[110] [113]Vierzehnter Gesang
Immer noch in ihr Leiden versenkt und schmachtend nach Troste
War in der Hütt' an dem Tempel die jammervolle Versammlung,
Wie an der glanzverbergenden Decke der näheren Zukunft
Oft Schnellsterbende dicht schon wandeln und dennoch weinen.
Und die heiligen Weiber vermischten mit Oele der Würze
Blume zur Salbung des Herrn, und Thränen rannen darunter.
Wie die weisen Begleiterinnen des Bräutigams wachsam
Waren und emsig, zu nähren der Lampen Flamme, damit sie
Ihm entgegenkämen, sobald er erschiene: so wart Ihr
Auch, Nachfolgerinnen des Mittlers, bereit bei der Dämmrung
Erstem Winke zu sein, mit eilender Sorge beschäftigt.
Doch sie erwarteten nicht der Morgendämmerung Ankunft;
Nacht noch war es beinah, als sie die Jünger verließen.
Die aus Magdala's Hütten und Kleophas' Weib, Maria,
Und Johanna, mit ihr die Schwester der leidenden Mutter,
Salome, dann die zu zärtliche Mutter der Zebedäiden
Waren die Führerinnen. »Ihr Lieben, Ihr seht ihn noch einmal,«
Sprach bei dem Abschied die Mutter, »ich aber seh' ihn nicht wieder.
Gehet denn hin im Namen des Herrn.« Sie schwiegen und gingen.
Und der Morgen athmete kalt. Sie eileten, sprachen:
»Aber wer wälzet den Stein von dem Grabe? Doch dieser Kummer
Hielt sie nicht auf. »Wir thun,« sprach Magdalena Maria,
»Was wir können, und schützen, so lang' das Salben vermögen,
Ihn vor der grauenvollen Verwesung.« So sprach sie und eilte.
Gabriel saß auf dem weggewälzeten Felsen und sagte
[113]Zu Eloa und Abdiel, die nicht fern von ihm schwebten:
»Ach, kaum daß ich vermag zu erscheinen, so beb' ich vor Freuden.
Seht Ihr die Zeuginnen kommen? Ich will als Jüngling erscheinen;
Sonst ergriffe die armen Glücklichen, schreckte zu mächtig
Meiner Herrlichkeit Schrecken. Erscheinet Ihr ihnen als Männer,
Wenn sie mehr der Unsterblichen Glanz zu ertragen vermögen.«
Aber der Mittler schaut' aus seiner Verborgenheit Hüllen
Auf die Engel herab und auf die kommenden Menschen,
Freuete sich der göttlichen Freuden, die Blut ihm erkaufte.
Magdala's Bewohnerin kam, sah offen das Grabmal,
Weggewälzet den Fels, floh, rief's den Andern entgegen,
Eilte zurück nach Jerusalem. Aber die Kommenden ließen
Sich nicht schrecken und gingen heran. Da erblickten sie schleunig
Auf dem Felsen, der weggewälzt an der Oeffnung des Grabs lag,
Einen Jüngling, der schimmerte. Seine Gestalt war dem Blitze
Gleich, dem Schnee das Gewand. Er sprach mit der Stimme der Wonne:
»Fürchtet Euch nicht! Ich weiß, daß Ihr den Gekreuzigten suchet,
Jesus. Er ist nicht hier. Er ist von den Todten erstanden,
Wie er verkündiget hat. Kommt her und sehet die Stätte,
Wo der Göttliche ruhte.« Da führet' er sie in das Grabmal.
»Gehet eilend nun hin und sagt's den Jüngern und sagt es
Kephas: Auferstanden sei er von den Todten. Und siehe,
Jesus gehet hinab nach Galiläa. Da werdet
Ihr ihn sehn. Nun eilt und verkündet's den Zwölfen.« Sie blieben
Unentschlossen und zitterten säumend. Im Strahlengewande
Traten noch zween der Engel herein. Sie erschraken und schlugen
Nieder zur Erd' ihr Angesicht. »Was suchet Ihr,« sprachen
Diese Männer, »unter den Todten den Lebenden! Hier ist
Jesus nicht. Erstanden ist er. Gedenkt, was er sagte,
Als er in Galiläa noch war: In die Hände der Sünder
[114]Muß der Sohn des Menschen gegeben werden, gekreuzigt
Muß er werden, erwachen den dritten Tag von dem Tode.«
Jetzo eileten sie mit Beben und inniger Freude,
Liefen, es nun den Jüngern des Herrn zu verkündigen. Petrus
Und Johannes kamen indeß mit Magdale wieder.
Als sie Jerusalem jetzt verließen, sagte Johannes
Zu den Gefährten: »Der Weg an jenen Sträuchen hinunter
Ist ein schnellerer Weg.« Er führt', ihm folgten die Andern.
Wo einander am Meisten die beiden Wege sich nahten,
Sondert' ein Hügel sie nur. Von diesem Hügel geschieden,
Gingen sich, ohn' einander zu sehn, die heiligen Weiber
Und die Jünger vorüber. So nahn oft Pilger nach Salem,
Deren Seelen sich gleich und für einander gemacht sind,
Sich in diesem Leben und fehlen sich dennoch. In Salem
Sehn sie sich erst, verwundernd, daß sie sich hier nicht gefunden.
Kephas sprach zur Gefährtin, indem sie dem Führer mit Mühe
Und von ferne nur folgte: »Genommen wäre der Leichnam?
Von den Priestern? Allein die haben, sagt man, den Grabstein
Ja versiegelt! So haben ihn denn Elende genommen,
Ihm das Todtengewand zu rauben.« Er sprach's, und Johannes
War dem Grabe schon nah. Gelegt erblickt' er die Leinen;
Aber er ging, voll unentschlossenes Kummers und Ehrfurcht,
Nicht hinein. Nun kam auch athemlos Petrus und eilte,
So wie er kam, in das Grab. Er sahe das Tuch, so des Todten
Haupt umwand, besonders gelegt und nicht bei den Leinen,
Fand es zusammengewickelt. Ihm folgte Johannes ins Grabmal,
Sah es und überzeugte sich ganz von Magdale's Botschaft.
Aber davon, daß nach der Propheten Gesicht der Messias
Aufstehn müsse, wußten sie nichts. Sie verließen das Grabmal
Und Maria. »Wofern,« sprach Petrus im Gehn zu Johannes,
[115]»Sich die Priester anders entschlossen und der Besieglung
Nicht gnug trauten, gewiß ihn zu haben, so nahmen die Wüther
Ihm das Todtengewand, um seine Wunden noch einmal,
Heiß vom Durste der Rache, zu sehn.« Sie gingen verstummt fort.
Magdale stand vor dem Grab und blickt' und wischte die Thränen
Schnell mit Heftigkeit weg, um zu sehen, sie blickt' und starrte
Aengstlich hinunter ins Grab. Zwar waren Engel im Grabe
Und erschienen ihr; doch kaum sah sie die Engel. Denn Jesus
Sahe sie nicht, nicht Jesus. So sucht mit lechzender Zunge
Nur die Quelle das schreiende Reh; die Sonne, die aufgeht,
Siehet es nicht, es fühlt nicht die wehenden Schatten des Waldes.
»Weib, was weinest Du?« sprachen zu ihr die Boten der Wonne.
M. »Ach, sie haben genommen, den meine Seele liebet,
Und ich weiß nicht, wohin sie ihn legten?« So sprach sie und wandte
Sich von dem Grabe. Da siehet sie Jesus stehen und weiß nicht,
Daß es Jesus ist. J. »Was weinest Du, Weib? Wen suchst Du?«
Aber dies sprach er noch nicht mit der Stimme des ewigen Lebens.
Sie antwortet dem Gärtner (sie meint, sie sehe den Gärtner):
»Hast Du ihn weggenommen, wohin hast Du ihn getragen?
Ach, in welche Finsterniß? daß ich eil' und ihn suche.«
Nahe, wie sie, der unaussprechlichsten Seligkeit, weint so
Selbst ein Geliebter des Herrn, wenn seiner Sterblichkeit letztes,
Aber stärkstes Gefühl die ganze Seel' ihm erschüttert.
Ach, er lieget und ringt mit dem Tod und dürstet nach Hilfe,
Weint zu Christus und kennt – so schreckt ihn der Prüfungen letzte –
Kennt den Liebenden nicht, sieht nur den Richter der Welten.
Aber zwo Thränen nur noch, und welche Wonn' ist die seine!
Selber von Dem, mit dem sie von Jesus redete, wendet
In der Traurigkeit ihrer Seele Maria ihr Antlitz.
Aber wie Harfen am Thron, wie Jubel der Ueberwinder,
Singen sie, ganz in Liebe zerflossen, das Lamm, das erwürgt ward,
[116]Nicht wie der Ueberwinder Harfen und Jubel am Throne,
Inniger, herzlicher, liebender scholl des Auferstandnen,
Jesus' Stimme der Weinenden, Jesus' Stimme: »Maria!«
Und sie hört' und erkannte die Stimme des Herrn, und indem sie,
Kaum sich ihrer bewußt, in der Angst der Freude dahinsank,
Bebend und bleich in den Staub hinsank zu den Füßen des Mittlers,
Strebte sie, was sie empfand, dem Erstandenen zuzurufen;
Aber sie stammelt' und athmete kaum und blickte den Herrn an,
Weint' und stammelte nur mit leisem Staunen: »Rabbuni!«
Und sie hielt mit wankender Hand des Göttlichen Füße.
Liebend und ganz Barmherzigkeit sah sie der Herr an und sagte:
»Halt mich nicht also! Noch bleib' ich bei Euch. Du siehst mich noch wieder,
Und noch hab' ich mich nicht zu meinem Vater erhoben.
Geh zu unseren Brüdern und sage zu ihnen: Die Stunde
Meiner Herrlichkeit naht. Ich gehe zu meinem Vater
Und zu Eurem Vater, zu meinem Gott und zu Eurem!«
Jesus verschwand, und sie ging mit der Botschaft der Wonne belastet.
Salome naht sich mit ihren Begleiterinnen dem Thore.
Aber, der Maria verschwand, begegnet den Andern
In der duftenden Kühle des werdenden röthlichen Tages,
Mit der Sonne, die kam und Gottes Herrlichkeit strahlte.
Und er war es gleich selbst. Sie erkannten ihn Alle, der nun nicht
Unter den Todten mehr war. »Seid mir gegrüßet,« so sagte
Jesus Christus. Sie sanken vor ihm mit Beben zur Erde,
Hielten ihm seine Füße. »Seid nicht erschrocken und gehet
Und verkündigt es meinen Brüdern. Nach Galiläa
Sollen sie gehn. Dort sehen sie mich.« Er verschwand mit den Worten.
[117]Und die Zeuginnen huben einander mit sprachloser Freud' auf,
Gingen eilend nach Salem, der Wonne Botschaft zu bringen.
Petrus war vor ihnen zurück und Johannes gekommen,
Hatten über die ganze Versammlung traurige Wolken
Ausgebreitet. Da kamen die Zeuginnen Dessen, der lebte.
»Hört uns, Ihr weint, o hört uns! Wir haben ihn lebend gesehen
Und auch Engel zuvor. Erst einen Engel am Grabe,
Und dann zween mit diesem darin; die sprachen – was sagten
Sie, o Salome? denn ich war zu erschrocken, der Boten
Himmlische Stimme recht zu verstehn.« »Ihr wart zu erschrocken,«
Trat jetzt Thomas hervor, »zu verstehn, was Ihr hörtet? vielleicht auch,
Recht zu sehn, was Ihr saht?« – »Ach, Jünger Jesus', erschreck Du
Uns mit Deinen Zweifeln nicht mehr, wir sind ja vor Freuden,
Ohne Dich, noch erschrocken genug. Der Lebende sagt' uns:
Fürchtet Euch nicht! und Du, sein Jünger, schreckest uns wieder.«
Th. »Ach, ich wollte das nicht, Ihr Geliebten. Doch laßt mich Euch fragen,
Und seid ruhig, indem ich genau die Wahrheit erforsche.
Einen Engel saht Ihr zuerst? Wie war er gestaltet?«
W. »Sieh, ein Jüngling, sein Antlitz dem Blitze, dem Schnee das Gewand gleich.«
»Der war Gabriel,« rief die Mutter des Lebenden. »War denn,«
Sprach drauf Thomas, »die Sonne schon da? Du hast nicht vernommen,
Salome, daß, von der Wache gefolgt, ein römischer Hauptmann,
Auf Pilatus' Befehl, erfleht von den wüthenden Priestern,
Gestern des Todten Grab umringte. Die Rüstung der Römer
Glänzet täuschend, indem darauf der Schimmer des Tags fällt.
Aber Euch täuschte ja schon der Schrecken genug, und Ihr brauchtet
Keines Glanzes in Fernen, um Engelgestalten zu sehen.«
W. »Aber es war erst Dämmerung, Didymus, aber der Jüngling
War kein Römer. Sein Antlitz, nicht seine Rüstung – er hatte
Keine Rüstung – schimmerte. Was den Unsterblichen deckte,
War ein weißes Gewand.« Th. »Wolan, was sagt' er zu Euch denn,
Dieser Unsterbliche?« W. »Fürchtet Euch nicht, so sagt' er, ich weiß es,
[118]Daß Ihr Jesus von Nazaret sucht; der ist von den Todten
Auferstanden, nicht hier! Kommt her und sehet die Stätte,
Wo er lag. So sprach er und führt' uns hinein in das Grabmal.
Eilet nun, sprach er darauf, und sagt's den Jüngern und sagt es
Kephas: auferstanden sei er von den Todten!« Da rufte
Petrus innig gerührt: »Er nennte vor Aller Namen
Meinen Namen? ein Engel, des Sünders? Himmlische Tröstung
Hättest Du, Bote des Herrn, wärst Du wahrhaftig erschienen,
Mir, dem Leidenden, zugerufen! Allein, daß er mich nur
Und Maria nicht nannt' und nicht Johannes, das selber
Stürzt mich in Zweifel.« Didymus stand nachdenkend und fragte
Endlich wieder: »Das war's, das der Engel sagte?« W. »Noch sprach er:
Jesus geht vor Euch hin nach Galiläa, da werdet
Ihr ihn sehn.« »Die übrigen Engel,« erwiderte Thomas,
»Waren gestaltet wie der?« W. »Sie waren noch himmlischer,« riefen
Zwo von ihnen; »allein wir sahen Jesus auch selber.«
Th. »Mit den Engeln?« »Die Engel,« so sagten sie, »waren verschwunden,
Als wir am Thor ihn sahen, wie er uns begegnend daherkam,
So gestaltet wie sonst, und in seinen Gewanden. Doch hatt' er
In der Geberde was Himmlisches. Bei der Erscheinung auf Tabor
Sahn sie ihn also vielleicht. Seid mir gegrüßet! so sagt' er.
Und wir sanken vor ihm mit Beben nieder und hielten
Seine Füße. Seid nicht erschrocken und geht und verkündet's
Meinen Brüdern. Nach Galiläa sollen sie gehen.
Dort erschein' ich ihnen. Er sprach's und verschwand mit den Worten.«
»Ihn, ihn selber habt Ihr gesehn? Ihr Alle?« erwidert
Thomas und bleibt mit grübelnder Stirn und ernsterem Auge
Stehn. »Es war des Todten Gestalt und Gewand; die Stimm' auch?«
Jetzo schwieg er; doch immer mehr in dem Strome der Zweifel
Fortgerissen, begann er wieder: »Itzt seid Ihr zu lebhaft
Durch das Alles getäuscht, was Ihr erzählet. Ich werde,
Wenn Ihr es erst zu tragen vermögt, der Zweifel Ursach,
Welche mir anders zu denken gebeut, Euch offen entdecken,
Nichts verschweigen! Ihr glaubt, Ihr Jünger Jesus', die Märlein,
Die sie erzählen, doch nicht?« Er sprach's und setzte sich wieder.
[119]Aber der stürzenden Freudenthräne der Zeuginnen folgte
Nun des Mitleids sanftzerrinnende Thräne. Sie schwiegen.
Müde vor Angst der Freude, voll Schweiß die Stirne, die Wange
Bleich, mit bebenden Lippen, mit starrer lechzender Zunge,
Trat Maria Magdale unter die Weinenden, strebte,
Ihre Hände gen Himmel zu heben, sie sanken ihr nieder;
Und sie faltet sie fest. »Er ist erstanden, erstanden!«
Also ruft sie mit einer Stimme des freudigen Schreckens,
Die nicht Harfen der Seraphim, nicht ihr Gesang ausdrückte.
Dunkel wird es um sie. Sie sucht nach Stützen. Johannes
Hält sie, sie lehnt sich an ihn. Als er zu reden vermochte,
Sprach Lebbäus: »So hast auch Du die Engel gesehen?«
Sanfter schlug ihr Herz. Sie sprach mit himmlischem Lächeln:
»Ach, nicht Engel nur, ihn!« Da erhoben Alle die Augen
Still gen Himmel, nur Didymus nicht. Er nahte sich, sagte
Kalt, mit trübem Ernste: »Wer so sich täuscht, daß sein Auge
Engel erblickt, der kann auch wähnen, ihn selber zu sehen.«
M. »Didymus, ach, was haben wir Dir, was hat Dir, Geliebter,
Jesus Christus gethan?« antwortete Magdale ruhig.
»Dies mein Auge sah ihn! am Fuße des Auferstandnen
Weinete dies mein Auge!« Jakobus blickte mit Ehrfurcht
Und mit Staunen auf sie: »Hatt' er die Klarheit der Himmel?
Waren Strahlen sein Kleid?« M. »Er war ein Mensch, doch erblickt' ich
Gnaden in seinem Antlitz, die ich noch niemals gesehen,
Selbst nicht an ihm.« Jetzt naht auch Simon Petrus. Unzählbar
Waren die Zweifel, die ihn betäubten; ihr Ungestüm ließ ihn
Endlich reden. Er fragt' und bebte, die Antwort zu hören.
»Hast Du auch seine Stimme gehört?« M. »Ja, Simon Johanna!
Seine Stimme, des Auferstandnen, des Göttlichen Stimme!«
P. »Ach, was sagt' er zu Dir?« M. »Ich empfind' es, nein, ich vermag nicht
Auszusprechen, wie voll von Gnade die Stimme des Herrn war.
Jener glich sie, mit der in seinem Blut er zu Gott rief:
Vater, sie wissen es nicht, was sie thun. Erbarme Dich ihrer!
Ach, noch sanfter, noch liebevoller sprach er: Maria!
Ich erkannt' ihn. Mir war's, ich wär' in dem Himmel. Rabbuni!
Stammelt' ich, hielt mit wankender Hand des Göttlichen Füße.
Liebend und ganz Barmherzigkeit sah mich der Herr an und sagte:
[120]Halt' mich nicht also! Noch bleib' ich bei Euch. Du siehst mich noch wieder,
Und noch hab' ich mich nicht zu meinem Vater erhoben.
Geh zu unseren Brüdern und sage zu ihnen: Die Stunde
Meiner Herrlichkeit naht. Ich gehe zu meinem Vater
Und zu Eurem Vater, zu meinem Gott und zu Eurem!«
Christus' Mutter hatte bisher mit sinkendem Haupte
Niedergesehn. Sie erhub ihr helleres Aug' und blickte
Sanft auf Magdale, stand dann mühsam auf und hielt sich,
Und sie leiteten sie. Sie ging zu Magdale, reicht' ihr
Ihre Hand und hielt die Hand der Geliebten und sah sie
Wieder mit innigem Blick an und sagte mit leisem Laute:
»Du hast Christus gesehn und seine Stimme gehöret?
Meinen Sohn? Doch darf ich« – hier sah sie mit himmlischer Demuth
Forschend sich um – »o, darf ich noch Sohn ihn nennen? Geliebte,
Euer Auge sagt mir's, ich darf ihn so nennen! Du sagtest,
Daß mein Sohn ein Mensch war! O Magdale, hatt' er auch Male
Seiner Wunden?« Sie wandte sich weg und weinte; doch hielt sie
Noch die Hand der Geliebten. »O Mutter des größten der Söhne,
Weine nicht, er ist von dem Tod erstanden. Ich weiß nicht,
Ob ich Male der Wunden sah. Von Freuden erschüttert,
Sah ich beinah nur allein sein Antlitz und himmlische Gnaden
In des Göttlichen Antlitz und unaussprechliche Gnaden.
Siehe, so stand er, umgeben vom Duft und dem Schimmer der Dämmrung.«
Christus' Mutter weinte nicht mehr. Sie faßt die Geliebte
Jetzo bei beiden Händen und sieht gen Himmel. Sie ließ ihr
Nun die Hände sinken und trat tiefdenkend zurück, sah
Mit Bewundrung sie an und sagte: »Begnadigte, Christus
Hast Du erstanden gesehn und seine Stimme gehöret?«
Und die zuerst mit ihr gingen, die früheren Zeuginnen traten
Freudig um Magdale her und erzählten ihr, welcher Erscheinung
Sie erst Engel und dann der Herr gewürdiget hätte.
Aber Didymus kam: »Sahst Du auch Engel, Maria
Magdale?« M. »Kaum erblickt' ich die Engel. Mein Auge war finster
Von Betrübniß. Ich wandte mich schnell. Denn eines dem Gärtner
Aehnlichen wurd' ich gewahr. Ich erkannt' ihn sogleich nicht, erkannt' ihn
Erst, als er bei dem Namen mit seiner Stimme mich nannte.«
Th. »Also sahest Du kaum, die Du doch Unsterbliche nennest?
Ihn erkanntest Du auch nicht gleich und hieltest zuerst ihn
Für den Gärtner? Die Andern erzählen, er sei bekleidet
[121]Wie vordem gewesen. So war des Gärtners Gewand denn,
Wie das seine sonst war? Wie viel' der Unsterblichen waren's,
Magdale, die Du sahst?« M. »Zween sah ich.« Th. »Die Andern erblickten
Einen erst, dann noch Zween.« Er sprach's und wandte sein Antlitz.
Magdalena erhub ihr hohes Auge gen Himmel:
»Wenn er Euch nur nicht irret, o Du, des Lebenden Mutter,
Und Ihr, Jünger des Herrn! Laß meiner Seligkeit jetzt mich,
Thomas. Ich will Dir hernach antworten.« Da nahm sie die Mutter
Jesus' und führte sie weg, mehr Wonnegespräche zu halten.
Kephas, dem Zweifel sein Herz zerrissen, und dem es noch immer
Scholl und zu Thränen ihn zwang: Den Jüngern sagt es und sagt es
Petrus! ihm wurde Salem zu eng; er ließ die Versammlung,
Eilet' hinaus. Bald wählt' er, um sich in trauriges Grübeln
Ganz zu vertiefen, die fernste der Wüsten, dann Galiläa,
Dann das Grab. Er hatte den Weg zu der Wüste genommen;
Aber er kam auf den Weg zurück, so zum Grab ihn führte.
Und er stand, von der Stille der sanfterwachenden Erde
Und der frühen Erfrischung des werdenden Schimmers umgeben,
An dem Hange des Todtenhügels. Er blickt' in das offne
Leere Grab hinunter, und diese Kummer empörten
Seine Seele: »Zu schreckliche That! Sie hätten ihn also
Weggenommen, damit sie ihn hier bei den Schädeln begrüben?
Bei der Verfluchten Gebein? Du schwarze Rache, der tiefsten
Untersten Hölle Rache, Dir wär's gelungen? und Joseph
Hätte vergebens den Heiden erfleht? Wir hätten vergebens
Unter die Thränen unseres Jammers einige Zähren
Trüber Freude gemischt? Denn, ach, wie kann ich es glauben,
Auferstanden sei er, erschienen sogar, das glauben?
Bängster unter den Schmerzen, Du hast die blutenden Seelen
Ueberströmt, sie dahin in Deinen Fluthen gerissen,
Und sie haben, getäuscht von der Angst, ihn erstanden gesehen!
Auferstanden, erschienen! und ich wär' dieser Wonne
Nicht erlegen? noch nicht, ach, unter dieser Entzückung,
Diesem Gefühl des ewigen Lebens noch nicht versunken?
Kreuz des Todten« (er hub sein trübes Auge zum Kreuz auf),
»Kreuz des Todten, Du zeugest zu laut, und Himmel und Erde
Haben Dein furchtbares Zeugniß gehört! Gestorben, gestorben,
[122]Ja, gestorben ist er! Da ging ein Schwert durch die Seele
Seiner Mutter, ein tödtender Schwert durch seine Seele!
Wiedersehen? Ach, das werd' ich einst wahrhaftig, ich werd' ihn
Wiedersehen; allein an dem Throne des Ewigen, hier nicht.
Warum zittertest Du, geängstete Seele, vor dieser
Deiner einzigen Ruhe zurück? Ja, zittre vor ihr nur,
Meine Seele, zurück! Zwar bist Du erhört, und der Richter
Hat die Reue, mit der Du büßtest, erbarmend gesehen;
Aber Du darfst Dich nicht freun! Noch stehet der furchtbare Zeuge
Seines Todes, das Kreuz! Noch liegen die Berg' und die Felsen,
Noch die Gräber, wie sie der Allmacht Rechte zermalmte!
Nein, Du darfst Dich nicht freun!« So dacht' und stammelt' und rief er,
Starrete wieder ins offene Grab. Nicht fern von dem Grabe
Sah er Magdale, die auf den Knien lag, weinend gen Himmel,
Und mit der Rechte sich stützt' in den Staub. »Maria, Maria
Magdale!« rief der erschütterte Jünger. Endlich erkennt sie
Seine Stimm' und kommt. P. »Glückselige, glaubst Du noch immer,
Daß Du ihn erstanden gesehn?« M. »Mit der Linken, o Simon,
Hielt ich, Du sahst es, ein sprossendes Reis, bei welchem sein Fuß stand;
Meine Rechte ruht' in dem Staube, worin sein Fuß stand.«
P. »Heb', o Maria, Dein Aug' auf, schau zu dem Kreuze, da starb er!«
M. »Und erstanden ist er, erstanden, Simon, vom Tode!«
P. »Beim lebendigen Gott beschwör' ich Dich: Hat ihn Dein Auge,
Dies Dein Auge, Maria, gesehn, das vor Dir mich stehn sieht?«
M. »Ob ihn mein Auge sah? O, bei Deß Wahrhaftigkeit, Kephas,
Welcher ewig ist, hat die Herrlichkeit des Versöhners
Dies mein Auge gesehn, die Stimme des Sohnes Gottes
Hat vernommen mein Ohr, und die Wonne der Himmel empfand ich!«
Sprachlos blieb sie stehn, auch Petrus. Er redete wieder:
»Wende Dich weg, o zu Glückselige, laß mich in Stillem
Meine Traurigkeit weinen. O, hätt' ein freudig Gesicht mich,
Wie es Dich täuschte, getäuscht und meine Seele besänftigt!
Ach, ich glaube Dir nicht!« M. »So glaube denn auch nicht, Du habest
Ihn auf dem Meere wandeln gesehn, auf des Tabor Gebirge
Von des Vaters Herrlichkeit ihn umleuchtet gesehen!«
Sie verließen einander. »Ach, könnt' ich ihr glauben!« so dacht' er
Bei sich selber, indem sie von ihm zu dem Grabe zurückging.
[123]»Zu Glückselige! Ja, sie glaubt es aus ganzer Seele.
Wie voll Zuversicht ist sie und Wonne, wie breitet
Ruh und Hoheit über sie aus die feste Gewißheit!
Grab und Verwesung erschüttern sie nicht. Sie lächelt dem Sturme,
Der in der nächtlichen Tiefe der Todesthale daherrauscht.
Aber warum glaub' ich ihr nicht? Kann Der nicht erwachen,
Der auf dem Meere ging und mich hielt auf der wüthenden Woge?
Ja, Du Todter Gottes, vergieb, vergieb es dem Trauren,
Meiner Seele Jammer, wofern Du lebst! Ach, Du hieltst mich,
Als ich vor der kommenden Woge zweifelnd dahinsank;
Rett' auch jetzt mich! Ich bin, das weißt Du, bänger als damals,
Und Du hilfst mir nicht, Herr, und reichest mir nicht, der noch mehr sinkt,
Deine göttliche Rechte! Bei Deiner erbarmenden Liebe,
Bei dem Blick voll Gnade, voll Gnade, womit Du mich ansahst,
Als nun meiner Verleugnung zu schwere Last auf mich stürzte,
Ach, bei der Barmherzigkeit fleh' ich Dich an: O, erbarm Dich
Meiner Angst und erschein auch mir, wofern Du erscheinest!
Nein, ich bitte zu viel. Geht, sagt's den Jüngern und Petrus!
Sprach der Engel. War dieses nicht schon unaussprechliche Gnade?
Herr, ach, solltest Du mir, der Dich verleugnet', erscheinen?
Mir? und bist nicht Lebbäus und nicht Jakobus erschienen,
Nicht Johannes, nicht ihr, der liebendsten unter den Müttern!
Aber auch Magdale hat gesündigt! Wenn hat sie gesündigt?
Eh sie ihn kannte. Und hab' ich geliebt, wie Magdale liebte?«
Also dacht' er und stieg mit schwerem Schritte den Hügel
Langsam hinauf und sank auf seine Kniee, zu beten,
Schauete nieder und flehte zu Gott. Da er aufsah, erblickt' er
Christus unter dem Kreuz. Wer faßt das Erstaunen, die Wonne
Seiner Seele, da er vor sich den Lebenden stehn sah!
Und ihm reichte mit göttlicher Huld der Sündeversöhner
Seine Rechte. Doch Petrus vermag nicht aufzustehen,
Strebt und sucht mit der anderen Hand den Arm des Erstandnen,
Fest sich daran zu halten; allein sie sank in den Staub ihm.
Nun erhub er sich wieder, umschlang mit beiden Armen
[124]Jesus' Rechte, bebte daran und drückte sie innig
An sein Herz und senkte die Stirn auf den Arm des Erstandnen.
Erde, so daucht' es ihm, wollten um ihn und Himmel vergehen.
Endlich schaut' er hinauf in des Göttlichen Antlitz, begann nun
Mit der stammelnden Stimme der ersten Freude zu rufen:
»Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig!« und blickt' und schaute
Auf den Lebenden. »Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig!«
Ruft' er noch einmal und bebte nicht mehr und empfand des Versöhners
Ueberschwänglich tröstenden, unaussprechlichen Anblick.
Seine Hüter Ithuriel und Orion umschwebten
Golgatha; und Ithuriel hielt sich nicht mehr: »Ach, Orion,
Welche Stunde meiner Unsterblichkeit! Jubel der Wonne
Werden oft sie uns wiederholen, sie feirend besingen!
Auferstanden erscheinet der Herr dem geretteten Sünder,
Christus Kepha – Du fühlst, was ich empfinde, Geliebter –
Unserem Jünger! O, komm und freu' Dich in meiner Umarmung
Deiner und meiner Wonne! Gesündiget haben, ist furchtbar,
Voll von Entsetzen, Ithuriel; und an dem Sündeversöhner,
Und zu der Zeit der Versöhnung, und als ein begnadigter Jünger,
Können wir uns kaum denken; allein die erweinte Vergebung
So erlangen! O Seraph, wie selig sind die Versöhnten!«
Mit den Worten des Engels verließ der Erstandne den Hügel.
Petrus sah und betet' ihm nach mit gefalteten Händen,
Bis in dem Schatten des überhangenden Grabes sein Auge
Schnell ihn verlor. Und Petrus erhub die verbreiteten Arme
Freudig gen Himmel: »O Dank, Dank Dir, Sohn Gottes, Erstandner,
Inniger ewiger Dank, der meine Seele gelabt hat
Mit mehr Tröstung, als sie in ihrem Durste nach Ruhe
Sich zu denken, zu wünschen vermochte. So wollst in dem Tod einst
Du mich trösten! Wer bin ich? ach, meine furchtbare Sünde
Büßet' ich zwar, die Verleugnung Deiner; aber wer bin ich,
Daß Du mit diesen Gnaden Dich mein, Sohn Gottes, erbarmt hast?
Jesus' Christus' Herrlichkeit hat mein Auge gesehen!
Ihn, in das Leben erwacht, so hat mein Aug' ihn gesehen!
Fleuß auf ewig, mein Dank, aus meiner innersten Seele,
Heißer, herzlicher Dank! Die Gnaden alle der Himmel,
Ja, die ganze Fülle der Wonne, die selige Fülle
[125]Aller Deiner Erbarmungen hoff' ich nun. Das Geheimniß
Deines Todes wirst Du mir, Sohn des Vaters, enthüllen.
Nicht das Heer ohne Zahl, die Schaaren, die Mächt' und die Thronen,
Nicht Erzengel können von Dem, deß Antlitz sie schauen,
Mehr empfahn, wie ich nun von ihm hoffe. Ich sahe lebend,
Der des Ewigen Sohn ist und der an dem Kreuze des Todes
Starb, ihn lebend! Gedanke voll tiefer Ruhe, Du Reichthum
Aller Erbarmung, mir wird auch Dein Geheimniß enthüllen,
Der auf ewig nun lebt! Ich hab' ihn lebend gesehen,
Jesus Christus! O, sagt's an dem ewigen Throne, verkündet's
Allen Himmeln: Er lebt! singt's laut in Jubelgesängen,
Söhne des Lichts!« Er schwieg und schauete lange gen Himmel;
Stand mit Schnelligkeit auf. »Auch Ihr sollt schöpfen, o Brüder,
Aus der Quelle des Trostes, auch Eure blutenden Wunden
Sollen heilen.« Er denket es, eilt. Schon hatt' er die Mauren
Salem's erreicht; schon naht' er sich seiner Brüder Versammlung,
Die voll Erwartungen war und Zweifel und Freud' und Erstaunen.
Und er trat mit gefalteten Händen in die Versammlung:
»Lob und Preis und Ehre sei, Anbetung und Dank sei
Gottes Sohne, der uns mit einer Liebe geliebt hat,
Die uns Jubelgesang in dem Leben wird sein und im Tode!
Ihm, der den wunderbaren Tod ist gestorben, erstanden
Ist und erschienen! Auch mir ist der Herr erschienen! Am Kreuze
Stand er; da sah ihn mein Auge, da sah ich des Göttlichen Antlitz!«
Und sie nahen sich ihm, bewundern ihn, preisen ihn selig
Und erstaunen über den Herrn, der vom Tode des Kreuzes
Auferstand; und ein tiefanbetendes Schweigen fesselt
Aller Zungen. Endlich umgeben sie näher den neuen
Seligen Zeugen des Auferstandnen, umarmen voll Wonn' ihn,
Drücken ihn an ihr Herz und weinen. Des Lebenden Mutter
Hielt bei der Rechten ihn, und Magdala bei der Linken.
»Siehe, nun hast Du ihn auch, o Simon Johanna, gesehen!«
Magdale sprach's. Dann sagte mit himmlischem Lächeln die Mutter:
»Gottes Sohn und meinen!« Lebbäus stammelte, wandte
Sich zu Maria: »Vor Trauren nicht mehr, vor Entzückung, o Mutter,
Glaub' ich es kaum. Du Blutender, ach, Du Wundenvoller,
Bist erstanden!« Er sank an die Brust Johannes'; der drückt' ihn
Innig ans Herz und sagt' ihm leise: »Er ist erstanden!«
[126]Ließ ihn und ging zu Maria: »O Du des Göttlichen Mutter,
Freue Dich wieder! Nun geht durch Deine Seele kein Schwert mehr,
Deine blutende Seele nicht mehr!« – »Mit den Freuden der Himmel
Freu' ich mich, Sohn. Ach, auferstanden ist Jesus Christus,
Auferstanden! Auch mir wird Jesus Christus erscheinen.
Das verhieß mir Dein Blick, mit dem Du vom Kreuze mich ansahst.«
Bartholomäus ergriff die Hand des Jüngers, des Zeugen,
Sagte mit sanfter Wehmuth: »O Simon, mein grauendes Haupt wird
Eher nicht in die Grube sich neigen, als auch mein Auge
Unseren göttlichen Meister vom Tod erstanden gesehn hat.«
Kephas hielt ihm die Hand und sah ihn mit glaubendem Muth an:
»Ja, Du Theurer, er wird sich unser Aller erbarmen.«
Wie am heiteren Himmel sich eine Wolk' heraufzieht,
Einsam und trüb' und ernst, so nahte sich Didymus Kepha.
Th. »Selber Simon! Ja, wenn es möglich wäre, so glaubt' ich
Dir, o Simon!« Er wandte mit innigem Grame sein Antlitz.
P. »Wende Dich, Thomas, und danke mit uns! Der Herr ist erstanden!
Ja, Anbetung und Ehr' und Preis und Jubel und Dank sei
Ihm, der wunderbar starb, von dem Tode wunderbar aufstand
Und erscheinet! Er wird sich unser Aller erbarmen.«
Mit den Worten entsinkt die Mutter Christus' des Zeugen
Bebendem Arme. Sie liegt auf ihren Knieen und breitet
Freudig die Arme gen Himmel und ruft mit der Stimme der Wonne:
»Meine Seel' erhebet den Herrn! Mein Innerstes freut sich
Gottes, meines Erlösers! Du hast die Thränen der Mutter,
Deiner traurenden Magd, von Deinem Kreuze gesehen,
Hast sie all' erbarmend gezählt! Die Enkel der Enkel
Werden mich selig preisen. Wie wunderbar ist er, wie groß ist
Alle sein Thun, der mächtiger als der Tod ist! Ach, heilig
Ist sein Namen, heilig, und ewig ist er Erbarmer!
Allmacht ist sein Arm! Er stürzt blutdürstende Stolze,
Mächtige stößt er vom Thron und erhebt die niedrige Demuth.
Die nach Heile dürsten, erquickt er; die selbst sich genug sind,
Läßt er leer. Ach, ewig ist er Barmherzigkeit, tröstet,
Die ihn lieben! Abraham hat er und Abraham's Kindern
Dies geschworen. Er hält den theuren Eid der Erbarmung.
[127]Ja, Anbetung und Ehr' und Preis und Jubel und Dank sei
Jesus Christus, der lebt, der mächtiger als der Tod ist!«
Didymus war auf den Söller gegangen. Die Anderen folgten,
Durch die Schöne des Tags und das lebende Wehen der Lüfte
Sich zu erquicken und durch der gotterfülleten Schöpfung
Anblick Deß sich zu freun, der so sie begnadiget hatte.
Und sie kamen zu Thomas und weckten ihn aus der Betäubung
Seines Tiefsinns. Er bebte vor ihnen zurück, da er aufsah
Und die ganze Versammlung um sich auf einmal erblickte.
Und er eilet, hinunter zu steigen. »O, flieh, Du Geliebter,
Flieh uns nicht,« rief Petrus, »der Herr wird auch Dein sich erbarmen!
Auch ich zweifelte, Thomas; wie hat er mein sich erbarmet!
Doch wer wandelt dort in der Ferne? Trügt mich mein Blick nicht,
Siehe, so ist es Matthias und Kleophas. Theure, Geliebte,
Wärt Ihr noch hier; ach, unaussprechlich, wie unsere Seele,
Würd' auch Eure Seele sich freun! Die mächtigen Freuden,
Ja, sie warten Euer, die Freuden des ewigen Lebens.
Aber wer kommt zu ihnen aus jenem Schatten herüber?
Nein, ich kenn' ihn nicht. Voll Hoheit scheint mir das Ansehn
Dieses Fremdlings. Kennst Du ihn, Thomas? Sie grüßen mit Ehrfurcht
Ihren Gefährten, er spricht schon mit ihnen.« Th. »Ich kenn' ihn nicht, Simon.
Aber niemals hab' ich so viele Hoheit und Einfalt
Nicht vereinet gesehn.« Und Petrus erwiderte: »Möcht' ihn
Bald sein Weg nach Jerusalem führen. Sie kehrten zugleich um.
Denn sie gehen doch nur, um ihre Seele zu lindern.
Sehet, der Weg, so sich krümmet, bringt sie uns näher; doch werden
Jene Palmen sie bald vor unserem Auge verbergen.
Sehet Ihr ihren Begleiter, mit welchem Ernst und mit welcher
Würd' und Hoheit, die sanftere Menschlichkeit mildert, er anhört,
Was sie ihm traurig erzählen? Vielleicht die Geschichte vom Tode
Dessen, den sie am Kreuze, noch nicht erstanden gesehen.
Ist er einer der Engel, die Ihr bei dem Grabe gesehn habt?«
»Wie Ihr Euch täuscht!« rief Thomas. »Er ist ein Mensch; doch sein Ansehn
[128]Ist erhabner als anderer Menschen.« P. »Du kennest der Freude
Süße Vermuthungen nicht, o Thomas. Ich hab' es empfunden,
Was Du fühlst. Was erwartet' ich minder, als Jesus zu sehen,
Noch in jener Angst, als ich zu dem Kreuze mein Auge
Müd' erhub und auf einmal vor mir den Lebenden stehn sah!
Sieh, o Thomas, mich täuschte nicht Freude.« Th. »So täuschte Dein Schmerz Dich!«
Rief der Zweifelnde feurig. P. »Der Herr wird Dein sich erbarmen!«
Sagte mit Ruh der begnadete Zeuge des Auferstandnen.
Th. »Gott, ja, Gott wird mein sich erbarmen! Allein der Messias,
Ach, der göttliche Mann hat gelitten, was alle Propheten
Einst auch litten, und ist gestorben!« Er weint' und verstummte.
P. »Weine nicht, Jünger des Herrn! Er ist wahrhaftig erstanden!«
Aber ihn tröstete Petrus umsonst; er weint' und verstummte.
Kleophas hatt' indeß und Matthias mit dem Gefährten
Schon die Schatten der Palmen erreicht. Da die Beiden aus Salem's
Mauren gingen, und noch bei ihnen nicht ihr Gefährt' war,
Sprachen sie unter einander: K. »Wie kann ich irren, Matthias?
O, Du kennst ja die Wuth, die heiße Rache der Priester,
Wie sie ergrimmten, als sie es nun nicht zu wehren vermochten,
Daß ihn Joseph begrübe. Sie haben Cneus gewonnen,
Haben den Todten geraubt und wollen ihn doch auf dem Hügel
Bei der Verfluchten Gebein begraben. Vielleicht, o Du Bester,
Heiligster, deckt schon Golgatha Deinen starrenden Leichnam!«
M. »Aber die Engel am Grab, o Kleophas? Hat sie denn Alle
Trübes Trauren getäuscht? und kann denn Traurigkeit wirken,
Daß wir Himmlische sehn? Warum nicht bange Gestalten?
Nacht? gerichtete Todte vielmehr? Ischariot's Seele?«
Kleophas bebte zurück; darauf antwortet' er: »Löse
Mir nur einen Zweifel, Geliebter: Warum erscheinet
Unser Meister nicht selbst? Wie kenn' ich Engel? Wie weiß ich,
Kennt' ich sie auch, ob sie der Ewige sendet? Ach, Theurer,
Würd' er uns nicht erscheinen, wär' er von den Todten erstanden?
Ihn, ihn kennen wir!« M. »Aber, o Kleophas, glaubte Maria
Gabriel nicht? und kannte sie denn die Engel? und können
Gottes höhere Geister was Anderes sagen als Wahrheit?
Und verdienen wir denn, daß er uns erscheine? Wir wären,
Wie die Zwölfe, geflohn, da laut von den stürmenden Schaaren,
Ihrem Grimm und Drohn und Geschrei Gethsemane schallte!
[129]Ferne nur, ferne nahten wir uns, da sein Todesurtheil
Schrecklich vom Richtstuhl scholl, ach, fern des Sterbenden Kreuze!«
Kleophas sprach: »Ich bewein' es mit Dir! Doch können wir jemals,
Daß er uns erscheine, verdienen? Ist er erstanden,
Und erscheinet er, ach, so erscheint er allein aus Erbarmung,
Weil ihn unseres Elends jammert, und weil er zählet
Unsere Thränen, wie er auf unserem Haupte die Haare
Alle gezählt hat!« M. »O Kleophas, und Du zweifelst?« K. »Du zweifelst
Also nicht, Matthias?« M. »Du weißt, daß ich immer Alles,
Was ich dacht' und empfand, Dir ganz, o Kleophas, sagte.
Wenn ich mit stiller Betrachtung es überdenke, so glaub' ich;
Aber wenn mich die Angst der Hoffnung und Furcht und Erwartung,
Wenn die Freud', ihn wiederzusehn – das ist Freude des Himmels –
Ungestüm mich ergreifen und meine Seele durchbeben,
Wenn sie der Stimme der Wahrheit mich betäuben, so zweifl' ich!«
Kleophas blickt' ihn zärtlicher an und sagte: »Du Lieber!
Aber wenn wir wirklich ihn sähn, so würde des Himmels
Freude, Freude der Erde nicht, des ewigen Lebens
Wonne würde – kaum find' ich Worte – wenn wir ihn sähen,
O, das würd' uns noch mehr, noch mächtiger überzeugen
Als der stillen Betrachtung Licht, das die Seele mit Wahrheit
Ueberströmt.« Matthias erwiderte: »Möcht' er erscheinen,
Unsre blutende Seele durch seine Gegenwart heilen!«
Kleophas sprach: »Wir wünschten zu viel, Du Geliebter! Der Freuden
Unaussprechlichste, höchste, wer kann sie, wünscht er sie, hoffen?
Freude, wie die, ist nicht für dieses Leben, Geliebter!«
Und sie waren durch eines herüberhangenden Hügels
Schatten gegangen. Des Weges gewendete Krümmungen zeigten
Seitwärts jetzo den schattenden Hang. Dort sahen sie langsam
Einen Wanderer kommen. Erhabnes männliches Ansehns
War der Fremdling und schien in ernstes Denken verloren.
K. »Laß uns langsamer gehn, Matthias. Vielleicht, daß der Fremdling
Unser Gefährt' wird und uns das traurende Herz mit Gesprächen
Seiner Weisheit erquickt. Denn weise scheint er und edel.«
M. »Was, o Kleophas, hilft uns seine Weisheit, wofern er
Nicht von Jesus mit uns sich unterredet?« Indem kommt
Ihnen der Wanderer nah und grüßt sie mit Liebe. Mit Ehrfurcht
Grüßen sie ihn. W. »Wo gehet Ihr hin?« K. »Nach Emaus.« W. »Darf ich
Euer Gefährt' sein? Ich gehe durch Emaus.« K. »Sei, o Du Theurer,
[130]Sei, wir bitten Dich, unser Gefährt'.« W. »Was spracht Ihr so feurig
Unter einander? Ich sah's, ganz hingen an diesen Gesprächen
Eure Seelen und waren voll Traurigkeit.« Kleophas sagte:
»Ach, was konnten wir sprechen? Bist Du es allein, der nicht wisse,
Was in Jerusalem diese Zeit des Traurens geschehn ist?«
W. »Was geschah denn?« K. »O Fremdling! Du kennest also, Du kennest
Jesus von Nazareth nicht, den Propheten Gottes, der mächtig
Vor dem Herrn und dem Volke durch Wunder und himmlische Weisheit,
Der ein göttlicher Mann war? Allein, ach, unsere Herrscher
Haben, entflammt von dem Grimme, der Wuth der untersten Hölle,
Ihn gegriffen und ihn dem Heiden Pilatus zum Tode
Uebergeben. Der hat sein Todesurtheil gesprochen,
Hat – o, dürft' ich die Art des furchtbaren Todes nicht nennen –
Ihn gekreuziget! Fodere nicht, daß ich wieder die Wunden
Meiner Seel' aufreiße, Dir seinen Tod zu beschreiben,
Wie er schwebt' an dem Kreuze, und wie der Hügel sein Blut trank,
Wie er bleich und erstarrt um Hilf', um Hilfe zu Gott rief!
Ach, wir hofften auf ihn und hielten ihn für den Messias.
Israel, hofften wir, sollt' er erlösen. Und über das Alles
Brach der dritte der Tage schon an, seit dieses geschehn ist.«
Und Matthias begann: »Auch haben die Weiber der Unsern
Uns erschreckt. Heut gingen sie in der Frühe zum Grabe;
Seinen Leichnam fanden sie nicht. Sie kamen mit Zittern,
Hatten Gesicht der Engel gesehn, die sagten, er lebe.
Ach, wir vermochten nicht, uns zu freuen. Einige gingen
Auch zu dem Grab und fanden es offen und ohne den Todten.«
Jetzo kamen sie unter umschattende Palmen. Der Wandrer
Sah sie mit der Erhabenheit an, die Größe der Seele
Und nicht Stolz ist, und sprach mit der mächtigen Stimme der Wahrheit:
»Ihr Unweisen und langsamen harten Herzen, zu glauben,
Dem zu glauben, was Euch die Propheten verkündiget haben!
Mußte nicht dies der Messias leiden und nach der Vollendung
Seiner Leiden, erst dann, zu seiner Herrlichkeit eingehn?«
Mit Erstaunen sahn sie sich an, mit bebender Ehrfurcht
Ihn. Gern hätten sie ihn, doch nur Augenblicke, verlassen
Und von ihm mit einander gesprochen. Ihr trüberes Auge
Wurde Licht und begegnete sich mit feurigen Fragen:
»O, wer ist er, wer ist, der unsere Seele mit Ehrfurcht
Und mit Staunen erfüllt?« Doch hatt' er nur angefangen,
Ueber sie durch die Gewalt der siegenden Wahrheit zu herrschen.
Wie ein Sturm, der beginnt, mit gehaltner Stärke noch wehet,
[131]Noch den kühleren Wald nicht ganz füllt – Stille ruhet
Noch in seinen Thalen, noch liegen blässere Schatten,
Ganz ist die Sonne noch nicht von des Sturmes Wolken umnachtet –
Also begann ihr erhabner Gefährt'. Nicht lang', und er führte
Sie in die Tiefen der Offenbarung hinab. Den Messias
Zeiget' er ihnen, ein Redner Gottes, in jeder der Tiefen.
Sie vermochten nicht mehr zu widerstehen. So reißt sich
Durch den Wald der stärkere Sturm. Die Bäume des Waldes
Zittern, rauschen mit Ungestüm alle, beugen sich alle
Vor dem herrschenden Sturm, der Donnerwolken und Fluthen
Himmelstürzender Meere von Berge treibet zu Berge.
Und sie standen ermattet und baten um Ruh und wischten
Sich den Schweiß von der glühenden Stirn. »Mann Gottes – wir kennen
Zwar Dich nicht; doch bist Du, o, den wir mit Ehrfurcht anschaun,
Wahrlich ein göttlicher Mann – bleib, ach, und laß an der Kühle
Dieser Quell' uns ruhn!« Sie setzten sich neben einander,
Gegen sie über der göttliche Fremdling. Er redet' itzt sanfter,
Redete von der Liebe des Sohns zu den Menschen, der Liebe
Seiner Menschen zu ihm. Sie dachten des großen Hirten
Tod mit heiterer Seele, gelabt von inniger Ruhe.
Wie auf einen strahlenden Tag sich die Abenddämmrung
Luftiger über die Müden geußt, so goß er Erquickung
In ihr Herz. »Und liebt Ihr ihn auch?« Dies fragt' er sie jetzo.
»Sollten wir ihn nicht lieben?« Sie sprachen's mit eilender Stimme.
W. »Habt Ihr ihn immer geliebt?« – »Wir verließen ihn, als sie zum Tod ihn
Führten, hinauf zu dem Kreuz, das verstummende Lamm zum Altare!
Da verließen wir ihn!« W. »Doch jetzo, da Ihr es wisset,
Daß er um Euretwillen gestorben ist, wolltet Ihr jetzo
Auch um seinetwillen, wenn er es foderte, sterben?« –
»O Du Theurer, wir hoffen zu Gott, der Liebende würd' uns
Stärken, daß wir es könnten! Allein – o, zürne, mit Ehrfurcht
Fragen wir, zürne nicht – ist er auferstanden? – Du weißt ja
Alles von ihm – und dürfen wir uns, Mann Gottes, des Heils freun,
Jesus Christus wiederzusehn?« Der Wanderer sagte:
»Joseph's Brüder erkannten ihn nicht. Doch der Wonn' und des Weinens
Selige Stunde kam, und Joseph vermochte nicht länger
Sich zu halten und weinete laut.« Er sagt' es, erhub sich,
Ging. Sie folgten ihm freudigerschrocken, in Zweifel verloren,
[132]Was sie glauben, nicht glauben sollten? Er war's ja doch selbst nicht!
Aber ein Engel vielleicht? Sie standen wieder. »Ach, dürfen
Wir noch einmal, o Du, den wir nicht kennen, Dich fragen?
Zwar nicht kennen, doch den wir unaussprechlich verehren,
Unaussprechlicher lieben! Wer bist Du? sage, wer bist Du?
Aber wir dürfen Dich nicht umarmen! O, sag es uns: Bist Du
Einer der Engel vielleicht, die am Grab erschienen?« W. »Umarmt mich!«
Und sie umarmten ihn lang' und weineten ihm an dem Halse.
Endlich nahten sie Emaus. W. »Ihr Geliebten, ich gehe
Nun zu den Meinen.« So sprach ihr Begleiter. »Ihr sehet, mein Weg zieht
Hier durch Emaus sich.« »O, bleib bei uns, Du Geliebter,
Sieh, es will Abend werden, der Tag hat schon sich geneiget.«
Und sie hielten ihn zitternd bei beiden Händen und baten.
W. »Laßt mich, die Meinen sind fern, und sie warten meiner mit Schmerze.« –
»Sie, Mann Gottes, haben Dich immer. Du siehst ja, wie herzlich
Wir Dich lieben; o, bleib! Und warum wolltest Du, Theurer,
In die Gefahren der Nacht Dich begeben? Auch mußt Du von Jesus
Noch mit uns reden. O, bleib bei uns!« W. »So will ich denn bleiben,
Meine Brüder.« Kleophas dankt, mit Freud' in den Blicken,
Nicht mit Worten, und eilet voran, ein Mahl zu bereiten.
»Kleophas hat, so heißt mein Gefährt', der redliche Jüngling,
Seine Hütt' in Emaus, die an der Pforte der Schatten
Dichter Bäume bedeckt. Ein reiner labender Quell rinnt,
Wo der Schatten am Luftigsten kühlt. Er eilte, das sah ich,
Etwas Speise für uns zu bereiten und unsere Herzen
Mit dem Wenigen, das er hat, zu erquicken. O stiller
Heiterer Abend nach dieser Angst, den Tagen des Traurens!
Und o Dank Dir, göttlicher Mann! Du würdigst uns, kehrest
Ein bei uns, verachtest die niedrige Hütte der Einfalt
Und der Dürftigkeit nicht. Da Jesus Christus noch lebte,
War er, wie Du, ein Menschenfreund, so zur Demuth in Staube
Nieder sich ließ und gern mit seiner Weisheit uns labte.
Aber ich schweige von ihm; denn über Alles erhaben,
Was ich von ihm zu sagen vermag, war Jesus Christus.
Engel dieneten ihm. Doch seiner Niedrigkeit Ursach
Scheint mir erstaunlicher, als mir seine Niedrigkeit selbst schien.
Aber also geschah des Ewigen Wille. Den Vätern
Hat er schon die Tiefen des künftigen Wunders eröffnet.
[133]Möcht' ich mein Leben mit Dir, Mann Gottes, leben, und möchtest
Du mich lehren, wie ich es dem himmlischen Sündeversöhner
Recht nach meiner Seele Verlangen heiligen könnte!
Denn ach, daurenden Dank, den innigsten, liebevollsten,
Herzlichsten Dank verdienet von uns, der unsere Sünde
Also versöhnt und bis zu diesem Tode geliebt hat.«
Und schon nahten sie Kleophas' Hütte. Sie sahn, er entschöpfte
Wasser zum Trinken der Mündung des Quells, dann setzt' er es eilend
Bei sich nieder und wusch balsamische duftende Kräuter.
Seine Hand umflossen mitabgerissene Blumen;
Einige glitten hinab mit des werdenden Baches Gelispel.
Aber er sah Matthias und sah den göttlichen Fremdling
Nahn, sprang eiliger auf. »Sei mir, Mann Gottes, willkommen!
Alle Dein Segen, mit dem der Herr Dich segnete, gehe,
Du Mann Gottes, mit Dir in meine Hütte!« Matthias
Folgt' und trug das Gefäß und darin die lebende Quelle
Mit der träufelnden Kräuter Erfrischung. Kleophas hatte
Schon den unbelasteten Tisch mit dem ganzen Reichthum
Seiner Hütte besetzt, mit Milch und Honig und Feigen
Und mit stärkendem Brod und herzerfreuendem Weine,
Hatte die Teppiche schon umhergebreitet. Sie legten
Sich zu dem Mahle, der Fremdling allein, sie gegen ihn über.
Und der Fremdling begann auf sie sein Auge zu richten
Ernst und freudig. Mit Ruhe, mit Dank, mit feirlichem Anstand
Hielt er das Brod – so pflegt' es Jesus zu halten – er blickte
Still gen Himmel – so pflegte gen Himmel Jesus zu blicken –
Und sie starrten sich an und ihn. Er betete. Jesus'
War die Stimme des Betenden, und auf einmal das Antlitz
Jesus' Christus' des Betenden Antlitz. Er betete also:
»Unser Vater im Himmel sei für die Gabe gepriesen,
Die er mild uns gab, den dürftigen Leib zu erhalten.
Vielen scheint sie gering; doch hat mit eben der Allmacht,
Welche die Himmel erschuf, se unser Vater bereitet.«
Ach, auch seine Worte sogar! Da sanken, vor Freude
Bleich, sie nieder, mit anzubeten. Er redete wieder:
»Preis sei ihm! Er rufte der Sonn', uns zu leuchten, dem Monde,
Von der Stirne der Müden den Schweiß zu trocknen. Er schuf uns
Unser tägliches Brod. Anbetung unserem Vater!«
Jesus brach das Brod und gab es ihnen. Sie nahmen's,
Bleicher vor Freuden, und blickten ihn an; nun wollten sie reden,
Konnten nicht reden. Er sah sie noch einmal mit segnender Huld an
[134]Und verließ sie. Da sprangen sie auf und folgten ihm, eilten,
Suchten, und fanden ihn nicht. Sie kehrten mit Ruh zu der Hütte.
M. »Ja, wir sehn ihn noch wieder! Ich bin im Himmel, Geliebter,
Nicht auf der Erd', in dem Himmel! Ach, Kleophas!« Kleophas sank ihm
An das Herz und schwieg. Darauf umarmt' er ihn feurig,
Hielt ihn lang' und umarmt' ihn von Neuem. K. »Matthias, o brannte
Unser Herz nicht in uns, da er auf dem Wege von Gott sprach?
Da er die Offenbarung uns aufschloß? Aber wir säumen?«
Schon ergriff er den Stab. Auch that's Matthias. Sie gingen.
Unterdeß, da die Beiden von Emaus eilten, besprachen
Petrus und Didymus sich. P. »Verbirg es denn ihnen, o Thomas!
Ach, betrübe nicht so, die glauben wollen, und lösche
Diesen schwachen Funken in ihnen nicht aus! Zu dem Himmel
Könnt' er flammen; Du löschest ihn aus!« Th. »So soll ich denn, Simon,
Unseren Freunden nicht mehr, was ich denke, sagen? verschweigen
Meiner Traurigkeit Angst? Was hilft es ihnen, zu wähnen
Und von dem freudigen Wahne mit desto größerem Trauren
Aufzuwachen, je froher der süß betäubende Wahn war?«
[135]P. »Nenn' es nicht Wahn, mein Bruder, bei Dem, der ewig lebet,
Ach, bei Jesus, der todt war und ewig lebet, beschwör' ich
Dich, mein Bruder, nenne nicht Wahn, was die Rechte Jehovah's
That! nicht dieser erstaunlichen Herrlichkeit Offenbarung!
Heilig ist jene Stätte, wo ich ihn sahe. Da brannte
Mir der Busch, da sah in dem Busch ich die Herrlichkeit Gottes,
Da, da war die Pforte des offenen Himmels! Hier stehn wir –
Schau die Zeugen um Dich! – hier stehn wir Alle, die Neune,
Magdale dann, dann ich! Wir haben den Göttlichen lebend,
Lebend haben wir ihn, nicht todt mehr, Alle gesehen.«
»Meine Seele bewegt sich in mir vor Wehmuth, indem ich
Deine Traurigkeit seh',« sprach Magdalena Maria,
»Deiner grübelnden Zweifel zu qualenvolle Gedanken.
Habe Mitleid mit ihm, mit Deinem Jünger, Erstandner,
Mitleid! Er zweifelt aus Angst, Dein Jünger, aus Jammer der Seele,
Nicht aus bösem Herzen. Zerstoß das zerstoßene Rohr nicht!
Lösche den glimmenden Tocht nicht aus! Erbarme, Rabbuni,
Seiner Dich, wie Du meiner Dich erbarmtest! Ach, Thomas,
Meinest Du, daß ein Engel im Himmel mit dieser Stimme,
Dieser Wonnestimme des ewigen Lebens – die Chöre
Himmlischer Psalmen ertönen nicht so – zu reden vermöge,
Wie der Todtenerwecker, der Auferstandne, beim Namen
Mich, die lechzte, wie Du, ihn zu sehn, bei dem Namen mich nannte?«
Th. »Eurer Entzückungen Ungestüm stürzt mich Verlassnen noch tiefer
In die Tiefen der Angst, die meine Seele verschlingen!
Blendete sich die Heftigkeit nicht, mit welcher Ihr redet?«
Thomas sprach es mit innigem Gram, der Thränen zurückhielt.
Simon rang die gefalteten Hände, ward ernster und sagte:
»Deine blendet sich nur, mit der Du zweifelst. Wir sahen,
Und wir wurden entzückt. Wer ist in dem Himmel und flammet
Nicht in Entzückungen auf? Du siehst nichts, schaffest Dir Schatten,
Bange Bilder von Gräbern und Nacht, erschreckende Zweifel,
Redest entflammter davon, als wir von dem Auferstandnen,
Den wir sahen und hörten, und dessen Leib wir berührten,
Der mit aller seiner Erbarmung, die wir an ihm kannten,
Sich uns offenbarte, die Du vordem an ihm kanntest.
[136]Geh zu den Sadducäern zurück und glaube mit ihnen,
Daß kein Engel, noch Geist sei, noch Auferstehung vom Tode!«
Mit den Worten entstürzten dem Auge Didymus' Thränen.
Salome sah es und wollt' ihn trösten. Indem sie zu reden
Anfing, sagte der Jünger: »Verstoß' mich so nicht, Geliebter!
Ach, ich liebe, wie Du, den gekreuzigten göttlichen Todten,
Simon Petrus.« Itzt redete Salome: »Lindert, Ihr Lieben,
Seinen Schmerz! Ihr sehet, wie viel der Geängstete leidet.
Thomas, mein Bruder, den Du den göttlichen Todten nanntest,
Sollt' aus dieser Irre nicht er Dir die Seele zu führen,
Nicht aus diesem Jammer das Herz zu reißen vermögen?
Er, deß Todesmuth an dem Kreuze von eben der Hoheit
Zeugte, von der die Unsterblichkeit zeugt, dies Leben der Engel,
Welchem er auferstand!« – »Ja, dieses Leben der Engel!«
Sprachen ihre Begleiterinnen. »Unsterblichkeit war es,
Diese sahn wir an ihm. Zwar nicht wie Gabriel strahlt' er,
Nicht wie die Engel bei seiner Geburt um Bethlehem's Hütte;
Aber Andres, als da er mit uns in dem Leben am Grabe,
Unser Erbarmer lebte, war nun in des Göttlichen Antlitz!«
Th. »Euch nur erschiene der Herr? nicht mir? von mir will ich schweigen!
Nicht der weinenden Mutter? nicht ihrem Sohne Johannes?
Dem nicht, den er am Kreuz der heiligen Mutter zum Sohne,
Der nicht, die er zur Mutter in seinem Blute dem Sohn gab?«
Also sprachen sie unter einander. Die Hörenden rissen
Mächtige Zweifel itzt fort, dann wieder siegender Glaube.
Beide wechselten oft und durchflammten die Seele. Wenn Petrus,
Wenn die freudigen Zeuginnen red'ten, wenn Magdale red'te,
Gingen sie auf dem Meere; wenn Didymus redete, sanken
Sie vor der kommenden Woge. Der zweifelnde Jünger verließ sie
Und Jerusalem, ging zu den fernsten Gräbern des Oelbergs,
Sich im Einsamen dort in seiner Traurigkeit Qualen
Tiefer zu stürzen. Er wollte das nicht; er wollte die müde,
Tiefverwundete Seele durch Ruh der Einsamkeit lindern.
Einen Becher der Freuden hat in der Rechte, der Linken
Einen wüthenden Dolch die Einsamkeit, reicht dem Beglückten
Ihren Becher, dem Leidenden reicht sie den wüthenden Dolch hin.
In das nächtlichste, tiefste der fernen Todtengewölbe
War jetzt Thomas gekommen, und seiner Traurigkeit Lasten
Wurden schwerer auf ihm, die Gedanken schwärzer, des Herzens
[137]Qualen trostbedürftiger. Ihm arbeitet die Seele,
Sich aus diesen Tiefen, die stets mehr sanken, zu heben,
Und arbeitet umsonst. Hätt' er nicht zu Gott sich gewendet,
Zu der einzigen Stütze des Müden, er wär' erlegen,
Zu dem einzigen Stabe, wenn wir in Finsterniß wandeln
Und an das weichende Rohr nur unserer Tröstung uns lehnen.
Thomas empfand's. So wendet' er sich zu Dem, der allein hilft:
»Gott, Verborgner, zu Dir, wie sehr auch Dunkel die Tiefen
Deines Rathes bedeckt, zu Dir nur kann in dem Zagen
Ihrer Traurigkeit meine verwundete Seele sich wenden!
Nacht sind seine Pfade; der Weg, den ich wandl', ist noch mehr Nacht
Als die Pfade des Todes! Unauszuforschender Herrscher
Dessen, was ist, und was sein wird, ach, schau herab in das Elend,
Schau auf mich, der, ein Wurm, in Mitternächten sich windet!
Hätt' ich Dich nicht, und starrte mein hilfeverlangendes Auge,
Einziger Fels, nach Dir nicht empor, die gerungenen, müden,
Ausgebreiteten Hände nach Dir nicht empor, so wär' ich
Lange der Angst erlegen der wüthenden Zweifel, ich wäre
Schon vergangen! Wie sie, die um ihn jetzt blutet, ihn liebte,
Meine Seele, wie sie an ihm hing, das weißt Du, Jehovah,
Weißt, er war mir Alles! Du hattest ihn, Vater, mit jeder
Deiner Gnaden zu uns gesandt, mit jeder Erbarmung!
Alles war er mir! Den hast Du kreuzigen lassen,
Sterben! Ach, er ist todt! mir mehr wie den Uebrigen allen
Todt! O Mitternacht, die ihn deckt auf der Schädelhöhe
Oder in einer noch dunkleren Gruft, die der Erd' Erschüttrung
Nicht zerrüttete, möchtest bei ihm auch mich Du bedecken!
Möcht' ich liegen bei ihm und schlummern, müde von Wunden
Meiner Seele! So bin ich ohn' ihn denn? Ich leb', und ich sterbe,
Ach, ohn' ihn? Du schreckliche Nacht, die mich ringsum einschließt –
Wehe mir, ohn' ihn! – auf Gebirgen Gebirg', und Abgrund
Dicht an Abgrund, schreckliche Nacht! Mein dunkles Gefühl, ach,
Warum quälest auch Du mich: er würde dereinst mir noch mehr sein,
Als er mir war? warum durchgräbst auch Du mir die Seele?
Bist Du unsterblich, o Seel' in mir? Ha, fallt, Ihr entflohnen
Schwarzen Zweifel, mit Eurem Grimm mich nicht an und wüthet,
Wüthet nicht wieder! O, die Du in mir unsterblich bist, Seele,
Tief, zu tief, zu jammervoll ist Dein Elend! Zerrissne,
Wundenvolle, Du bist ohn' ihn! So hättest Du keinen
[138]Theil denn an ihm, Elende, so lang' ich im Staube mich krümme?
Aber vielleicht ist er auch todt, mein Helfer. Wie kenn' ich
Ueber dem Grabe die dunkleren Labyrinthe, die bängern,
Schwermuthsvolleren Pfade, zu denen des Todes Thal führt,
Da ich die trüben Wege hier in dem Staube nicht kenne?
Gott auf Ebal, auf Sinai Gott, im Donner, im Sturme,
Vater, wo ist Dein Sohn? Wo säumte Dein Donner, wo schliefen
Deine Wetter, als nun das hohe Kreuz sich emporhub?
Zwar sie zitterte laut, die Erd' in ihrem Entsetzen,
Warf die Felsen von sich, daß die Himmel schollen, und Aller
Zagende Seele vom Schrecken vor dem, das geschah, zermalmt ward;
Aber da war er todt! Kein Fels erreichte die Würger,
Keine Kluft verschlang ihr Gebein! Allmächtiger Vater,
Gott durch des Engels Gericht, der die Erstgebornen Aegyptus'
Schlug, doch die blutbesprengten Hütten in Ramses vorbeiging;
Gott in dem Strome, der stand, daß Israel wunderbar durchzog;
Dann um Jericho Gott, daß Deiner Heere Posaunen
Vor sich die hohe thürmende Stadt in das Palmthal stürzten;
Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig, daß Moses' Gebeine
Nicht zu Staube wurden, als er, in die Höhle verborgen,
Mit Anbetung von fern, Gott, Deiner Herrlichkeit nachsah;
Gott mit Deinem Sohne, daß er auf dem Meere daherging,
Hoch auf der offenen Woge, mit ihm sein glaubender Jünger,
Blinden das Aug' aufthat, daß es sah die Schöpfung, und ihn sah,
Ach, zu dem ersten Mal – den todten Geliebten erweckt' er,
Ihn, der schon zu verwesen begann; der weinenden Mutter
Gab er Dich, mein Semida, wieder; da weinte sie Freude –
Gott mit Deinem Sohne, daß er mit himmlischer Ruhe
Dieser Unterwerfung, die fürchterlichsten der Leiden
Aushielt, Schmach auf Schmach, ach, Wunden auf Wunden, auf Tod Tod;
Gott, Weltrichter, wo ist Dein Sohn? Erbarmender, wirst Du,
Oder wird er mich wecken von dieser Traurigkeit Tode,
Diesem Graun, den Finsternissen der quälenden Zweifel?
Wo, wo wend' ich mich hin? Er liegt und verweset, und, Gott, Du,
[139]Ach, Du schweigst mir! Ich dürste, kaum bin ich noch, lechze nach Hilfe!
Auferstanden wär' er? An diesem sinkenden Halme
Soll ich mich halten, Verborgner, da alle Deine Fluthen
Ueber die Seele mir gehn?« So stammelt' er noch, verstummte,
Faltete fester die Händ' und rang sie. »Ach, möcht' ich ruhen
Hier in einem der Gräber! Er würde mich nun nicht erwecken.
Und wie möcht' ich zurück in ein Leben kommen, in welchem
Er nicht ist! Glückselige Todte, die neben mir schlummern,
Kanntet Ihr Jesus Christus? Wenn Ihr den Göttlichen kanntet,
Viel glückseliger noch! Wenn Ihr ihn kanntet und liebtet,
Ach, so seid Ihr bei ihm! Allein Ihr verstummet mir, Alles
Ist mir verstummt! Verdorrtes Gebein, das hier um mich Staub wird,
Wenn Du dereinst die Stimme des Herrn vernimmst und erwachest,
Geht der Tag der Herrlichkeit auf, an dem Dich Jehovah
Würdiget, Dir zu rufen: Ich will Dich mit Odem des Lebens
Wieder beseelen! ach, dann erwach' ich mit Dir, es erwachen
Seine Gebeine, die zwar der Kreuziger Wuth nicht zermalmte,
Aber die doch in dem Schooße der Nacht und der Erde verwesten!
Dann ... O, welche Reihen, vielleicht von Ewigkeiten,
Eh ich erwache! Doch bis zu dem Tod ist nicht lange. Des Lebens
Zeit ist flüchtig und kurz, ist ein Traum, ein Flug, ein Gedanke,
Aber nur, wenn's vorübergeeilet ist; liegt auf der Schulter
Seine Last uns noch, wie langsamträg ist das Leben!
Und ein Leben, wie meins, gelebt ohn' ihn! O, vernimmst Du
Hier aus der Mitternacht, o Du, der das Ohr gemacht hat,
Eines Lebenden Jammern, der nach dem Tode dürstet?
Seid, Ihr übrigen Freunde des Todten am Kreuz, mir gesegnet,
Seid mir zu Eurer Ruh gesegnet! Ihr wähnt ihn erstanden,
Und Ihr freut Euch nicht minder, obwol ein Traum Euch getäuscht hat,
Ach, ein seliger Traum, wie die Seele Jakob's erquickte;
Zwar so wahr nicht, allein der Euch mit Wonne, wie ihn, labt!
Nein, ich will nicht weinen! O Du, der das Auge gemacht hat
Und den Jammer erblickt, der mir in dem Innersten wüthet,
Daß ich mich freute, wie sie, war nicht Dein göttlicher Wille.
Ich Verlassner, wie würd' ich mich freun! Ach, wenn ich ihn sähe,
Sterben, nicht leben würd' ich, mit erschütternder Stimme der Wonne
Ihm entgegen rufen, im Ruf verstummen und sterben!
Aber ich werde ja doch bald sterben. Durch meine Seele
Gingst Du ja auch, o Schwert, das durch die Seele der Mutter
[140]Ging. Geheilt wird die Wunde der Mutter; meine blutet.
Ach, so erscheine mir denn, wofern Du erscheinest. Erscheine!
Welche Bitte! Zurück von diesem blendenden Wahne,
Meine Seele! Was steigst Du empor, um tiefer zu sinken?
Ja, er kann es, er kann aus dem Schatten des Todes heraufgehn,
Wenn er will. Wie kann er es wollen? Sterben, um Stunden
Todt zu sein, nur wenige Stunden? Er wär' von dem Kreuze,
Hätt' er leben gewollt, triumphirend heruntergestiegen.
Würdest Du mir nicht erscheinen, wenn Du lebtest? wer schmachtet
So nach Ueberzeugung als ich? Du würdest! Du lebst nicht!
Wenn ich Dich sehe, so glaub' ich. Ja, wenn ich in Deine Wunden
Meine Rechte Dir lege; doch hat ein Erstandener Wunden?
Wenn ich mit bebendem Arm um Deine Füße mich winde
Und sie halte, dann will ich glauben. Ich werde nicht glauben!
Denn ich werde mich, Herr, um Deine Füße nicht winden
Und sie halten. Denn, ach, Du bist gestorben und lebst nicht!
Nur erst einige Stunden, da war er mit uns noch am Kidron,
Dann ... Wie schnell ist die Zeit bis zum Kreuze vorübergegangen!
Und, wie ist mir? da starb er! wie schnell! Ach, ist er gestorben?
Ja, er ist gestorben, er ist begraben, und nun schon
Wieder in einer anderen Kluft des Todes begraben.
Ach, verlaß mich nicht ganz, o Christus' Vater und meiner!
Ich vergehe vor Angst!« Er ruft's mit gebrochenen Worten,
Schwankt' und hielt an ein Felsstück sich, so von einem der Gräber
Stürzt', als der Vorhang riß, und der Staub der bebenden Erde
Ueber Jerusalem zog und ihrer Mauren Gebirge
In Entsetzen verhüllte. Der Traurende hielt an den Felsen
Sich mit ermüdetem Arme noch, da der Finsterniß Stille
Eine Stimme durchscholl, die immer näher herankam.
»Wessen ist diese Klage, die aus den Gräbern hervorschallt?
Fiel ein Mörder Dich an, und kann ich Dir helfen, o Fremdling?
Rede, wo bist Du? Ich will Dir Deine Wunde verbinden.«
Didymus redete nicht. U. »Wo bist Du? Ich hörte die Stimme
Deiner Angst, und ich bin, daß ich Dir helfe, gekommen.
Fremdling, ich bin kein Mörder. Ich hörte fern in dem Thale,
Daß Du jammertest. Sieh, ich bin Dein Retter, wofern Dich
[141]Menschen zu retten vermögen.« Th. »Ich freue mich,« sagte Thomas,
»Wer Du auch seist, daß Du, o Wandrer, ein redliches Herz hast.
Sei gesegnet und geh, wohin Dich Dein nächtlicher Weg ruft.
Zarte blühende Kinder und ihre liebende Mutter
Warten Deiner vielleicht. Du kannst mir nicht helfen. Die Wunden,
Ueber die Du mich jammern gehört, sind Wunden der Seele.«
U. »Wunden der Seele, mein Bruder?« antwortet die nähere Stimme;
»Strecke die Hand nach mir aus, daß ich Dich finde, Geliebter,
Dich umarme!« Didymus that's. Sie umarmten einander.
Th. »Bist Du ein Israelit, o Wanderer? Einer der Männer,
Die zu dem Fest von den Inseln herauf nach Jerusalem kommen?
Und wie heißet Dein Namen?« U. »Ich bin der Söhne von Jakob
Einer. Ich komm' aus fernen, sehr fernen Landen. Mein Nam' ist
Joseph; und Deiner, mein Bruder?« Th. »Mein Name, Joseph, ist Thomas.«
J. »Aber was weilen wir hier in dem Schauer der Nacht und der Gräber,
Thomas? O, komm und laß uns aus dieser dunkleren Nacht gehn!
Diese Stille, die Dunkelheit wirft noch schwärzere Schatten
Auf die Bilder der Angst, die Deine Seele bewölken.«
Th. »Diese Still', o Joseph, und diese noch schwärzeren Schatten,
Diese Bilder der Angst, die meine Seele bewölken,
Diese lieb' ich, liebe noch mehr den Tod und die Gräber.
Hätte die Erde mich nur in ihre Hütten des Friedens
Aufgenommen, so wär' ich nicht mehr der Söhne des Elends
Letzter, läge nicht mehr in des Jammers Tiefen der Tiefste.«
J. »Thomas, mein Bruder, o, heb aus diesem Staube Dein Haupt auf!
Schau gen Himmel und lerne mit Furcht und mit Zittern klagen!
Freuen sollen wir uns mit Furcht und Zittern, so sollen
Wir auch klagen. Wer ist es, der das Elend uns sandte?
Ist es nicht Der, der uns zu dem ewigen Leben gemacht hat?
Sinn' ihm nach, wenn jetzt zu des Allerheiligsten Ohre
Deiner Klagen Geschrei mit seinem Ungestüm aufschrie,
Dann sich unter die Chöre der Dankenden mischt' und die Wonne
Ihrer Freudenthränen und Halleluja entweihte!
Kann denn Gott nicht erretten? und will denn Gott nicht erretten?
Lerne mit Furcht, ich sag' es noch einmal, lerne mit Zittern
Trauren! Es ist der stets Anbetungswürdige, der uns
Elend sendet. Verehre, mein Bruder, den göttlichen Boten!«
Th. »Joseph, Du bist ein Mann nach meinem Herzen. Indem Du
Von dem Ewigen sprichst, wird Deine Seele zu Flamme.
[142]Werde mit Freude von Gott und werde mit Schmerz gesegnet,
Aber mit keinem Schmerz, wie meiner ist. Ach, Du erlägest
Dann, wie ich erliege!« J. »So rede denn, nenne die Lasten,
Welche Dich niederstürzen!« Th. »Ja, welche mich niederstürzen!
Kanntest Du ihn? Doch was sag' ich zuerst? was zuletzt? O, Du kanntest
Jesus, den Göttlichen, nicht! Wie lang' verweilst Du in Juda?«
J. »Wenige Tage nur erst. Doch sind stets Boten aus Juda
Nach der Freude Hütten gekommen, in welchen ich wohne,
Und die haben mit uns von Jesus, dem Sohn Jehovah's,
Viel geredet. Zuletzt sind wir heruntergekommen,
Jesus sterben zu sehen und auferstehn von dem Tode.«
Th. »Auferstehn von dem Tode? Wer bist Du, Joseph?« J. »Auch hatt' ich,
Didymus, einen vertrauteren Freund in Juda, von dem ich
Lang' getrennt war; er trennte sich schon in dem Lande des Nilus.
Diesen gab mir der Göttliche wieder, indem er in Schrecken
Und Erdbeben nicht mehr, noch in Finsternissen daherging;
Jünger, indem er vom Kidron in sanftem Säuseln heraufkam,
Gab er mir meinen vertrauteren Freund, den lange verlornen
Und nun ewigen Freund. Doch ich muß Dich jetzo verlassen;
Aber ich komme zurück, mein Bruder, und sehe Dich wieder.«
Th. »Joseph, bleib! Wo bist Du, Joseph? wo bist Du? Ach, haben
Diesen Namen auch Engel? den süßen Namen des Lieblings
Seines Vaters und Gottes? Nur einen Laut noch, o Joseph,
Deiner himmlischen Stimme nur einen! Aber Du schweigst mir! –
Darf ich Dich nennen, wie Du mich nanntest? – mein Bruder! – Du schweigst mir!
Wo, wo gehest Du hin? wo bist Du? Ach, ohne Mitleid
Fährest Du fort, mich nicht zu hören. Er ist kein Engel!
Könnte so hart ein Engel sein? Das können nur Menschen!
Aber er wohnt in Hütten der Freude. Boten aus Juda,
Die von dem Göttlichen sprachen! Wer sind die Boten aus Juda?
Sandte sie Gott? Gewiß, der Herr kann Engel aus Juda
Zu den Himmlischen senden. Er kam herab. Von dem Himmel?
Jesus sterben zu sehn! So wußten Boten aus Juda,
Was geschahe, vorher? Und auferstehn von dem Tode!
Aber dieses geschahe ja nicht. Wer kann ihn begreifen?
Jünger nennet er mich! und dann ist Jesus vom Kidron
Im Erdbeben nicht mehr, ist in sanftem Säuseln gekommen,
Einen vertrauteren Freund ihm auf immer wieder zu geben!
Aber wenn? eh er starb? Warum denn in sanftem Säuseln?
Auch da säuselt' es sanft, und die Woge schwieg, da von Neuem
[143]Unser Leben er uns gab und Jeden dem Andern.
Doch Erdbeben ist nur nach seinem Tode gewesen.
Also hätt' er erst den lang' verlornen und jetzo
Ewigen Freund nach seinem Tod ihm wiedergegeben?
Und so thät' er, auch todt, der Gnade Wunder und hülfe?
Aber warum denn todt? Auch Leben ward ja verkündet!
Nein, ich begreif' ihn nicht. Sollt' erstehn der Messias, wie wußten's
Engel, eh es geschah? Auch Gottes geheimstes Geheimniß
Wüßten die Engel? Es hätte vor ihnen der Unerforschte
Nichts Verborgnes? Je mehr ich forsche, je tiefer versink' ich!
Aber wacht' ich auch wirklich? Ermattet' ich nicht an dem Felsen,
Wo ich mich hielt und beinah nicht mehr mir meiner bewußt war?
Ja, ich bin niedergesunken, bin eingeschlummert und habe
Diesen Fremdling in Traume gesehn. Er war ja voll Mitleid;
Warum wär' er auf einmal geflohn? So entfliehen nur Träume,
Aber kein redlicher Freund, Mensch oder Engel. Nun seh' ich's,
Nun erfahr' ich es selbst, was tiefe Traurigkeit wirket,
Und wie die Jünger sich täuschen, wenn sie Erscheinungen sehen.
Glückliche, die Ihr Euch täuscht und Eure tröstenden Schatten
Wandelt in wahre Gestalt! Doch ich gehe den Weg, den mich Gott führt.
Sind nur meine Betäubung und ihre Qualen vorüber,
O, so geh' ich den Weg mit Ruhe, den Gott mich leitet.
Finsterniß sei er und Dunkel und Nacht! Er führt, ich gehe!«
Also entschloß sich Thomas und horchte nach dem Geräusche
Kidron's, hinunter zu gehn und zu ruhn in Gethsemane's Hütten.
Hinter ihm hatte, da er die Versammlung der Jünger verlassen,
Einer die Thür geschlossen. Als dieser wieder zurückkam,
Sagt' er zu der Versammlung: »Ich habe die Thür geschlossen,
Daß wir entrinnen, wofern die Priester senden. Denn glaubt nicht,
Daß ihr wüthender Durst mit Jesus' Blute gestillt sei.«
Da sprach Kephas: »Ich will nicht, daß Ihr die Thüren verschließet.
Mögen sie ihre Schaaren doch senden! Der Herr ist erstanden! –
Aber sie haben ja selbst den nun Erstandnen getödtet!« –
P. »Nun, so will ich sterben, wofern es sein göttlicher Will' ist!
Schließt die Hütte nicht! Kleinmuth, wie die, entehrt den Erstandnen!« –
»Müssen wir sterben, Simon, so helfen geschlossene Thüren
Uns ja nicht. Allein, daß zu kühn in Gefahr wir uns wagen,
Ist der Wille des Herrn nicht; und Rettung über die Mauer
[144]Ist in unsrer Gewalt, wenn die Thür die Wüthenden aufhält!« –
P. »Ist in unsrer Gewalt, wenn der Herr die Wüthenden aufhält!«
Sagte Petrus feuriger, ließ die Thüren sie schließen.
Aber nicht lang', so erscholl das Haus von eiligem Klopfen.
Und sie erschraken. Da scholl's von Neuem. Jakobus erhub sich,
Eilt' hinunter und fragte. Matthias und Kleophas waren's.
Und er ließ sie herein, die glücklichen Freunde. Sie sanken
Fast vor Müdigkeit, athmeten, standen, gingen langsam,
Trockneten sich die Stirn. »Wen flohet Ihr?« sagte Jakobus.
Und sie lächelten sanft, ermannten sich, eileten, stiegen
Mit Jakobus hinauf und traten in die Versammlung.
Siehe des Lebenden Mutter und Magdalena Maria
Kamen, mit ihnen der Glaubenden mehr den Beiden entgegen,
Traten um sie und riefen mit freudestrahlendem Auge,
Riefen: »Der Herr erstand wahrhaftig, ist Simon erschienen!«
Kleophas hub mit Erstaunen die Hand gen Himmel und sagte:
»Heil uns! Er ist erstanden, ist erstanden! Auch wir sind
Seine Zeugen, auch uns ist Jesus Christus erschienen!«
Petrus nahte sich schnell: »O Christus' Brüder und meine!«
K.M. »Simon, er hat uns also genennt, er nennet' uns Brüder!«
Petrus redete weiter: »Auch Diese, die Euch umgeben,
Haben ihn lebend gesehn, nur nicht Maria. Er wird Dir,
Hoff' es freudig zu ihm, Du seine Mutter, erscheinen!
Magdale sah ihn zuerst und allein; dann sahn ihn die Neune,
Wie Ihr zweifelnd vernahmt, als Ihr die Versammlung verließet;
Dann erschien er auch mir. Ach, namlos ist die Entzückung,
Welche das Herz uns erschütterte, da wir nun sahn, daß er lebte!
Aber, o sehet um uns die Traurenden! Unsere Brüder
Trauren, indem wir uns freun. Schon fingen sie an, uns zu glauben;
Aber, ach, Thomas, wie elend ist er, wie in Jammer versunken!
Thomas hat sie verwirrt. Der beweinenswürdige Jünger
Ist noch ohne Jesus; er hat sie verwirrt. O, sie freuten
Schon mit unseren Freuden sich. Herr, erbarme Dich ihrer
Und vor Allen des grübelnden, tiefverwundeten Thomas!«
Aber Johannes erhub sich und trat zu ihnen und sagte:
»Mich verwirrte Didymus nicht. Ich traure nur, Simon,
Daß der Lebende mir nicht erscheint.« P. »Er ist ja, Du Theurer,
Seiner Mutter sogar und der Deinen noch nicht erschienen.
Sagt's denn, erzählt's den Betrübten, o Christus' Brüder und meine,
Daß Ihr lebend, lebend ihn saht.« K. »Geliebte, wir gingen
Traurend und angstvoll (ach, Ihr seid's noch) nach Emaus, wollten
[145]Durch des offnen Gefilds Anblick uns erfrischen, den Kummer
Unserer Seele lindern; da kam ein Fremdling gegangen,
Den wir lieben mußten, sobald wir ihn sahen und hörten,
Der – o, was sag' ich zuerst? was zuletzt? – der uns der Propheten
Tiefen eröffnete, der des Messias furchtbare Leiden,
Seine Leiden – er war's, ach, er war es selber – uns zeigte,
Wie sie der Vater vorhergesehn und verkündiget hatte,
Seines Todes ganzes Geheimniß. Noch kannten wir ihn nicht;
Fremd war seine Gestalt und verhüllt' ihn uns. Jetzo erreichten
Wir die Hütt' in Emaus. Alles, was er uns sagte,
Weiß ich und kann's nicht erzählen. Wie kann ich sprechen, wie er sprach?
Seine Rede war Sturm, war Flamme. Wir flehten. Er ließ sich
Endlich erweichen und blieb. Ich hatt' aus der Quelle geschöpfet,
Hatte Speise gebracht. Nun ... Ach, noch seh' ich das Brod ihn
Halten, noch hör' ich ihn beten. Da er betete, war es
Jesus' Stimme, die betete, waren's die feirlichen Worte
Seines Segens sogar, da war's des Göttlichen Antlitz!
In der Wonne sanken wir nieder, mit anzubeten.
Und er brach und reicht' uns das Brod und blickte noch einmal
Liebend uns an und verließ uns. Wir folgten ihm, suchten ihn, konnten
Ihn nicht finden. Wir säumten nicht lang' und gingen und eilten,
Euch der Wonne Botschaft zu bringen.« Lebbäus, von Thomas
Mehr wie die Andern erschüttert und noch in Zweifel verloren,
Saß mit hangendem Haupt und blickte starr auf die Erde.
Er, deß Seele so viel, so stark zu empfinden vermochte,
Hatte die frohe Geschichte mit grübelnder Kälte vernommen.
Endlich verstummt' er nicht mehr, er sprach: »Ich glaub' Euch, Geliebte,
Ja, ich glaube, daß Ihr mit einem Manne voll Weisheit,
Oder wol gar mit der Engel einem nach Emaus ginget.
Sahn die Weiber, und sahet Ihr Engel, so sendete Gott sie,
Unsre Traurigkeit über den Tod des Messias zu lindern,
Unsre Traurigkeit, daß uns sogar sein Leichnam geraubt ist.
Gott, der unserer Qual sich erbarmt hat, sendet uns Engel,
Daß ihr himmlischer Anblick uns tröste, mächtig erinnre,
Jesus' Seele sei nun in dem Schooße der ewigen Ruhe;
Also leugn' ich Euch nicht, der mit Euch red'te, Den habe
[146]Gott gesandt, daß er Euch aufrichtete, sei er ein Engel
Oder ein Weiser gewesen. Ich leugn' es Euch nicht, daß er tiefer
Sehe denn wir in die Offenbarung, und die Propheten
Uns verkündiget haben: es sei der Wille des Vaters
Und des Richters der Welt, daß, ach, den größten der Menschen,
Siehe, den unschuldsvollsten, der Tod auf Golgatha tödte.
Seht, Ihr Theuren, das glaub' ich mit Euch. Doch, daß er es endlich
Selbst ward, da er vorher es nicht war, das kann ich nicht glauben.
Sagt, wie konnt' es geschehn, daß Ihr ihn zuerst nicht erkanntet,
Eine fremde Gestalt zu sehen glaubtet? Die Freude
Hat Euch verführt. Ihr saht, indem der Fremdling das Brod hielt,
Etwas Aehnliches mit der Erhabenheit Jesus', womit er
Sonst, eh wir aßen, das Brod zu dem Himmel dankend emporhielt;
Dies nur sahet Ihr, glaubtet zu schnell, ihn selber zu sehen.
Und nun wurd' es Euch leicht, auch Jesus' Stimme zu hören,
Als der Fremdling betete.« Trübe, verfinsternde Zweifel
Ließ in den Seelen, die schon verwundet waren, Lebbäus'
Traurige Rede zurück. Doch Kleophas sah ihn mit Wehmuth
Und mit Innigkeit an. Matthias umarmt' ihn und sagte:
»Jünger des Auferstandnen, als wir den Herrn noch nicht kannten
Und ihn fragten, ob Jesus leb'? und ob wir des Heils uns
Freuen dürften, ihn wiederzusehn? da sprach der Erstandne:
Joseph's Brüder erkannten ihn nicht. Doch der Wonn' und des Weinens
Selige Stunde kam, und Joseph vermochte nicht länger
Sich zu halten und weinete laut.« Mit himmlischer Ruhe
Sprach's Matthias. L. »O Jesus, wofern Du lebtest, Du könntest
Gegen mich Dich nicht halten!« Lebbäus rief's und verhüllte
Schnell sein bleicheres Antlitz. Ihn sahe Petrus und wurde
Doch nicht traurig. Er konnte nicht trauren; fragte die Beiden:
»Als Ihr den hangenden Felsen verließt (wir sahn Euch vom Söller)
Und zu den Palmen hin Euch wendetet, kam der Erstandne
Da zu Euch?« Sie sprachen: »Er kam, der Göttliche kam schon
Bei dem Felsen zu uns.« Und Petrus rief in der Wonne:
»Meine Brüder, Ihr habt den Erstandnen Alle gesehen!
Hört Ihr die Zeugen? Ihr habt schon Jesus Christus gesehen!
Thomas auch. Ach, wär' er bei uns!« Des Lebenden Mutter
Rief mit gefalteten Händen und süßer Verwundrung: »Ich habe
Meinen Sohn lebendig gesehn! lebendig, nicht todt mehr!«
Wie ein einsamer Uebriger, der durch den Tod den letzten
Seiner Freunde verlor, von ängstlichen Träumen, in denen
Er ihn lebend erblickt' und nicht zu erreichen vermochte,
[147]Halberwachend das dunklere Bild des Freundes noch suchet,
Klaget, nicht weiß, ob er schlafe, nicht, ob er wache – das Herz schlägt
Hoch ihm empor, und Flammen durchströmen ihm die Gebeine –
Also waren noch Viele der thränenvollen Versammlung.
Aber der Seraphim, die zu ihnen eilten, der Väter,
Die mit den jauchzenden Engeln zu ihnen eileten, wurden
Immer mehr, und Simon Johanna blickt die Versammlung
Liebend an. Da sieht er es schimmern. Er hielt vor Entzückung
Ein beginnende Thräne zurück und betete schweigend:
»O Du Verborgner und doch stets Gnädiger, ewig und ewig
Gnädiger, nun, o mein Erbarmer, erbarmst Du Dich Ihrer!«
Kephas dankt' und betete noch, da trat der Versöhner
In die Versammlung. Wie Felsen, ein Erstaunen, standen,
Starrten sie All' um ihn. Der Auferstandene sagte:
»Friede sei mit Euch!« Sie sahn ihn und sahn ihn nicht, standen,
Blickten ihn an. Von den Strömen zu vieler Gedanken ergriffen,
Wie in Meeren des Lichts, in denen Unsterbliche sänken,
Sanken sie, konnten sich nicht herausarbeiten und wähnten
Einen Engel zu sehn. Mit der Liebe Stimme, mit seiner,
Sprach der Erstandne: »Vor mir seid Ihr erschrocken, Ihr Lieben?
Warum kommen Euch diese Gedanken in Eure Herzen?
Sehet meine Hände und meine Füße, Geliebte!
Denn kein Engel hat Fleisch und Gebein, wie Ihr seht, daß ich habe.«
Und sie bebten herzu. Maria sank vor ihm nieder,
Hielt die Füße des Auferstandenen, sahe die Wunden,
Fasset' ihn bei der Rechten und sah die Wunde der Rechten,
Dann der Linken. Und nun vermochte sie auch in des Sohnes
Antlitz hinaufzuschaun. Wie das Angesicht eines Engels
Wurd' ihr Angesicht, als sie hinaufsah. J. »Meine Mutter,
Hier auch wurd' ich durchstochen.« Er zeigt' ihr das Mal der Wunde,
Aus der Wasser herab und Blut floß, als ihn des Todes
Nacht umgab. Ihr ward wie das Angesicht eines Engels
Wieder ihr Angesicht. Schon umknieten die Meisten ihn, sahen
Seine Wunden und reicheten ihm die Hände. Die nahmst Du,
Sohn des Vaters, und hieltest sie, ließest sie sinken, der Andern
[148]Ausgestreckte zitternde Hände zu nehmen, Erbarmer!
Und, ein Jubelgesang dem Auferstandnen, erhub sich
Mit gebrochenen Worten die Stimme des sanften Weinens.
Jetzt rann über die Wange des Göttlichen eine Thräne.
Lange hielt Johannes die Rechte des Liebenden, lange
Sah er mit glänzendem Aug' hinauf in sein Antlitz und wollt' ihn
Fragen und fragt' ihn nicht, wollt' ihm sagen, wie innig, wie herzlich
Er ihm dankte, wie tief er ihn anbetet', und that's nicht.
Endlich begann er, doch schnell verstummt' er noch mehr. Denn der Gottmensch
Redet' ihn an. »Du standest am Kreuz und bliebst bis zum Tode.
Aber wo ist Lebbäus?« Lebbäus lag auf der Erde,
Hielt und küßte den Saum an des Mittlers Gewande. Da stand er
Eilend auf, da die Stimme des Herrn bei dem Namen ihn nannte,
Nahte sich bleich wie ein Todter, vor Freude. Der Göttliche sagte:
»Hier ist meine Rechte, Lebbäus!« und reicht' ihm die Rechte.
Und Lebbäus streckte verstummend die Hand nach dem Herrn aus;
Aber sie sank ihm nieder. Da beugte Jesus sich vorwärts
Nach dem Jüngling, ergriff die Hand des Sinkenden, hielt sie
Lang' mit Liebe. Die Seele des Freudigerschrocknen, sein Mund nicht,
Stammelte: »Gnade bist Du, ganz Gnade!« Der Kanaanite
Simon, Jakobus der Alpheid' umarmten einander,
Freuten des Herrn sich, blickten umher, sahn sich und den Herrn an.
Auch die Andern begannen vom Herrn auf einander zu blicken,
Sich zu freuen, daß er sie Alle begnadiget hatte.
Und, ein Jubelgesang dem Erstandnen, erhub sich von Neuem
Mit gebrochenen Worten die Stimme des sanften Weinens.
Um sie knieten die früheren Zeugen, Petrus, Matthias,
Kleophas und die begnadigten Weiber, die Heldenseelen,
Sie, die bis zu dem Kreuz hinauf dem Leidenden folgten.
Unter ihnen steht der Ueberwinder des Todes,
Hebt die Augen mit aller seiner Hoheit und breitet
Seine Hände gen Himmel. Noch strahlete zwar die Verklärung
Nicht von ihm; doch war in seinem Antlitz voll Gnade
Mehr als jemals Göttlichkeit. Sie vermochten nicht länger
Ihm in das Antlitz zu schaun. Jakobus neigte sich tiefer
Gegen die Erd' und wagt' es und rief mit flehender Stimme:
»Herr, Herr, Gott, noch erhebe Dich nicht zu Deinem Vater!
Ach, erhöre ...« Der Göttliche sprach: »Ich bleibe noch bei Euch,
Kindlein.« Er sprach's, und nun ergriffen zu mächtige Freuden
[149]Ihre Seelen. Sie wußten es kaum, was sie dachten und sagten.
»Ach, ist es möglich, daß Jesus es selber ist? Engel, ist's möglich?«
Rief der Eine, der Andere rief: »O, sind wir im Himmel
Oder auf Erden? Ist Jesus es selbst? Ach, bist Du es selber,
Der auf Golgatha blutete, bist Du es selbst, Du Erbarmer?
Sehen wir, oder verlieren wir uns in süßen Gesichten?«
Jesus wendete sich, ging hin zu dem Tische und legte
Auf die verbreiteten Teppiche sich und sagte zu ihnen:
»Habet Ihr etwas Speise für mich?« Sie erhuben sich eilend,
Traten herzu und waren beschäftiget, Speise zu bringen.
Aber Johannes drang sich hervor vor den Andern und brachte
Honigseim und gerösteten Fisch und setzte die Speise
Vor den Herrn; dann trat er zurück mit schweigender Ehrfurcht.
Voll von sanfter Vertraulichkeit sagte der Auferstandne:
»Nahe Dich mir, Geliebter, wie sonst! Ihr, meine Geliebten,
Nahet Euch auch und ruhet um mich auf den Teppichen. Komm denn,
Meine Mutter, und ruh' bei Deinem Sohne.« Da kam sie,
Und da kamen die Andern. Er aß. Und über den Anblick
Seiner vertraulichen Liebe, daß sie an einem Tische
Mit dem Göttlichen ruhten, und er vor ihnen wie sonst aß,
Legte sich ihrer Entzückungen Ungestüm. Stillere Freuden
Kamen in ihr besänftigtes Herz und völliger Glaube.
Da er ihre Herzen gestillt sah, sprach der Erbarmer:
»Seht, den Zeugen glaubtet Ihr nicht, die Euch sagten, ich lebte,
Mich, mich hätt' ihr Auge vom Tod erstanden gesehen;
Ihnen, denen Ihr sonst in Allem trautet, und deren
Redlichkeit Ihr ja kanntet, o, warum glaubtet Ihr hier nur
Ihnen nicht? Unbiegsam war Eure Seele, Geliebte.
Weinet nicht, Kindlein! ich habe ja Euer doch mich erbarmet.
Aber lernt, wie das Herz des Sterblichen ohne mich sei!
Hatt' ich es Euch nicht gesagt, oft wiederholet: gekreuzigt
Würd' ich werden, vom Tode der Tage dritten erwachen?
Hat dies Moses nicht auch gesagt, die Propheten, die Psalme
Nicht verkündet? und hub ich Euch nicht die Hülle der Schrift auf?
Was ich sagte, das sagten auch diese Zeugen: getödtet
Müßt' ich werden, vom Tod erstehn! In Jerusalem sollen
[150]Meine Zeugen beginnen, von hier zu den Völkern der Erde
Gehn und ihnen die beiden erhabensten Seligkeiten:
Wiederkehr zu Dem, der sie schuf, und den sie verließen,
Und Vergebung der Sünde, des ewigen Lebens Anfang,
Predigen. Brüder des Mittlers, Ihr seid die Zeugen. Ihr sollt mich
Auf der Erde verkündigen. Sieh, des Vaters Verheißung
Will ich Euch senden. Ihr sollt, bin ich zu dem Vater gegangen,
In Jerusalem bleiben, bis Ihr, mit Kraft aus der Höhe
Angethan, hinwandelt und lehrt: Wer glaubt und getauft wird,
Der wird selig; verdammt, wer nicht glaubt! Der Glaubenden Viele
Sollen Wunder begleiten. In meinem Namen vertreiben
Sie den Satan aus den Besessnen und reden in Sprachen,
Die sie nicht lernten. Auch Schlangen vertreiben sie. Ohne zu sterben,
Trinken sie tödtlichen Trank. Sie legen die Händ' auf den Kranken,
Und der Kranke genest.« Der Versöhner erhub sich mit Wonne,
Ging dann vorwärts in die Versammlung. Sie drangen um ihn sich
Freudig herum, ganz nah ihn zu sehn. Der Liebende sagte:
»Nahet Euch, meine Jünger!« Die Andren entfernten sich wieder,
Nicht nur neidlos; sie freueten sich, wie vollendete Fromme
Sich in dem Himmel des Heils der Mehrbegnadeten freuen,
Ueber die Gnade, die gab der Versöhner den Ersterkornen.
Und der Göttliche stand, um ihn die hohen Apostel.
Auch sie sollten bluten! Er sah in dem Geiste sie bluten,
Und von inniger Lieb' erschüttert, sprach er zu ihnen:
»Friede sei mit Euch!« So sprach des Göttlichen Stimme,
Und, wie Einer, deß Seele der Freuden zu viel' belasten,
[151]Athmet' er tiefer herauf und hauchte sie an und sagte:
»Jetzt schon empfaht den heiligen Geist! In reicherer Fülle
Werdet Ihr bald ihn empfahn. Wem Ihr die Sünden erlasset,
Sind sie erlassen; wem Ihr sie behaltet, sind sie behalten!«
Und sie vernahmen den großen Befehl mit Erstaunen und Demuth.
Jetzo daucht' es ihnen, als wollte der Herr sie verlassen.
Und sie standen um ihn und wagten es nicht, ihn zu bitten,
Daß er bliebe; doch zitterten sie, doch fleht' ihm ihr Auge.
Petrus, gefaßt von Gedanken, die seine Seele wie Flammen
Ueberströmeten, warf zu den Füßen Jesus' sich nieder,
Hielt sie, küßte sie, rief: »Ich kann auf der Erde nicht danken!
Herr, in dem Himmel will ich Dir danken! Ich weiß es, Erbarmer –
Denn so sprach der Gesendete: Sagt's den Jüngern und Petrus!
Denn Du erschienest mir, und Du erscheinest mir – weiß es, Erbarmer,
Göttlicher Sündeversöhner, Du hast mir meine Verleugnung,
Mein Erretter und aller Gefallenen Retter, vergeben;
Aber laß sie, Du Liebe, mich Dir noch einmal bekennen,
Herr, bekennen vor Deinem Antlitz, beweinen, der Gnade
Stimme mich hören, Vergebung aus Deinem göttlichen Munde,
Deine Himmelsstimme, daß Du in das Leben mich aufnimmst,
Hören, eh ich von Dir zu Denen, die Du versöhnt hast,
Geh' und in Deinem Namen den Sündern Sünde vergebe!«
Und er sahe mit vollem Vertraun und inniger Demuth
In des Liebenden Antlitz. Da sprach der Geopferte Gottes:
»Siehe, das weißt Du, ich habe für Deine Seele gebetet,
Daß ihr Glaube nicht ganz sie verließe. Mich hörte mein Vater.
Simon, steh auf! Es ist Dir Deine Sünde vergeben!«
Also sprach der Geopferte mit so göttlicher Stimme,
Daß sie ihr Mark und Gebein durchdrang und die innerste Seele.
Aber sie sahn ihn nicht mehr. Da rief der begnadete Petrus:
»Herr, wir folgen Dir nach in Galiläa!« Des Grabes
Engel erschien. »Noch seht Ihr den Herrn in Jerusalem wieder,
Höret von ihm, wenn Ihr in Galiläa ihn sehn sollt.«
Und der Engel verschwand mit langsam verlöschendem Schimmer.