt' ihr die Thräne.
»Sende zum Hauptmann am Kreuz,« Pilatus sagt' es zu Joseph,
»Und wenn er kommt, so führ' ihn zu mir.« Er sandte. Der Hauptmann
Kam. Sie traten herein. P. »Ist, den sie vor Barrabas wählten,
Jetzt schon todt?« H. »Todt war er. Ihm wollte Keiner die Beine
Brechen, bis Einer zuletzt die Lanze tief ihm ins Herz stieß.«
Und Pilatus erwiderte: »Gieb dem Manne den Leichnam,
Daß er ihn, wo er will, begrabe. Wo hast Du beschlossen,
Ihn zu begraben?« J. »In meinem Grab an Golgatha's Hügel.«
[56]
Also sagt' er und ging und kam zu dem Hügel des Todes.
Christus' Mutter erblickte zuerst den Treuen und sah es,
Daß er das Sterbegewand zu ihres Sohnes Begräbniß
Trug, und weinte vor inniger Wehmuth; doch ohne Sprache
Blieb sie noch stets, stumm immer noch, mit dem Schwert in der Seele.
Und so bebte zum ersten Mal die Lippe Johannes':
»Mutter des Herrn, uns armen Leidenden ist es doch Lindrung,
Daß ihn Joseph begräbt.« Allein, indem er es sagte,
Wandt' er gleichwol vom Grabe den Blick. Die Mutter des Todten
Und des Jüngers antwortete nicht. Der fromme Joseph
Eilte zum Kreuz, und ihm kam Nikodemus entgegen.
Wer von den Zeugen sich ihnen naht, dem rufen sie Beide
Freudig zu: »Wir dürfen den Todten Gottes begraben!«
Aber die Leidenden traten zurück und blieben von fern stehn;
Doch die Zeugen im Himmel nicht auch, die Erstandnen und Engel.
Diese schwebeten näher hinzu, und schon, doch unhörbar
Menschlichen Ohren, begann der Harfe Klage, der Stimme
Klage noch nicht. Hätt' einer der Sterblichen dieses vernommen,
Einer von Denen, die bang in bitterem Schmerze versanken:
Nicht auf der Erd', er wär' in dem Himmel vor Freude gewesen,
Oder der Engelharfe Wehmuth hätt' ihn getödtet.
Jetzt trat Joseph herzu und Nikodemus und legten,
Der das Sterbegewand und Der die Gerüche der Myrrhe,
In den Staub. Dann nahmen sie von dem Kreuze den Leichnam.
Und sie ließen ihn sanft auf Golgatha's Hügel herunter
Sinken. Nun ruht' er am Kreuz. Sie eileten, gaben der Staude
Leben dem Leichengewand und wollten, der einst mit Posaunen
Auferstehung gebeut, so schützen vor der Verwesung.
Aber Eva schwebt' auf ihn zu und neigt' ihr Antlitz
Ueber das Antlitz des todten Messias. Ihr goldenes Haar floß
Sanft auf seine Wunden, und eine Thräne des Himmels
Auf die ruhende Brust. »Wie schön sind Deine Wunden,«
Lispelt sie leis' ihm zu, »noch ungeborner Erlöster!
Ganzer Aeonen Seligkeit strömt aus jeder herunter.
Sohn, mein Mittler, wie decket Dir Blässe des Todes das Antlitz!
Dein geschlossener schweigender Mund, Dein stummes Auge
Reden dennoch ewiges Leben. Ein blühender Seraph,
[57]
Stürb' er, also läg' er im Tode. Noch lächelst Du Liebe,
Und in Deinem Gesicht red't jede Geberde noch Gnade!«
Also sprach zu dem liegenden Todten die glückliche Mutter;
Aber die andere stand verhüllt und konnte zum Leichnam
Nicht hinblicken. Joseph und Nikodemus umwanden
Schon den Todten. Allein, als unter der Bebenden Händen
Nun das Sterbegewand zu Blute wurde, da hielten's
Länger nicht aus die vollendeten Frommen, die Väter des Mittlers,
Und es begann ihr Todtengesang, die Klage des Himmels.
Eins der Chöre begann, und die Thränen der Seligen flossen.
»Wer ist Der, so vom Golgatha kömmt in röthlichem Kleide?
Wer, mit Blutgewande geschmückt, herunter vom Altar?
Wer, deß göttliche Macht verborgen und ewiges Heil ist?«
Ihm antwortet' ein anderes Chor, und die Thränen flossen,
Und der Posaunen des Weltgerichts tönt' ein' in dem Chore:
»Ich bin's, der Gerechtigkeit lehrt, ein Meister zu helfen!«
Dem erwidert das Chor, das zuerst in Thränen dahinfloß:
»Warum ist Dein Gewand so röthlich gefärbt, und wie Eines,
Der die Kelter getreten, Dein Kleid?« – »Trat ich die Kelter
Nicht allein, und war mit mir der Endlichen einer?
Die sich empörten, ich hab' in meinem Zorn sie gekeltert,
Sie zertreten in meinem Grimm, und all ihr Vermögen
Ist auf meine Kleider gespritzt. In der rettenden Arbeit
Hab' ich mir die Gewande mit Blute gefärbt; denn der Rache
Tag ist, es ist gekommen das Jahr der großen Erlösung.
Als ich begann zu erlösen, da sah ich umher, und kein Helfer
War um mich. Da schreckte mich Gott, und Keiner erhielt mich,
Keiner im Himmel nicht, Keiner auf Erden. Da mußte mein Arm mir
Helfen, und gegen die stolzen Empörer mein Zorn mich erhalten.
Siehe, der Schlange zertrat ich den Kopf! Sie stach in die Ferse!
All' Empörer hab' ich in meinem Zorne zertreten,
Hab' in meinem Grimm sie trunken gemacht zu dem Tode.
Also hab' ich all ihr Vermögen zu Boden gestoßen!«
Dieses sangen die Chöre und mischten Triumph in die Wehmuth.
[58]
Joseph nahm von des Todten Haupt die blutige Krone,
Reichte sie dem Gefährten und hüllte das göttliche Haupt ein.
Aber nicht, wie Maria, und nicht, wie die Jünger, verstummten
Jene seligen Zeugen, die über Golgatha schwebten.
Denn von Neuem begannen der Sterbegesang und die Thränen.
Hätten Dir jetzt die Harfen getönet, die Du, auch sterblich
Noch, auf Patmos vernahmst, wie selig wärst Du gewesen,
Jünger des Todten und Sohn der jammervollsten der Mütter!
Also sang ein Chor der Erstandnen und blickt' auf den Leichnam:
»Sieh, es rauschte der Bach Kidrona, der Bach an dem Tempel,
Engel, der Bach Kidrona! Tritt auf den Stolzen, o Seele,
Auf die liegende Schlange! Die wenigen einsamen Palmen
Rauscheten durch Gethsemane. Da begann er zu sterben.«
Einem anderen Chor entströmeten Halle des Donners:
»Höret' er nicht tief unten die Fluthen rauschen des Abgrunds,
Wuthausruf der Gerichteten drohn und begann zu sterben?
Bebte nicht Tabor hinauf in die Wolke? Da kam Eloa
Aus dem Dunkel einher, der Nacht des richtenden Vaters,
Schwebt' und sang ihm Triumphe. Da begann er zu sterben.«
Als sie schwiegen, erscholl die sanfte Stimme der Klage:
»Und gestorben ist er, er ist gestorben, Ihr Engel!«
Also sangen sie. Joseph und Nikodemus erhuben
Von der Erde den heiligen Leichnam und trugen langsam
Ihn von Golgatha's Höh', der Last von Gott gewürdigt.
Und aus einem der Chöre geleitet' ein Hall sie hinunter:
»Ach, er hielt es nicht Raub, Gott gleichen; und dennoch, Du schönster
Unter den Menschen und Engeln, erniedertest Du bis zum Tode
Dich, zu dem Tod am Kreuz, und Knechte sündiger Götzen
Warfen um seine Gewande das Loos! Ach, Essig und Galle
Gaben sie ihm in seinem entflammten Durste zu trinken
Und vom bitteren Kelche des Hohns der Seele des Dulders!«
Drauf erhub ein flammendes Chor die Stimme gen Himmel:
[59]
»Ach, Jerusalem ... Wehe Dir, Jerusalem! Wehe
Deinen Söhnen, Jerusalem! Jene zu schreckliche Stimme,
Ach, Dein Rufen ums Blut des Versöhners, wie hat es der Feldherrn
Rufen, Du Stadt des Todes, erhört! Wie haben die Adler
Sich versammelt ums Aas!« Da entsanken die Harfen den Vätern;
Aber es rief die Posaune fort das Rufen des Feldherrn.
Auch den Händen des Manns, der Aaron's Gott war, entsanken
Seine Saiten; allein da Eloa's Donnerposaune
Weh ausrief, da entschwebt' er der Heiligen weinenden Chören,
Trat dann dicht bei den Engel, heran zu dem blutigen Leichnam.
Also sang er, und also erscholl die Posaune des Seraph's:
»Lange wird er mit Euch, die diesen Abel erwürgten,
Siehe, der Eine, der ewig ist, rechten: Ihr Kain', ich kenn' Euch!
Weiß, wo Ihr seid! Schrie gegen Euch nicht zu mir in den Himmel
Eures Bruders Blut? Nicht um Rache ruft' es mir, rufte
Bis in die innerste Nacht des Weltgerichts um Gnade;
Aber Ihr wolltet nicht Gnade. So wird des Vergeltenden Stimme,
Von dem hohen Golgatha bis in die unterste Hölle,
Viel' der Aeonen ertönen. Nun wählt, Ihr Mörder des Mittlers,
Eure Wahl denn und sterbt!« Doch jetzo entsank die Posaune
Selber Eloa; auch schwieg der Gesang des ernsten Propheten.
Aber sie sahn dem Leichname nach. Ihn trugen die Frommen
Nieder zum Grabe, das gegen dem hohen Golgatha über
Einsam unter alternden Bäumen in Felsen gehaun lag.
Und sie entwälzten den deckenden Stein der Oeffnung des Grabmals.
Joseph's Aug' erkor in seiner Tiefe die Stätte
Für den Entschlafnen, und so zerfloß des Traurenden Seele:
»Endlich hat des Lebens, ach, endlich des Todes Dulder,
Wo er sein Haupt hinlege!« Sie nahmen den heiligen Leichnam,
Senkten ihn sanft hinab in die Tiefe des Grabes und wandten
Oft von dem liegenden Todten weg ihr weinendes Auge,
Bis sie zuletzt den Felsen mit müdem Arm aufhuben,
Seine dumpfe Last in des Grabmals Oeffnung sinken
Ließen und Nacht ausbreiteten über den Leichnam des Mittlers.
Als die Nacht den Todten umgab, da ertönten die Chöre
[60]
Seiner himmlischen Leichengefährten. Sie sahn in des Grabes
Nacht die Morgenröthe der Auferstehung schon dämmern:
»Selbst Du wurdest gesät; doch entsprossest Du der Verwesung
Nicht! Kaum schatten Dir, Sohn, die Todesschatten, so regt sich
Schon das neue Leben um Dich, so rauscht's im Gefilde
Golgatha schon von der Auferstehung, am blutigen Altar
Laut von der Auferstehung des größten unter den Todten!
Tönt, Posaunen der Engel des Throns, der Ernter am Tage
Seines Lohnes, der Himmelrufer, wenn nun an des Sion
Strome die neuen Namen der Sieger melodisch heraufwehn,
Tönet der nahenden Auferstehung des Sohnes entgegen!
Lispelt, Harfen, der schönsten der Morgenröthen, dem Schimmer
Seines Erwachens, des Siegenden strahlendem Schweben entgegen!
Ach, uns schlummert er nicht in der Nacht des Entsetzens; er schlummert
Uns in der Palme Schatten, der Ueberwinder des Todes!
Klaget, klaget ihm nach, Ihr, seine Geliebten, die sterblich
Noch im Staube wandeln; Ihr weint bald andere Thränen,
Thränen, wie wir sie nicht weinen können, die Euer Elend
Nicht empfanden, wie Ihr, nicht weinten aus blutendem Herzen!«
Stille verbreitete sich um das Grab. Die Engel verließen's
Und die Menschen. Es schwieg der Harfen Stimm' und der Thränen,
Mittler Gottes, um Dich, der endlich am blutigen Altar
Ruhe fand, entrissen dem Leiden des Opfertodes.
Und Johannes wandte sein Antlitz und sprach zu Maria:
»Meine Mutter, nun deckt ihn die Nacht. Ach, laß uns den Hügel
Nun verlassen. Ich will Dich zu meiner Hütte geleiten.«
Ganz aus ihrer Seele – die Seele der Mutter des Mittlers
War erhaben – mit trübem und thränenblutendem Auge
Sprach sie und endete so ihr langes Todtenverstummen:
»Deine Mutter? Entzückung der Himmel kann es mir einst sein,
Ach, daß er der Gebende war; die letzte der Freuden
Auch nicht, o sein Jünger, daß Du der gegebene Sohn warst;
Aber Jammer und Tod und Grab und alles Entsetzen
Ist es, daß er mein Sohn nicht mehr ist.« Da verstummte sie wieder
Und verhüllte sich. Bleich, wie die jammervollste der Mütter,
Führte der Sohn an dem Todeshügel sie langsam hinunter.
Abgesondert von andern, von dichten Palmen umgeben
Und in dem Schatten des Tempels, nicht fern von Jerusalem's Mauer,
Lag ein einsames Haus, das Johannes, des göttlichen Lehrers
Lieblingsjünger, bewohnte. Da bracht' er vom Kreuz Maria
[61]
Traurend hinab. Er selbst sank fast vor innigem Gram hin.
Wen er, indem sie herab von dem Hügel wankten, erblickte
Von den Zwölfen, den Siebzigen und den heiligen Weibern,
Bat er, zu seiner Mutter zu kommen und, wär' es ihm möglich,
Ihr die tiefe Wunde zu heilen, die Wund' in der Seele;
Zwar nicht ganz: das könnte kein Mensch, das könnte der Herr nur!
Gabriel kann es, nicht wir, wenn ihn noch einmal vom Himmel
Gott, daß sie ihn von Neuem erhebe, der Leidenden sendet,
Daß von Neuem ihr Geist sich freue Gottes, des Retters!
Bald versammelten sich in diesem Hause die Jünger
Und der Siebzige viel' und viele der heiligen Weiber.
An der Mauer hinab, gedeckt von dem vordersten Hause,
Zog sich ein andres. In diesem war der Saal der Versammlung.
Ueber dem Saal erhub sich der Söller, entstieg der Mauer
Höhen und öffnete für das Aug' ein reiches Gefilde.
Singe, mein Lied, die Thränen der Liebenden um den Geliebten,
Ach, der traurenden Freundschaft Klage. Wie Israel's Wehmuth
Auf den blutigen Rock des Sohnes Rahel, auf Joseph's,
Joseph's floß, so fließe mein Lied voll Empfindung und Einfalt!
Langsam, weinend, mit schwerem Athem erreichte Maria
Endlich die Hütt' an dem Tempel und trat in den Saal der Versammlung,
Wo sie den Heiligen, den sie geboren, und der nun todt war,
Oft vordem gesehen und oft die Thräne der Freude
Weggewendet und eingehüllt sich hatt' in den Schleier.
Als sie, wo er gesessen, und wo er himmlisch gesprochen
Und sie gesegnet hatte, die leere Stelle, auf immer
Leer nun, erblickte, da weinte sie laut, sank neben ihr nieder,
Knieet' und neigte die Stirn darauf. So fand sie Maria
Magdale liegen und noch die Mutter der Zebedäiden.
Auch Nathanael kam und fand sie noch also, bis endlich
Sie es Magdale und der Mutter Johannes' erlaubte,
Sie in die Höhe zu heben. Nun saß sie verhüllt, wie am Kreuze;
Und mit ihr verstummten die Anderen. Simon Petrus
Trat herein, und als er sah die Mutter bei Jesus',
Weinet' er laut und rief: »Er ist begraben! Ich hoff' es,
Ja, ich hoff' es zu Gott, wir Alle werden um ihn bald
Auch begraben liegen! Mir soll es Joseph verheißen,
Soll es mit einem heiligen Eide gen Himmel mir schwören,
[62]
Daß er neben ihn mich, dicht an den Felsen des Todten
Legen will!« »Und mich in den Felsen!« rufte Maria.
Hand in Hand kam Simon, der Kananit, und Matthäus,
Kam Philippus, und kam der Alphäide Jakobus;
Aber Lebbäus allein. Er wollte reden; doch setzt' er
Sich in die dunkelste Ferne des Saals und verhüllte sein Antlitz.
Auch Jakobus, der Zebedäide, der Sohn des Donners,
Trat herein und erhub die Händ' und die Augen zum Himmel:
»Todt! er ist todt! und nichts ist alle menschliche Größe;
Auch die wirkliche selbst, sie, die zu glänzen verachtet
Und nur handelt, ist nichts. Denn über ihn haben Verruchte,
Haben Tyrannen gesiegt.« So sprach der Zebedäide,
Ging dann wieder hinaus und kühlte sich unter den Palmen.
Bartholomäus, mit ihm der Bruder Simon's, Andreas,
Kam, und Kleophas und Matthias und Semida kamen,
Alle trostlos und jammervoller, als Jeder des Andern
Schmerzen sah. Die Lippe verstummt', und des Weinens Stimme
Scholl nur dumpf im dämmernden Saal. Ihn hatte Maria
Magdalena mit einer entschlummernden Todtenlampe
Sparsam erhellt. So lag in verlöschendem Schimmer des Altars
Abel mit stummer Lippe, und seines Blutes Stimme
Jammerte nur. Jetzt kamen noch heilige Weiber und trugen
Sterbetücher und trugen noch Salben für den Entschlafnen.
Auch Unsterbliche schwebten herein, die Engel der Jünger
Und der anderen Weinenden Engel. Allsehendes Auge,
Deins, deß Tod sie beweinten, auch Du, mitleidiges Auge,
Blicktest in diese Versammlung! Der Engel Magdale's hebt ihr
Ihre Seele so weit aus ihrer Traurigkeit Abgrund,
Daß sie zu klagen vermag. So klagte die Hörerin Jesus':
»Wie viel anders, wie sehr viel anders ist es mit uns nun,
Da er ... Mutter, stirb Du nicht auch, damit wir nicht vollends
Gar vergehn. Nun empfind' ich es erst, nun lern' ich es weinen,
Was der Bethlehemit einst über Jerusalem weinte,
Ueber die einsame Wittwe, die Fürstin unter den Heiden
[63]
Und der Länder Königin war. Wir waren geringe,
Lebten dürftig im Staub, und dennoch waren wir glücklich;
Denn er war ein göttlicher Mann, der todt ist. Allein jetzt,
Ach, was sind wir geworden, gestürzt in welches Elend!
Und was werden wir sein, und welche Nächte voll Jammers
Werden wir weinen! O, möchten der Jammernächte nicht viel' sein,
Und die letzte des ewigen Schlafs bald kommen, des Schlummers
In dem besseren Lager als unser Lager voll Thränen!
Unsere Feinde schweben empor und spotten der Armen,
Die den göttlichen Mann verehrten in ihrer Einfalt.
Auch sein spotteten sie und gaben ihm, als er in Durste
Rufte, nicht Galle nur, sie gaben die untersten Hefen
Ihres Hohnes ihm auch in seinen Qualen. O Richter,
Geuß auch ihnen, Vergelter, der Rache Taumelkelch voll!
Laß sie bis zu den Hefen hinab ihn trinken und sterben!«
Und sie schwieg. Zu ihr sprach Jesus' Mutter und weinte,
Daß sie vor innigem Schmerz die gebrochnen Worte kaum aussprach:
»Ueberlaß Du es ganz dem Richter, o Magdale! Rief denn
Nicht in seinem Blute mein Sohn herab von dem Kreuze:
Vater, sie wissen es nicht, was sie thun. Erbarme Dich ihrer!«
Und Bewundrung ergriff und unaussprechliche Wehmuth
Aller Herzen, ein Kampf der erhabensten Freud' und der trübsten,
Bittersten Schmerzen; allein die Schmerzen siegten, und bald ward
Aller Seele von Neuem zu Nacht. Jetzt sagte Lebbäus:
»Ja, erbarme Dich ihrer, o Richter und Vater; doch unser,
Unser erbarme Dich auch und laß uns sterben! Was können
Wir auf der Erde noch thun? Was sind wir ohne den Todten?
Ach, sein Vater, er sagt' es uns einst, in Deinem Hause
Sind der Wohnungen viel'. O, laß nur an Deines Hauses
Schwellen uns liegen und nicht in des Elends Hütten uns bleiben!
Keiner komm' und wag's und wolle mich trösten! Ich kenne
Keinen Trost als allein den Tod. Den lieb' ich, und Der kann
[64]
Nur mich trösten, der oft des Todes Namen mir ausspricht.
Sieh, er ist mir ein lieblicher Schall zu der Blumenzeit, ist
Tempelgesang mir. Mich grüße kein Gruß von dem Leben, und unser
Liebstes Gespräch sei Derer Hinüberwallen, die nun schon
Glückliche sind, sei Grab und Todtengesang und Erde,
Niedergeschüttet auf Erde. Wie leichte Wanderer, laßt uns
Fertig stehn, den Stab in der Hand. Ich liebe nicht mich nur;
Ach, ich liebe, wie mich, und segn' Euch mit eben dem Segen,
Wie der ist, um welchen ich, Ihr Geliebten, Euch flehte:
Sterbt!« Und Kephas rief: »Ja, sterben, sterben! Im Grab ist's
Nun gut sein. Die Hütten laß uns, o Erbarmer, einander
Baun!« Kaum hatt' er's gesagt, so trat der leidende Thomas
Auch herein. Sein wankender Fuß verweilt' an der Schwelle.
Welcher Anblick drang in die Seele des Zögernden: Menschen,
Fromm, wie Wenige waren, und seine Freunde, verlassen
Von dem Helfer im Himmel und von dem Helfer auf Erden,
Jesus, und mitten in diesem Gram verlassen! Ein Grabmal
Wurd' ihm der dämmernde Saal; sie Todtenbilder, die weinend
Rings um ihn her verstummten. »Wenn Ihr es noch seid, die des Einzugs
Lautes Hosanna vernahmen, was säumet Ihr, wirklich zu sterben?
Warum bleibt Ihr so lang' in diesem Kampfe des Todes?
Ich, ich fühle den nahenden Tod, und ich glaubte bei Euch hier
Schon, die glücklicher wären, zu finden, Einige, die wir
Auch begraben könnten. Er ist begraben, der lebend
Auf dem Meere ging und Lazarus auferweckte
Und (dort weinest Du ja) Dich, Semida!« Didymus hatt' es
Kaum gesprochen, als er auf einen der Teppiche hinsank.
Jetzo trat mit traurendem Ernst in die stumme Versammlung
Joseph von Arimatha. »Ihr, Brüder Christus' und meine,
Nikodemus, mein Freund, kam auch und erwartet zitternd,
Ob ihm hereinzutreten vergönnt sei? Er trägt« ... »Ach, Joseph,
Bester Mann, was trägt er? was trägt er, Joseph?« J. »Ich seh' es,
Ja, Ihr leidet zu viel, und, ach, was würdet Ihr leiden!
Nein, er muß sich wenden und fliehn!« »Was trägt er, was ist es?
Joseph was trägt er?« J. »Ihr danket mir's noch. Ich geh', und ich bitt' ihn,
Daß er sich wend' und entflieh'. Er bringt die blutige Krone!«
[65]
Jammernd rufte die Mutter: »Die blutige Krone?« Der Mutter
Lautes Rufen durchdrang der felsenstarren Versammlung
Mark und Gebein. Sie hatt' es kaum gen Himmel gerufen,
Als, die Kron' in der Hand, des Todten Zeug' hereintrat.
Und sie entriß sich der Haltenden Arm, nahm bleicher den Schleier
Von dem Gesicht und deckte damit die tödtende Krone,
Rang die Händ' und wankt' und stürzte zur Erde. Sie hielten,
Wie sie konnten, die Mutter und sanken mit ihr. Verstumme!
Denn Du vermagst nicht, o Du, der wehmuthtönenden Harfe
Leisester Laut, das erste Stammeln der Mutter zu weinen,
Da sie nun wieder emporgerichtet stand und die Arme
Nach der Hilfe des Herrn ausbreitete! Nieder vom Himmel
Blicket' auf sie der liebende Sohn und bereitet' ihr Wonne;
Aber die war ihr verborgen, und bleich wie Sterbende fuhr sie
Also fort zu klagen: »Noch einmal sie sehn? Warum, ach,
Brachtet Ihr sie? Ich sah sie von seinem Blute starrend
Lang' um sein Haupt! Allein der im Himmel wohnet, hat furchtbar
Seinen Bogen auf mich gespannt und tödtlich Geschoß drauf,
Weh mir Armen, gelegt! Ich bin sein Ziel; zum Verderben
Richtet er zu den flammenden Pfeil. Ist unter den Himmeln
Irgendwo noch, gebar noch eine der Mütter, die sterben
Einen Sohn sah, welcher dem heiligen Todten am Kreuz glich?«
Also jammerte sie. Doch Lazarus' Schwester, Maria,
Lag zu sterben. Es kündeten ihr schon kältere Schweiße
Und in Arbeit ihr Herz, zu leben sich mühend, den Tod an.
Ueber sie senkte sich schon der schwere Schlummer, der Führer
Jenes ewigen Schlafs in dem Schooß der stummen Verwesung.
Jetzo erhub sie noch aus den Tiefen, in die sie der Schlummer
Niedersenkte, das Haupt und suchte mit trüberem Blicke
Martha's Auge voll müdes Schmerzes. Das war zu der Thräne
Ueber dem langen Weinen vertrocknet. Die Sterbende sagte:
»Schwester, ich schwieg; nun kann ich nicht mehr. Noch verlassen mich Alle,
Lazarus und Nathanael selbst; und sieh, ich sterbe.
Ach, ich lebte mit ihnen, und ohne sie soll ich sterben?«
Mth. »Klage die Treuen nicht an. Sie hat der göttliche Lehrer
Irgend in eine der Wüsten geführt, damit sie es sehen,
Wie er die Hungrigen speist und labt die Seele der Müden.«
M. »Klagt' ich sie an? Das wollt' ich nicht, Martha. Ach, die ich liebe,
Klagt' ich sie je in meinem Leben denn an? Ihr Geliebten,
[66]
Hab' ich's gethan, so verzeiht mir's und alle meine Gebrechen,
Welche bekannt und verborgen mir sind! Ach, was sich mir jetzt zeigt,
Hüllet Alles die Seele mir ein in Schwermuth.« Mth. »Entreiße
Dieser grübelnden Aengstlichkeit Dich, mit der Du Dich quälest.
Kömmt die Nacht denn zurück, die Dein sonst heiteres Leben
Unterweilen mit Trauren umzog, zurück in dem Tode?«
M. »Nenne die Führung Gottes nicht Nacht! Ich beschwöre bei Dem Dich,
Der uns richtet, der mich zu unseren Vätern itzt sammelt,
Nenne seine Führung nicht Nacht! Und, hab' ich gelitten,
Hab' ich der Freuden nicht viel' auch gehabt? nicht Freunde, wie Du bist?
Nicht die Wonne der Engel erlebt, die Entzückung der Himmel
Auf dem Wege zum Grabe, nicht Jesus Christus gesehen?
Seine Wunder gesehn und seine Weisheit gehöret?
Laß mich danken für all' mein Elend, alle die Ruhe,
Welche mir ward, für jeden Labetrunk, der in Durste,
Jeden Schatten, der mich in der Hitze des Kummers erfrischte,
Und vor Allem, daß ich den Freund der Menschen gesehen,
Jesus, den Auferwecker der Todten! Martha, verlaß mich,
Geh, bereite das Grab! Wo Lazarus schlief, will ich schlafen!«
Mth. »Schlafen, wo Lazarus schlief, und auferstehen, Maria,
Durch den Ruf des Todtenerweckers!« M. »Du glückliche Martha!
Welche süße Träume der Hoffnung! Bereite das Grab mir!
Geh, ich will allein sein mit Gott! Zu des Heiligen Füßen
Saß ich, da lehrt' er mich: Eins ist Noth! Nun ist es das Eine,
Daß ich allein sei mit Gott! Den besten Theil will ich jetzo
Auch erwählen! Mth. »Ich soll Dich in Deinem Tode verlassen?
Ich verlasse Dich nicht, Maria! Sei ruhig, ich helfe
Dir nur leiblich. Du bist mit Gott allein, Maria!
Amen! mit Dir sei Abraham's Gott und Isak's und Jakob's!«
M. »Bleib denn! Es sei mit mir, der alle Himmel erfüllet,
Der allmächtig gebeut: Kommt wieder, Kinder von Adam!
Jesu, Jesu und Abraham's Gott und Isak's und Jakob's!«
Also sprach sie und flehte darauf in den Tiefen der Seele
Zu dem Sündevergeber: »Erhör, o, erhör, und gehe
Nicht ins Gericht mit mir Armen! Wer aller Lebenden könnte,
[67]
Wolltest Du richten, vor Dir bestehn! Erschaffe mir Ruhe,
Gott, im sterbenden Herzen und mache der Müden Seele
Deines Heiles gewiß! Du Herr des Todes, verwirf mich
Nicht von Deinem Antlitz und tröste mich wieder, o Vater!
Tröste mich wieder, und Dir erhalte Dein freudiger Geist mich!
Du, der Hiob erhörte, da er, von Jammer umgeben,
Strebt', arbeitet' und rang, zu glauben, und dennoch nicht glaubte,
Daß Du ihn, Vater, erhörtest, vernimm mein Flehen und hilf mir!«
Also betete sie. Dann red'te sie wieder zu Martha.
»Meinest Du, Martha, daß Jesus für mich jetzt bete? Du weißt es,
Daß er weinte, da wir zu dem Grabe Lazarus' kamen.
Sollt' er meiner nicht auch sich erbarmen? O, sage, Du Theure,
Können wir wol ohn' ihn zu Dem, der ihn sendete, kommen?
Gnade durch ihn zu empfahn, die Hoffnung labte mich, wenn mich
Jener Gedank' ergriff mit seinem Entsetzen: Verflucht sei,
Wer nicht, was ich gebot, das Alles erfüllt! Gott redet!«
Mth. »Wäre Nathanael nur und Lazarus hier, die würden
Dir es sagen. Ich weiß nur das Eine gewiß, Du Verlass'ne:
Jesus betet für Dich.« M. »Ich wär' verlassen, Geliebte?
Und der allgegenwärtige Herr des Lebens und Todes
Ist um mich, und es betet für mich der Helfer in Juda!«
Also sprach sie und sank in tiefere Schlummer. Ihr Herz hing,
Aber zitternd, an Gott. Sie schlummern zu sehen, erhub sich
Martha und stand bei dem Lager und athmete kaum, nicht zu wecken,
Die sie herzlicher liebt' als sich selber, die nun zu den Vätern
Hinging, fern von ihr weg, die Wege des finsteren Thales,
Und sie allein ließ. Da die Wehmuth das Herz ihr durchströmte,
Stürzet' ihr eine Thräne die Wang' herab; doch des Weinens
Stimme hielt sie und bald auch wieder den schnelleren Athem.
Also stand sie verstummt im dämmernden Saale. Denn dichte,
Dunkle Hüllen bedeckten der Nacht Gefährtin, die Flamme,
Welche nun oft schon erst mit dem Morgen erlosch. So findet
Jener glückliche Wanderer, dem die Erinnrung des Todes
Freud' ist, wenn er in der schweigenden durstenden Wüste die Kühlung
Eines Felsen ereilt, er findet ein Grab in dem Felsen,
[68]
Ueber dem Grabe das Bild des liegenden Todten. Ein andrer
Starrender Marmor, der Freund, steht neben der Leiche. Die Höhle
Nimmt nur wenig trüberen Tag in ihre Gewölb' auf.
Voll von Dessen Trauren, der starb, und Dessen, der nachblieb,
Sieht sie der Wanderer an. So fand Dein Engel, Maria,
Martha bei Dir, als er zu Deinem Lager herantrat.
Neben den Füßen der Sterbenden, mit verlöschender Schöne,
Stand der himmlische Jüngling. Den Engeln ist Schöne gegeben,
Die auf der Geister Stufen, der Menschen Seelen die Nächsten,
Stehen, und denen Herrlichkeit, deren erhabnere Stufen
Throne sind. Doch gegen die Herrlichkeit Deß, der zur Rechte
Seines Vaters stieg, ist ihre Herrlichkeit Schatten.
O Du, der in Triumph empor, in Triumph, in Triumphe
Stieg in die Himmel der Himmel empor und herrschet, wo Gott herrscht,
Mein Fürbitter, laß mich, laß zahllose Schaaren Erlöster,
Meine Brüder, den Tod der Gerechten sterben: so mögen
Leiden uns noch, die letzten der Prüfungen, oder des Himmels
Vorempfindungen uns umgeben, laß, o Versöhner,
Laß, Geopferter, nur den Tod der Gerechten uns sterben!
Chebar stand zu den Füßen der Bethanaitin und fühlte
Seiner Schönheit glühendes Licht in Dämmrung erlöschen.
Seinem Antlitz entfloh der röthliche Morgen, die Strahlen
Seinen Augen. Ihm sanken herab wie Schatten die Flügel,
Ohne zu tönen und ohne zu duften des ewigen Frühlings
Süße Gerüche, nicht mehr mit des Himmels Bläue beströmet,
Triefend nicht mehr von goldenen Tropfen. Er nahm von dem Haupte
Seinen vordem weitglänzenden Kranz und hielt ihn vor Wehmuth
Kaum in der sinkenden Hand. Er wußt' es, er durft' ihr nicht helfen,
Eher nicht, bis bei ihr, wenn ihr Herz in dem Tode nun bräche,
Lazarus beten und weinen der Jünger Elim's und Martha
Und Nathanael weinen würden. Lazarus war noch
Mit den Jüngern in Salem. Er trat zu der Mutter des Todten:
»Siehe, schon naht sich die Mitternacht, Maria, und als ich
Aus Bethania ging, schien meine Schwester dem Tode
Nahe zu sein. Ach, wenn sie nur nicht schon todt ist! Ich gehe,
Daß ich sie todt seh' oder noch lebend. Hat ihr nur Keiner
Golgatha's bange Geschichte gesagt, so kann sie noch leben.
Wüßte sie sie, und lebte sie noch, was würd' ihr der Anblick
Eines der Jünger des Göttlichen sein, welch Labsal im Tode!«
[69]
Und Lebbäus erhub sich: »Ich gehe mit Dir!« Da umarmt' ihn
Schnell Nathanael: »Komm, Du Geliebtester unter den Lieben!
O, wie dankt Dir mein Herz!« Itzt standen sie fertig, zu gehen
Von der Mutter des Todten. »O seine Mutter – ich mag nicht,«
Sagte Lazarus, »jetzt den Namen nennen, den Engel
Nannten; denn, ach, so oft wir ihn nennen, blutet Dein Auge –
Er, der Deine Thränen gesehn, gezählet, der Vater
Dessen, den sie begruben, der, daß er stürbe, gewollt hat,
Sei mit Dir! mit Dir sei Gott! Du hörtest ihn beten:
Vater, in Deine Hände befehl' ich meine Seele!
Deine Seele sei auch in Gottes Hände befohlen;
Aber lebe!« Nun ging er mit Eile von ihr, und die Beiden
Folgten mit eben der Schnelligkeit nach. Mit schweigendem Ernste,
An der zitternden Hand der Ungewißheit geleitet,
Gingen sie neben einander und kamen ins Haus, des Grabes
Vorhof, wo die Sterbende war. Sie standen mit Martha
Schon um ihr Lager, als nun Maria ihr Haupt aus dem Schlummer
Endlich erhub. Sie rief: »O, Dank Dir, Geber des Lebens
Und des Todes, sie sind gekommen, mit ihnen Lebbäus.«
Lazarus sprach: »Wie hat Dir bisher, Maria, des Lebens
Und des Todes Geber geholfen?« M. »Mit Gnade. Denn Alles,
Was er thut, ist Erbarmen, wie qualvoll uns es auch scheine.
Ach, was hat mein Herz nicht gelitten! und siehe, nun sterb' ich!
Wo ist Jesus, mein Bruder? Er weiß es gewiß, wie ich leide!
Hat er für mich gebetet?« L. »Ich kenne Dein Leiden, Maria,
Wenn es Nacht um Dich wird; doch sage, was leidest Du jetzo?«
M. »Nicht von jenem Bilde der fürchterlichen Verwesung
Leid' ich, noch von dem trüben Gedanken, Euch zu verlassen;
Ach, ich leide, daß mir der Zweifel die blutende Seele
Immer tiefer verwundet: Ob Der auf Horeb mein Gott sei?
Ach, mein Bruder, wie war Dir, als Du den Donner: Verflucht ist,
Wer nicht Alles erfüllt! im sterbenden Herzen vernahmest?
Aber betete Jesus für mich? Wenn für mich der Gerechte
Betete, siehe, so geh' ich gern hinab in das dunkle
Nächtliche Thal, zu dem ewigen Schlafe mich niederzulegen.
Hüter, ist sie nun bald, die Nacht der Erde vorüber?
Ist sie nun bald, o Hüter, vorüber? Sie schweigen, Martha;
Auch Nathanael schweigt. Er hat für mich nicht gebetet!
Nun, so gehe denn ganz durch meine Seele, hier bin ich,
[70]
Schwert des Herrn! Dein Wille gescheh'! Dein Will' ist der beste!«
Hoch empor hub Lazarus jetzt die gefalteten Hände:
»Wie sich ihres Kindes ein Weib erbarmt, so erbarmst Du
Unser Dich, El Schaddai! und ob sich ihres Kindes
Auch das Weib nicht erbarmt, so wirst doch Du Dich erbarmen!
Du bist Gott! Du hast uns in Deine Hände gezeichnet!«
Lazarus weint's. Da richtete sie ihr gesunkenes Haupt auf:
»Sage, mein himmlischer Bruder, was geht von Beiden nun mich an,
Jener Fluch von dem Sinai oder die Liebe der Mutter?
Wär' es die Liebe: Heil dann mir, dann Jubelgesänge,
Heißer, herzlicher Dank dem Geber ewiger Gnaden,
Welcher sich nicht wie die Menschen erbarmt, dem Erbarmer, der Gott ist!
Aber wie kann ich es wissen, daß er mit der Liebe der Mutter
Mein sich erbarmt? Ach rede doch: Hat das Gebet des Gerechten
Meinen Richter erweicht? und sieht er, mit jener Erschüttrung
Seines Innersten, der, der heftigen Wehmuth der Mutter,
Jenem Auge voll unaussprechlicher Unruh und Hilfe,
Nieder auf mich? Ich lieg', und ich weine voll Jammer und ringe
Meine Hände gen Himmel; nach Rettung ruf' ich und kenne,
Wer mir helfen wird, nicht, nicht die mich gebar.« »Du Erbarmer,«
Flehte Nathanael, »bist Du ihr Mutter, so laß Dein Antlitz
Unaussprechlicher Unruh voll und Hilfe sie sehen!
Herr, verbirg Dich nicht länger!« »Erdulde sie gern, die Leiden,«
Lazarus sprach's, »die so nah an die großen Vollendungen grenzen!
Wüßtest Du, welcher Geduld Beispiel wir haben, ach, welcher
Gottesergebung, und wem in die Himmel der Himmel wir nachsehn!
Auferstanden bin ich und wünschte, mit Dir zu entschlummern,
Meine Schwester! Wenn mir rufte die Stimme des Todes,
O, sie würde melodischer mir wie des Tempels Gesang sein
An dem dankenden Tage des großen Halleluja!«
M. »Freud' ergreift mein Herz und Entsetzen! Was ist es, mein Bruder,
Das Du sagst?« L. »Hat es Gott nicht gethan? Ich will es ihr sagen,
Meine Geliebten! Laßt uns die Wege des Herrn nicht verschweigen,
Auch wenn sie fürchterlich sind! Maria, der beste der Menschen,
Unser göttlicher Freund, der große Helfer im Elend,
[71]
Jesus Christus, der Sündevergeber, der Todtenerwecker,
Ist mit Muth und Geduld der Engel am Kreuze gestorben!«
M. »Ist am Kreuze,« so stammelte sie erbebend, indem es
Nacht um sie ward, »am Kreuze gestorben? (ihr Haupt sank nieder.)
»Er, Ihr Engel, gestorben« (ihr brach das Aug') »an dem Kreuze?
Wirklich gestorben? Du, der dies gewollt hat, ich preise
Deinen herrlichen Namen für all' mein Leiden und folge
Deinem Getödteten nach!« Ihr erstarrte die Zung', und die Blässe
Und die Ruhe des Todes deckt' ihr auf einmal das Antlitz.
Lazarus legte die Hand in ihrer erkaltenden Stirne
Todesschweiß. »So schlummre denn bald und in Frieden hinüber
Zu den Todten Gottes, Vollendete Deines Erbarmers!
Werde dem Tage des Lichts geboren, dem ewigen Leben!
Sieh, es hänget mein Herz an Deinem Herzen; doch lass' ich
Deine Hütte Dich gern abbrechen und Dich nach Kanan
Hinziehn. Sei Du ihr Stab in dem dunkeln Thale der Wüste,
Hüter Israel, bringe sie selbst in das Land der Erquickung,
Wo die Thränen Du all' abtrocknest, wo keine Klage,
Keines Jammers Geschrei den Dank der Jubel entweihet!
Erdensonne, verlisch ihr, und letzter Schlummer des Todes,
Komm, und thu Dich ihr sanft, o Ruhstatt ihres Gebeins, auf!
Nimm sie, Verwesung, daß auch ihr Leib zu dem Leben erwachse!
Saat, Dich säet der Herr dem großen Tage der Ernte,
Wenn die Schnitter rufen, und wenn die Posaunen erschallen,
Wenn die Erd' und das Meer mit lauteren Wehen gebären,
Als einst Eden gebar, wenn ringsumher die Himmel
Aller Himmel vom Preis ertönen des Einen, der richtet.«
Und sie wandte mit Himmelsgefühl von Ruh und Errettung
Sich nach Lazarus um und sah den freudigen Bruder
Freudiger an, indem er den Segen zum ewigen Leben
Ihr mit Worten in Strome, mit süßen Entzückungen zurief.
Chebar sah den siegenden Tod in der Sterbenden wüthen
Und erbebte vor Wonne so laut, daß lispelndes Säuseln
Wie aus tiefer Fern' von seinen Flügeln ihm wehte.
Sie vernahmen's umher und wußten nicht, was sie vernahmen.
Aber der Seraph ergriff das seelenvolle Gewebe
Seiner Saiten, und noch in den süßen Qualen der Freude
Irrt' er mit wankender Hand die strahlenden Saiten herunter.
Und die Sterbende höret Laut, als tön' er vom Himmel;
[72]
Und sie richtet sich feierlich auf und hört in die Höhe.
Lazarus hielt sie, mit ihm Nathanael. Aber der Seraph
Bebte nicht mehr und entlockte der sanfterschütternden Harfe
Unaussprechliche Töne. Von Gottes höherem Frieden
Sang ein Laut dem anderen Laute, der leiser es nachsang.
Amen, er ist viel höher! Und in der Hörerin Seele
Wachten Empfindungen auf, wie sie noch niemals empfunden,
Neue große Gedanken, wie aus dem Staube zum Leben.
Also war es einst Dir, Du, der Auferstehenden Seher,
Da es sich regt' um Dich her, und es rauscht', und die Todten erwachten.
Und des Unsterblichen Harfe, die Himmelsruferin, tönte
Immer noch fort und goß in die fast enterdete Seele
Eine Ruh, die Keiner empfäht, wer ins Leben zurückkehrt,
Wenn auch, wie es ihm däucht, schon über ihm schallen die dumpfen,
Losgeschaufelten, niedergeschmetterten Erdeklumpen
Und der Todtengesang. Die Himmelsruferin tönte
Immer noch fort, jetzt lauter und nun noch lauter, als rauschten
Stürme mit ihr, wenn sie tönt', als sänken dahin vor ihr Berge.
Denn der Unsterbliche, hoch erhöht von seiner Begeistrung,
Strömet' und sang in der Harfe geflügelten Ungestüm: »Heilig,
Heilig ist er, ist heilig, der über der Schädelstätte
Blutete, bis die Sünde der Todeserben versöhnt war!«
Fast schon Leichnam, vermochte die Sterbende nicht die Entzückung,
Die in ihr brechendes Herz die Stimme des Himmlischen strömte,
Auszuhalten. Sie starb. Nicht lange, so sank ihr Bruder
Neben ihr nieder und nahm die kalte Hand der Entschlafnen
Zwischen die festgefalteten Hände, trocknete muthig
Seine Thränen und betete: »Preis dem Geber des Lebens
Durch den errettenden Tod, Anbetung dem göttlichen Geber!
Siehe, Du bist in den Hütten des Friedens; doch Deine Seele
Bleibt nicht immer allein. Auch dies Verwesliche wird sich
Einst in Unverweslichkeit wandeln, die Blume, so hinsank,
Schnell in dem Sturme gebrochen, wie herrlich wird sie erwachsen
Jenen festlichen Frühlingsmorgen des letzten der Tage!
Tragt sie hinaus, den heiligen Staub, zu dem Staube der Erde;
Tragt sie noch nicht hinaus, daß wir mit frommen Erstaunen
Noch betrachten, die fiel dem Donner des Todes und aufstehn
Wird dem lauteren Hall der Auferstehungsposaune.
Sieh, er wartet und läßt Jahrhunderte reifen, und reifen
[73]
Wird er noch lassen andre Jahrhunderte. Alles ist Wunder
In des Ewigen tiefem Entwurf, stets neues Erstaunen.
Wenn ich seine Wege betrachte, so sind sie mir alle
Dunkel; allein es dämmert darin, und ich weine vor Freude,
Wenn mich des Morgens Verkündigerin, die Dämmerung, leitet.
Ihr ist es Morgen geworden. Sei mir noch einmal gesegnet,
Wenn Du mich hörest, und wenn, wer unten noch weilt an dem Grabe,
Dich zu segnen vermag, Du Hörerin Dessen, der uns nun,
Nicht den Engeln verstummt. Dich segn' er, der göttliche Todte!«
Sieh, es hatte sie schon der göttliche Todte gesegnet.
Als jetzt werdend der himmlische Leib um die Seele Maria's
Noch arbeitete, ganz noch nicht zu Lichte gereift war,
Als er unter der mächtigen Hand der bildenden Schöpfung
Zittert' und schwebt' und sank und sich schwung, ganz himmlisch zu werden,
Dachte, da dieser Wonne Strom sie umringte, die Seele
An den Leichnam, den sie zurückgelassen, und daß sie
Sei von seinen Lasten getrennt, von dem Staube der Erde.
Dies war ihr erstes Gefühl; ihr zweites, als sie vollendet
Sich empor in die Wolken hub, ein tiefes Bewußtsein
Ihrer Seligkeit. »Tod, Du Schlummer, Du Segen der Segen,
Du! Ist es möglich, Ihr Engel, Ihr Himmelserben, es möglich,
Ich bin selig?« Sie rief's mit festgefalteten Händen
Und verstummt' und schwebte nicht mehr; dann schwung sie sich wieder,
Daß sie schimmert', und rief: »Ihr Erstgebornen der Wonne,
Söhne des ewigen Lichts, Ihr Heiligen Gottes, ist's möglich,
Selig bin ich? O Du, deß Alles, was ich vordem litt,
Süße Vergessung, komm, geuß Deiner Ruhen Gefühle,
Deine Seligkeit über mich aus! Komm nicht! Denn Entzückung
Ist's, zu vergleichen die Leiden des ersten geflohenen Lebens
Mit dem ewigen Troste, mit dieser Fülle der Ruhe.
Die Glückseligkeit fehlt Euch, Ihr Ungefallnen, zu messen
Gegen des ewigen Lebens Wonne das Elend der Sünde!
Euer ist zwar des Mitleids Antheil; aber Ihr weintet
Jene Thränen nicht, die von unsern Wangen uns trocknet
Jesus, der Gott der Liebe! Prophetisch Gefühl, das mich oftmals
In dem tiefsten Kummer ergriff: ich würde noch danken!
Schnell mich ergriff und Rettung mir zeigt' in dem Himmel der Himmel,
Danken fürs Elend, für all mein Leiden würd' ich noch danken!
Siehe, nun wirst Du erfüllt! Aus meinen Tagen ward Abend,
Wieder Abend und wieder und dann der letzte des letzten,
Dann des Sterbens Nacht. Wie eilend ging sie vorüber!
[74]
Und, ach, nun der Morgen des Lebens, zu dem ich erwacht bin!
Traum, der mit Weinen begann und schloß, mit dem Weinen des Todes,
Traum des Lebens, nun bist Du geträumt, und ich bin erwachet,
Werde noch einmal erwachen, wenn Unverweslichkeit anzieht
Mein verwesender Leib und werther des göttlichen Hauches,
Dieser Seele, die ewig ist, strahlt, wie der Leib des Erweckers,
Der auch starb, begraben wird werden und auferstehen!
Und die Vollendete schwebt' empor, ein Schimmer der Frühe,
Leichter wie Lüfte, geschwinder als Winde, schnell wie Gedanken,
Hörte die Schöpfung wandeln, von lauterem Jubel begleitet,
Schauete sie viel weiter eröffnet, aber unendlich.
Welche Leben waren in ihr erschaffen! wie stieg sie!
Eine Stufe nicht, tausend erhub ich mich zu der Wesen
Wesen; bin ich verklärt an dem Tage der Tage (dies weissagt
Mir mein Gefühl), dann werd' ich noch über tausend mich schwingen,
Werd' ich in der Hülle mir dann viel schönerer Welten,
Werd' ich ohne der Welten Hülle den Ewigen schauen!«
Lazarus, reich an erhabenen Todesgedanken, ereilte
Bald die Hütte wieder, in der die Heiligen weinten.
Als er ihr sich nahet', umarmet' ihn Einer der Siebzig
Und erzählt' ihm mit Flammenworten, wie wunderbar Gott sei.
Siehe, mein Ohr vernahm's nicht, es hat's mein Auge gesehen!
Lazarus kam ein sanftes Geräusch des Weinens entgegen
Durch den dämmernden Saal. Ihm rannen nur Thränen des Mitleids.
»Gott der Götter« (er hub die Hand und das Auge gen Himmel)
»Lohn' es ihm ferner, wie Du es ihm zu lohnen beginnest,
Daß er, weil Du es wolltest, hinab bis zum Tode des Kreuzes
Ist gegangen! Was deckt des Todten Krone der Schleier?
Laßt mich, ich will sie sehn in ihrem Blute! Der Engel
Kronen leuchten, ich kenn' ihr fernes Schimmern; des Todten
Blutige Kron' ist mir viel mehr. Denn belohnt es ihm Gott nicht
Wunderbarer, als wir, als Du es wagtest zu hoffen,
Seine Mutter? Erhebe Dein Antlitz aus dieses Jammers
Abgrund, Mutter des göttlichen Manns, und höre! Die Erde
Bebte, da er entschlief, Dich hat ihr Beben erschüttert!
Nacht – Du hast ihr Schrecken gesehn – umhüllte die Erde!
Aber noch weißt Du nicht ganz, wie Der in dem Himmel von ihm zeugt.
Sieh, in des Tempels Vorhof stieg das Opfer gen Himmel;
Furchtbar wehte die Flamm' in der Nacht, die Moria bedeckte.
Bei den Altären standen die Opferer, schau'rten vom Schrecken
Dieser Nacht und blickten hinein durch des Heiligen Thore
[75]
Nach dem Allerheiligsten. Priester knieten im Tempel,
Dankten dem Rächer, daß nun an dem Kreuz der Gerichtete blute;
Wagten's, bei diesem Dank ihr glühendes Auge zu wenden
Nach dem Allerheiligsten. Da, da rächte der Rächer!
Denn von dem hohen Gewölbe bis hin zu dem liegenden Saume
Reißet des Allerheiligsten Vorhang. Schrecken des Todes
Stürzen die Betenden tiefer, und spät erst können sie fliehen.
Denn mit gewaltigem Arme faßt sie Entsetzen; Entsetzen
Folgt den Verstummenden nach, da sie endlich dem Tod entrinnen!
O des Trostes vom Himmel, daß Der des Todten gedenket,
Der, da am Kreuz er starb, in Nacht die Erde verhüllte,
Beben hieß die Felsen, und Sterblicher Augen die Stätte
Aufthat seiner Herrlichkeit!« Die Hörenden schwiegen
Voll Erstaunens; allein nur wenig lindernde Tröstung
Drang den Duldern ins Herz. Sie waren zu tief verwundet.
Also sieht, wer schwindelnd herab an der hangenden Klippe
Wandelt, im blühenden Thal die Schöne des heiteren Tags nicht.
Durch den helleren Wald verbreitet sein Schimmer umsonst sich,
Wallet umsonst mit dem Strome dahin. Des fürchtenden Wandrers
Aug' ist rings um ihn her des Frühlings Wonne verschwunden.
Lazarus sah, daß ihr Leiden sich nicht entwölkte, da sagt' er:
»Tröstet Euch's nicht, daß Gott von dem Todten zeuget durch Wunder,
O, so sei es Euch Trost, es sei Euch Labsal in Durste,
Schatten gegen den brennenden Strahl, daß Die zu dem Todten
Hinging, die Ihr liebtet, und die der Göttliche lehrte,
Daß Maria nicht mehr mit Euch weinet.« Ihm nahte mit Eile
Magdale sich und sah ihn mit thränentrockenem Aug' an,
Glücklicher jetzt, als folgte sie schon der entschlafenen Freundin:
»Ach, Du redetest Worte der Engel mit uns! Ja, in Durste,
Lazarus, gegen den brennenden Strahl! So wehet es Kühlung
An der Quelle. Sie ist hinauf zu Christus gegangen,
Deine himmlische Schwester? O, hast Du der Worte der Engel
Keine mehr? Weissagungen nicht von unserem Tode?
Siehe, Du wandeltest ja einst unter den Todten: vernahmst Du
Da nicht von Deinen Freunden, ob sie gewürdiget werden,
Bald zu ihnen zu kommen? O, red' und verbirg es nicht länger,
Wenn Du es weißt, ob uns Verlassnen dies Wonneloos fiel?
Christus' Mutter, er schweigt! So laß denn, Richter im Himmel,
Weil wir leben müssen, o furchtbarer Richter im Himmel,
Uns es erleben, daß, die den Unschuldsvollen erwürgten,
Immer tiefer stürzen und niemals, niemals entfliehen!
[76]
Daß sie Entsetzen ergreife mit eisernem Arm, sie Entsetzen
Dann umringe, wenn nun mit dem Taumelkelche der Rache
Gott kommt, und, bis zum Hefen hinab, sie ihn trinken und sterben!«
Jetzo hatte sich schon die Mitternacht auf die Erde
Niedergesenkt. Den jammerbelasteten Freunden des Mittlers
Sank sie mit Todesschatten und Graun der Gräber herunter,
Ach, einst ihnen schöner als Frühlingstage, wenn Christus
Sie durchwacht' in Gebet, und schrecklicher jetzo wie jemals,
Weil die Himmelsstimme des göttlichen Beters verstummt war.
Immer leiser verlor sich der Klage Laut, und der Thräne
Linderung floß nicht mehr. Die furchtbare Kälte des Leidens
Lag auf ihrer Seele wie unbewegliche Felsen.
Selbst die Seraphim standen um sie in trüberem Glanze,
Mitleidsvoll, und sahn's, wie Christus' Begnadete litten.
Salem, Johannes' Engel, und Selith, der Engel Maria's,
Redeten also unter einander: Sth. »Wir wissen, o Salem,
Daß es herrlich endigen wird, und dennoch, mein Bruder,
Leiden wir fast wie sie.« S.»Wie sie? Sehr Vieles empfinden
Wir den Armen nicht nach. Wir können, wie sie, nicht leiden;
Sie sind Menschen und wissen es nicht, mein himmlischer Bruder,
Daß es herrlich endigen wird. Statt dieses Ausgangs
Aus dem Labyrinth, der ihnen täuschender Traum wär',
Wenn Du auch, von den Strahlen des Himmels glänzend, ihn zeigtest,
Sehen sie immer des Jammers mehr in der Labyrinthe
Dunkleren Pfaden.« Sth. »Ich schwindl' an den Tiefen, in die sie hinabsehn.«
S. »Und ich blicke mit Ruh in die Tiefen des göttlichen Rathes.
Ach, das Mitleid schmelzt Dich zu sehr. Ich gestehe, Du littest,
Selith, wie sie. Denn nur, von der Menschen Leiden durchdrungen,
Konntest Du denken, wie Menschen denken, nur, trübe von ihrem
Leiden, vergessen, es sei der Zweck des göttlichen Rathes,
Sie durch Elend zu bessern und seliger einst sie zu machen,
Als sie zu sein vermöchten, wenn ihre Seele des Elends
Kelch nie hätte getrunken, und wenn zu der Zeit der Erquickung,
Da aus den Strömen des Lebens umsonst die Glücklichen trinken,
Sie zurück an den bitteren Kelch dort unten nicht dächten.«
Sth. »Himmlischer Freund, der Schmerz, so der Mutter Seele zerreißet,
Hat zu sehr mich umwölkt. Verzeih es, Salem, es war ja
[77]
Christus' Mutter, und an dem Kreuze sah ich sie leiden.
Breitete doch wohlthätiger Schlummer sich über ihr Haupt aus,
O, so wollt' ich die Seel' ihr mit heiteren Träumen umschweben
Und, wenn des wiederkehrenden Grams Anfall sie erschreckte,
Diesen Jammer der Schnellerwachenden durch die Erinnrung
Ihrer Träume besänftigen! Doch die Ruhe vom Elend
Kommt auf sie nicht. Ach, der Erquickung, dem himmlischen Labsal
Gottes, wird, sie denket dem Tod, entgegen sie wachen!«
Als sie so mit einander sich unterredeten, goß sich
Kurzer Schlaf auf den Thränenblick Johannes', und Salem
Schwebte mit Eil' herzu; und schon entflammte des Jüngers
Lautes Herz ein Traum mit neuem Lebensgefühle.
Libanon war's, auf Libanon, unter rauschenden Cedern
Ging er, als flög' er Flüge daher. Der Morgen, mit Purpur
(Keinen sah er erwachen wie den) und mit Golde bekleidet,
Schimmerte durch die Wipfel des thauenden Hains, und die Bäche
Tönten ins Thal wie Tempelgesang. Bald tönten ihm lauter,
Viel entzückender noch beseelte Harfen und Stimmen
Mit den Harfen, die sangen: »O Sohn der himmlischen Mutter,
Trockn', o der himmlischen Mutter Sohn, die Thräne der Wehmuth!«
Aber ihm däucht es, als ob er dennoch die Thräne nicht trockne.
Dieses Gefühl vermochte noch nicht des mächtigen Seraphs
Traum zu tilgen; so floß, auch im Schlafe, der bittere Quell fort.
Da bewölkte den Schimmer der röthliche leuchtende Morgen,
Und in unabhörbarer Fern' erstarb der Harfe
Ton, erstarb der Ton der himmlischen Stimmen. Doch führt' ihn
Eine schneller noch, wie zuerst er eilt', in dem Hain fort.
Denn der Unsterbliche strebt' und ließ nicht ab. Der Geführte
Sahe, da haueten Männer mit glühender Wuth in dem Blicke
Eine der Cedern um, daß dumpf von dem schreckenden Umsturz
Libanon scholl. Sie hauten die Ceder zum Kreuz. Das erhub sich
Schattete furchtbar; allein es entsproßten auf einmal dem Kreuze
Palmen. Da war der Jünger nicht mehr in Libanon's Haine.
Ach, er war in Eden und sah von dem Himmel ihm glänzen
Mehr als Purpur und Gold, und vernahm erhabnere Chöre;
Und es schlug ihm das Herz von der Wonne vollem Gefühle.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Gedichte. Der Messias. Dritter Theil. Zwölfter Gesang. Zwölfter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B489-9