[175] Die Denkzeiten

Gallia Sklavin; Gallia frey; sie erniedrigt zur Wilden
Dann sich, schaffend sogar Marat, den Scheusal zum Gott:
Bleibt, bleibt Wilde! Denn dich, der Willkühr Hasserin, Freyheit,
Dich, die Gesetzherschaft, kent die Unglückliche nur,
Wenn sie redet: ihr liegt's, dass sie dem Gesetze gehorche,
Über den Kreis hinaus dess, was zu thun sie vermag.
Oder glichen vielleicht des Senats Beschlüsse der weissen
Pforte Träumen nicht stets? wurden je sie vollführt?
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(Ich verehre den Thäter! und gern Mitbürger des Guten,
Der die Verehrung gebeut, halt' ich das schöne Gebot.)
Dass Sie selbst hier der Täuschung erliegt, und geredt für gethan hält!
Diess ist der bittere Quell, welchem ihr Elend entströmt.
Ach und vielleicht ist er einer der unversiegenden Quellen,
Ewigen, wie die Natur, tiefer grabend, sie schuf.
Handlung, und Wort sind getrent, als trenten sie Berge; und die sind
Dem unersteiglich, dess Geist reif bis zum Ernste nicht ist.
Republikanerin wagt Sie zu seyn: und ohne Gehorsam
Wagt sie es: waget zu seyn Künstlerin ohne Genie.
Doch sie gehorcht ja! duldet es, wenn der Vertreter des Volkes,
Weil er für frey sich hält, blutet! müsste nun auch
Dulden des Wahlenden Mord, und dess, der den Wählenden auskohr.
Aber zurück! denn hier wogt ein unendliches Meer;
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Und ach jede der Wogen rauscht Entsetzen, dem Schauer
Stehet das Haar empor, bebet der Laut, und verstumt.
Aber sein Geist ist noch tiefer verwundet, als es diess bange,
Bleiche Schweigen des Grams auszudrücken vermag.
Kennete Sie sich selbst, und des Lernens Weisheit: mit scharfem
Hinblick schaute sie dann über das westliche Meer,
Aber kent sie sich je? und stellt nicht umsonst die Geschichte,
Wo sie am lautesten warnt, ihrer Betrachtung sich dar?
Eher steigt der gelösete Fels empor zu dem Gipfel,
Dem er entstürzte, ehe sie sich zum Gehorsam erbebt.
Durch den Hunger, die Pest, die mehr begrabenden Kriege,
Zwar erschüttert, allein heisserer Rache entflamt,
Bleibet sie Wilde! komt noch, eh diess Jahrhundert ins Zeitmeer
Untergeht, und verhült, traurend ein neues entsteigt
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Jenem Ozean, könnt mit Fahn' und mit Wimpel, zu Lande
Schnelle Räuberin heut, schnellere morgen zur See.
Leben dereinst auch Sterbliche, die sie vermögen, die Wilde
Umzuschaffen? Von euch, die ihr sie jetzo beherscht,
(Nein, ihr herschet nicht, von der Heerde getriebene Hirten
Seyd ihr, nichts mehr!) von euch hat es noch keiner gewolt.
Woltet ihr herschen, zu wehren der allgemeinen Zerrüttung,
Eurem Werke; wie schnell schlachtete dann euch das Schwert!
Aber wenn selbst sich Weis' erhüben, und Edle, die's wagten
Umzuschaffen; wie schnell sänken auch sie in ihr Blut!
Eins nur ist mögliche Rettung: das Staatenbündnifs! doch ist auch,
Wütet die Wildheit fort, möglich die einzige nicht.
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(Bailly, diess Blatt der Sibille weht hin, wo du ruhest, und rauschet,
Weint mit der Weide, die dort dir ein Entschlossener pflanzt.
Ist sie des Blatts Weissag' Irrthum; so sende mir Ahndung,
Lass den getäuschten Blick froheres Künftiges sehn.)
Das ist also die Frucht des himmelsteigenden Baumes?
Das der Schatten, in dem endlich der Wanderer ruht?
Wenn ein Greis, der immer verzieh, für Andere roth wird;
Werden diese dafür desto bleicher vor Schmach.
Ha des Greuels! Harpyen gebar Anadyomene!
Keine Pallas gehar, Furien Jupiters Haupt!
Menschenfeind soll ich also im Blüthenhaare noch werden,
Der hier stets obstand, siegend kämpfete? Nein!
Menschenelend soll rnich zum Menschenfeinde nicht machen;
Thränen im Blicke, nicht Zorn, scheid' ich. Brüder, von euch.

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TextGrid Repository (2012). Klopstock, Friedrich Gottlieb. Gedichte. Oden. Zweiter Band. Die Denkzeiten. Die Denkzeiten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B498-7