Eilfter Brief.
An den Freyherrn von Leidthal, in Urfstädt.
Göttingen den 1sten December 1769.
Gestern, mein theuerster Wohlthäter! ist Herr Müller hier angekommen. Die Pferde für ihn waren schon da, und haben uns Ihren gnädigen Brief und das Paquet mit dem Reisegelde für den armen Commerzienrath, 1 der ganz verstummte, als er die wahrhaftig großmüthigen Proben Ihrer Freygebigkeit sah, richtig überbracht. Er wird Ihnen am besten von unserm Befinden mündlich Nachricht geben können, und da er morgen [111] abreiset; so will ich diese Zeit nur anwenden, meine kurze Lebensgeschichte, wie Sie es befohlen haben, hier für Sie abzuschreiben.
Mein Vater war Verwalter auf den Gütern des Grafen von ... im ... Weil nun sein Herr ihn sehr liebte, und ich, als ein lebhafter Knabe, demselben auch wohlgefiel; so erlaubte der alte Graf meinem Vater, mich mit denen jungen Herrn einerley Unterweisung auf dem Schlosse geniessen zu lassen. Also wurde ich mit denselben zugleich in Sprachen, Wissenschaften und Leibesübungen unterichtet, stand mit ihnen unter einem Hofmeister, speisete mit der gräflichen Familie an Tafel, und wurde, mit einem Worte, vollkommen so erzogen, als wenn mich das Schicksal zu einem höheren Stande bestimmt hätte.
Ich darf es ohne Eitelkeit sagen, daß ich in allen Kenntnissen geschwindere Schritte [112] machte, als die beyden Söhne meines Herrn, aber zugleich muß ich es auch, dem alten Grafen zum Ruhm, bekennen, daß er nicht, wie so viel andre Väter, die Thorheit besaß, neidisch und verdrießlich auf mich hinzublicken, wenn er bemerkte, daß es mir, mehr als seinen Kindern, gelang, mir fremder Leute Zuneigung und Beyfall zu erwerben.
Anders verhielt es sich mit den jungen Leuten. Der älteste war zwar von einer guten, milden Gemüthsart, und ausser daß er sich etwas auf seine hohe Geburth zu gut that (woran seine Mutter allein Schuld war); so hatte er doch einen Grund von Rechtschaffenheit, und Gefühl für Freundschaft, so daß wir immer ganz einig lebten. Der jüngste hingegen war stolz, eitel, heimtückisch, falsch, und weil er selbst Genie, aber nicht Fleiß genug besaß, dies Genie zu nützen; so konnte er nicht ertragen, daß ein Knabe, der nur aus Barmherzigkeit mit ihm einerley Erziehung genoß, eine vortheilhaftere Rolle als er [113] spielte. Er machte mir desfalls tausendfältigen Verdruß, verläumdete mich, wo er konnte, und da er der Mutter Liebling war; so blieben seine jugendlichen Bosheiten fast immer ohngeahndet, und bekamen Zeit, sich in seiner Seele, durch Verjährung, festzusetzen. Mein Vater starb, als ich sechzehn Jahr alt war. Er hinterließ gar kein Vermögen, und da auch meine Mutter nicht mehr lebte; so wurde ich jetzt, mehr als jemals, abhängig von unserer Herrschaft. Der alte Graf setzte seine Wohlthaten großmüthig gegen mich fort, und als wir drey junge Leute das Alter und die Fähigkeiten erlangt hatten, auf Universitäten zu gehen, schickte er uns im Jahr 1756 nach Leipzig, indem er mir, der ich schon über achtzehn, und also ein Paar Jahr älter als seine Söhne war, eine Art von Aufsicht über dieselben gab. Wir Alle wurden aber einem Kaufmanne empfohlen, der uns in sein Haus nehmen, und ein wachsames Auge auf unsre Schritte haben sollte.
[114] Im ersten Jahre gieng es so ziemlich gut mit uns. Obgleich der jüngste Graf mir viel Proben seiner schlechten Denkungsart gab; so hatte er doch seine Ursachen, mich nicht ganz von sich zu stoßen. Da er nemlich dort in eine ganz neue Welt kam, wo niemand sich um seine Ahnen bekümmerte, seine persönlichen Eigenschaften ihm aber wenig Freunde erwarben, wodurch also sein Stolz beleidigt und er bestimmt wurde, beynahe allen Umgang zu fliehen; so war ich sein einziger Trost zu Hause, denn der ältere Bruder suchte, aus Geschmack an Wissenschaften sowohl als aus Eitelkeit, den Umgang mit Gelehrten, die es oft gern sehen, wenn jemand sie aufsucht, gegen den sie ihre Kenntnisse auskramen, und den Ton von Untericht annehmen dürfen. Indessen wurde der jüngere des eingezogenen Lebens müde. Es wohnte in unserm Hause ein Verwandter des Kaufmanns, der auch da studieren sollte, sich aber dem zügellosesten Leben und allen Ausschweifungen ergeben hatte. Wir konnten es nicht gänzlich vermeiden, [115] denselben zuweilen bey seinem Vetter, oder sonst im Hause, zu sehen und zu sprechen. Er machte bald einen Entwurf auf das Vermögen der jungen Herrn, weil er aber bey dem ältesten wenig Lust wahrnahm, sich mit ihm in Verbindung zu geben; so nahm er den jüngsten auf das Korn.
Er urtheilte nach kleinen Zügen, daß derselbe nicht eben aus wahrer Neigung viel bey mir wäre, und weil er überhaupt merkte, daß ich ihm im Wege seyn würde; so ließ er sein erstes Augenmerk seyn, uns zu entzweyen, und das konnte ihm nicht schwer fallen.
Er drängte sich ein paarmal bey unsren Spaziergängen herzu, bath uns, ihn mitzunehmen, erboth sich, uns Gegenden zu zeigen, die wir noch nicht kennen würden, und führte uns dann in nahe vor den Thoren gelegene Wirthshäuser, unter dem Vorwande, eine Erfrischung zu nehmen. Dort fanden wir gewöhnlich einen ganzen Haufen seiner treuen [116] Gefährten, die Alle meinem jungen Grafen ausserordentlich schmeichelten, welche Arzeney bey diesem sichtbar würkte. Er plagte mich nachher oft, mit ihm an dieselben Oerter zu gehen. Meine Vorstellungen dagegen halfen nichts, als daß er endlich anfieng, seine eigene Wege zu wandeln, und mich nicht mehr mitzunehmen, welches ich denn freylich nicht verhindern konnte, weil ich nicht sein Hofmeister war, und unser Kaufmann ihn sehr gut aufgehoben glaubte, wenn er in des lieben Cousins Gesellschaft war.
Obgleich nun in den Häusern, in welche sie zusammen giengen, stark gespielt wurde, und fast immer sich liederliche Frauenzimmer fanden; so war doch der junge Graf zu flüchtig, sich ernstlich dem Spiele, und noch ein bisgen zu neu in der Welt, zu furchtsam, zu schamhaft und zu sitsam erzogen, um sich den Ausschweifungen mit dem andren Geschlechte so bald auf eine grobe Art zu ergeben.
[117] Seines Lehrmeisters Absichten giengen auch weiter. Unser Hauswirth hatte eine Tochter, die eben nicht dafür bekannt war, lange grausam zu seyn. Mit dieser vereinigte sich der Herr Vetter, und sie entwarfen zusammen einen gemeinschaftlichen Plan, dessen Grundlage auf unsre Ducaten gebauet werden sollte. Der junge Graf war so wenig erfahren in Weiber-List, daß er dieser Schlinge nicht ausweichen konnte. Er fand sehr bald die Demoiselle liebenswürdig, war, ganze Tage hindurch, nur in ihrem Zimmer, versäumte Collegia, gab ihr kostbare Geschenke, lieh seinem braven Freunde Geld, solange er selbst welches hatte, und machte Schulden.
Meine Vorstellungen gegen diese Lebensart erbitterten ihn aufs Aeusserste. Ich suchte mit dem ältesten Bruder gemeinschaftliche Sache zu machen, allein dieser hatte zu wenig Thätigkeit, zu wenig Verstand, und ließ sich von seinem jüngsten Bruder stets überschreyen, es schien mir also nichts sicherers [118] übrig zu bleiben, als mich an den alten Grafen zu wenden, und ihm alles zu melden, doch begreifen Sie leicht, warum ich, in meiner Situation, diesen Schritt nicht so gern unternahm.
Was ich indessen hauptsächlich fürchtete, war, daß der junge Mensch sich eine schriftliche Heyraths-Versicherung mögte ablocken lassen. Um nun, bey diesen Umständen, einen Mittelweg zu wählen, nahm ich mir vor, geradezu mit dem Vater des Mädgens zu reden. Allein, wie sehr wunderte ich mich, als ich diesen alten Wucherer (der nur darauf zu warten schien, seine Tochter auf diese Art los zu werden,) ganz gegen mich eingenommen fand!
Mit Einem Worte! nachdem ich drittehalb Jahre eine so unangenehme Rolle als möglich hatte spielen müssen, brach alles gegen mich aus. Der junge Graf, dessen Gläubiger unruhig wurden, wandte sich an seine [119] Eltern, und forderte Geld. Man machte mir Vorwürfe wegen unsrer Wirthschaft. Meine Vertheydigung, welche eine ausführliche Erzählung der ganzen Aufführung des jungen Grafen enthielt, würkte nichts. Die Mutter nahm sich des Söhnchens an. Alle Schuld fiel auf mich. Ja, der Bube hatte die Frechheit, seine Eltern glauben zu machen, ich sey verliebt in seine Schöne, ich habe ihm so viel Geld verzehrt, und da der alte Kaufmann auch mein Feind war, der älteste Graf aber nicht Muth hatte, sich meiner anzunehmen; so war das Ende vom Liede, daß ich allein leiden mußte, und mein Wohlthäter gänzlich seine Hand von mir abzog, um mich meinem Schicksal zu überlassen. Mich vor gänzlichem Mangel zu schützen, both er mir zwar eine kleine verächtliche Pension an, die ich aber zu stolz war anzunehmen. Des jungen Grafen Schulden wurden bezahlt; Er machte neue, ja endlich heyrathete er (wie ich nachher erfahren habe), noch als Student, das Frauenzimmer – Doch, ich verlasse die [120] Geschichte dieser Familie, um zu der meinigen zurückzukehren.
Ich mußte also nun, ohne Aussichten zu haben, Mittel suchen, irgendwo meinen Unterhalt zu finden. Als ich in diesen Umständen mich befand, war ich kaum ein und zwanzig Jahre alt. Mein ganzes Vermögen bestand in einem kleinen Beutel, darinn Pathen-Geschenke und etwas erübrigtes Geld war, welches zusammen eine Summe von vierzehn Louisd'ors ausmachte. Uebrigens war ich ganz gut mit Kleidern und andren Dingen von einigem Werthe versehen, als Degen, Uhr und Schnallen, die ich etwa im Nothfalle hätte zu Gelde machen können.
Leipzig war mir so wiedrig geworden, daß ich glaubte, nicht genug eilen zu können, um es zu verlassen, zumal mich viel Leute mit Verachtung ansahen, und ich theils zu stolz, theils zu delicat dachte, die wahren Umstände meines Schicksals jedem zu erzählen, oft [121] nicht einmal meinen besten Freunden. Ich hatte deren in Leipzig gewiß, der aber, den ich am mehrsten liebte, war itzt in Halle. Zu diesen beschloß ich zu reisen, und daselbst Briefe, welche mir äusserst wichtig waren, zu erwarten. Ehe ich Ihnen aber sagen kann, von welcher Art diese Briefe seyn sollten, muß ich wieder einige Schritte in meiner Geschichte zurückgehen.
Ich war mit einem jungen Frauenzimmer aufgewachsen, welche die Tochter eines Beamten in unsrer Gegend war. Die vortheilhaften Umstände, unter denen ich in des Grafen Hause erzogen wurde, und die Zufriedenheit meiner Lehrer mit meinem Fleisse, zogen die Aufmerksamkeit der Eltern der jungen Wilhelmine auf mich. Sie glaubten voraus zu sehen, daß ich gewiß einst durch meines Wohlthäters Vorsprache eine gute Bedienung erhalten und in den Stand kommen würde, eine Frau anständig zu ernähren. Deswegen sahen sie es mit Vergnügen, wenn wir [122] Kinder so gern mit einander leben und spielen mogten. Ihre Scherze über unsre Eintracht trugen auch nicht wenig dazu bey, in unsren jungen Herzen das Feuer einer Liebe anzufachen, welche, so wie wir heranwuchsen, stets heftiger und ernsthafter wurde, und als wir die Natur dieser Leidenschaft zu kennen anfiengen, gestanden wir uns unsre gegenseitige Neigung und schwuren uns eine ewige Treue – Denen Eltern konnte das kein Geheimniß seyn, aber sie schwiegen dazu –
Verzeyhen Sie, mein theuerster Herr! wenn ich hier einen Augenblick abbreche, um Ihnen ein Paar Züge aus dem Bilde dieses lieben Mädgens zu entwerfen.
Wilhelmine war zwey Jahr jünger als ich – Wenn man seine eigene Geliebte beschreibt; so scheint das Lob, welches man ihr giebt, freylich leicht verdächtig, allein, ich [123] will hier nur das sagen, worüber auf fünf Meilen im Umkreise jeder, der sie kannte (von männlichem Geschlechte wenigstens), dieselbe Sprache führte – Wilhelmine war nicht eben regelmäßig schön, aber ihre Phisionomie hatte etwas so interessantes, so mildes, so seelenvolles, daß sie Aufmerksamkeit erregen mußte, wohin sie auch kam. Ihr Haar war kastanienbraun, ihre Augen blau, sanft und liebevoll, ihre Haut zart und weiß. Sie war schlank und schön gewachsen, nicht groß, das Gesicht mehr länglich als rund. Die Lebhaftigkeit ihres Witzes, die Feinheit ihres Verstandes, und die originelleste Laune, mit welcher sie eine große Gesellschaft von Menschen, die sich gar nicht zusammen paßten, auf Einen Ton stimmen konnte, haben vielleicht wenig ihres Gleichen. Die ältesten Männer vergaßen an ihrer Seite Krieg, Politik und Podagra, und Kinder drängten sich an ihren Schoos, und liebkoseten sie. Bey aller dieser Fröhligkeit aber hatte sie doch in [124] ihrem Herzen einen Hang zur Melancholey, Schwärmerey mögte ich es lieber nennen, oder Drang der Seele, zu lieben.
Von einem solchen Mädgen nun, dessen Vollkommenheiten und Talente sich mit jedem Jahre entwickelten, und so vieler Menschen Aufmerksamkeit auf sich zogen, allein geliebt zu werden, das war mir ein Gedanke, der meiner Seele Federkraft gab, mich mit dem Bestreben, ihrer würdig zu werden, und mit der seligsten Wonne, über die hinreissende Sympathie unsrer Gemüther, erfüllte. Hätte ich jemals fürchten können, daß ein grausames Schicksal mir dieses Glück rauben würde! – Doch, zur Sache! Als ich nach Leipzig reisen mußte, gieng ich noch den Abend vorher in ihr Haus, küßte ihren Eltern mit innigster Rührung die Hände, sagte ihnen, wie fest mein Vorsatz sey, mich so zu betragen, daß sie sich nicht sollten schämen dürfen, mich ihren Sohn zu nennen, ein Titel, den sie mir immer schon im Scherz [125] gegeben hatten, und der Harmonie in meinen Ohren war. Ich drückte meine Wilhelmine, in ihrer Gegenwart, an mein Herz, wir erneuerten, als wir allein waren, die Schwüre ewiger, treuer Liebe, dann trennten wir uns –
In der ersteren Zeit gieng unser Briefwechsel auch sehr ordentlich, als aber wenig Monathe nachher der Krieg ganz Sachsen überschwemmte, mußte ich oft lange Zeit zubringen, ohne etwas von meiner Geliebten zu hören, und ohne zu wissen, ob sie meine Briefe bekommen hätte. Nach und nach gewöhnte ich mich aber an diese Unannehmlichkeit, wie man sich am Ende an alles gewöhnt. Da ich ihr nun, bey unserm seltenen Briefwechsel, immer genug von meiner Liebe zu schreiben hatte, und ich ihr zärtliches Herz kannte; so wollte ich meinen Verdruß mit dem jungen Grafen nie zum Inhalte meiner Briefe machen, bis endlich das ganze Ungewitter über mich ausbrach, da meldete [126] ich ihr denn jeden Umstand meines Schicksals, und bath sie, bey ihren Eltern mich zu vertheydigen, wenn dieselben sich etwa auch hätten gegen mich einnehmen lassen. Das Herz meiner Wilhelmine war noch das einzige Gut, das mir übrig zu bleiben schien, meine einzige Hofnung, mein einziger Trost, und als ein junger Mensch war ich unerfahren genug, zu träumen, es würden ihre Eltern nicht nur meine Unschuld einsehen, sondern mich auch in meinem Unglücke nicht verlassen, noch, da meine Wissenschaften mir doch einst eine gute Bedienung versprechen konnten, und sie des elenden Geldes genug hatten, zwey Leute trennen wollen, die sich so zärtlich liebten, und für einander gebohren zu seyn schienen. Allein, wie sehr hatte ich mich getäuscht! Die Verläumdungen des jungen Grafen waren auch bey ihnen so würksam gewesen, daß, als der Sohn eines reichen Kaufmanns um Wilhelminen anhielt, und ihre Eltern nun voraus sahen, daß ich bald gar nichts mehr von der gräflichen Familie [127] zu hoffen haben würde, sie beständig in ihre Tochter drangen, dem reichen jungen Manne die Hand zu geben. Anfangs verwarf sie zwar standhaft ihre Vorschläge; wie aber die falsche Nachricht, die der junge Graf von mir ausgesprengt hatte, als wenn ich in Leipzig eine andre Geliebte hätte, und alle die bösen Gerüchte ihr zu Ohren kamen; wie ich auch immer seltener schrieb, woran zum Theil der Krieg, zum Theil meines Verläumders Bosheit, der meine Briefe auffieng, Schuld war; wie endlich der Reichthum sie auch vielleicht blenden mogte; da gab sie nach, und heyrathete meinen Nebenbuhler. Von diesem allen ahndete mich aber nichts, und ich wartete von einer Woche zur andern mit Ungeduld auf Briefe von ihr.
Ich war kaum in Halle angekommen, als ich in die Arme meines Freundes flog – Aber ach! ich fand ihn auf dem Sterbebette. Ein hitziges Fieber hatte in wenig Tagen den blühendesten Jüngling an die Pforten des [128] Todes geführt, er lebte nur noch zwey Tage mit mir. Ich kam nicht von seiner Seite, bethete mit ihm, theilte seine Leiden, und sprach ihm Muth und Geduld ein, wenn das geängstete Herz, von der Last der Schmerzen niedergedrückt, vergebens gegen das Gesetz der Natur emporkämpfen wollte. Als endlich jedes Werkzeug stockte, und die Seele umsonst sich bestrebte, noch einmal die Kräfte der zerrütteten Maschine in Bewegung zu setzen, lag er da mit gebrochenen Augen. Sein letztes Gefühl war die Harmonie, die uns aneinander kettete. Er drückte mir schwach und sprachlos die Hand – ich fieng seinen letzten Seufzer auf – und er verschied – Lassen Sie mich einen Vorhang vor diese Scene ziehn! Bester Herr! was ich da empfand, wie betäubt ich herumirrte, keine Thräne zur Erleichterung vergiessen, nicht Einer lieben Creatur meinen Jammer klagen konnte – ach! und doch kannte ich mein Unglück nicht ganz – [129] Ich entschloß mich nun kurz, gerade zu meiner Wilhelmine zu reisen, und machte mich zu Fuß auf den Weg dahin. Mein Herz war so gepreßt, mein Schicksal in Leipzig, der Verlust des zärtlichsten Freundes, vielleicht auch eine dunkle Ahndung dessen, was auf mich wartete, das alles drückte mich tief zu Boden. Meine einzige Hofnung war indessen, an der Seite meiner Geliebten Trost in meine geängstete Seele zu sammlen.
Es war an einem schönen Abend im Monath Junius des Jahrs 1759, als ich in ihrem Dorfe ankam. Ich eilte zum Amthause hin, fragte nach dem Amtmann, nach der Frau, nach Wilhelminen – sie waren Alle ausgefahren. Wenigstens wollte ich den Platz segnen, wo sie zu sitzen pflegte, den Ort betreten, wo sie wandelte – ich war immer wie der Sohn des Hauses gewesen – also flog ich auf ihr Zimmer. Die Magd, welche mich begleitete, sah wohl verlegen aus, aber das hatte ich nicht bemerkt. Ich trat in [130] Wilhelminens Stube, und der erste Gegenstand, der sich meinen Augen zeigte, war ein Portrait, das über dem Clavier hieng. Mein Herz fieng an heftiger zu pochen, denn das Bild stellte einen geputzten reichen Jüngling vor. »Wer soll denn das seyn?« fragte ich die Magd. »Ey!« sagte sie »das ist ja unserer Mamsel ihr Bräutigam!« –
Sinnlos, wie vom Blitz getroffen, stand ich nun da einen Augenblick, dann rafte ich mich zusammen, stürzte mich, ohne ein Wort zu sagen, wieder die Treppe hinunter, aus dem Hause, aus dem Dorfe, und ohne zu wissen wohin ich gerieth, kam ich in ein nahes Wäldgen, in welchem ich oft Hand in Hand mit dem besten Mädgen spazieren gegangen war. Hier erwachte ich zuerst aus meiner Betäubung, fühlte nun die ganze Gewalt meines Jammers, warf mich zur Erde, und weinte bitterlich.
So hatte ich die Nacht zugebracht, als ich früh des Morgens in der Nähe Trommeln [131] und kriegerisches Lerm hörte. Dies erweckte sogleich den Gedanken in mir, Soldat zu werden, und wo möglich den Tod zu finden, den ich nun als die einzige wünschenswerthe Wohlthat ansah. Ich gieng dem Schalle entgegen, und sah bald, daß es ein Corps Russen war. Man führte mich zum General, es war der Fürst ... Ich bath ihn in französischer Sprache um Dienste. Sein Adjudant verhörte mich, man forschte genau nach meinen Umständen, und als ich einen Theil meiner Geschichte erzählt hatte, schien der Adjudant, der ein Deutscher und von sanftem Character war, sehr von mir eingenommen. Ich wurde um meine Kenntnisse befragt, und der Schluß fiel endlich dahin aus, daß ich zwar Uniform tragen, aber zum Schreiben in des Fürsten Geschäften gebraucht werden sollte. Man stellte mich an, ich bekam anfangs nur gewöhnliche Dinge zu arbeiten, so wie ich aber mehr Zutrauen gewann, vertrauete man mir wichtigere Sachen. Ich wurde sogar mit geheimen Depeschen als [132] Courier nach St. Petersburg geschickt, und blieb in dem Posten als Secretair des Fürsten bis zum Frieden. Alsdann nahm er mich mit in sein Land. Dies Glück hatte ich eigentlich dem Adjudanten zu danken, welcher überhaupt, mehr als sein Herr, der commandierende General war.
Die Menge der Geschäfte, worinn ich während des Kriegs gewesen war, hatten unterdessen nach und nach meinen Schmerz über die vergangenen Schicksale gemildert, und von Wilhelminen habe ich nie wieder etwas gehört, mich auch nicht weiter erkundigen mögen, weil es mir unnützen Kummer machen würde, wenn ich erführe, daß es ihr nicht wohl gienge, und weil ich überhaupt nicht gern eine alte Wunde aufreissen mögte.
Der Fürst, dem ich nun diente, hatte eine liebenswürdige Gemahlinn, das beste Weib auf der Welt, ganz geschaffen das Glück eines Privatmanns zu machen, und häusliche Freuden [133] zu geniessen, nur hatte das Schicksal ihr das unrechte Loos zugetheilt, denn ihr Herr war einer von denen begränzten Köpfen, mit eißkaltem Herzen, derer, zum Unglück der Völker, leider! so viele auf Fürsten-Stühlen sitzen. Von Jugend auf gewöhnt, in Allem Recht zu haben und durchzugreifen; mit dem Gedanken genährt, daß die Menschen, welche ihm die Vorsicht zur Aufsicht anvertrauet hat, nur, als sein Eigenthum, für ihn geschaffen sind; fremd mit dem Gefühle für das wahrhafte Glück des Lebens, war er mit der Fürstinn aus Privat-Interesse verbunden worden, ohne sie zu kennen. Da sie aber schön war, und er Temperament hatte; so hatte er die ersteren Jahre in sofern glücklich mit ihr gelebt, daß er nicht auf andre Art ausgeschweift, und ausser dem Umgange mit ihr kein grösseres Vergnügen gefunden hatte, als sich mit den kleinen Details des Soldatenlebens zu beschäftigen. Dies war auch in der That das Einzige, wovon er einige Kenntnisse hatte, denn übrigens [134] war er nie gereiset, war nicht tief in Wissenschaften gedrungen, und setzte deswegen den Werth eines Menschen blos in der Geschicklichkeit, die er im kleinen Militair-Dienste hatte. Die Lebensart in ... war also ziemlich einförmig geblieben, und auch der Aufwand an dem kleinen Hofe nicht groß, denn alles gieng durch die Hände eines Mannes, der mit dem Fürsten aufgewachsen war, seine schwachen Seiten kannte, ihn leitete, wohin er wollte, und die Sachen in guter Ordnung hielt.
So waren sechs Jahre verflossen. Unterdessen fieng die Fürstinn an kränklich zu werden, und ihr Gemahl, der sich nur mit ihrem Cörper vermählt hatte, empfand hierüber eine Langeweile, welche der Herr Favorite zerstreuen zu müssen glaubte, indem er befürchtete, sein gnädigster Herr mögte etwa, wenn er nichts bessers, in den Stunden, welche ihm vom Exercieren übrig blieben, zu thun wüßte, auf den unseligen Einfall [135] gerathen, sich um Regierungsgeschäfte zu bekümmern, und allerley Fürstenstreiche zu machen.
Um also seine leere Stunden auszufüllen, verschrieb man Schauspieler und Schauspielerinnen. Man sorgte dafür, daß unter diesen ein recht hübsches Mädgen war. Ein feiler niederträchtiger Cammerdiener mußte dem Fürsten oft von derselben reden – Mit einem Worte! man gesellte ihm eine Maitresse zu, und als er einmal Geschmack an diesem unschuldigen Vergnügen gefunden hatte, wurde bald jedes Jahr ein Kebsweib verabschiedet, und ein anderes angenommen. Die Finanzen litten dabey eben nicht, denn man zog die Summen, welche dieser fürstliche Aufwand erforderte, denen Dienern von ihrem Gehalte ab, welchen man zu groß fand.
Hierdurch änderte sich aber der Ton am Hofe gänzlich. Statt daß hier ehemals, wenigstens [136] äusserlich, Zucht und gute Sitte, zur Ehre und zum Glück der Herrschaft und des Landes, geherrscht hatten; so sprach itzt öffentlich jedermann von seinen Ausschweifungen. In der Stadt waren wenig vergnügte Ehen, und auf dem Schlosse war, bis auf den Küchenjungen, nicht Einer zu finden, der nicht geglaubt hätte, es gehöre zum guten Ton, eine Maitresse zu halten. Die arme Fürstinn verlohr, so wie man ihr nach und nach die Liebe ihres Herrn entzogen hatte, auch die Ehrerbiethung der Hofschranzen. Sie wurde sklavisch und schlecht behandelt; das liebe Weib grämte sich innigst, und fühlte ihr Unglück, ohne jedoch von den Ursachen dieser Veränderung unterrichtet zu seyn, denn niemand hatte die Bosheit oder den Muth, ihr etwas davon zu erzählen.
In diesen Umständen waren die Sachen, während des Krieges, geblieben, da der Fürst mehrentheils die Winterquartiere, nebst seinem Adjudanten, in seiner Residenz zubrachte, [137] und auf eben dem Fuße fand ich es auch noch, als ich mit ihm nach dem Frieden hinkam.
Ich habe vorher gesagt, daß ich durch des Adjudanten Hülfe in des Fürsten Dienst gekommen, und daß derselbe ein wackrer vernünftiger Mann war. Er gewann auch würklich in meinen Augen, je mehr ich ihn kennen lernte, wir schlossen bald eine Freundschaft, und es entstand eine Vertraulichkeit unter uns, die das Einzige war, welches das mir so ganz ungewöhnte Hofleben erträglich machte, denn der Fürst hatte mir einen Titel gegeben, der mich in den Stand setzte, am Hofe erscheinen zu können.
So klein nun das Höfgen war; so fehlte es doch nicht an Intriguen und Partheyen unter denen wenigen Leuten, aus welchen er bestand. Des Favoriten Anhang war indessen, wie man denken kann, der stärkste, und dieser sorgte dafür, daß jeder, der einige [138] vorzügliche Eigenschaften hatte, die ihn auszeichnen konnten, durch irgend eine Cabale fortgeschafft wurde, damit er nicht einst ihm gefährlich werden mögte. Die Fürstinn spielte dabey die unangenehmste Rolle, denn mit ihr wagte niemand es zu halten, ausser einer jungen unerfahrnen Cammerfrau, welche ihre einzige Freundinn war.
Den Adjudanten und mich schmerzte dieser Zustand des jungen Weibes. Wir sprachen oft davon, bemüheten uns, ihr wahre Ehrerbiethung und Zuneigung zu bezeugen, und ahndeten beyde nicht (so unerfahren waren wir in Hof-Intriguen!), daß das einst traurige Folgen für uns haben könnte, oder daß der Herr Favorit schon längst gern uns eine Schlinge gelegt hätte. Dieser schien im Gegentheil sich unserer äusserlich vorzüglich anzunehmen, und verschaffte uns auch alle Gelegenheit, uns bey der Fürstinn in Gunst zu setzen, weil er voraussah, was folgen würde.
[139] Unterdessen fieng ich an zu merken, daß meines Freundes und der Fürstinn Herzen mehr als bloße Achtung für einander empfanden, doch wagte ich es nicht, gegen ihn etwas davon zu äussern. Aber leider! entspann sich bald unter ihnen ein Roman, in welchem die Cammerfrau die Vertraute war, und eher erfuhr ich nichts von der Sache, bis einmal der Adjudant voll Verzweiflung in mein Zimmer kam, und mir entdeckte, daß eine Creatur des Günstlings ihn bey einer geheimen Zusammenkunft überrascht habe.
Was war nun zu thun oder zu rathen? Der Favorit hatte itzt freylich die längst gewünschten Mittel in Händen, seinen Gegner zu stürzen, allein er war viel zu fein, um hier geradezu würksam zu werden. Er gebrauchte also allerley Mittel und Personen, die Sache noch verwirrter zu machen. Die arme Fürstinn wurde, selbst durch ihre unbesonnene Vertrauete, von den Ausschweifungen ihres Gemahls unterrichtet. Daraus entstand [140] natürlich Unzufriedenheit und Verwirrung, auch glaubte sie nun weniger Schonung gebrauchen zu dürfen, wodurch sie sich ihren wachsamen Feinden gänzlich in die Hände lieferte. Um aber diese Dinge nie zu einer Ausklärung kommen zu lassen, suchte man uns unter einander zu entzweyen, und als man das erlangt hatte, wurde dem Fürsten eine andre gefährliche Geschichte von einer Unternehmung erzählt, welche wir vorgehabt hätten, und in dieselbe jedermann mit eingeflochten, den man gern fortschaffen wollte. Weil wir nun nicht einig waren, nicht wußten, was man dem Fürsten gesagt hatte, und einige von uns nicht reine Sache hatten; so konnten wir keine Maaßregeln ergreifen, dem Gewitter auszuweichen. Alles brach auf einmal aus. Die Cammerfrau wurde in ein Kloster gesteckt, der Officier des Nachts in seinem Bette gefangen genommen, und der Himmel weiß wohin gebracht, ich aber, der ich gar nichts mit der Sache zu schaffen gehabt hatte, wurde noch vorher, unter dem [141] Vorwande eines Auftrags, nach Berlin geschickt, und fand dort einen Befehl, nie wieder zurückzukehren, noch mich zu vertheydigen.
Da hatte also der Favorit freyes Feld, und noch dabey gewonnen, indem itzt der Fürstinn Parthey, wenn sie ja dergleichen wieder gehabt hätte, nie gegen ihn, weil er das Geheimniß des Romans wußte, hätte handeln dürfen.
Ich war nunmehro wiederum aller Aussichten beraubt, unglücklich und angeklagt, ohne mich vertheydigen zu dürfen, nicht einmal gegen alle meine Freunde, um nicht unedel den Ruf eines Frauenzimmers blos zu geben. Ich schwieg daher lieber, ertrug ruhig alles, und lebte einige Wochen ganz still in Berlin, bis ich das Glück hatte, Sie, theuerster Wohlthäter! kennen zu lernen, der Sie mich, ohne einmal nach meiner Geschichte zu fragen, mit sich nach Urfstädt nahmen.
[142] Noch muß ich Ihnen sagen, daß, wie immer sonderbahre Begebenheiten mich treffen müssen, ich einmal ein kleines Capital in einer Lotterie gewonnen, und itzt in einer Handlung in Danzig stehen habe, wovon ich die Zinsen ziehe –
Da ist die Erzählung der Hauptbegebenheiten meines Lebens! Mögte das Schicksal endlich ermüden, sein Spiel mit mir zu haben! Ich bin in der That des Herumtreibens satt, und sehne mich nach Ruhe. Bey Ihnen, lieber Herr! werde ich diese Ruhe finden. Wenn die Erfüllung meiner Wünsche meinem Eifer entspricht; so bringe ich Ihnen nach einigen Jahren unsern jungen Zögling, durch Fleiß und Erfahrung zum Manne gebildet, in Ihr Haus zurück, und dann räumen Sie mir ein Cämmerchen in einem Ihrer Landhäuser ein, um den Rest meines Lebens in Bewundrung der Natur und Ergebenheit gegen den edlen Mann, der so viel Gutes um sich her schafft, hinzubringen.
[143] Herr Müller wird Ihnen die genaueren Umstände von uns mündlich sagen können, deswegen will ich diesen Brief nicht ohne Noth verlängern. Wir laufen fleissig, mit unsern Büchern unter dem Arm, aus einem Collegium ins andre, hören viel Gutes, aber auch viel sagen, das uns nie zu nichts nützen wird, da es nur erzählt wird, weil der Lehrer sich gewöhnt hat, es alle halbe Jahre vorzubringen, oder um seine Gelehrsamkeit zu zeigen, und hören viel nicht anführen, welches nöthiger für uns seyn würde – Doch, es ist nicht mein Beruf, Universitäten zu reformiren, und wenn ich das müßte; würde ich auch in der That Unrecht haben, bey Göttingen anzufangen.
Nur noch eine Bitte! Der junge Herr von Hundefeld hat uns ersucht, das Weinachtsfest auf dem Lande bey seinem Vater mit ihm zuzubringen. Ich halte es für ganz nützlich, den Herrn von Hohenau, nachdem ich ihm Cassell gezeigt habe, auch einmal wieder [144] ländliche Scenen sehen zu lassen. Also bitte ich gehorsamst um Ihre gnädige Erlaubniß zu dieser kleinen Reise. Geld haben wir. Man redet so viel von der Theurung in Göttingen, und man hat Unrecht. Wer anfangs schlecht mit seinem Wechsel Rath geschafft hat, muß freylich, wenn er hernach auf Credit lebt, sich hier jeden Betrug gefallen lassen, und wo ist das nicht? Aber ein ordentlicher Wirth kann ziemlich wohlfeil leben. Wir werden sicher bis Ostern auskommen. Ich verharre ehrerbiethigst,
Bester, theuerster Herr,
Ihr gehorsamst verbundener Diener,
Meyer.