[216] Die Sprüche

Distichen.

1.
Würdige Herren und Frau'n, was wir bescheidentlich bieten,
Beides, den Strauß und den Spruch, wollet ihr schonend empfahn!
2.
Tausende blühen der Blumen auf irdischer Flur. Doch die schönste
Blüht in Elysium bloß. Ruhe der Seelen, du bist's!
[217] 3.
Nimm die Myrthe! Sie mahnt an die süßeste Stunde des Lebens.
An die erhabenste mahnt, ernste Zypresse, dein Grün!
4.
Rose der Liebe, du bist auch die Rose des Schweigens. Zu roh ist
Jener das irdische Wort. Lieber erstummt sie und stirbt!
5.
Rosenknospe, du mögst ausblühn dein flüchtiges Daseyn,
Weder entblättert vom Sturm, weder versengt von dem Strahl!
[218] 6.
Ros' und Myrthe gepaart, Sinnbild des Schönsten im Leben,
Dir, holdseliges Kind, bringen wir ahnend es dar.
7.
Ernstes Wintergrün, dich gesell' ich zur Myrthe der Jugend.
Ernst sey die Jugend und froh; munter das Alter und frisch!
8.
Wo ist das Paradies? Wo die Unschuld scherzt mit der Freude;
Fremd blieb Eitelkeit noch, fremd noch die Lüsternheit ihr.
[219] 9.
Inseln der Seligen, weis't zu euch hin nicht Charte, nicht Compaß? ...
Suche die Insel, die dir weiset die Nadel der Brust!
10.
Ringle dich, bräutliches Grün, um die seidenen Locken der Freundinn!
Flüster' ihr traulichen Gruß leis' in das lauschende Ohr!
11.
Liebliches Kind, nimm hin den Strauß, der Süßes dir weissagt!
Wird er zur Mumie einst, haucht er Erinn'rung dir zu.
[220] 12.
Manchen duftenden Strauß hab' ich gewunden. Verwelkt sind
Alle. Was Wunder! Verwelkt doch auch die Hand, die sie wand!
13.
»Sag' an, Mädchen, wie heißt du?« ... Glyzerion! ... »Also aus Paphos!« ...
Meinst du, Gewächse wie wir wüchsen auf Paphos allein?
14.
Vormals wandelt' ich frei auf dem meerumflossenen Eiland;
Greifswalds steinerner Ring hält mich gefangen seitdem.
[221] 15.
Rauh ist das Clima. Der Nord bläst barsch. Eis decket das Erdreich.
Aber Arkadien grünt auch in Siberien fort.
16.
Veilchen Athens, euch sucht' ich umsonst, euch, Rosen von Rhodos!
Moos und Ranken und Gras, Anders beschert nicht der Nord.
17.
»Sind die Blumen dir feil? Sag' an, wie theuer die Sträußer?«
Was mir umsonst aufsproß, spend' ich, wie billig, umsonst.
[222] 18.
»Aber, Glyzerion, sprich: Woher dir die Sprüch' und die Sträußer?« ...
Einerlei Heimath erzog Blumen und Zeilen und mich!
19.
»Sag' an, Mägdlein, wie alt du sey'st?« ... Wie jung, magst du fragen!
Denkt an das Alter doch nur, welchen das Alter schon drückt!
20.
»Aber Glyzerion sprich: wie heißt dein Trauter?« ... Mein Trauter
Heißt, wie die Mutter ihn hieß. Frage sie, falls du sie triffst!
[223] 21.
»Deine Blumen verschenkst du wie Nichts! Wem schenkst du dich selbst dann ...«
Schwerlich dem, der da fragt! Zarteren spar' ich den Preis.
22.
»Brachte die Mutter noch mehr so kluge Kinder dem Vater?« ...
Hätte sie dich ihm gebracht, wehe dem Trefflichen dann!
23.
»Ei der Tausend! So jung und schon so schnippisch?« ... Natürlich!
Wie ihr die Saite berührt, tönt's aus der Saite zurück.
[224] 24.
»Also Musarion! Sage Musarion: Warst du in Delphi?« ...
Hättest du etwa den Gott etwas zu fragen, mein Freund?
25.
»Ob wol der Lorbeer noch wächst am Altar des Delphischen Gottes?« ...
Freilich noch wächst er und grünt. Hier ist die Probe davon!
26.
Dahne, von Phöbos verfolgt, ward Lorbeer. Mag denn der Lorbeer
Sinnbild heiliger Zucht, sträubender Tugend uns seyn!
[225] 27.
Wer hat Dichtern allein den Lorbeer vermacht? Wer den Helden?
Keinem der bieder und brav, werde verweigert der Kranz!
28.
O der erlesenen Lust, kranzwürdige Stirnen zu kränzen!
Sorgt für die Stirnen, ihr Herr'n, und wir besorgen den Kranz.
29.
Anderen dienet zu Anderm Dasselbige. Dient nicht der Lorbeer
Diesem zum Kranze des Ruhms? Jenem zur Würze der Wurst?
[226] 30.
Sage, was schmeichelt dem Ohr am süßesten? Wenn der Geliebte
Dich lobt? oder wenn ihn preisen die Edlern im Volk.
31.
»Aber woher dir der Name, Musarion?« ... Freund, von der Muse
Leiten die Braven ihn ab, aber die Schlaffen vomMuß.
32.
»Sage, Musarion, welcher der Musen du hold seyst vor allen?«
Allen bin ich's; doch der Preis bleibet,Terpsichore, dir!
[227] 33.
»Rechts Glyzerion; Links Musarion! Weß ist die Mitte?« ...
Freund, bist du Kalokagath, magst du der Mittelste seyn! ...
34.
Gruß und Strauß sey gebracht Musarions wackerm Piloten,
Der in den Port sie geführt, Stürmen und Klippen zu Trutz!
35.
Gruß und Dank sey gezollt Glyzerions mannlichem Ritter,
Welcher sie barg in der Burg, Riesen und Zaubrern zu Trutz!
[228] 36.
Trefflicher Meister, gegrüßt und gemahnt zugleich an den Freitag
Mögest du seyn durch den Strauß, den dir die Schülerinn wand!
37.
Dichtkunst, sey uns gegrüßt, Hochheilige, Himmelgeborne!
Ewig doch bleibet Barbar, wer nicht der Göttlichen lauscht!
38.
»Alle Neune!« so brüllt's durch die Stadt von Dämm'rung zu Dämm'rung,
Aber die Musen nicht, Freund, gilt es! Die Regel nur gilt's!
[229] 39.
Dichtkunst stritt um den Rang mit der Tonkunst. Schwestern versöhnt euch!
Mag doch das Herz nicht den Geist missen, der Geist nicht das Herz.
40.
Aepfel verlangt ihr von mir? Nichts hab' ich zu schaffen mit Aepfeln!
Schwer hat Eva um sie, schwer auch Helena gebüßt.
41.
Eva, verziehn sey dein Raub! Ward doch von den Söhnen der Weisheit
Rein ausgeplündert der Baum, den mir Sanct Niklas beschert!
[230] 42.
Zweierlei Menschen nur giebts: Philister und Bursch! Zum Philister
Wird wol der Bursch, doch nie aus dem Philister ein Bursch.
43.
Warum, o Zeus, hast du dem Sommer Flügel gegeben?
Krücken dagegen bekam, Barscher, der Winter von dir!
44.
Hab' ich umsonst doch genäßt den Saum! Schneeglöckchen zu finden
Hofft' ich. Der Flocken genug fand ich, der Glöckchen nicht eins.
[231] 45.
Ausgeglitscht bin ich auf dem Glatteis. Spottet nur Schwestern!
Hink' ich ein bischen seitdem, hink' ich mit Grazie doch!
46.
Nehmt euch, ihr Schwestern, in Acht! Leicht gleitet sichs aus auf der Gleitbahn.
Manche, berückt durch das Eis, hatte zum Schaden den Spott.
47.
Heut' Nacht träumt' ich, ich säß in den Lustanlagen mit Jemand.
Jähling erwacht' ich, und laut heulte der Sturm um das Dach.
[232] 48.
Sage doch, ob du nicht jüngst in den Lustanlagen gewesen?
Knospet das Geisblatt schon? Rötheln die Haseln noch nicht?
49.
Was ich mir wünschte? ... Daß Sommer es wär', und wir beide spazierten
Traulich entlang den Wall, kosend von diesem und dem!
50.
Herzlich verlangt mich zu stehn auf dem lindenumrungenen Erdwall
Und in des Abendroths heilige Flammen zu schau'n!
[233] 51.
Lau war die Nacht. Die Luft voll Veilduft. Nachtigallwirbel
Schlug fernher. Hoch auf seufzt' ich und ... hatte geträumt!
52.
Hast du die Schwäne gesehn? Sie trugen zu Neste. Sie theilten
Treulich die Lust und die Last. Sieben schon wurden aus zween.
53.
Halme hab' ich geknüpft mit Absicht, end- und erfolglos.
Nun ich bewußtlos es that, sieh! da gerieth mir der Kranz.
[234] 54.
Hast du um Ja und um Nein wol eh' befragt das Orakel?
Traue dem Tückischen nicht! Böslich hat mich es berückt.
55.
Gerne spaziert' ich einmal in den Lustanlagen. Nun macht mir
Grauen der Minotaur, welcher die Gänge durchstampft.
56.
Laß doch sehen zuvor, ob auch das Gatter gesperrt sey!
Nicht gern siehet man ja in den April sich geschickt.
[235] 57.
Jüngst noch wagt' ich zu nah'n dem bezauberten Park. Doch es stiebte!
Und vor der Nase sofort schlug man die Pforte mir zu.
58.
»Unsere Pflanzungen sind zum Beschau'n nur, nicht zum Betasten!« ...
Aber beriechen, ihr Herr'n, darf man die Pflanzen doch wohl!
59.
Und ein Gebot ging aus vom Kaiser Augustus: »Beschau'n nur
Dürft ihr, bei namhafter Pön, was Wir großmächtig gepflanzt!«
[236] 60.
Lustzuwandeln, ihr Herr'n in eurer Pflanzung, verdreußt uns!
Schleicht doch der Zerberus stets hinter den Wandelnden her!
61.
Kochet nur immer den Kohl mit den diktatorischen Tafeln!
Gilt doch Dekalogos nicht, Dodekadeltos nicht mehr!
62.
Sey mir gepriesen, Natur, mildherzige, freundliche Feie,
Die du dem Wandelnden gern Rasen und Blumen vergönnst!
[237] 63.
Hunden verwehrt ihr mit Recht zu eurem Prater den Zutritt.
Eins noch mangelt, daß ihr ihn auch den Mücken verwehrt!
64.
Zweierlei ist mir verhaßt in deinen Gassen, o Greifswald:
Bettlergewinsel des Tags! Hundegebelfer des Nachts!
65.
Christlich glaubt' ich die Stadt. Doch das Saturnal der Neujahrsnacht
Hat mich ein Anders gelehrt; Heiden noch sind wir, wie sonst.
[238] 66.
Unsre Beleuchtung! Gewiß, zu loben ist höchlich die Anstalt.
Wird man des Dunkels doch nun mittelst des Scheines gewahr!
67.
Distichen streu'ten wir aus, wie ihr seht, harmlose Gebilde.
Sind's Sternschnuppen doch nur, welche zersprühn im Entglühn!
68.
Wunderlich wird mir zu Muth in dem bunten beklemmenden Wirrwarr.
Dünk' ich mich doch ein Fantom unter Fantomen zu seyn!
[239] 69.
Lasset uns ländern, ihr Schwestern! Es ländert die Erd' um die Sonne,
Und um die Erde der Mond, und um das Zentrum das All.
70.
Bleibt mit dem Menuet, mit der Polonäse zu Hause!
Wirbelnder Walzer, nur dir hebt sich das deutsche Geblüt.
71.
Hört ihr die Sphärenmusik? Sie fordert zum Schleifer das All auf;
Und in dem rhythmischen Schwung walzen die Welten dahin.
[240] 72.
Krank bin ich, sterbenskrank! »Nun, was fehlt dir denn, Aermste?«.. Denkt nur,
Sitzen ließ mich Damöt. Sylvien bot er den Arm.
73.
Jungfrau mögt ihr uns grüßen, auch Fräulein, Mühmchen und Bäschen;
Kommt ihr uns mit der Mamsell, drehn wir den Rücken euch zu.
74.
Wohl war bündig das Blatt durchdacht, auch würdig geschrieben;
Aber sie haschten es weg, als es zu wirken begann.
[241] 75.
Wälschlinge mögt ihr begrüßen auf Wälsch, franzhaft die Verfranzten;
Uns, die wir deutsch, grüßt Deutsch, oder erspart euch den Gruß!
76.
Sterne zu schenken, gefiel in den Tagen Werthers und Siegwarts.
Dir sey der Diamant, Freund, aus der Krone geschenkt!
77.
Berenizens Haar, das schimmernde, strömende, blonde,
Schenkt' ich dir gerne, mein Schatz. Leider bedarf ich es selbst!
[242] 78.
Karls Herz, sieh, wie es blitzt aus des Aethers dunkelnder Tiefe!
Während es d'runten zerstäubt, funkelt es droben im Licht!
79.
Taube des Himmels, entschwebe den Höh'n! Das tröstende Oelblatt
Bringe dem lechzenden Freund! Fächl' ihm Kühlungen zu!
80.
Würdigster Denker, dir schenk' ich den Esel der himmlischen Krippe.
Buridans sprödes Dilemm werde durch ihn dir gelös't!
[243] 81.
Stehst du schon wieder und sinnst? Besinn' auf dich selber dich, Bester!
Seyn oder Nichtseyn gilt! Aber ich bin für das Seyn!
82.
Nacht deckt beiderlei Pol des irdischen Seyns. Und den Gleicher
Dämmert es. Lehre mich, Freund, wann es und wo es uns tagt!
83.
Immer noch rathschlagt ihr, wie der Staat am besten zu modeln?
Fragt nur die Frauen! Sie sind's, die sich verstehn auf den Staat.
[244] 84.
Alles vertreten die Herr'n, Bau'r, Bürger, Priester und Adel;
Uns, die ein jeder zertritt, leider vertritt uns kein Mensch.
85.
»Zeigt mir die Auster!« So sprach zu den rechtenden Parten der Gaugraf,
Theilte die Schalen genau, schmauste behaglich das Fleisch.
86.
Leget die Larven nur hin! Es bleibt die werthe Gesellschaft
Maskerade auch so! Maske ein jedes Gesicht.
[245] 87.
Lächerlich, daß ihr es wißt, sind eure Brillen mir. Wird doch
Weder versteckt durch sie, weder geschaut das Gesicht!
88.
Viel noch hätt' ich der Sprüch' im Vorrath. Aber die Sträußer
Gingen mir aus. So versiegt denn auch der Distichen Flut.
89.
Gaukelnde Rolle fahr' wohl! Satt hab' ich dich! Wahrheit und Einfalt,
Seyd mir gesegnet, zu euch kehr' ich verlangend zurück.

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TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. Die Sprüche der Sträusser-Mädchen. Die Sprüche. Die Sprüche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B6F2-B