Ludwig Gotthard Kosegarten
Jucunde
Eine ländliche Dichtung in fünf Eklogen

[7] Einladung

Kommt, holdselige Frau'n, in meinen sikelischen Garten,
Welchen für euch ich gepflanzt, welchen für euch ich gepflegt.
Freundliche Frauen und Fräulein, in meine bukolische Wirtschaft
Folgt mir gefällig; für euch ward sie beschickt und geschmückt.
Welches der Mägdlein mir hilft die Beete säubern und wässern,
Brav, wie Amalrich, sey solcher ein Freyer beschert!
Welche der Frau'n mit mir theilt des Haushalts Mühen; ihr sollen
Töchter, wie Thecla, so klug, fromm, wie Jucunde, gedeihn!
Welche der Frauen und Fräulein für meine Blumen und Beeren
[7]
Freundlich die Hand mir reicht, traulich die Wange mir beut,
Solche sey mir wie Thecla gerühmt, wie Jucunde gepriesen!
Solche soll der Gesang bis zu den Sternen erhöhn!
Alles thut ja um Gunst und Dank der Frauen der Dichter.
Männlicher Tadel und Lob kümmert nicht sonderlich ihn.
Euren Gerichtshof nur, holdselige Frauen, erkenn' ich;
Frauen richten gerecht über die Lieb' und das Lied.

[8] Erste Ekloge

Der Vorabend

[9][11]
»Freundlicher Bote, woher? und was bringst du uns Neues?« – »Ein Briefchen
Bring' ich an Jungfer Jucunden« – »Gewiß von der gütigen Pathinn,
Ganz gewiß von Fräulein von Thurn! So gieb denn, ich bitte,
Mir gieb, Lieber, den Brief. Nicht fern' ist die Schwester. In Garten
Sah ich sie gehn. Flugs lauf' ich ihr nach, und bring' ihr das Briefchen.«
Also das blühende Kind; und stand aufschauend. Nicht ungern
Reichte der Diener der Kleinen das Blatt. Sie ergrif es, sie hüpfte
Freudig davon, hielt hoch es empor, und als sie die Schwester
[11]
Kaum bey den Bohnen erblickt. – »Jucunde, liebe Jucunde,
Rief sie von weiten ihr zu, ich bringe dir Schönes. Ein Briefchen
Bring' ich von Thecla von Thurn. So laß nun hören, du Gute,
Ob auch die Pathinn mich grüßt, ob sie etwa mein noch gedenk ist.«
Lächelnd empfing aus des Mägdleins Hand die holde Jucunde,
Lächelnd entfaltete sie das zierlichgebrochene Briefchen,
Das nur wenige Zeilen enthielt: »Ich habe dich, Traute,
Ganz nothwendig zu sprechen. Ich will, wenn kühler der Tag wird,
Und das Gewitter, das fern in Süden gährt, nicht heraufkommt,
Unter dem Kreuzdorn seyn auf dem Hünenmaale. Verlangend
[12]
Werd' ich von dort nach dir ausschaun.« So schrieb es das Fräulein.
Aber Jucunde, zu Trost der still aufmerkenden Schwester,
Setzete eignes Geheißes hinzu: »Und daß du mir ja nicht
Thecla zu grüssen vergessest, das liebe Pathchen.« – Wohl wußt' ich,
Rief aufjauchzend die Kleine, »daß Thecla von Thurn mir noch gut ist.
Aber, Jucunde, du nimmst mich doch mit?« – »Recht gern, wenn der Vater
Dir es erlaubt, und der Schlaf.« – Und Thecla: »Leider, du Traute,
Hat mir noch jüngst der Schalk das Bischen Freude verkümmert,
Das mir der Vater gegönnt. Doch dißmal täusch' ich den Täuscher.«
Also das fröhliche Kind. Und länger nicht säumend, entsprang sie
[13]
Streifte den Garten entlang, die Libellen verfolgend, die schlanken
Schillernden, dunkel beschwingten, die hiehin gaukelnd und dorthin
Neckisch sie lockten von Beet zu Beet, von Hecke zu Hecke,
Bis sie ermüdet zuletzt abließ von der eitlen Verfolgung.
In ihr Gemach indeß schlich Theclens Schwester, in wenig
Herzlichen Zeilen versprach sie zu kommen der edelen Freundinn,
Siegelte dann und entließ nicht ungelabet den Boten.
Herzlich verlangte Jucunden, die Freundinn zu sehn; nicht wenig
Wunderte sie, was doch so Angelegnes und Heimlichs
Anzuvertraun das Fräulein ihr hab' in traulicher Dämmrung.
[14]
Aber noch hatte gar viel zu beschicken die wirthliche Jungfrau
Eh' ihr der Musse zu pflegen geziemt' und des heitern Spatziergangs,
Hatte noch manches zu wässern der Beet' im durstenden Garten,
Noch zu besorgen das Mahl den spatheimkehrenden Schnittern,
Noch zu warten des Vaters, des Schriftvertieften, dem oblag,
Morgen das Wort zweymal zu verkündigen; erst in der Kirche,
Draussen danächst am Gestade des Meers. So wollt' es die Sitte.
Auch auf den morgenden Tag, den Tag des Herrn und der Ruhe,
Hatte noch vieles zu richten die wirthschaftkundige Jungfrau.
Klüglich jedoch eintheilend die Zeit, die schnellen Minuten
Karg aussparend, gelang es dem haushaltkundigen Mägdlein
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Jegliches Ding zu thun in seiner gebührenden Ordnung.
Aber auch Thecla, bedacht, zu helfen der wirthlichen Schwester,
Eifrig bemüht, zu fördern den anmuthreichen Spatziergang,
Schafft' und rüstete viel; sie rannte hiehin und dorthin,
Lokte die Hühnchen herbey aus jeglichem Winkel des Hofes,
Fütterte sie freygebigen Wurfs, und als sie gesättigt,
Sperrte sie sorgsam sie ein, die Rückkehr fürchtend des Marders,
Der ihr noch jüngst die Glucke gewürgt mit den piependen Küchlein.
Als sie die Starke hierauf getränkt mit dem Stern auf der Stirne,
Blume nur ward sie genannt, und es gab sie Theclen der Vater,
Half sie der Schwester bereiten das Mahl; das zierliche Tischchen
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Deckte sie nett und behende; zur Linken für sich, für die Schwester
Rechter Hand; zu oberst, wie sichs gebührte, dem Vater,
Welcher gewahrend des Töchterchens Fleiß, manch kosendes Wörtchen
Zu ihr sprach, aufschauend vom Buch und die Wangen ihr streichelnd.
Aber die Stunden entflohn, wie geflügelt. Klopfenden Herzens
Schaute zum öftern Jucunde hinaus, ob etwa die Sonne
Hinter den Bergen bereits sich senkte des Bernsteineylands.
Bang aufathmend, befahrend das Schlimmere, schaute die Jungfrau
Oefter zum gährenden Süden hinab, sie wähnete mehrmals
Flimmen die Leuchtung zu sehn, fernher schon zu hören des Donners
[17]
Dumpfes Gerolle, der Freundinn und ihr verkümmernd die Freude.
Aber das Wetter verzog. Das Gewölk sank. Fern aus der See her
Hauchet' erquickendes Kühl. Von des Ostwind Athem gehoben,
Rauschte das Meer, und golden und roth ging unter die Sonne.
Alsbald ruhte die Sens'; es ruheten Rechen und Wiesbaum.
Losgeschirrt von der Arbeit Joch für heut und für morgen,
Kehrete fröhlichen Muths jetzt heim, was willig der Woche
Lasten getragen so früh als spat. Auch die Leute des Pfarrherrn,
Die ihm den Waizen gemäht auf dem Neubruch; drängenden Wuchses
Brauste die Saat, und es deckte das Schwad jetzt rings die Gebreite;
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Dies' auch kehreten heim nunmehr, und grüßten des Hauses
Rosige Töchter mit Sensengeklirr; die fröhlichen Dirnen
Brachten gewaltige Kränz', aus Träms' und Rade geflochten,
Wanden den sträubenden Mägdlein die furchtbar brennenden Kränze
Um den geschlanken Leib kreuzweis' und die blendenden Schultern.
Also geschmückt nun führten die Mägdlein die schäkernde Menge
Zum gastfreundlichen Tisch, den sie selbst mit reinlicher Leinwand
Sorgsam gedeckt, auch selbst mit der Speisen Fülle belastet.
Längst den Tischen nun saßen sie hin in geziemender Ordnung,
Falteten Sittig die Händ'; und nachdem der hütende Junge,
Wie es dem Jüngsten geziemt, das Aller Augen gesprochen,
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Schmauseten all' in behaglicher Muß'. Es neidete keiner
Um die Erquickung des Tranks und der Speise Labung den Andern.
Als das Gesinde besorgt nun war, und reichlich befriedigt,
Lud auch Thecla den Vater zum Mahl, und der gütige Vater
Setzete sich zum traulichen Tisch. Zur Rechten und Linken
Saßen die Töchterchen ihm, die Einzigen, welche von Sieben
Ihm das Verhängniß gespart. In des Lebens Knospe gebrochen,
Ruhten die Fünf im Ring des Kirchhofs. Zwischen den Fünfen
Ruhete, welche die Sieben gebahr. Das Leben der Jüngsten
Bracht' ihr den Tod vorzeitig. Des Mägdleins offenes Auge
[20]
Sahe die Sterbende noch, und schloß getröstet das Ihre.
Oft noch füllete sich seitdem das Auge des Vaters,
Wenn er das Kind ansah, das ihn so theuer gekostet;
Aber er liebt' es nicht minder darum. Er liebt' in Jucunden
Seiner Entschlafenen frühestes Pfand, in Thecla ihr Letztes.
Diese nun saßen vereint am gastlichen Tischchen. Umher war
Trauliche Dämmrung, erhellt vom abendröthlichen Schimmer.
Höher glüht' in dem rosigen Schein die Wange der Mägdlein;
Zwischen den Blühenden saß verklärteren Auges der Vater.
Manches sinnige Wort jetzt tauschten sie, manches gescherzte;
[21]
Nichts Unzeitigs; es pflegt' auch in des Scherzes Umhüllung
Ernstern Sinn der Vater zu bergen und freundliche Weisung.
Als nach genossenem Mahl von ungefähr nun der Blick ihm
Nieder auf Thecla sank, die da saß sinnend, begann er:
»Thecla, ich seh' es ihr an, trägt Heimliches tief im Gemüthe.
Schauet sie doch so sinnend hinab zum Busen; herauf dann
Blickt sie bedeuten nach mir! Sag' an, was hast du, mein Mädchen«?
Also der Vater. Und schnell sprang Thecla auf. Aus dem Schenktisch
Holte die Kleine das Körbchen hervor, das zierlich geflochtne,
Mit den erlesensten Kirschen gefüllt, den schwellendsten, reifsten,
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Welche sie sorgsam gebettet auf duftigen Blättern des Weinstocks.
Ernsthaft dann, in Händen das zierlich geflochtene Körbchen,
Trat sie heran und sprach die wohlerwogenen Worte.
»Diese sind dein, mein Vater! Es sind die Ersten des Bäumchens,
Welches der Gärtner für mich gepflanzt aus Juliusruhe.
Sorgsam hab' ich das Bäumchen gepflegt; ich habe die Käfer
Von den Blüthen geschüttelt mit Vorsicht, habe den Sperling
Emsig hinweg gescheucht von den reifenden Früchten. Nur wenig
Hab' ich mir selber zu kosten erlaubt. Die meisten und schönsten
Bring' ich, und bitte zugleich, du wollest Thecla vergönnen,
[23]
Mit Jucunden zu gehn gleich jetzt zum Hügel der Hünen.
Thecla von Thurn wird auch dort seyn. Sie hat es geschrieben.«
Also sprach sie, und reichte dem Vater das zierliche Körbchen
Sittig sich neigend; es sprach die scherzenden Worte der Vater;
»Hätt' ich doch nimmer gedacht, daß mein kaum lallendes Mägdlein
Schon auf Bestechungen sinnt, und süß bethörende Reden.
Ihrer mich zu erwehren, bekenn' ich für heute zu schwach mich.
Deine Kirschen, mein Kind, zusammt der zierlichen Rede
Sollen Gnade finden vor mir. Du magst mit Jucunden
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Gehen, wohin es geliebt ... Geht immer Kinder, und grüßt mir
Herzlich grüsset mir Thecla von Thurn, die klug ist und gütig.
Also der Vater; und froh der Vergünstigung, eilte die Kleine,
Abzuräumen sofort des Tisches schöne Geräthe,
Während der Vater hinaus vor die Thür trat, unter den Bäumen
Wandelnd im Abendkühl, zu pflegen frommer Betrachtung.
Aber Jucunde, nachdem sie die schönen Geräthe beseitigt,
Ging leistretend die Stuffen hinauf zum Zimmer des Vaters,
Rückte den Tisch ihm zurecht, und den weichgepolsterten Lehnstuhl,
Nahm vom Gesims vorsichtig die Bibel sodann, und das Psalmbuch,
[25]
Schlug in jener den Text ihm auf für den morgenden Sonntag,
Jenen vom Tauben und Stummen, den Jesus Christus geheilet.
Leise berührte der Herr das Ohr, und leise die Zung' ihm.
Hephata! seufzt' er; da wurde die Zung' ihm gelöset, die Ohren
Wurden ihm aufgethan. Er redete recht, und der Liebe
Leiseste Lispel vernahm er genau, wie das Rauschen des Sturmwinds.
Da sprach staunend das Volk: Wohl macht er alles; den Stummen
Machet er reden, und hören die Tauben«! – – Als nun Jucunde
Solchen erbaulichen Text dem Vater gesucht, das Gesangbuch
Neben die Bibel gelegt, und auch die Argandische Lamp' ihm
Angezündet, verließ sie mit Thecla die friedliche Wohnung,
[26]
Herzlich verlangend, die Freundin zu schaun auf dem Hügel der Vorzeit.
Mitten im Acker, unfern der Straß' und des schützenden Gatters,
Das von der Saat und dem Schwad abwehrt die Heerden des Dorfes,
Liegt, von hohem Getraid' umwogt, der Hügel der Hünen.
Mächtige Steine, die Trümmer des uranfänglichen Felsen,
Haben die Väter umher gethürmt zum Gedächtniß der Helden,
Welche schlafen im Schooß des Maals den eisernen Schlummer,
Nimmer vom Liede genannt, auch preis't sie keine der Sagen.
Alterndes Dorngebüsch, erwachsen zu mächtigen Stämmen,
Wuchert umher, auch schaut das Maal weit über das Blachfeld.
[27]
Westwärts dämmern die Berge der Bernsteininsel. In Osten
Blauet das Meer, besäumt von Jasmunds Riesengestaden.
Oed' ist die Gegend, die Stätt' einsam; die schauernde Stille
Wieget den sehnsuchtlechzenden Geist in ahnenden Tiefsinn.
Siehe nun schritten die Mägdlein daher auf der stäubenden Straße
Leicht gekleidet, jedoch, weil so gemahnet der Vater,
Hals und Busen gehüllt in des Shawls weichwärmende Falten.
Weit durch die Dunkelheit glänzten der Wandelnden weisse Gewande.
Dämmerung hüllt' umher die Landschaft gänzlich. Verblaßt schon
War in Westen das Roth. Aus des Aufgangs dichterem Dunste
[28]
Taucheten einzelne Stern' empor. Vließartige Wolken
Flecketen sparsam den lautern Lasur des erheiterten Himmels.
Grillengeschrill scholl rechts und links aus des thauenden Waizens
Güldnen Gebreiten. Es schritten behenderen Trittes die Mägdlein.
Sehnender schaute Jucunde hinab die schlängelnde Straße,
Hoffend, die Freundinn leuchten zu sehn aus der dunkelnden Ferne;
Aber das Feld war leer, und ausgestorben die Straße.
Eiliger nahte sie nun dem hüglichten Maale, vermuthend,
Unter den Büschen bereits zu finden die harrende Freundinn;
Aber das Maal war leer, das Rund der Steine verödet.
Unruhvoll, bangathmend betrat die sorgende Jungfrau
[29]
Eine der mächtigsten Trümmer und überschaute die Landschaft.
Dämmern wohl sah sie von fern der Freundinn prangende Wohnung,
Sahe die Fenster noch flimmern im sterbenden Schimmer des Spatroth;
Aber sie selber gewahrte sie nicht, die Erharrete; rings war
Oede das Land, das Gefild' einsam, entvölkert die Straßen.
Theclen indeß begann es zu graun in des schaurigen Rundes
Düsterem Schatten, der rings von den alternden Wipfeln herabfloß.
Aengstlicher schmiegte sie sich an die liebe Schwester. Erbarmend
Führte Jucunde die Kleine hinaus zum schaurigen Runde,
Nahm aus dem Beutel das Tuch, das seidene, wärmende, weite,
[30]
Breitet' es über das thauende Gras, und an Einem der Steine
Hingelehnt, saß nieder das Mägdlein; mütterlich sorgend,
Nahm sie das Kind auf den Schooß. Also von der liebenden Schwester
Schützendem Arm umschmiegt, am athmenden Busen erwarmend,
Schwatzte noch dieses und jenes das Mägdlein ... Stiller und stiller
Ward sie allmählich, und bald entschlief sie am Busen der Schwester.
Thecla schlief, und allein im unermeßlichen Weltall
Dauchte Jucunde sich jetzt. Zum sternebesäeten Himmel
Schaute sie sehnend empor; sie blickt' in die Ferne mit Wehmuth.
Rings war lauschendes Still. Es verstummten die Grillen. Die Winde
[31]
Hielten die Flügel gesenkt, den Kamm die Welle des Meeres.
Nun und dann nur erscholl fernher melodisches Tönen,
Aehnlich dem fremden Getön, das der Harf' aufbebenden Saiten
Streifend der Wind entlockt. Es waren die Stimmen der Schwäne,
Welche geschaart die Luft durchsegelten, ferne Gestade
Suchend, antwortend einander in zwiefach wechselnden Chören.
Wundersamlich ergriff Jucunden das fremde Getöne.
Auf brach jegliche Tiefe des unerforschten Gemüthes.
Dunkle Erinnrungen wehten sie an; auf Flügeln der Ahnung
Strebt' in die Ferne der Geist. Ein namenloses Verlangen
Hob ihr die athmende Brust, und Thränen näßten die Wimper,
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Süß und bitter zugleich. Da entquoll den Lippen des Mägdleins
Leiser Gesang, sanftklagend, geschluchzt fast mehr, denn gesungen.
»Siehe, wie schimmern die Augen der Nacht! Wie gleiten die Seelen
Durch das ätherische Blau luftig und leise dahin!
Horch, wie klingen die Stimmen herab aus dem lauteren Azur,
Sprechen vertraulich mich an, locken mich kosend hinweg.
Helle Gestalten, woher? Wohin ihr rufenden Stimmen
Lockt ihr das stille Gemüth, winkt ihr den sehnenden Geist?
Blüht vielleicht in dem röthlichen Duft die elysische Insel,
[33]
Die im Gesang uns entzückt, die uns in Träumen erscheint?
Hebet mich, schimmernde Wolken, und traget mich mit euch hinüber!
Senket mich leise hinab in das ambrosische Grün!
Löset mir, magische Stimmen, mit freundlichem Zauber die Seele,
Daß sie sich wiege mit euch in dem ätherischen Blau!
Einsam zu weilen in schauriger Nacht, in der Oede des Lebens,
Machet erstarren die Brust, lässet zerlechzen das Herz.«
Also erscholl der Gesang Jucundens. Und als nun der Töne
Letzter, vom schwellenden Seufzer erstickt, mühsam hervorquoll,
[34]
Fühlte sie schnell sich umfaßt von zwey umschlingenden Armen.
Thecla war es von Thurn. Sie war der staunenden Freundinn
Näher getreten, ihr unvermerkt im wachsenden Dunkel.
Froh aufschauernd umschloß Jucunde die Sehnlicherharrte,
Drückte sie fest an das schlagende Herz. – »Wie so ewiglich lange
Ließest du warten auf dich, Unartige! Wenig in Wohrheit
Fehlt, und ich zürn' auf dich.« – »So zürne denn, frommes Gemüthe!
Längst verlangt mich dein Zürnen zu sehn, lammartiges Mädchen.
Aber im Ernst, du trauest mir zu, daß mein nicht die Schuld sey.
Menschen, wie du sie nicht kennst, glattzüngig, zierlich, geschmeidig,
Hohl und leer, doch nimmer gewahrend der eigenen Leerheit,
[35]
Einzig vielmehr anbetend ihr Ich, Sich einzig die Sehnsucht
Jegliches Herzens wähnend, und jegliches Zirkels Entzücken;
Menschen, wie diese, mein Kind, unschön, unnütz, und unleidlich,
Haben mir Aermsten die Stunden verderbt von Mittag zu Abend,
Wechselnd mich folternd mit widerndem Schwulst, und platter Gemeinheit.
Zwar einsylbiger ward ich mit jeder Minute. Zum öftern
Sahen sie dann nach der Uhr mich schaun, dann nieder zur Sonne.
Gänzlich verstummt' ich zuletzt. Nun endlich merkten sie Unrath,
Setzten sich ein und rollten davon. Froh nun der Erlösung,
Eilt' ich sofort hieher, kaum hoffend, so spat dich zu finden.
Aber du bist mein gutes Kind ... Und das herzige Pathchen
[36]
Wie es so ruhig schläft in der schaurigen Nacht, in dem weiten
Freyen Gefilde so sicher und sanft, wie daheim in dem Bettchen!
Wie die Wangen ihr glühn und die quellenden Lippen! Ihr Athem
Weht süßschmeichelnd mich an, lau wie ein Lüftchen aus Süden.
Sonderbar wird mir zu Muth. Wohl ists ein rührender Anblick,
Schlummern zu sehn ein unschuldiges Kind, das nimmer gesündigt.
Gieb, Jucunde, das Kind, gieb mir es, Trauteste! Mich auch
Lüstert, zu haben was Liebes im Arm, in der Still' und im Dunkeln.«
Also sagte sie lächelnd, jedoch nicht sonder Erweichung,
Hob dann sachte das Kind von Jucundens Schooße. Noch sachter
[37]
Bettete sie's in den eigenen Schooß, und schirmet' es sorgsam
Gegen den Thau und das Kühl mit dem veilchenfarbigen Schleier.
Näher dann rückte Jucunde der Freundinn. Fest sie umschlingend,
Senkete sie das Haupt auf Theclens Schulter; es wurden
Theclens Wangen genäßt von der nassen Wange Jucundens.
»Was ist dies?« sprach Thecla, verbergend des Herzens Erweichung
Unter der Hülle des Scherzes. »Woher die Wange so naß dir,
Traute? ... Gewiß von den Dünsten der Nacht! Und das Ach, das so eben
Dir entfuhr, wohl wett' ich, es war nur verhaltenes Gähnen.
Meinst du, Unschuldige, dann, ich hätte, den weiblichen Vorwitz
[38]
Gar verläugnend, vorhin nicht gelauscht, derweil du so kläglich
Von der Verlassenheit sangst, und von dem sehnenden Herzen.
Nicht gesungen, geschluchzt war manche der Zeilen. Ich dachte,
Selbst schier weinen zu müssen, so traurig klang es im Dunkeln.
Heuchlerinn, sieh mich an, sieh grad' ins Gesicht mir. Nicht fein ist
Was auf dem Herzen uns drückt, der trauten Freundinn zu bergen.«
Ihr erwiederte drauf die sanfterröthende Jungfrau:
»Schwere Sünde fürwahr, und kaum verzeihliche wär' es,
Was auf dem Herzen uns drückt, verbergen zu wollen der Freundinn.
Etwas, ich muß es bekennen, beklemmt die Brust mir. Nur weiß ich
[39]
Selber nicht was, auch ist es, bey Lichte besehen, so wenig,
Daß ich mich schäme der Thorheit, und in verständlichen Ausdruck
Solche zu fassen, nur kaum mich getraue ... Jedoch du schriebst mir,
Liebe Thecla, du hättest mich ganz nothwendig zu sprechen.
Wenig besonders gleichwohl hab' ich vernommen bis itzund.
Sage denn, Liebe, was ist's? Was hast du mir Neues zu melden?«
Ihr erwiederte drauf das vielerfindende Fräulein:
»Mancherley Neues fürwahr, und manches Erhebliche trieb mich,
Liebliches Kind, so spat dich herzuladen. Das Erste,
Zwar Alltägliche dieses: In drey unendlichen Tagen
[40]
Hatt' ich mein liebliches Kind nicht gesehn. Das Andre: du sollst mich
Morgen besuchen im Tag', und zwar fein frühe, mein Mädchen,
Ehe die Schwüle die Wange dir bräunt, und das Wandern dir schwer wird.
Allerley wollen wir dann abhandeln, wollen zusammen
Speisen, so bald wir gespeist, an das Ufer fahren, uns dorten
Zum anbetenden Volke gesellen, die Predigt des Vaters
Fein andächtig vernehmen, sodann mit dem Vater und Theclen
Gen Arkona ziehn, vollendend dorten die Feyer.«
Ihr erwiederte drauf die kindlichgesinnete Jungfrau:
»Gern zwar, Traute, besucht' und geleitet' ich dich gen Arkona;
[41]
Aber allein ist der Vater, und mißt nicht gerne sein Mädchen.«
Ihr erwiederte drauf die vielersinnende Thecla:
»Dafür sorge du nicht! Du weißt, geliebte Jucunde,
Einen gewaltigen Stein hab' ich beym Vater im Brette.
Morgen, bevor du noch wach, eh noch die Kirche den Vater
Abruft, schreib' ich ein Briefchen an ihn, und alles ist richtig!«
Ihr erwiederte drauf des Pfarrers bescheidene Tochter:
»Liebe Thecla, du weißt, zur herrlichen Fey'r am Gestade
Pflegen sich Menschen zu sammeln aus jeglicher Ecke des Eylands.
[42]
Viel auch pflegen der Fremden, die etwa von ferne gekommen,
Nach vernommenem Wort bey den edelen Freunden des Landes
Einzusprechen, verschiebend zum morgenden Tage die Rückfahrt.
Viel auch fürcht' ich der Fremden, bey dir zu finden, und wenig
Wäre mir solches gewünscht, die ich fremd bin höfischer Sitte.«
Ihr erwiederte drauf die schalkhaftlächelnde Thecla:
»Wenige Fremde nur sind vermuthend, Liebe. Doch magst du
Immer ein wenig dich putzen. Denn einen Jüngling erwart' ich,
Welcher ist schön, vornehm, und ein Liebhaber der Mädchen.«
Ernst antwortete drauf des Pfarrers bescheidene Tochter:
[43]
»Desto schlimmer, du Arge! Du weißt es längstens, nur wenig
Kümmern die Jünglinge mich; am wenigsten jene, die vornehm
Frech in die Augen uns schaun, sich weidend an unsrer Beschämung.
Weg mit diesen! ... Doch wünscht' ich, du sagtest mir, wen du erwartest!«
»Meinen Amalrich erwart' ich!« erwiedert' erhöheter Seele,
So wie erhöheten Tons die edele Thecla. »Schon lange
Schmerzt mich, daß du Amalrich nicht kennst, noch Amalrich Jucunden.
Fromm ist mein Bruder und brav, wie einst die Ritter des Grabes;
Weich wie ein Weib, arglos wie ein Kind, wie ein Mägdlein so züchtig;
Liebenswürdig im Kreise der Liebenswürdigen; furchtbar
[44]
Aber im Zorn, der jedoch nur um das Recht ihm entbrennet,
Nur wenn es gilt, zu steuern dem Trotz, und zu schützen die Ohnmacht.
Doch das ist, was ich oft dir gesagt; wie könnt' ich Amalrich
Jemal nennen, daß nicht sein Lob verriethe die Schwester.
Schmerzlich hab' ich Amalrich gemißt. Erneuert schon viermal
Hat sich das Jahr. Wir hatten so eben erstanden das Gut hier,
Als uns Amalrich verließ, um wider die trotzigen Franken
Schirmen zu helfen die Gränze des Reichs, des Heiligen Deutschen
Zween Feldzüge nur that er; da schloß man den Frieden. Amalrich
Zog nun hin, das Volk zu beschaun, das Wiedergeborne,
Das zur Bewunderung bald, und bald uns nöthigt zum Abscheu:
[45]
Reisete dann die Insel zu sehn, die Herrinn der Wasser,
Welcher der Aufgang zollt, und welcher zinset der Abend.
Auch den Norden, den Aermern an Gold, an Tugend den Reichern,
Sah er, und sehnte sich dann zurück zu den Fluren der Heimath.
Wochen schon sind entflohn, seitdem er der schwedischen Hauptstadt
Prangende Holme verließ, zueilend der stilleren Heimath.
Widrige Winde nur haben bis jetzt ihm verzögert die Rückfahrt.
Lange kreuzt' er umher im Labyrinthe der Scheeren.
Länger noch hielt ihm der Süd das Schiff gefesselt an Gothlands
Kalkichtem Strand, am längsten die halcyonische Stille
In der Küsten Gesicht, der vaterländischen, welche
[46]
Immer vor Augen zu sehn, und nimmer beschreiten zu dürfen,
Ueber die Maße verdrießlich ihm war. Einmal nur, schreibt er,
Hab' er gewagt, und nur auf einzelne schnelle Minuten,
Auszusteigen am sandigen Strand des benachbarten Eylands,
Wo er bestanden ein Ebentheur, als schöneres, schreibt er,
Keines zuvor ihm begegnet in allen Landen und Meeren;
Welches? vertraut er mir nicht. Vorgestern endlich, und kaum nur
Hat er den Hafen erreicht, den vielgewünschten; und morgen,
Morgen, Jucunde, erwart' ich, ihn wieder zu haben, den lang' und
Schmerzlich Gemißten; ich hoff', ihn wieder zu haben auf lange ...
Dürft' ich sagen auf immer! Geläng' es, in Banden der Liebe
[47]
(Solche nur ängstigen nicht)! zu fesseln den freudigen Flüchtling.
Wahrlich, mich freut, Jucunde, daß mein Amalrich dich sehn wird.«
Also redetest du, Amalrichs trefliche Schwester,
Flammend die Seel' und erhöht die Stimm' im Lobe des Bruders.
Einfach aber versetzte des Pfarrers bescheidene Tochter:
»Höchlich erfreun fürwahr wird mich dein Glück. Auch verlangt mich,
Ich bekenn' es, zu sehn, ob dir dein Bruder wohl gleich sieht.«
Schnell erwiederte Thecla: »Nur wenig, liebe Jucunde,
[48]
Sieht er mir gleich. Sie sagen, es sey der verstorbenen Mutter
Mehnlich der Bruder, wie ich dem früh entschlafenen Vater.
Diesem, so sagen sie, dank' ich den Trotz, der in mancherley Prüfung
Wohl zu statten mir kam, und Ihr der Bruder die Güte.«
Also sprach sie, und setzte hinzu die herzlichen Worte:
»Liebe Jucunde, die Nacht ist so klar, auch schauen die Sterne
So aufrichtig herunter auf uns. Nicht länger vermag ich
Dir zu verhalten, was längst mir lauscht in der Tiefe des Herzens.
Höre denn, Kind, was mir ohnlängst der Bruder geschrieben.
Müde sey er zu opfern dem Schein, ein Sklave der Meinung;
[49]
Ueberdrüssig des lästigen Prunks, der die Seele verödet,
Und austrocknet das Herz, verlang' ihn, ledig des Hofzwangs,
Einzig allein sich selbst und des Menschen schlichter Bestimmung
Ruhig zu leben im Schooß der Natur. Zu so löblichem Vorsatz
Mög' ich behülflich ihm seyn, im Kreise meiner Gespielen
Ihm ein Mägdlein ersehn, ein Wackeres, dem es gelungen,
Wohl zu bewahren die Klarheit des Sinns, und die Heitre des Geistes,
Rein treu offen und wahr, einfältig, lauterlich, kindlich.
Glücklich, wenn solche vielleicht ihn würdig fände, den schmalen
Vielfachschlängelnden Pfad mit ihm durchs Leben zu wallen.
Theure Jucunde, die Nacht ist so ernst, es schauen die Sterne
[50]
Auf uns herab mitwissend; vernimm dann, wie ich es meine.
Keine noch kannt' ich und kenn' ich, die ihre Wahrheit und Unschuld
Also erhalten wie du, die den anspruchvollsten der Männer,
Welcher Amalrich nicht ist, wie du zu befriedigen taugte.
Möchtest du dann Jucunde mir helfen, den treflichen Flüchtling
Fest zu halten in Banden der Liebe für nun und für immer!«
Also redetest du, Amalrichs trefliche Schwester,
Angezündet den Blick, wie die Seel' im Glück des Geliebten.
Einfach aber versetzte des Pfarrers bescheidene Tochter:
»Viel zu geringe fürwahr, und zu arm an Gaben des Glückes
[51]
Wie der Natur ist Jucund', als daß sie des edeln Amalrich
Wünschen zu gnügen vermöcht', und zu lohnen solchem Verdienste.«
Also sprach sie; und fester umschlingend die edele Freundinn,
Raunte sie ihr in das innere Ohr die vertraulichen Worte:
»Theure Thecla, die Nacht ist so klar; es schauen die Sterne
Auf uns herab mitwissend. Ach ich vermag es nicht länger
Dir zu verbergen, was heimlich mir lauscht in der Tiefe des Herzens.
Höre denn, Traute, was jüngst in den Schlüften des Bernsteineylands
Wunderbarliches mir begegnet, und Nimmergeahntes.
Mit dem Vater, er liebt die Schlüft' und Berge der Insel,
[52]
Waren wir, Thecla und ich, hinübergeschiffet. Der Vater
Stand auf der Gipfel steilstem, und staunt' in des grollenden Meeres
Düstere Fluten hinab. Ich aber schwärmte mit Thecla
Fröhlich umher von Schluft zu Schluft, von Hügel zu Hügel,
Blumen sammelnd, und Kiesel, und vielfach schillernde Muscheln.
Endlich vom Wandern erschöpft und der Schwüle, wünschten wir sehnlich
Wider der Sonne Brand zu finden ein schirmendes Obdach.
Doch kein Obdach war zu erspähn, kein kühlender Schatten.
Trostlos irrten wir lang und schmachtend umher in der Wildniß;
Gar zu verschmachten befürchteten wir, als endlich ein Plätzchen
Uns erschien einladend; ein Thal in Mitten der Wildniß
[53]
Rings von stickelen Wänden umstarrt; in der Tiefe der Bergschluft
Säuselte lieblich ein Hain von jungen Tannen. Erquickend
Ueber die Maßen bedünkt' uns das frischere Grün und die Kühlung.
Und wir lagerten uns in das Gras in den Schatten der Tannen,
Wenig nur achtend den Harzgeruch und die klebrigten Nadeln,
Welche den Boden umher bedecketen. Thecla, der Kinder
Weise getreu, ertrug nicht lang das Sitzen. Sie irrte
Sonder Besorgniß umher im kleinen Reviere des Forstes,
Emsig sammelnd die Zapfen, die abgefallnen. Mit einmal
Hört' ich das Kind aufschrein. Ich schauet' um, und o Schrecken!
Hart vor der Kleinen, zu Füßen ihr, buntfarbig, geringelt
[54]
Lag, hochbäumend den Hals, mit Gezisch die Zunge bewegend,
Eine erschreckliche Natter, die fertig zum tödlichen Sprung schien.
Grauen ergriff mich, ich raffte mich auf, ich rannte, die Kleine,
Die das Entsetzen gelähmt, der Gefahr zu entreißen – als siehe
Hinter den Bäumen und hart in der Näh' ein Fremder hervortrat,
Hoch von Wuchs und schön von Gestalt und herrlich zu schauen;
Daß er ein Kriegsmann sey, verriethen die Bind' und die Schärpe.
Dieser gewahrte des Kindes Gefahr und die Tücke des Unthiers.
Eilig sprang er herzu, und mit dem Knopfe des Rohres
Traf er den gräßlichen Wurm auf den Kopf, der betäubt und gelähmt zwar
Niedertaumelt' alsbald, doch erst nach verdoppelten Streichen
[55]
Um sich zu haun abließ mit dem farbicht schillernden Schweife.
Freundlicher trat nun der Fremde heran. Die erschrockene Kleine
Nahm er in Arm, und schauet' ihr tief in das glänzende Auge.«
»Liebliches Kind,« so hört' ich ihn sprechen, und nimmer entfällt mir
Dieser Worte Musik, noch des Inhalts freundliche Meinung,
»Mög', holdseliges Kind, ein Retter nimmer dir mangeln,
Wenn einst giftigre Würme dir drohn als dieser.« Er sprach es,
Stockete plötzlich; ihm starb, so schien's, das Wort auf der Zunge.
Staunend sah er mich an mit verwundernden flammenden Blicken,
Schien wie untergegangen im wenig erwarteten Anschaun.
Plötzlich erscholl Getöne, wie Glockengeläut'. »Es ruft mich,«
[56]
Rief er erschüttert, »und ach! in des Lebens schönster Minute.
Wer du auch seyst, fahr wohl, fahr wohl, Lichtstrahl in der Wildniß« ...
Heftiger küßt' er die Kleine sodann. Doch lauter und lauter
Scholl das Geläut', und der Fremde verschwand. Das irdische Auge
Sah ihn nicht mehr, doch sieht ihn ewig das Auge des Geistes.
Immer noch seh' ich ihn stehn in seiner Hoheit und Güte,
Höre noch immer die helle Musik der erhabnen Begrüßung ...
Theure Thecla, das Loos ist mir gefallen. Jucunde
Liebet keinen hinfort. Denn wen sie zu lieben vermöchte,
Welcher allein in ihr geweckt, was Liebe die Menschen
Nennen, zerflossen in Dunst ist schnell das freundliche Luftbild.
[57]
Also bekannte der Freundinn die kindlichgesinnete Jungfrau,
Was sie zu innerst bis jetzt bewahrt in der Tiefe des Herzens.
Thecla die Rede bewundernd, die schmerzliche wenig geahnte,
Traurend, den Wunsch vereitelt zu sehn, den liebsten des Herzens
Zartbesorgt um Amalrichs Geschick und Jucundens Verhängniß,
Saß in Gedanken vertieft. In den unergründlichen Aether
Schaute sie staunend empor, in die Saat unzählbarer Sonnen.
Endlich ermannte sie sich, und sprach die fey'rlichen Worte:
»Rein ist dein Herz, Jucunde, dein Sinn, Geliebteste, kindlich.
[58]
Darum vertraue du dem, der durch unsichtbare Fäden
Seelen mit Seelen verknüpft, wie droben Sonnen mit Sonnen.«
Also sprach sie erhaben, und endete kosender: »Traute,
Laß jetzt heim uns gehn. Arktur ist hinab, und Fomahand's
Zitterndes Licht verkündet, daß nah' die Mitte der Nacht sey.«
Also sprach sie, versuchte sodann die schlafende Kleine,
Ungern zwar, doch drängte die Späte der Nacht, zu ermuntern.
Sanft sie schüttelnd, ins Ohr ihr raunend, den rosigen Mund ihr
Deckend mit glühendem Kuß, gelang es mit Noth ihr, dem Schlummer
[59]
Sie zu entreißen. Es schlug das Kind die trunkenen Augen
Träumend zum Himmel empor, erblickte die glänzenden Sterne,
Schauerte leis', und bog sich zurück zum Busen der Pathinn,
Welch' ihr süß zuredet': »Ermuntre dich, Thecla; nicht bleiben
Magst du in schauriger Nacht auf freiem Felde. Bereitet
Ist dir dein Bettchen daheim schneeweiß, weich, warm und gemächlich.«
Als es ihr endlich gelungen, das träumende Kind zu ermuntern,
Schieden die Mädchen, sich tröstend der morgenden Wiederumarmung.
Ostwärts wandte sich dies', und jen' in den Westen. Hinunter
Wandelte Thecla des Wegs einsam. Das taumelnde Mägdlein
[60]
Langsam leitend, das bange sich hüllt' in der Schwester Gewande,
Wallte Jucunde die Straße zurück zur friedlichen Wohnung.
Bald gewann sie das Gatter, unfern des Fliedergebüsches,
Tappte vorüber sodann die schlummernden Hütten des Dorfes;
Ueber den tückischen Rost des Kirchhofs hob sie behutsam
Schreitend die Schwester, betrat den pappelbeschatteten Kirchhof,
Schlüpfete leiseren Trittes vorüber der Mutter und Schwestern
Thauende Gräber; erreichte nunmehr die Pforte des Gartens,
Eilte die schattigen Gäng' hindurch, und stand vor der Wohnung.
Bleich noch blickte von oben herab die Lampe des Vaters,
Welchen noch wach erhielt die Betrachtung des Worts und die Sorge
[61]
Um die Kinder, die spatausbleibenden. Aber die Mägdlein
Unter die Fenster tretend, die dämmernden, riefen dem Vater
Gute Nacht! hinauf. Auch sprach noch Thecla: »Es läßt dich
Vielmal grüßen die Pathinn.« Da schaute zum offenen Fenster
Liebend der Vater herab, und sprach sanft: »Spat ist die Stunde.
Eilet nun, Kinder, und legt euch schlafen.« Sie eilten getröstet
In das entschlummerte Haus, verwahreten sorgsam die Thüren,
Gingen zur Küche, belebten mit mächtigem Hauche des Heerdes
Kaum noch glimmenden Brand, und, nachdem sie gezündet den Wachsstock,
Schlüpften sie in ihr Gemach, von Reseda duftend und Goldlack.

[62] Zweite Ekloge

Der Sonntag-Morgen

[63][65]
Und das Dunkel zerfloß. Ein wehender, glänzender Morgen
Folgt' auf die sternige Nacht. Aus den funkenstäubenden Fluten
Tauchet' entwölkt hervor und schimmerrollend die Sonne.
Freude wirbelnd begrüßte die Lerche den heiligen Sabbat,
Welcher gewünscht erschien den arbeitseligen Menschen,
Die von den Schweissen der Woch' erschöpft und den Lasten der Erndte
Länger heute der Ruh und des Schlummers pflegten. Auch wach noch
Dehnten sie wollustvoll auf hartem Pfühle die Glieder.
[65]
Du nur, Bothe des Herrn, ehrwürdiger Pfarrer von Medow,
Frühe geweckt von der inneren Glut, und dem mächtigen Drange,
Deine Brüder das Recht und die Pflicht zu lehren, den Lüstling
Aufzuschrecken vom geistigen Schlaf durch Sinai's Donner,
Gnade hingegen und Heil zu bieten der Buß' und dem Glauben,
Darzuhalten dem Wackern im Streit die Kron' und den Palmzweig;
Du nur standest bereits anbetungtrunken am Fenster.
Froh des gefristeten Seyns, umjauchzt vom Jubel der Frühe,
Athmend die Frisch' und den Duft des balsamhauchenden Gartens,
Lüstern schlürfend den flüssigen Strahl des geläuterten Aethers,
Standest du, hochaufschauend zum Vater des Lichts und des Lebens,
[66]
Flamm' im Auge, die Lippe geregt von betender Inbrunst.
Lang' schon stand betrachtend also der begeisterte Lehrer,
Anzustimmen gedacht' er so eben den preisenden Frühpsalm,
Siehe da trat wie die Frühe so frisch, wie der röthliche Morgen
Blühend, zur Thür herein sein erstgeborenes Mägdlein.
Blumen, so eben entblüht, von des Frühthau's Tropfen noch blinkend,
Brachte die fromme Tochter dem blumenliebenden Vater;
Goldlack, Heliotrop, duftströmende dunkle Levkojen,
Sprenklichte Nelken, geplatzt von der Blätter drängendem Reichthum.
Auch ein Röschen noch brachte sie ihm, erblüht in des Gartens
[67]
Tiefster Beschattung, da längst die Zeit der Rosen dahin war.
Lächelnd reichte die Blumen dem Vater die kindliche Jungfrau,
Welcher, nachdem er genommen den Strauß, und höchlich gelobet,
Also begann, unmuthig fast, doch mildernd die Stimme.
»Giebt es doch immer Verschwörungen nur, und geheimeren Anschlag,
Wenn zwey Mädchen die Köpfe zusammen stecken. Da hab' ich
Eben ein Briefchen empfangen von Fräulein von Thurn. Dich soll ich
Zu ihr senden, ihr lassen das Kind für den Tag und den Abend.
Viel verlangt fürwahr von dem hochgebietenden Fräulein!
Ungern miß ich dich, Kind, im Tempel des Ewigen, ungern
[68]
Nach dem eifrig verkündeten Wort am erheiternden Tischchen.
Aber was hilfts? Es bettelt so süß die Schmeichlerinn! Nimmer
Kann ich mich ihrer erwehren. So magst du denn gehen, Jucunde.
Aber fein frühe, mein Kind, und bevor man geläutet, auf daß nicht
Etwa das Volk, so von fern des Wegs herwandelt zur Kirche,
Schlendern dich sehe, dem Sabbat zu Trotz, auf offener Straße,
Dich, die Tochter des Pfarrers! Kein löblich Beyspiel in Wahrheit!«
Ihm antwortete drauf die kindlichgesinnete Jungfrau:
»Lieber Vater, vernimm mein Wort, und glaube der Rede.
Gern zwar weil' ich bey Thecla, der Weisen und Gütigen; nimmer
[69]
Scheid' ich von ihr, daß nicht mein Geist durchstrahlt von dem Ihren,
Nicht mir die Seel' erhöht, und das Herz mir gestillt und erquickt sey;
Dennoch verweil' ich am liebsten in deiner Nähe, mein Vater.
Ruht dein Aug' auf mir voll milden Ernstes, so dünk' ich
Mich von dem Auge beschirmt der sanft uns leitenden Vorsicht.
Seh' ich so starr zu Zeiten dich hinschaun, grad' als schautest
Ueber das Meer du hinaus zu fern aufdämmernden Ufern,
Siehe, so dünkt mich so klein die Welt; gering und verächtlich
Dünkt mich, was diesseits ist, und nur das Droben begehrbar.«
Ihr erwiederte drauf mit milderem Tone der Vater:
»Gehe denn, Kind, geh' immer! Und falls du auch lieber bey Thecla
[70]
Weiltest, als bey dem Vater, dem Ernstern; nimmer verdächt' ich
Solches dem jungen Gemüth; denn Gleiches gesellt sich zu Gleichem.
Wohl geziemet auch uns, die wir schon aus der Erde hinausschaun,
Euch, die ihr kaum noch die Schwelle der Lockenden lüstern beschrittet,
Willig uns nachzusetzen. Genossen doch wir auch das Unsre!
Gehe denn, gutes Kind, und grüße Theclen, und sag' ihr,
Daß ich sie sicher erwarte sammt dir in der Stunde der Feier,
Draußen im Tempel des Herrn, der nicht mit Händen gemacht ward,
Nicht nach der Schnur gestreckt, und nicht erhöht nach dem Lothe.
Gehe, mein Kind, und ordne zuvor, wie du pflegest, den Haushalt.«
[71]
Solches sagte der Vater. Behend' enteilte die Jungfrau,
Ordnete klüglich sofort den Haushalt; für das Gesinde
Hieß sie beschicken zuvor die Frühkost; auch für den Mittag
Sorgte sie treulich; und als sie es alles beschickt und bestellet,
Schlüpfte sie in ihr Gemach, von Reseda duftend und Goldlack,
Festlich sich anzuziehn, wie sichs gebührt für den Sonntag.
Aus dem geglätteten Schrank, der treu ihr die Kleider verwahrte,
Nahm sie heraus vorsichtig den lilienweißen Anzug,
Den ihr der Vater geschenkt zu ihrem jüngsten Geburtstag.
Solchen hatte sie selber mit Ranken der bräutlichen Myrte
[72]
Stickend besäumt, sie hatte geschmackvoll hiehin und dorthin
Einzelne Veilchen gestreut; die Kunst war höchlich zu loben.
Und nun hüllte behende die blühenden Glieder die Jungfrau
In das schöne Gewand, das, genau anliegend, in weiten
Wallungen niederfloß, den dunkeln Teppich erleuchtend.
Unter der Brust dann schürzte sie sich mit der glänzenden Schärpe,
Die ihr die Freundinn verehrt; aus veilchenfarbiger Seide
War sie gewürkt mit Gold, in goldenen Troddeln sich endend.
Dann umschlang sie den Hals mit dem güldenen Kettchen, von welchem
Niedergesenkt, die Brust ihr schmückte der Mutter Vermächtniß,
Ein bernsteinernes Kreuz, mit reinem Golde gerändelt.
[73]
Als sie die zierlichen Hände sodann und die schwellenden Arme
Fast bis zur Schulter hinauf gehüllt in die seidenen Handschuh,
Deren Violenglut zum lilienweißen Gewande
Schön abstach, ergriff sie den feingeflochtenen Spanhut,
Beides zur Zierde des Hauptes geformt, und zum Schutze der Wangen,
Welche das bräunliche Haar, von keiner Schlinge gezügelt,
Noch von des Weizens Blüthe bestäubt, in üppigen Ringeln
Weich, wie Seid umwallt', und wie Kastanie glänzend.
Also stand sonntäglich geschmückt die rosige Jungfrau,
Schlank von Wuchs, von Gestalt holdselig, edelen Anstands,
[74]
Sonder Tadel vom Wirbel des Haupts bis zur schwebenden Sohle.
Als vom Thurm nun so eben erscholl das erste Geläute,
Dachte Jucund' an des Vaters Gebot. Sie eilte; sie trat noch,
Eh' sie ihr stilles Gemach verließ, an das Bettchen der Schwester,
Welche in selbem Moment aus des Schlafs Betäubung emporkam.
Leise regte die Wimper das Kind, ihr zuckten die Lippen.
Hell auf schlug sie die Augen, die blauen glänzenden. Schimmernd
Sahe sie stehn die Schwester. »Jucunde, liebe Jucunde,
Rief sie ermuntert, du siehst ja so weiß und so schön wie ein Engel.
Sage, was hast du? was giebt es? ... Doch ich besinne mich. Sonntag
[75]
Ist es ja heut, und vielleicht schon Zeit, zur Kirche zu gehen;
Und ich liege noch hier und träume? So will ich denn eilig
Aufstehn, hurtig mich kleiden, und dich begleiten zur Kirche.«
Ihr antwortete drauf die festlich gekleidete Schwester:
»Nicht für heute, mein Kind, gedenk' ich zur Kirche zu gehen.
Ich gedenke zu wandern zur grünenden Juliusruhe.
Thecla von Thurn hat mich los vom Vater gebeten. Für diesmahl
Bleibst du zu Hause, du Gute, du nimmst mir den gütigen Vater
Eben in Acht, und verwahrst mir treulich die Schlüssel. Zu Mittag
Sehn wir uns wieder. Du fährst mit dem Vater an das Gestade.
[76]
Dorthin kommen auch Thecla und ich. Steh auf denn und kleide
Schnell dich an. Ich habe dein Zeug dir geholt, und es sauber
Ueber die Stühle gebreitet; dein rothes Kleid mit der Schärpe,
Welche zur Weihnacht dir die freundliche Pathinn verehrte;
Ferner das bastene Tuch, das zierlich befranzte; die grünen
Korduanenen Schuhe mit seidenen Bändern; die Handschuh,
Die bis zur Schulter dir reichen hinauf; den niedlichen Spanhut;
Alles hab' ich geholt, und zurecht dir geleget. So steh nun
Eilends auf, und kleide dich an; es hat schon geläutet.«
Also das Mägdlein und nahm von des Armstuhls Lehne den schweren
[77]
Seidnen azurnen Schawl, durchwirkt mit güldenen Sternen,
Den ihr zum heiligen Christ die Pathinn gesandt aus der Hauptstadt.
Solchen warf sie behend' um die Schultern, knüpfte die Enden
Unter der Brust, zog dann sie zurück, verschürzte zur Linken
Beide, den Leib umschlingend, in doppelter Schleife, daß tief noch
Niederwallten die Zipfel des unermeßlichen Schleiers.
Länger nicht säumend, verließ das vertrauliche Zimmer die Jungfrau
Eilend, jedoch zuvor zum Abschied küssend die Schwester.
Aber indem sie den Flur hinüber schlüpfte – gefegt war
Sauber und flammig der Flur, und bestreut mit Nadeln des Holders –
[78]
Sahe sie wandeln den Vater im fächelnden Schatten der Bäume,
Welche beschirmen das Haus vor dem Mittagsbrande der Sonne.
Höchlich ergötzte den Vater zu schaun sein blühendes Mägdlein,
Schlank von Wuchs, von Gestalt holdselig, edelen Anstands,
Sonder Tadel vom Wirbel des Haupts bis zur schwebenden Sohle.
Und es gefiel ihm, ans Herz ihr zu legen ein Wort der Vermahnung:
»Liebe Tochter, gewiß! du weißt, was kleidet und wohlsteht.
Köstlich bist du geschmückt mit güldenen Ketten und Spangen,
Mit vielfärbiger Seid' und glänzender Locken Geringel.
Nicht verdamm' ich es, Kind, den Leib zu zieren, den Gott schuf.
[79]
Aber entsinnst du dich auch, was der heilige Petrus im Ersten
Seiner Brief' uns schreibt, Anfangs des dritten Capitels?«
Lächelnd erwiederte drauf die kindlich gesinnete Jungfrau:
»Nicht entsinn' ich mich, Vater, was uns der heilige Petrus
Schreibt im Ersten der Brief' Anfangs des dritten Capitels,
Sey so gut und sag' es, damit auch die Tochter es wisse.«
Ihr antwortetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Medow:
»Also schreibt Sanct Peter im ersten der Brief' am dritten:
›Nicht auswendig allein mit güldenen Ketten und Spangen,
[80]
Nicht mit geflochtenem Haar und schön genähten Gewändern
Sey der Frauen Geschmuck. Der verborgene Mensch nur des Herzens,
Welcher ist stillen Sinns, einfältig, züchtig, zufrieden,
Dieser ist köstlich vor Gott. Mit solchem Geschmucke vor Alters
Haben geschmückt sich die heiligen Fraun der heiligen Männer,
Haben vertraut auf Gott, und die Männer Herren geheißen.‹«
Lächelnd erwiederte drauf die kindlich gesinnete Jungfrau:
»Lieber Vater, nicht hoff' ich, daß mich der fromme Apostel
Meine mit solchem Wort. Zu verschmähn die Gabe der Pathinn
Stände nicht schön, noch minder das Erbe der seligen Mutter.
[81]
Dennoch gelob' ich, so weit nur der Menschheit Schwäche verstattet,
Treu zu bewahren die Still' und Zucht des verborgenen Menschen,
Mich zu verlassen auf Gott, und die Männer Herren zu heißen.«
Also sprach sie, und sank an die Brust des gütigen Vaters,
Der an sein Herz sie druckte mit überwallender Liebe.
»Gehe, sprach er, mein Kind! mein Kleinod! Gut und verständig
Warst du und wirst du seyn. Ich weiß es« ... Und es entwand sich
Schluchzend den Armen des Vaters, des Tiefgerührten, die Jungfrau.
Als sich nun Beyde gefaßt, und der Vater die Tochter beurlaubt,
[82]
Schied sie von dannen, gewann die innere Pforte des Gartens,
Eilte die schattigen Gäng' entlang; durch die Pforte nach außen
Trat sie schauernd hinaus auf den pappelbeschatteten Kirchhof,
Sahe blinken den Thau auf der Gräber üppigem Graswuchs,
Schlüpfete grüßend vorüber die traulichen Hütten des Dorfes,
Kam zum knarrenden Gatter unfern des Fliedergebüsches,
Hob mühsam aus dem Ring das unbehülfliche Gatter,
Trat dann fröhlich hinaus in das unermeßliche Freye.
Gülden wallte zur Rechten des Wegs die Fülle des Waizens,
Silbern zur Linken die Kraft der weithin schimmernden Gerste.
Grillengeschwirr erscholl aus der Näh' und Ferne. Der Lerchen
[83]
Freudiges Wirbeln durchjauchzte die Luft. Fernher aus dem Aufgang
Tönte Gebrüll des Meers, erwühlt vom Athem des Ostwinds.
Fröhlicher schwebte Jucunde dahin; die geflügelte Ferse
Beugete kaum nur die Spitzen der nickenden Gräser; mit Wollust
Sog sie den Heiltrank ein des lebendigen Aethers; das Mägdlein
Wähnt' auf hebenden Wellen zu schreiten der Kraft und des Wohlseyns.
Jetzt erblickte Jucunde die Gipfel des alternden Maales;
Und sie gedachte der gestrigen Nacht, und der heißen Gespräche,
Die sie mit Thecla gewechselt, belauscht von den schweigenden Sternen.
Heimliches Bangen ergriff die Jungfrau; höheres Roth flog
[84]
An die Wangen, sie ging langsameren Schrittes; mit Unruh
Dachte sie schuldbewußt an die hellen Augen der Freundinn.
Aber es wanderten Leute desselbigen Weges; der Andacht
Wollten sie pflegen zu Medow, wie sichs geziemt für den Sonntag.
Höchlich befremdete diese die schöne Begegnung. Es staunten
Manche die Jungfrau an, und sprachen verwundernd; »Wo mag doch
Pfarrers Jucund' hingehn allein in der Frühe des Sonntags.«
Andre, welche vielleicht erst jüngst bezogen das Kirchspiel,
Fragten den Nachbar: »Wer ist doch diese, die schön wie die Engel
[85]
Und wie die Bräute geschmückt, die staubige Straße daher kömmt!«
Solchen erwiederte dann der kundige Nachbar: »Und kennt ihr
Pfarrers Jucunden nicht, die so gut und lieb ist, und freundlich
Gegen die Aermsten im Volk, und nicht hoffärtig im mindsten?«
Andere traten hinzu, und boten biederen Handschlag,
Sprachen auch wohl: »Mit Verlaub, wohin gedenkt doch die Jungfer!«
Solchen erwiederte dann die freundlich lächelnde Jungfrau:
»Lieben Freund', ich gedenk' in die grünende Juliusruhe.
[86]
Fräulein von Thurn hat mich losgebeten vom Vater. Zu Mittag
Wollen wir fahren ans Ufer, die Predigt zu hören. Ihr kommt doch
Auch, ihr Nachbarn. Ich dächt', ihr kämt! Bequem ist das Wetter.
Gern auch hat es der Vater, wenn Gottes Kirche sich anfüllt.«
Und die Rede gefiel den Wundernden. Höchlich sich freuend,
Daß schon heut' am Gestad' anhübe die Feyer, verhießen
Alle zu kommen, damit die Kirche Gottes gefüllt sey.
Höher wandelt' indessen die Sonn' und sengender schossen
Ihre Strahlen herab. Aus der dörfergattenden Straße
[87]
Wandte Jucunde sich rechts, um die grünende Juliusruhe,
Welche, von Bäumen umkränzt und labyrinthischen Gärten,
Kühlenden Schatten verhieß, des kürzeren Wegs zu gewinnen.
Sehnend schaute Jucund' umher, ob etwa die Freundinn
Ihr entgegen käm' in der Wohnung Nähe; doch einsam
Waren die Pfad' umher, und gar entvölkert die Landschaft.
Also trat sie, beklommen ein wenig und klopfenden Herzens,
Zur Thorfahrt hinein der grünenden Juliusruhe.
Siehe da stand auf dem bunten Gerüst, das weit in des Hofes
Raumigen Teich vorspringt, erhöht auf Säulen; auch hat man
Stufen gebaut in das Wasser hinab zur Wäsche der Leinwand;
[88]
Sieh' auf solchem Gerüst stand Thecla von Thurn, an des Weihers
Brüstung gelehnt, und schaut' in das fischdurchwimmelte Wasser.
Leis' auftretend, sich nahend dem Teich auf der Spitze der Zehen,
Schlich Jucunde hinan, und umschlang von hinten die Freundinn.
Froh aufschauernd, sofort die erwartete Freundinn erkennend,
Wandte sich Thecla und schaute mit liebeglänzenden Augen
In der Vertrauten entflammtes Gesicht. Die erröthende Jungfrau
Senkete zweifelnd den Blick, verbergend das glühende Antlitz
In der Freundinn Busen. Und Thecla sagte verschonend:
»Armes Kind, wie glüht von der Sonne Brand das Gesicht dir,
[89]
Und von des Gehns Erhitzung. So komm denn, Trauteste. Wehrt doch
Hie im offenen Hof kein Dach der Sonne noch Schatten.
Laß in den Garten uns gehn, in der Lauben grünende Kühlung.«
Arm geschlungen in Arm lustwandelten also die Mägdlein
Zwischen den Bäumen und Büschen des labyrinthischen Gartens.
Schön ist der Garten, ein Traum aus idealischen Welten
Niedergewallt, ergriffen mit sehnender Liebe, gehalten
Mit ausharrender Kraft, und ausgesprochen mit Anmuth.
Lange wallten verschlungenen Arms die liebenden Mägdlein
Zwischen den Hecken hinab, verlohren in süße Gespräche,
[90]
Ruheten dann und wann in der Lauben dunkler Umschattung,
Irreten jetzt im Gebüsch, von Orant duftend und Geisblatt,
Musterten jegliche Blume der weithin funkelnden Beete,
Stiegen die Rasenstufen hinab zum blinkenden runden
Binsenbewachsnen Bassin, sich freuend der Kühl' und der Frische;
Klommen die Warte hinan, die weitausschauende: düster
Blaut' in der Ferne das Meer, besäumt vom Silber der Dünen.
Wiederum stiegen die Mägdlein der Warte stickelen Abhang
Oft ausgleitend hinab. Und Jucunden gefiel es, die Insel
Jetzt zu besuchen, die stille, die heimliche; Pappeln bekränzen
Säuselnd des Eilands Rand; von des Gartens offnern Gefilden
[91]
Scheiden sie Graben und Wall. Alsbald beschritten die Mägdlein
Arm geschlungen in Arm die schöngebogene Brücke,
Und die Insel empfing sie, die Selige. Plötzlich vom Herzen
Lösete jegliche Bangigkeit sich. Das Toben der Pulse
Schwieg. Frey hob sich die Brust, und im Antlitz strahlte die Heitre.
Und es erwählten die Mägdlein, gekühlt vom Schatten der Pappeln
Niederzusitzen ins Gras, noch niederliegend von Theclens
Lieber Last; es war das Lieblingsplätzchen des Mädchens.
Aber Jucund', am Fuße des Baums im geschorenen Grase
[92]
Liegen sehend ein Buch, ein zierlich gebundnes, mit güldnem
Schnitte geschmückt, die Deckel gemarmelt purpurn und gülden,
Faßt' es behende, sich freuend, ein Werk zu finden von Göthe,
Oder dem Sänger des Wilhelm Tell. Mit lüsterner Neugier
Schlug sie es auf, und warf alsbald weit weg es mit Unmuth.
»Ziemt es auch, sprach sie verweisend, also zu täuschen die Einfalt,
Anzulocken das Aug' und die Hand mit des güldenen Schnittes
Leuchtendem Schein und dem Schimmer des purpurfärbigen Marmels.
Solchen Büchern fürwahr mit solchen verzweifelten Ziffern,
Welche zu deuten wohl kaum dem Pastor ziemt und Professor,
[93]
Welche wohl Gräber zu stöhren vermöchten und Geister zu bannen;
Solchen, bedünkt mich, genügte zu Deckeln die Schwarte des Ebers,
Von altmodischen Bildern umstarrt des Drachen und Lindwurm.«
Also sprach unwilligen Muths die kindliche Jungfrau,
Welcher Thecla sofort die scherzenden Worte zurückgab:
»Nicht zu sehr erzürne dich, Kind! Es dürfte dir schaden
Auf den Limonientrank, den du so eben genommen.
Uebrigens steht es nicht frei, was man nicht kennt noch verstehet,
Noch zu verstehen begehrt, so unbarmherzig zu richten.«
[94]
Ihr antwortete drauf die heiterlächelnde Jungfrau:
»Eben, daß du es verstehst, verdrießt mich, Thecla. Dich schämen
Solltest du solcher Gelehrtheit, die nicht den Mädchen geziemet.«
Drauf antwortete schnell und schalkhaft lächelnd das Fräulein:
»Also ziemte wohl gar Unwissenheit besser den Mädchen!«
Schnell antwortete drauf des Pfarrers bescheidene Tochter:
»Nicht Unwissenheit, Kind! doch auch nicht Männergelahrtheit.«
Ihr antwortetest du, Amalrichs trefliche Schwester:
[95]
»Liebe Jucunde, zu viel erzeigst du Theclen der Ehre,
Wenn du gelehrt sie wähnst gleich Pfarrern oder Professorn.
Nur für das Haus gehört, und nicht für Katheder und Kanzel,
Auch für das Schreibpult kaum das Wenige, was ich für mich nur,
Bruchstückweise nur, und nur gelegentlich lernte.
So auch dank' ich Amalrich und einem verdrießlichen Winter,
Welcher uns über Gebühr langweilte, das wenige Griechisch,
Was ich versteh', und was zu verstehn mich nimmer gereun wird.
Eines Genusses Quell hat so mein treflicher Bruder
Mir entsiegelt, der nimmer sich trübt und nimmer vertrocknet;
Hat mir den güldenen Schlüssel gereicht, der des Alterthums Schätze
[96]
Mir aufschleust, zurück mich führt in die kindliche Vorzeit,
Wo ein Mensch noch der Gott und Götter waren die Menschen.
Die Ziffern, mein Kind, einfach, sinnvoll und bedeutend,
Diese Züge, die dich, wie bannende Sprüche gemahnen,
Bannen uns wirklich den Geist der alten Weisen, den hohen,
Neinen, kräftigen, zarten, der, was er nur Schönes und Wahres
Ahnt' und schaut' und empfand, in diese Züge gesenkt hat.
Wüßt' ich, mein Kind, du entflöhst mir nicht voll Grauens, ich wollte
Dir zu deuten versuchen, was diese Züge verbergen.«
Also Thecla. Und schnell versetzte die kindliche Jungfrau,
[97]
»Laß doch hören, du Gute! Gewiß mich verlangt, zu vernehmen,
Ob solch heidnisches Buch, von den alten Griechen geschrieben,
Etwas enthält, was das Herz anspricht und erhebet die Seele.«
Willig gehorchte der Freundinn die edele Thecla. Vom Rasen
Nahm sie das glänzende Buch, des göttlichen Platon Gespräche,
Schlug es auf, und blättert', und fand das Gespräch, das mit Phädros
Sokrates führt, mit dem Schönen der Weisere. Aber Amalrich
Hatte die Schwester geübt, mit teutonischem Fittig der Hellas
Flug zu fliegen. So fort nun las sie dieses der Freundinn:
»Wahnsinn wäre die Liebe, so sagen sie, wähnen, nicht ärger
[98]
Schmähen zu können, als so, die Heilige; wenig bedenkend,
Daß nichts Edlers der Gott den Menschen gab, als den Wahnsinn.
Göttlichen Wahnsinns voll, gewährten Dodona's und Delphi's
Priesterinnen dem Volk der Hellas Rettung und Sühne,
Während sie nüchternen Muths ihm wenig frommten, und gar nicht.
Auch die Sybillen, und wer nur immer der göttlichen Mantik
Sich befliß, wahnsinnig nur haben sie Künftigs verkündigt.
Darum hieß auch den Alten Manie, was die Neueren klügelnd,
Aber nicht weiser darum, die Mantik nannten. Die Mantik
Stammt aus menschlicher Kunst, die Manie von den ewigen Göttern.
So viel trefflicher nun an Namen und Wesen der Götter
[99]
Gabe die Mantik ist, als die Oionistik der Menschen 1;
So viel vortrefflicher ist der gottabstammende Wahnsinn,
Als die menschliche Klugheit. Besessen vom Gott und begeistert,
Haben Propheten hinweggeweiht die Sünden der Väter,
Haben die Gottheit versöhnt, und die Eumeniden beschwichtigt.
Angehaucht von den Musen, umspielt von lieblichem Wahnsinn,
Haben die Dichter, die Menschen mit zarter und lauterer Seele,
Singend die Zeitgenossen entzückt und begeistert die Nachwelt.
[100]
Wer verwegen sich naht der Dichtkunst goldenem Thore,
Eiteler Regel vertrauend, ermangelnd göttlichen Wahnsinns,
Schaal bleibt dessen Gesang, er selbst ein Wörtler. Beschämt wird
Aller Besonnenen Kunst von der Poesie der Beseßnen.
Solches wissend erdulden wir gern, wenn das Volk uns des Wahnsinns
Zeiht. Nichts Edleres gab den Menschen der Gott als den Wahnsinn,
Keinen begeisterndern nicht von allen Arten des Wahnsinns,
Als des Deinigen heilige Wuth, hochheilige Liebe!«
Also las erhöheten Tons die edele Thecla,
Fügete dann hinzu, die sinnige Freundinn betrachtend:
»Aber du sitzest so träumend. Mich dünkt, du hörst nicht, Jucunde.«
[101]
Schnell antwortete, drauf das zartempfindende Mägdlein:
»Träum' ich, trauteste Thecla? Wohl macht mich träumen der Träumer!
Dennoch vernimmt, was er lallt, das innerste Ohr und bewahrt es.«
Ihr antwortetest du, Amalrichs treffliche Schwester:
»Höre nun weiter, vernehmend, was uns der begeisterte Träumer
Ueber der Seele Natur enthüllt und das Wesen der Liebe.«
»Seel' ist, was frey sich regt. Was sich frey regt, reget sich ewig.
Was der eignen Bewegung beraubt, durch andres bewegt wird,
Solches entsteht und vergeht. Was aber sich selber beweget,
[102]
Quell ist solches und Brunn des Bewegungslosern und Trägern;
Nimmer entstand es und wird nicht vergehn, ob die Welt auch verginge.
Fragst du, wo weilte die Seele, die nimmer gewordne, bevor sie
Sich zu dem Leibe gesellte, dem irdischen, sterblichen, trägen?
Droben im Reiche des Lichts, in dem überhimmlischen Orte,
Welchen kein Dichter bis jetzt nach Würden besungen, noch wird ihn
Einer nach Würden besingen; denn farblos ist er und formlos,
Nicht zu ersehn mit dem Auge, noch mit der Hand zu ertasten,
Nicht zu ergründen vom Sinn, wahrnehmbar allein und erkennbar
Dem anschauenden Geist. Dort wohnen die seligen Götter,
Unzugänglich dem Schmerz, und dem Tod und jeglicher Unruh
[103]
Dort auch wohnt mit den Göttern, was Gut, was Wahr und was Schön ist.
Dort auch wohnt' im Beginn die unvergängliche Seele,
Anschauns selig, sich weidend am Guten, Wahren und Schönen.
Aber es haben nicht alle die selige Stätte behauptet.
Niedergestürzt sind viel in die unterhimmlischen Orte,
Schleppen nun hier sich umher elend mit gebrochenem Fittig.«
Also las melodischen Tons die erhabene Thecla,
Fügete dann hinzu, die sinnige Freundinn betrachtend:
»Aber du träumst, Jucunde; du sinnst, wie es scheint, auf was anders.«
[104]
Schnell antwortete drauf das stillaufmerkende Mägdlein:
»Nicht auf was anderes sinn' ich. Versenkt mit Sinn und Gemüthe
Bin ich, du traust es mir zu, in die schönen Träume des Träumers.«
Drauf antwortetest du, des göttlichen Platon Vertraute:
»Höre denn weiter, vernehmend, was uns der begeisterte Seher
Tiefer noch offenbart vom Wesen der Seel' und der Liebe:«
»Auf dem geflügelten Wagen, ihn ziehn unsterbliche Rosse,
Fährt allwaltend daher der Vater der Götter und Menschen.
Auf dem geflügelten Wagen, auch ihn ziehn willige Renner,
[105]
Folgen dem Führer des himmlischen Zuges die übrigen Götter
Sämmtlich; Hestia allein, die Häusliche, wartet des Heerdes.
Auch die geflügelten Seelen begehren zu folgen ... Vergebens!
Denn zween Rosse sind ihnen geschirrt an den Wagen; das Eine
Willig und zahm und dem Zügel gehorsam; störrig das Andre,
Kollernd, sich bäumend, mit Noth gehorchend dem Zaum und der Geißel.
Jenes strebet nach Oben; nach Unten dränget das Andre.
Nach Ambrosia lüstert und Nektar Jenes, dem Andern
Rohern gelüstet allein nach der gröbern irdischen Speise.
Welche der Seelen nunmehr mit geschwungener Geißel, mit straffem
Zügel das wildere Roß nicht kräftiglich bändigt ... hinunter
[106]
Taumelt solche zuletzt, zerbricht die Flügel, und schleppt sich
Elend hinfort, dem Leibe gesellt, im Schlamm und im Staube.
Welche dagegen geläuterten Sinns und edlerer Art war,
Welch' am liebendsten hing an dem Wahren Guten und Schönen;
Solche fühlet hienieden sich fremd, gebehrdet sich seltsam,
Scheint wahnsinnig den Menschen, als der nicht gnügt das Gemeine.
Immer strebt sie nach Oben und stets in die Ferne; nicht eh' auch
Lernt sie sich selbst verstehn und ihres Sehnens Bedeutung,
Bis ihr das Schön' erscheint, des Urschöns irdisches Abbild.
Solches gewahrend, durchblitzt sie der vorigen Freuden Erinnrung.
Wieder erkennend das vormal Erschaut' im irdischen Abglanz,
[107]
Schaudert sie, stockt, besinnt sich, entbrennt für das Schöne, verfolgt es
Tag und Nacht, vergißt der Speis' und des Trankes, versäumet
Jegliche Pflicht des Bürgers, verschmähet die Ehr' und den Reichthum,
Einzig bedacht, im Schaum sich zu berauschen des Schönen,
Einzig befriedigt sich fühlend in dessen Näh' und Umarmung.
Denn, in des Schönen Bewundrung erwarmt und erweichend, beginnen
Sich zu erschliessen die Schalen, die hornigten, welche der Flügel
Knospen verhüllen; das Horn zerschmilzt allmälig; die Flügel
Schwellen und schossen und dehnen mit jedem Moment sich. Gewaltig
Schlägt sie die Seel' auseinander, und schwingt sich zurück zu des Urschöns
Anschaun, selig hinfort mit den ewigseligen Göttern.
[108]
Also entspringt von des Wahnsinns Arten die Heiligst' und Höchste;
Also erzeugt sich, was Eros, was Liebe nennen die Menschen,
Pteros, den mächtigen Flug ins Unendliche, nennen's die Götter 2
Also las mit erhöhetem Ton die edele Thecla,
Fügete dann hinzu, die sinnige Freundinn betrachtend:
»Wahrlich, Jucunde, du träumst und sinnst, wie es scheint, auf was anders!«
[109]
Ihr antwortete schnell die tiefempfindende Jungfrau:
»Ich auf was Anderes, Thecla? Gefangen den Sinn und die Seele
Hat mir die Rede des Sehers. Das dicke Dunkel erleuchtend,
Hat er das Wort gesprochen zu des Herzens heimlichsten Rätzeln.
Ja, ich kenn' ihn, den Schauder, den heiligen, wenn auf sich selber
Nun sich die träumende Seele besinnt. Ich empfand ihn; vom Auge
Rauschte die Decke, die Schalen zersprangen, mit Schmerzen empfand ich
Sprossen die geistigen Flügel, die mächtigen, die uns erstarkt einst
Aus der Verbannung tragen zurück zur glänzenden Heimath.«
Also sprach, nicht anders, als wäre sie selbst von dem Wahnsinn,
[110]
Welchen das Buch beschrieb, umspielt, die kindliche Jungfrau.
Aber bewundernd der Rede Gewalt, in die Tiefen des Herzens
Schauend der Zarten und Schönen, vermochte die edele Thecla
Kaum nur zu wehren der Thräne, der Heißhinstürzenden. Mühsam
Faßte sie sich, und sprach sodann die scherzenden Worte:
»Wenig hat es bedurft, zu meinen Büchern, Jucunde,
Dich zu bekehren, dich auszusöhnen mit meiner Gelahrtheit,
Und mit der Chifferschrift der alten Beschwörer. Ich dächte
Wirklich, mein Kind, du ließest den Campe hinfort und den Salzmann,
[111]
Kämest zu mir in die Schul' und triebst den Homer und den Platon.«
Also schwatzten vertraulich die Mägdlein; manches gescherzte,
Manches auch ernstere Wort sprach zu der Freundinn die Freundinn,
Bis der Bediente kam, zu Tische zu laden. Für diesmal
Wurde bei Zeiten gespeist. Es scheueten billig die Mägdlein,
Etwa die Letzten zu seyn bey der herrlichen Fey'r am Gestade.

Fußnoten

1 Manie, der Zustand des Außer sich Seyns, den wir Wahnsinn nennen. Mantik die Wissenschaft des Weissagens. Oionistik, derjenige Zweig der Mantik, der aus dem Vogelflug die Zukunft deutete.

2 Platon, wortspielend, wie auch Salomo, Baco, Ivo, Shakespear, Herder, Thorild es liebten, reimt bedeutend Eros, und Pteros; grade wie auch unsre Sprache das Sehnen mit dem Dehnen, das Schmachten mit dem Trachten, die Liebe mit dem Triebe reimt.

[112] Dritte Ekloge

Die Uferfeyer

[113][115]
Als nun der Speis' und des Tranks zur Gnüge genossen die Mägdlein,
Stiegen beyd' auf den Erker des wohlgebaueten Hauses,
An die Brüstung gelehnt des weit ausschauenden Erkers,
Blickten sie rings um sich, und lächelnd sagte das Fräulein:
»Fürchterlich braust die See, und die Wogen lärmen entsetzlich.
Fast besorg' ich, es möge gehemmt durch die zögernden Fähren
Heut' Amalrich nicht kommen. So hätte denn Jungfer Jucunde
Sich vergeblich geschmückt ...« Noch sprach sie die scherzenden Worte,
[115]
Als hersprengend mit Donnergetös' auf dem Pflaster der Hofflur
Rudger der Rüstige kam. Zween hochgehalsete Braune,
Weiß gestirnt und gehuft, stolzirten am zierlichen Wagen,
Welcher behend und leicht und nur zweisitzig, zur Lustfahrt
Diente bey heiterer Luft, und wohlgetrockneten Straßen.
Froh nun eilten die Mägdlein. Vom weitausschauenden Erker
Hüpften sie hurtig die Stufen hinab. Zur Schonung des Anzugs
Hüllten sie in Staubmäntel sich ein. Der Sonne zu wehren,
Knüpften sie über den Hüten die zartgewobenen Schleier,
Saftgrün, zierlich geblümt, sanftwehend im Athem des Windes.
[116]
Also geschürzt nun standen die Mägdlein fertig zur Abfahrt.
Thecla von Thurn jedoch, bedacht, nach gelabtem Gemüthe
Auch zu erlaben den Leib, den Immerbedürfenden, hieß noch
Reichlich die Lade des Wagens versehn mit mancherley Vorrath,
Welchen die Fülle des Gartens gewährt' und der Küch' und des Kellers.
Birnen, die früher gereift, und Kirschen, die später gezeitigt,
Brachte der Gärtner; es trug herbey manch würziges Backwerk
Künstlich gezackt und verschürzt die Schaffnerinn; auch von dem Heiltrank,
Welchen am Hoffnungs-Cap die tropische Sonne gekeltert,
Brachte der Kellner herbey zwey harzversiegelte Flaschen.
Alles hieß in die räumige Lad' einpacken das Fräulein,
[117]
Tüchtig verwahrt mit Heu, der Stöße Gewalt zu brechen.
Als sie hierauf noch dem Gärtner gemahnt, durch eilige Botschaft
Sie zu beschicken, wofern, zwar wider Vermuthen, Amalrich
Heimkomm', ehe sie selber vollendet die löbliche Betfahrt;
Als dis alles das Fräulein gebührend bedacht und geordnet,
Sprangen die Mägdlein behend' in den zierlichen Wagen; es schwang sich
Hurtig der Bursch auf den luftigen Sitz, und mit Donnergeprassel
Sprengete Rudger hinab den gepflasterten Hof, daß den Steinen
Funken entstoben, und hochauf rauschten die Mähnen der Braunen.
Hinter den Eilenden floh die grünende Juliusruhe
[118]
Weichend zurück, es floh zur Rechten und Linken das Blachfeld,
Rechts und links umwogt von der Goldflut reifender Saaten.
Aber nicht lang', und es fehlte des Eylands Boden. Am Saum nun
Rollten sie stäubend dahin des schöngebognen Gestades,
Welches sich mächtiger thürmt mit jeglicher launischen Krümmung.
Herrlich zu schaun war rings der Golf, und der Strand und die Dünen,
Voll das geraümige Becken des Golfs in jeder Umufrung.
Denn fernher aus dem Belt und dem Sund in das Becken des Golfes
Wälzte des Ostwinds Kraft die unendliche Fülle des Meeres,
Welches sich donnernd brach am ehernen Riff, daß die Brandung
Ueber sich schlagend in Schaum zergohr und der Dampf in die Luft stob.
[119]
Ueber der gährenden Tiefe, dem weitaufklaffenden Abgrund
Rollten die Mägdlein dahin auf dem unterhöleten Abhang,
Keine Gefahr besorgend, in süße Gespräche verloren.
Manche flogen vorüber der traulich winkenden Schlüfte,
Welche vom Schnee erwühlt, und des Frostes Strenge gespalten,
Aber anjetzt Werkstätten bereits des organischen Lebens,
Grünenden Grotten gleich einluden zur Ruh und Betrachtung,
Auch das gethürmte Maal, das Rund der gewaltigen Steine,
Wo die Väter vordem in des Meers Antlitz und des Himmels
Pflegten des Rechts und des Raths, verfehlte zu zögern die Betfahrt.
Vorwärts strebten die Renner. Vorüber in Wirbeln des Staubes
[120]
Flogen die Dörflein, die hart am Saume des rauschenden Meeres
Sicher schlummern, nicht achtend des nagenden Zahnes der Salzfluth,
Welcher hinab einst nagen sie wird in den gährenden Abgrund.
Links ab bogen die Rollenden jetzt vom gethürmten Gestade,
Lenkten ins Innre des Landes, gewannen das Thal, wo in lieblich
Grünenden Gründen ein Bach durch duftende Blumen die Flut rollt.
Kühe weiden umher; und im Hintergrunde des Thales,
Wo es ins Meer ausläuft, liegt traulich winkend die Vitte.
Rudger hielt. Rasch sprang von dem Bock der muntere Leibbursch
Niederzulassen den glänzenden Tritt. Und es eilten die Mägdlein,
[121]
Auszusteigen; erreicht war schon der Ort der Versammlung.
Viel schon waren der Hörer vereint. Von Wagen und Rossen
Starrte das Thal. Rings glänzten in weithin schimmernden Reihen
Rüstige Männer, geschaart mit festlich gekleideten Frauen.
Sorglos irrten die Einen umher in der grünenden Thalschluft,
Andere schauten herab von der Berge prangenden Gipfeln,
Viele ruhten gelagert ins Gras. Vor den Hütten des Dorfes
Saßen und standen, gewärtig des Worts, die friedlichen Hüttner.
Aber die Mädchen, dieweil noch nicht der Vater gekommen,
Wallten umher verschlungenen Arms in der grünenden Thalschluft,
[122]
Freundlich grüßend das Volk, das zur Rechten und Linken des Wegs stand.
Rechts und links wich ehrfurchtvoll die Menge den Mägdlein,
Huldigend willkührlos der Macht der Güt' und der Schönheit.
Leis' auch fragte wohl Einer, der etwa von ferne gekommen,
Um die Predigt zu hören, den Nachbar: »Sage, wer sind sie,
Die, wie die Bräute geschmückt, und so schön, wie die Engel, einhergehn?«
Solchem erwiederte dann der kundige Nachbar und sagte:
»Fräulein von Thurn ist die Eine, die Andere Pfarrers Jucunde,
Beyde gar lieb und gut und nicht hoffärtig im mindsten.«
[123]
Aber der Hüttner Einer, der Alternden, trat zu Jucunden
Lüpfte den Hut und entblößte die glänzende Glatze des Hauptes.
»Jungfer, sprach er, wo bleibt der Vater? Er wird doch gewiß auch
Kommen? Viel Volks ist da, und meine Wohnung bereitet.«
Ihm antwortete drauf des Pfarrers bescheidene Tochter:
»Guter Vater, beschämet mich nicht, und setzet den Hut auf.
Nicht von Hause für jetzt, von der grünenden Juliusruhe
Komm' ich; es hatte das Fräulein mich losgebeten vom Vater.
Aber gesund ist der Vater, und war entschlossen zu kommen,
Als ich ihn frühe verließ; auch hoff' ich sicher, er kömmt noch!«
[124]
Während die Jungfer noch sprach, erhub sich im Volk ein Gemurmel.
Alle schauten die Straße hinauf, die vom Berg in das Thal streicht.
Dann sprach Einer zum andern: Es kömmt der würdige Pfarrherr.
Und Jucunde vernahm es, und eilte mit Theclen, die Ersten
Zu begrüßen den Vater, den viel und sehnlich Erharrten.
Freundlich nickend begrüßte die freundlichen Mägdlein der Vater.
Laut auf jauchzete Thecla, die Pathinn und Schwester erblickend,
Breitet' entgegen die Arme den Vielgewünschten. Herbeyflog
Thecla die Aeltre und hob das niedliche Pathchen vom Wagen,
Das nicht ersättiget ward, zu herzen die Ein' und die Andre.
[125]
Und es sprach zu den Mägdlein, im Wagen noch weilend, der Vater:
»So ists recht, ihr Kinder! So lieb' ichs! Wackeren Mägdlein
Ziemt es, die Ersten zu seyn in der Kirch', und die Letzten im Tanzsaal.«
Ihm antwortete drauf die schalkhaft lächelnde Thecla:
»Frommer Vater, gar leicht ist so der Himmel erworben;
Immer versprech' ich, die Erste zu seyn in der Kirch', und im Tanzsaal
Immer die Letzte. Mich freut der Gesang, und des Wartens verdreust mich.«
Aber es trat zum Wagen der alternde Hüttner. Vom Haupte
Nahm er den Hut, und entblößte die silberfarbige Scheitel,
[126]
Sprach sodann treuherzig mit laut erschallendem Handschlag:
»Guten Tag, Herr Pastor! Ein feines gemächliches Wetter
Hat Ihm der liebe Gott beschert zur Predigt. Der Wind bläst
Ueber den Berg herüber. Auch ist viel Volk schon beisammen.«
Ihm antwortetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Medow:
»Guter Vater, bedeckt euch! Wir werden alt, und den Kindern
Müssen wir sparen die Väter. Das Wetter ist gut. Nur der Ostwind
Predigt wohl fast ein bischen zu laut. Doch freut mich, von Hörern
Wimmeln zu sehn die Kirche, die nicht mit Händen gemacht ist.
[127]
Doch wie lebt ihr? wie geht es der Frau? was machen die Kindlein?«
Ihm erwiederte drauf mit schlichten Worten der Hüttner:
»Komm' Er selbst, Herr Pastor, und seh' Er! Wir warten schon lange.«
Willig folgte dem Hüttner sodann der würdige Pfarrherr;
Thecla folgte von Thurn, und Jucund', und die jüngere Thecla.
Liebreich grüßte der Pfarrer zur Rechten und Linken. Mit Ehrfurcht
Grüßeten alle den Lehrer, den Vielgeliebten, der öfter
Still stand, diesem ein Wort zuraunt', und jenem die Hand bot,
Fleissig sich auch nach der Frau und lieben Kindern erkundet',
Auch nach dem Heringsfang, und dem nördlichen Sturm der den Fischern
[128]
Samstags Nacht entführt wohl funfzig Faden der Netze.
Also gelangten sie endlich zur engen Behausung des Hüttners.
Festlich geschmückt war diese; die Diele gefegt und gesandet,
Frisch geweißt mit der Kreid' Arkonens das trauliche Stübchen,
Rein gescheuert der sichtene Tisch, das ehliche Bette
Ueberbreitet mit Decken, geputzt die niedlichen Kindlein.
Blöde wandten die Kindlein sich weg von dem ernsteren Pfarrer,
Traueten kaum nur zu nahn den freundlich kosenden Mägdlein.
Als nun Jucunde den Vater geschmückt mit dem faltigen Chorrock
[129]
Als auch die Lieder der Küster auf schwarzer Tafel gekreidet,
Als auch der Wirth umsonst genöthigt zum stärkenden Schlückchen,
Zogen sie sämmtlich hinaus in Reih' und Glied, um in Andacht
Anzubeten den Herrn im grünenden Thal' am Gestade.
Thecla führte, geführt von des Pfarrherrn rosigen Töchtern;
Solchen folgte, vom Küster gefolgt, der würdige Pfarrherr;
Solchen folgten des Dorfs Einwohner, in Reih'n und in Gliedern,
Männer und Weiber und Kinder. Und was nur immer zerstreut sonst
Hiehin und dorthin irrt' im Dorf, im Thal', auf den Bergen,
Alles schloß es gesellig sich an in Reihen und Gliedern.
Schweigend wallte der Zug in das grünende Thal am Gestade,
[130]
Das von den Bergen umher sich senkend gemächlichen Abhangs
Ostwärts gegen das Dorf ausschaut, und gegen das Ufer.
Zwischen den Schaaren, die schon im Thal' erharrten des Lehrers,
Wand sich der Zug langsam hinan die steigende Bergwand.
Mitten im Thal', in der Nähe des heiligen Steins, auf des Abhangs
Halber Höhe, gebot der Lehrer zu setzen den Armstuhl,
Und es ordneten rings um ihn her sich die Schaaren der Hörer.
Schimmernd saßen zur Rechten die Reih'n der Frauen und Mägdlein,
Hohe und niedere, festlich geschmückt. Die rüstigen Männer
Standen zur Linken gedrängt. Wie am Tage der großen Versammlung,
Stand bey dem Herrn der Knecht, zunächst dem Ritter der Knappe,
[131]
Neben dem Jüngling der Greis, und hart am Reichen der Bettler.
Zwischen den Drängenden saß im Armstuhl sinnend der Lehrer.
Aber es hielt in die Runde des Dörfchens löblicher Schultheiß
Hoch die gekreidete Tafel empor, auf daß die Gemeinde
Schauen möchte die Nummer, und suchen im eigenen Buche.
Als nun jeder die Nummer gesehn und gesucht und gefunden,
Scholl der Gemeinde Gesang hinauf zum wölbenden Himmel
Voll, stark, prächtig, harmonisch; es scholl in den heiligen Chorpsalm
Laut die Posaune des Meers und des Sturms vielkehlige Orgel.
Also scholl der Gesang der Gemeind' im Thal' am Gestade:
[132]
Lob' o Seele den Herrn und du mein Innres, verkünd' ihn!
Lobe den Herrn und vergiß nie, was er Gutes dir that!
Deine Sünde vergiebt er, und heilt all deine Gebrechen,
Rettet dein Leben vom Tod, kränzt dich mit daurendem Heil,
Lehrt frohlocken dem Mund, verjüngt den Greis wie den Phönix,
Schafft dem Bedrängten im Volk strenges gerechtes Gericht.
Gut und gerecht ist der Herr, barmherzig, gnädig, geduldig,
Hadert nicht lange mit uns, heget nicht ewig den Zorn,
Nicht verfährt er mit uns, wie unsre Sünden verdienen,
[133]
Nicht vergilt er es uns, wenn wir ihm wehe gethan!
Sehet den Himmel! er ward hoch über der Erden erhöhet;
Höher noch waltet des Herrn Gnad', o ihr Frommen, ob euch.
Sehet den Osten! ihn trennt unermeßliche Ferne vom Westen;
Ferner noch trennt von uns Sünden und Strafen der Herr.
Wie sich ein Vater erbarmt der vielbedürftigen Kindlein,
Also erbarmt sich der Herr derer, die kindlich ihn scheun.
Denn er kennt das Geschöpf, das Er gemacht; er bedenket,
Daß wir Staub sind, daß er uns aus der Scholl' erschuf.
[134]
Wir sind Gras auf der Flur, sind Blumen im offenen Felde;
Hauchet der Wind uns an, sind wir auf immer dahin.
Aber von Ewigkeit währt zu Ewigkeit Gottes Erbarmen;
Nimmer ermangelt der Herr denen, die kindlich ihn scheun!
Unserer Kinder noch will er, der Kindeskinder gedenken,
Wenn wir getreulich den Bund halten, den er uns gebeut.
Schaut gen Himmel! im Himmel hat er den Stuhl sich bereitet;
Ueber Wasser und Land breitet den Scepter er aus.
Lobet den Herrn, ihr Engel, ihr Helden, die ihr geschürzt seyd,
[135]
Rings zu verbreiten sein Wort, stracks zu vollziehn sein Gebot.
Lobet den Herrn, des Herrn Heerschaaren, ihr dienenden Kräffte,
Die ihr den Willen des Herrn treulich und willig vollzieht.
Lobet den Herrn! des Herrn Kreaturen! Unendliches Weltall
Lobe den Herrn, der dich schuf! Lobet, o Seelen, den Herrn!
Also scholl der Gesang der versammelten Schaaren. Dazwischen
Tönt' erhaben die Hymne des Meers und des Sturmwinds Päan.
Aber als jetzt der Gesang erstummt' und Schweigen im Thal war,
[136]
Als von dem Sitz sich erhob der andachttrunkene Lehrer,
Als er gedrängt umher wahrnahm die lauschenden Schaaren,
Als er senkte den Blick zum Thal hinaus in den Osten,
Als er gewahrte die Hütten des Dorfs zerstreut in den Strandschlucht,
Ueber die Schlucht hinaus des Golf wildtobende Fluten,
Jenseit des tobenden Golf blaudämmernd Jasmund Gestade;
Als er schaut' umher die prangenden Häupter der Berge,
Ueber den Häuptern der prangenden Höhn des wölbenden Himmels
Lautern Lasur, durchflammt von der Sonn' unendlichem Glutball.
Als er vernahm zugleich das Rauschen der See, und der Brandung
Dumpfes Geläut, durchbrüllt vom Gewieher der Roß' und der Rinder ...
[137]
Schlug ihm das Herz in beklommner Brust. Es versagte die Kraft ihm,
Den zu loben, ein sündiger Mensch, mit lallender Zunge,
Welchen gewaltiger schon der erschütternde Psalm der Natur pries.
Doch er ermannte sich, und sprach die geflügelten Worte.
»Alles, was schön und gut, und was vollkommen hienieden,
Kommt von oben herab; es kommt vom Vater des Lichtes,
Welcher den Wechsel nicht kennt, noch des Lichtes Tausch mit dem Dunkel.«
Meine Kindlein, erwägt das Wort des hohen Apostels!
Schauet nach oben, ihr Lieben. Von oben nur kommt, was gut ist.
[138]
Was nur labt und erquickt, was erhellt und erhebt und erheitert,
Licht und Wärm', und Regen und Thau, und Leben und Athem,
Wahrheit und Freiheit und Heil, es kommt von oben! von oben!
Siehe nach oben schaut, was Trostes bedarf und Labsals.
Himmelan schreyt der verdurstende Hirsch vom vertrockneten Brunnquell,
Himmelempor brüllt schmachtend der Stier von verbrannter Steppe,
Himmelan hebt der geängstete Mensch die gebrochenen Augen,
Strecket die Händ' empor, sucht droben die Hülfe; denn droben
Wohnt der erbarmende Vater, des Lichtreichs Vater, bey welchem
Keine Veränderung ist, noch Wechsel des Lichts und des Dunkels.
[139]
Was ist so süß, wie das Licht! wie der Tag so gewünscht! so erquickend
Wie die erröthenden Schimmer im Ost! wenn träg und verdrossen
Nun das Dunkel entweicht, die Flur sich erhellt, aus dem Meere
Glanzreich, glorievoll die leuchtende Sonne hervortaucht.
Schimmernd liegt, thauperlend, wie wiedergeboren die Schöpfuug ...
Freundliches Licht, woher? ... Woher, ihr Kinder des Lichtes,
Als von oben? vom Vater des Lichts? von dem Seligen, welcher
Keine Veränderung kennt, noch den Wechsel des Lichts und des Dunkels!
»Wüst und leer war die Welt am Anfang. Brütend und wärmend
Webt' auf den Wassern der Geist des Herrn, und die Tiefe war finster.
[140]
Und Gott sprach erbarmend: Es werde Licht! und es ward Licht!«
Hoch auf sprang aus gediegener Nacht der ätherische Funke,
Regte das Herz des All, der Natur nie ruhendes Triebwerk.
Oben erglommen im lauteren Blau die Sonnen und Sterne;
Unten entbrannten im düsteren Schacht die Metall' und die Steine;
Oben und unten entspann der Farben fröhliches Spiel sich.
Goldgrün glänzte der Taube Hals, glutschimmernd das Mohnhaupt.
Jeglicher Grashalm trug den blinkenden Tropfen; in jedem
Brannte verjüngt das Bild der allumleuchtenden Sonne,
Die da ist selbst das versichtbarte Bild des verborgenen Vaters,
Welcher wohnet im Licht, das jeden Nahenden blendet.
[141]
»Alles, was schön und gut, und was vollkommen hienieden,
Kommt von oben, es kommt vom Vater des Lichtes, bey welchem
Keine Veränderung ist, noch Wechsel des Lichts und des Dunkels.«
Meine Kindlein, gedenkt an die edle Gabe des Lebens!
Edel ist diese fürwahr, und süß ist Seyn und Empfindung.
»Alles opfert der Mensch, auf daß er das Leben erlöse!« –
»Frommt' auch die Welt ihm wohl, wenn er einbüßte die Seele!« –
Diese Gabe woher? Woher das Leben? Woher sonst
Als von oben von ihm! vom Vater des Lichts und des Lebens!
Ihn verdroß des leeren Nichts, der schaurigen Oede!
[142]
Siehe da dehnte sein Herz sich aus in unendlicher Liebe.
Siehe der Raum gebar. Die Leere kreißte. Bevölkert
Ward im Moment das All mit lebenden lobenden Seelen.
Kannst du zählen den Sand der Dünen, die Tropfen des Weltmeers!
Also magst du auch zählen die Kreaturen des Schöpfers!
Siehe die Bienen des Einen Stocks; die Gewürme des Einen
Ameishaufens, die Motten nur Eines verwesenden Leichnams!
Siehe die Schwärme der Mücken am Sommerabend; der Fische
Nimmer zu zählende Züge, die fernher dir in das Netz fliehn.
Oben und unten und rings um dich her, wohin nicht das Auge
[143]
Dringt, die geschliffene Linse nicht reicht, nicht die Ahnung sich waget,
Schlagen die Herzen, und schwellen die Lungen, und athmen die Seelen.
Schau, auch das Sandkorn lebt! Auch im Tropfen wimmelts! Die Fäulnis
Selber gebiert, es erblüht aus ihr neugrünendes Leben ...
Fülle der Leben, woher? Woher, als von oben, vom Urquell
Jegliches Guts, und jegliches Schön's, und jegliches Labsals?
»Alles, was gut und schön und was vollkommen hienieden,
Kommt von oben herab! es kommt vom Vater des Lichtes,
Welcher den Wechsel nicht kennt, noch des Lichtes Tausch mit dem Dunkel.«
»Gott sprach: Lasset uns Menschen erschaffen, ein Bild, das uns gleich sey!
[144]
Nahm den Kloß des Feldes, befeuchtet' und knetet und formt' ihn,
Blies ihn an, und der Mensch ward eine lebendige Seele« –
»Wunderbarlich, o Herr, hast du den Menschen erschaffen,
Hast ihn wie Milch gemolken, wie Rahm ihn lassen gerinnen,
Hast ihn zusammengefügt aus Gebein und Adern, mit Haut ihn
Ueberzogen und Fleisch, ihm Leben gegeben und Odem.«
Wunderbarlich, o Herr, erschufst und erschaffst du den Menschen.
Unter dem Herzen der Mutter erregst du das schlafende Pünktchen,
Welches sich dehnt und streckt, rastlos, und wann es gezeitigt,
Schön gebildet sich drängt an das Licht zur beschiedenen Stunde.
Du Herr lässest den Stern des Aug's abspiegeln den Weltbau,
[145]
Leitest die Welle des Schalls in des Ohrs kunstreiches Gekämmer.
Schnellst die Kugeln des Bluts durch der Adern fernste Verzweigung
Mittelst des schlagenden Herzens umher; verschränkest der Nerven
Unausforschlich Gespinnst. »Ich danke dir, Vater, daß du mich
Wunderbarlich gemacht und wunderbarlich erhalten.
Wunderbar, ich weiß es, ist deiner Werke Geringstes!«
Jegliches Gute fürwahr entsprang vom Vater des Lichtes,
Jegliche Gabe verdanken wir ihm. So sagt nun, von allen
Gaben, die Er uns beschert, die edelste, beste, wer ist sie?
Daß wir dir gleich sind, Herr! daß du dein strahlendes Urbild
[146]
Würdigtest, abzuspiegeln in unserm Sinn und Gemüthe.
Herr, aus des Dumpfsinns Schlaf hast du uns geweckt zum Bewußtseyn;
Hast den Gedanken in uns geregt, des Gewissens Gerichtshof
Aufgeschlagen in Innern, den Funken ewiger Liebe
In uns gezündet, den Brand der unauslöschlichen Sehnsucht
Uns in die Brust gesenkt. Aufschaun wir sehnend. Es regt sich
Göttliches in uns. Es sinkt das Irdische. Flügel der Ahnung
Tragen empor uns zu dir. Mit unüberwindlicher Liebe
Fallen wir dir in den Arm. Mit unüberwindlichem Glauben
Trauen wir dem, was das Herz und die Schrift uns Großes verkünden,
Suchen hienieden nicht mehr die Befriedigung, suchen das Rechte
[147]
Droben allein bey dir, dem Vater des Rechts und der Wahrheit.
Schauet nach Oben dann, ihr Lieben! Nicht auf den bunten
Blühenden Kloß, der euch nährt, beschränket den Blick. In der Lüste
Zähen Schlamm nicht lasset bekleiben die Flügel des Geistes.
»Habt zu lieb nicht die Welt, noch der Welt vergängliche Freuden.«
»Laßt was dahinten, und streckt euch einzig nach dem, was davorn ist!«
»Das was drunten verschmäht, und trachtet nach dem, was droben.«
»Droben thronet der Herr auf dem Stuhl der Herrlichkeit. Droben
Waltet Jerusalem, die heilige, leuchtende, neue!«
Schauet nach Oben, ihr Lieben, wenn euch beklommen das Herz ist,
[148]
Wenn ihr erliegend den Schweißen des Tags und den Mühen des Lebens
Schwer aufathmet, die Schläfen versengt und die Knie euch gelöst sind.
Tretet ins Freye sodann, und schaut gen Himmel, und schlürfet
Lüstern die Kühlung ein, die dorther wehet, das Labsal,
Welches von jeglicher Pein herstellt, von jeder Ermattung.
»Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget,
Daß wir Kinder ihn heißen! Und zwar ist dies die Verkündung,
Die wir empfingen von ihm und die wir euch wieder verkünden:
Daß ein Licht Gott sey, und keine Finsterniß. Wer nun
Sagt, er pflege Gemeinschaft mit ihm, und wandelt im Finstern,
[149]
Der ist ein Lügner, und nicht in der lauteren Wahrheit bestanden« ...
»Wandelt, wie Kindern des Lichts es geziemt, unschuldig, unsträflich!
Glaubet, duldet und hofft, und liebet redlich einander.«
»Meine Kindlein, es ist die letzte Stunde.« Getreulich
Laßt uns bewahren das Kleinod, das anvertrauete, theure.
Lasset beständig uns seyn in der Lieb', in der Hoffnung, im Glauben,
Bis wir nach Oben gehn zum Vater des Lichts und des Rechtes.
Also ermahnte mit Ernst und mit weiser Schonung der Lehrer
Endete dann und es ward im Thal rings seyrende Stille.
[150]
Auch den Rohern ergriff die Kraft des Wortes; der Wahrheit
Schauder durchblitzten ihn, und die Ahnung höheren Lebens.
Aber nicht lang', und gewaltiger noch erhob sich der Schaaren
Preisender Psalm. Es posaunten darein der Sturm und die Brandung.
Also scholl der Gesang empor zum wölbenden Himmel:
Lobet, ihr Himmel, den Herrn! Ihr Höhen der Höhen, erhebt ihn!
Lobet ihn, Engel des Herrn! Lobet ihn, all sein Heer!
Lobet ihn, Sonn' und Mond! Frohlockt ihm, leuchtende Sterne!
Sirius, Rigel und Yed, Azimech, Anear, Arktur!
[151]
Lob' ihn, du wölbendes Blau! Frohlockt ihm, Wasser der Wölbung!
Lobet ihn, Regen und Reif! Preiset ihn, Schloßen und Schnee!
Lobet ihn, Donner und Blitz! Frohlock' ihm, prasselnde Windsbraut!
Lob' ihn, erhabenes Meer! Brandung, ertöne sein Lob!
Lobt ihn, ihr Blumen im Thal! Frohlockt ihm, Häupter der Berge!
Lobet ihn, Cedern im Wald! Preiset ihn, Halme der Flur!
Lobt ihn, Geschlechter des Meers! Frohlockt ihm, Kinder des Trocknen!
Lob' ihn, gegliederter Schleim! Preis' ihn, beseelter Atom!
Lobt ihn, ihr Großen im Volk, ihr Hirten und Richter der Leute!
[152]
Könige, huldiget ihm! Preist ihn, ihr Armen im Volk!
Lasset uns loben, ihr Brüder, den Herrn mit feuriger Inbrunst,
Ihn mit heroischem Muth, ihn mit unsträflichem Thun!
Ihn mit dem letzten entfliehenden Hauch! Mit des brechenden Herzens
Leise verwehendem Ach lasset uns loben den Herrn!
Also erschollen die Worte des preisenden Psalmes. Dazwischen
Brauste die Hymne des Sturms und des Meers vielstimmiger Päan.
Als der Gesang nun erstummt und wiederum Schweigen im Thal war,
[153]
Hub noch einmal der Lehrer empor die gefalteten Hände
Betend. Es beteten rings mit gefalteten Händen die Hörer:
Vater Unser, der du in den Himmeln wohnest, dein Name
Werde geheiligt! Dein Reich zukomm'! Es geschehe dein Wille,
Wie in den Himmeln, also auf Erden! Das tägliche Brod gieb
Heut' uns! Führ' in Versuchung uns nicht! Erlös' uns vom Bösen!
Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit ewiglich, Amen!
Also des Herrn hochheilig Gebet. Sanft sprach nun der Lehrer:
»Meine Kindlein, empfaht andächtig den Segen des Herrn Herrn!«
[154]
Eilig erhub sich, was saß und was lag, zu empfahen die Segnung.
Da sprach fey'rlichen Tons mit erhabenen Händen der Lehrer:
»Segn' und behüt' euch der Herr! Er lasse sein freundliches Antlitz
Ueber euch leuchten und sey euch gnädig! Waltend und schirmend
Schau' er herab auf euch, und geb' euch seinen Frieden!«
Also ward die Gemeinde beurlaubt. Gänzlich geendigt
War am Gestade des Meers die seelerhebende Feyer.

[155] [157]Vierte Ekloge

Die Nachfeyer

[157][159]
Wie, wenn im Sommer die Hitze nun wächst, und die steigende Sonne
Grad' auf das Flugloch scheint des bienenbevölkerten Korbes,
Länger nicht duldend die Hitz' und Beklommenheit, brausend das junge
Volk nun dem Rumpf entdrängt; durchtobend den sonnigen Garten
Schwärmt es umher, da wilde Geschlecht, bis etwa des Irrsals
Müde der Weisel herab sich läßt auf einen der Aeste.
Eiligst nun stürzen herbey die Zerstreueten; rings um den Führer
Fallen sie her, mit Gewalt andrängend. Nieder vom Aste
[159]
Schwanket, ein haarigter Kegel, der unermeßliche Hauptschwarm;
Aber sobald nur, des Drangs, und der Schwül' unlustig, der Weisel
Wieder davon fliegt, plötzlich enteilen auch jen'; aus einander
Fahren sie, und durchschwärmen aufs neue den sonnigen Garten.
Also auch saßen geschaart im grünenden Thal am Gestade,
Rings um den Lehrer in Ruh' dem Wort aufmerkend, die Reihen,
Welche vorhin das Thal durchirreten hiehin und dorthin.
Aber als nun der Gesang erstummt und der Segen ertheilt war,
Al mit dem Klingelbeutel des Dorfes löblicher Schuldheiß
Eingesammelt, die Reihen herum, die ärmliche Gabe,
[160]
Als aus dem Armstuhl dann sich erhob der gefeyerte Lehrer,
Und, nachdem er gegrüßt die Gemeinde, hinab in das Thal ging,
Weil geendigt nun war die seelerhebende Feyer;
Alsbald stoben auch jen' aus einander, hiehin und dorthin
Irrten sie weit versprengt in dem Dorf, in dem Thal, auf den Bergen.
Viele, vom niederen Volk, die etwa von ferne gekommen,
Kehrten des nächsten Weges zurück zur friedlichen Wohnung,
Mancherlei plaudernd im Gehn von des Wetters Gestalt, von der Erndte
Segen, der Heitre der Luft, auch von der erbaulichen Predigt.
Andere, denen vielleicht im Dörflein wohnt' ein Verwandter,
[161]
Gingen, der freundlichen Ladung zu Lieb', im Kreise der Freunde
Nässend den durstigen Gaum, ein trauliches Pfeifchen zu schmauchen.
Viel Vornehm' auch waren zugegen von nah' und von ferne,
Welche, nachdem sie des Geistes gepflegt mit der himmlischen Speise,
Nunmehr, wie sichs gebührt, auch pflegten des leiblichen Menschen,
Traulich gelagert ins Gras um das ausgebreitete Tischtuch,
Rings von dampfenden Schaalen umstarrt und lockenden Bechern.
Als erquickt nun alle sich fühlten, und reichlich befriedigt,
Fuhren die Einen zurück zu den Wohnungen, vieles noch redend
Während des Wegs von der Predigt, das Eine rühmend, das Andre
[162]
Mehrere tadelnd; denn stets dünkt sich der Tadler den Klügern.
Andre, das Dorf durchwandernd, beschauten die ärmlichen Hütten,
Eng und niedrig, nicht eben gebaut nach dem Loth und der Bleischnur;
Doch gefiel es die Gärtchen zu sehn, mit gewaltigen Steinen
Rings umschanzet, besäumt mit Sonnenblumen und Malven.
Andere wankten den Strand entlang, auf den schlüpfrigen Kieseln
Oft ausgleitend, sich freuend des Wogenbruchs und Gebrauses.
Andere saßen zu Roß und zu Wagen, um vor der Heimfahrt
Noch Arkona zu sehn, und die unermeßliche Umsicht.
Aber Jucunde, begleitet von Thecla von Thurn, und der Schwester,
[163]
Folgte dem Vater zurück in die enge Wohnung des Hüttners.
Wohl war diese geschmückt zum Empfang so ehrlicher Gäste;
Sauber die Diele gefegt, gesandet das niedrige Stübchen,
Dessen Gebälk nicht selten dem sinnenden Pfarrer die Stirn traf;
Denn er war schmächtig, doch lang; die tüchtig vernagelten Fenster
Waren gewaschen, wiewohl umsonst! die höckrigen Wände
Neu geweißt mit der Kreid' Arkonens, die erdigt und grau ist.
Ueber das ehliche Bett lag sauber gebreitet die Decke;
Ueber dem glattgescheuerten Tisch das reinliche Tischtuch,
Reichlich besetzt mit der Netz' Ertrag und der Beute des Meeres,
Mit der Makrele, dem Aal, dem Dorsch, dem stachlichten Flunder,
[164]
Und dem Ulyß des Meers, dem vielgewanderten Hering.
Hoch auf waren die Schüsseln gethürmt, und schmackhaft bereitet;
Milch auch war vorhanden, mit Semmel durchbrockt für die Kindlein;
Brod aus gesiebtem Mehl, und der Sahne güldene Blume.
Räumige Krüge, gefüllt mit des Malzes schäumendem Absud,
Standen umher, auch mangelte nicht das stärkende Schlückchen,
Dessen nicht gern entbehrt, wer der Netze pflegt und des Ruders.
Scharrend nun trat aus der Küche herein die ehrbare Hausfrau,
Grüßte die Reihe herum die Gäste mit schallendem Handschlag,
Nöthigte viel zu sitzen, fürlieb zu nehmen; nicht Bessers
[165]
Habe die See beschert, seit grausam wüthend der Nordwind
Ihnen hinweg geführt wohl funfzig Faden der Netze.
Thecla nun und Jucunde, der freundlichen Mahnung gehorchend,
Setzten sich hinter den Tisch auf die Bank, die kundige Jungfrau
Mahnte die Freundinn, ihr Kleid von schwarzer schimmernder Seide
Nicht an der Kreide zu weißen der färbenden Wände ... Vergebens!
Denn schon war das Gewand umsäumt mit silbernem Borde,
Thecla zu höchlicher Lust; wohlfeil gewann sich der Bord ja.
Itzt nun dachten der Speis' und des Tranks zu kosten die Mägdlein,
Als zu der Milch Genuß die Löffel mangelten, so auch
Wurden die Messer vermißt zur Zerlegung der Fisch' und des Brodes;
[166]
Ich geschweige der Gabeln, als die zur Noth sich entrathen.
Und es lachten die Mägdlein des Unfalls. Aber die Hausfrau
Eilte die Löffel zu bieten, die eigenen zierlich geschnitzten,
Auch die Messer mit hörnernem Griff; als Thecla, die Jüngre,
Schweigend entsprang, hinab zu des Vaters Wagen ins Thal lief,
Baldigst kehrte mit schwerem Gepäck, frohlockend des Bündels
Knoten entschürzt', und behende die schönen Geräthe hervorzog,
Die sie gepackt sorgsam in das Fuhrwerk, harrend des Schmauses.
Und es rühmte der Kleinen Besonnenheit höchlich die Hausfrau.
In die Wett' auch ward sie gerühmt von der Pathinn und Schwester.
Fröhliches Muthes genossen nunmehr des Mahles die Mägdlein.
[167]
Auch der melodische Küster, als dem die Sonn' und die Psalmen
Ausgetrocknet den Schlund, ließ sich die Labung belieben.
Ernst nur saß und still der erschöpfte Pfarrer im Rohrstuhl,
Nicht vermögend zu essen, auch wenig redend. Umsonst ward
Vieles geschwatzt und gescherzt von den Mägdlein; manches vom Schultheiß,
Welcher die Gabe gebracht des Klingelbeutels; des Pfarrers
War sie, welcher sofort sie den Armen spendete. Viel auch
Nöthigten Wirthinn und Wirth. Doch blieb der erschütterte Lehrer
Wortkarg, in sich gekehrt, tiefsinnig; jenseit der Wolken
Schwebete noch sein erhöheter Geist. Mit erhabenem Gleichmuth
Sah er herab auf das Leben, und dessen Mühen und Freuden.
[168]
Als er nun wenig Minuten geruht im krachenden Rohrstuhl,
Macht' er sich auf, allein, die Kranken des Dorfs zu besuchen,
Die er erquickte mit leiblichem Rath und geistigem Zuspruch.
Auch die Blinde besucht' er, die schon am Morgen des Lebens
Gänzlich dem Licht abstarb des irdischen Tages. Den Geist auch
Hüllt' erebische Nacht, und selten sich hellender Dumpfsinn.
Tappend ergriff die Arme die Hand, die ersehnte, des Lehrers,
Der ihr ein Engel des Lichtes gemahnt' im ewigen Dunkel.
Ihr auch redet' er tröstend zu, und hieß sie geduldig
Harren des Tags, an dem einst Aller Augen sich aufthun.
[169]
Auch besuchte der Pfarrer die hundertjährige Wittib,
Welche noch Karl den Zwölften gekannt, und den prangenden Eichwald,
Welcher vor Zeiten Arkona gekränzt, und die Fluren der Insel
Vor den nordlichen Stürmen geschützt. Es haben die Dänen
Ausgerottet den Wald, als der kriegrische König dahin war.
Neunzig Jahre verflossen seitdem; es hatte die Alte
Oft als Hirtinn geruht in des Waldes Schatten; vollendet
Hatte sie, laut de Register, zum hundertsten Jahre das achte.
Zitternd zwar, und gekrümmt erdwärts, vermochte sie gleichwohl
Schmolkens Buch noch zu lesen, daß groß und scheinend gedruckt ist.
Aber sie hörete schwer. Auch diese besuchte der Pfarrherr,
[170]
Stärkt' und tröstete sie, und reicht' ihr das heilige Nachtmahl,
Das sie empfing andächtig nach wohlgesprochener Beichte.
Also pflegte des Amtes der Pfarrherr, eifrig und rastlos.
Theela von Thurn indeß und Jucund' und die jüngere Thecla
Hatten verlassen die gastliche Hütte des alternden Fischers,
Lustzuwandeln, des Freyen froh, in den Gäßchen des Dorfes.
Und sie schauten mit Liebe die stillen zufriedenen Hütten,
Niedrig und eng mit Gärten umher und reinlichem Hofplatz,
Plauderten viel im Vorübergehn mit den ehrbaren Hausfraun,
[171]
Die vor der Hausthür saßen auf Schemeln oder dem Baumstamm,
Den aus der Stubniz die Männer geholt zur Feurung des Winters.
Manch pausbackiges Kind auch haschten sie, das in den engen
Gäßchen umherlief sorglos, nicht sonderlich scheuend die fremden
Jungfern, welche mit Kirschen es lockten und würzigem Backwerk.
Also gelangten die Mägdlein hinab zum Strande des Meeres,
Dessen erbrandende Flut bis hoch hinauf in die Schlucht schlug.
Nicht zu nahe sich wagend, daß nicht das Gestiebe sie nässe,
Wählten die Mägdlein zu sitzen bequem auf dem bauchigten Rumpfe
Eines geborstenen Boots, das umgestürzt an dem Strand lag.
[172]
Hier nun saßen die Mägdlein, und schauten dem brandenden Meer zu,
Bang aufschauernd, erreicht von manchem sprützenden Tropfen;
Schauten, wie aufgewühlt von des Ostwind kräftigem Athem
Meilenweit die See sich brach am Riff des Gestades.
Fürchterlich rollte die Woge daher, die thürmende Scheitel
Schaumbekränzt; dumpf grollend gewann sie die mächtige Steinwand,
Prallte zurück zerschellt, und schwoll abprallend entgegen
Bäumte der Schwellenden sich die zweyte Gewaltigre. Wuthvoll
Kämpften nun beyd' um den Sieg mit gemessenen Kräften, bis plötzlich
Nachtschwarz, bäumend den Kamm, mit Gebrüll, die dritte daherfuhr,
Beyd' erfaßt und gewaltig mit sich hinab an den Strand riß.
[173]
Ringsum brodelt' und gohr nunmehr die kochende Salzfluth,
Rings erscholl das gethürmte Gestad'. Im wilden Geprassel
Schütterten Strand und Schlucht und die friedlichen Hütten der Vitte.
Bang' aufschauernd, nicht selten erreicht von dem stiebenden Dunstschwall,
Saßen die Mägdlein und schauten mit süßer Angst dem Tumult zu.
Thecla gedacht' an Amalrich; und einen der alternden Männer,
Welche saßen, des Garns wahrnehmend, fragte sie freundlich:
»Guter Vater, erschrecklich regiert das Wasser. Der Ostwind
Lärmt unbändig. Nun sagt mir, ob heute die Fähre wohl gehn kann?«
[174]
Ihr antwortete drauf der ruderkundige Hüttner:
»Liebe Jungfer, es weht nicht sonderlich heute. Gar anders
Muß es noch kommen, bevor ein wackerer Fährmann beylegt.
Sieht sie die Mühle drüben? So lange der Müller die Segel
Nicht einrefft, so lang hats keine Gefahr mit den Fähren.«
Also sprach, der See und des Ruders kundig, der Fischer:
Gerne vernahm es das Fräulein. Sie dacht' an Amalrich, und hoffte,
Noch vor Abend zu sehn den schmerzlich erharreten Bruder.
Thecla indessen, die Jüngre, nach Art der Kinder nicht lange
[175]
Duldend das Sitzen, entsprang dem Schooße der liebenden Pathinn,
Nahte dem Strand vorsichtig, und, wo gedeckt von dem Vorsprung
Ruhig das Wasser ihr schien im geschirmten Busen, begann sie
Bernsteinbrocken zu sammeln, und zierlich geränderte Muscheln.
Aber nicht lang, und die tückische Fluth, abprallend vom Vorsprung.
Strömt' in die Bucht, und ereilte die sammelnde Kleine, die plötzlich
Bis auf das Leben durchnäßt sich fühlte von kältender Salzfluth.
Laut auf schrie sie; es eilten herzu die Schwester und Pathinn,
Sahen schaudernd sie stehn und träufelnd über und über,
Ihr Geschick bejammernd, und ihren zierlichen Anzug;
Denn durchnäßt war das rothe Gewand, und die seidene Schärpe,
[176]
Gar durchnäßt die grünen geschnäbelten Schuhe, das Röckchen,
Welches sie selbst gestrickt, und der Strümpfchen zierliche Zwickel.
Höchlich beklagten so Pathinn als Schwester des Töchterchens Unfall,
Pflogen Rath, was zu thun, daß nicht von der Kält' und der Nässe
Ihnen das liebe Kind erkrankt', und mit Schnupfen und Husten
Allzutheuer bezahlte die sparsam gekostete Freude.
Als sie es alles nun reiflich bedacht und gebührend erwogen,
Däuchte den Mädchen am besten, ins Haus des löblichen Schudlheiß
Einzukehren, und dreist des Mannes ehrbare Hausfrau,
Der es an Kindern nicht fehlte von allerley Alter und Größe,
Anzusprechen um trockenes Zeug für das triefende Mägdlein.
[177]
Und es eilten die Mädchen ins Haus des löblichen Schultheiß,
Welcher sie gastlich empfing zusammt der sittigen Hausfrau.
Höchlich beklagte das triefende Kind die sittige Hausfrau,
Holte sofort den Sonntagsstaat des niedlichen Gretchens,
Das wie Thecla so alt, und von Theclens Größ' und Wuchs war.
Umgekleidet nun wurde von Haupt zu Fuße das Mägdlein.
Trefflich stand ihr der bräunliche Krep. Das niedliche Mieder
Paßte genau zu des Mägdleins Wuchs. Nur das friessene Röckchen
Däucht' ihr zu schwer und zu heiß, und die hölzernen Schuhe zu klotzend.
Als sie hierauf neugierig im kleinen geborstenen Spiegel
Ihre Gestalt beschaut', erhob sie die scherzenden Worte:
[178]
»Seh' ich doch schier so aus, wie die arme verwünschte Prinzessin,
Melusine genannt, in dem alten Historienbuche,
Das beim Verwalter liegt, und reichlich mit Thran geträukt ist.
Schön von oben herab, bekommt sie vom Gürtel herunter
Garstige Schuppen, und endet in einen abscheulichen Fischschwanz.«
Also schwatzte die Kleine, bereits getröstet des Unfalls.
Indem trat auch der Vater herein zu mahnen zum Aufbruch,
Höchlich befremdet, sein Kind zu sehn in dem bäurischen Anzug,
Welches sofort entgegen ihm sprang mit kosenden Worten:
[179]
»Schilt nicht, lieber Vater! Es hat die tückische See mich
Uebel betrogen. Ich geh' in nichts befahrender Einfalt,
Bernsteinbröckchen mir sammelnd und blinkende Schalen der Muscheln.
Plötzlich ergrimmt sie, und klatsch! ist tüchtig gebadet das Mäuschen.«
Ihr erwiederte drauf gutmüthig lächelnd der Vater:
»Liebes Kind, gedenk an den mächtigen König von England,
Dessen Historie wir in diesen Tagen gelesen.
Er auch trotzte der Fluth, verbietend die Fers' ihm zu netzen.
Aber es ging ihm genau, wie es dir ergangen. So mag denn
Mit dem gewaltigen Knut die kleine Thecla sich trösten.«
[180]
Also der Vater, und dann zu den größeren Mädchen gewendet:
»Liebe Töchter, es neigt sich die Sonn' und mahnt an den Aufbruch,
Wollen wir anders Arkona noch sehn und die herrliche Umsicht.«
Ihm erwiederte drauf die vielersinnende Thecla:
»Frommer Vater, nicht fern, wie du weist, ist die schöne Arkona.
Fahre dann immer des Wegs durchs Land auf der stäubenden Straße.
Nur Jucunden und mir erlaube, längst des Gestades
Langsam wandelnd zu folgen. Es wandelt so schön sich am Ufer.«
Also sprach sie, und gern bewilligte solches der Vater.
[181]
Auch der Kleinen erlaubt' er, zu folgen den größeren Mägdlein:
»Heilsam sey auf das Bad und den Schreck die rasche Bewegung.«
Als nun der Pfarrer zuvor von des Dorfes löblichem Schultheiß,
Auch von dem gastlichen Hüttner sich freundlich dankend beurlaubt;
Als auch Jucunde zuvor die beiden sittigen Hausfraun
Viel genöthigt, doch auch einst Sonntags, wenn sie zur Kirche
Kämen, sie zu besuchen, und mitzubringen die Kindlein,
Welches denn auch die Frauen verhießen mit Mund und mit Handschlag;
Fuhr der Pfarrer des Wegs durchs Land auf der stäubenden Straße.
Thecla von Thurn auch befahl dem wackeren Rudger, des Pfarrherrn
[182]
Fuhrwerk folgend, zu warten der Herrinn außer des Burgrings.
Aber sie selbst und Jucund' und Jucundens jüngere Schwester
Gingen zurück' durchs Thal der Feyer, stiegen die Bergwand
Oft umschauend hinan, und gewannen den Saum des Gestades.
Längsthin wallten sie nun am Saum des gethürmten Gestades
Ueber der schwindelnden Tief' auf dem unterhöleten Boden,
Keine Gefahr besorgend, verlohren in süße Gespräche.
Manches verständige Wort und manchen launigten Einfall
Wechselten kosend die Mädchen. Auch Thecla, froh des Spaziergangs,
Hüpfte vorauf, jetzt rechts, jetzt links abschweifend, die Blumen
[183]
Pflückend und Gräser, die zahllos blühten am sonnigen Abhang.
Also gewannen sie bald den Ring der umwallten Arkona,
Fanden außer des Rings die Wagen harren. Der Pfarrherr
War sofort gegangen ins Innre des heiligen Burgrings.
Und es eilten die Mädchen, entluden den Wagen des Vorraths,
Nahmen der köstlichen Ladung, und zwischen den thürmenden Wänden
Traten auch sie hindurch in das Innre des heiligen Burgrings.
Sitzen sahn sie den Vater am äußersten Rande des Ufers,
Einsam, emsig betrachtend die Pfeiler, welche vom Meer auf
Bis an den Saum des Gestades aus Feuerkieseln und Kreide
[184]
Aufgethürmt die Natur kunstreich in jonischer Ordnung;
Zwischen den Pfeilern hindurch erblitzt man das Meer und den Kiesgrund.
Diese beschaut' er, bedacht, das Gesetz zu finden, nach welchem
In dem ursprünglichen Meer, in solcher Ordnung und Folge,
Sich die Lagen gesenkt durch manches verrollte Jahrtausend.
Aber ihn stöhrten die Mädchen im Tiefsinn solcher Betrachtung,
Wild herschwärmend, umhalsend den Gütigen, auch von des Wagens
Vorrath bietend, dem kräftigen Trank und dem würzigen Backwerk.
Jetzt auch ließ sich belieben der Vater der Speis' und des Trankes,
Welche die freundlichen Töchter ihm boten; redlich verdient war
Durch des ermüdenden Tags Arbeiten die stärkende Labung.
[185]
Thecla von Thurn indeß und Jucund' und die jüngere Thecla
Schwärmten umher rastlos im Innern des heiligen Burgrings,
Jegliche Krümmung beschreibend und jegliche Zacke des Ufers,
Welches zu Zeiten geschärft ausläuft in die Spitze des Dreyecks.
Jetzt beliebte der fröhlichen Schaar, das Jaromars-Bollwerk
Kühn zu erklimmen, die höchst' und schroffste der Zinnen des Walles.
Leicht und behende, doch oft auf dem schlüpfrigen Gras' ausgleitend,
Flohn sie hinan und gewannen die Anhöh', standen und schauten.
Rings um die Schauenden lag, so fern nur reichet die Sehkraft,
Offen, enthüllt, endlos, das unermeßliche Weltall,
Purpurn die See, vielfarbig das Land, des wölbenden Himmels
[186]
Lautrer Lasur durchflammt von der Sonn' unendlichem Gluthball,
Welche, dem Ziel zueilend der Tagfahrt, zitternden Randes
Ueber der Scheitel schon stand der Berge des Bernsteineylands.
Staunend standen und träumend die rosenwangigten Mägdlein,
Vom Goldglanz verklärt der ruhig sinkenden Sonne.
Auf den besonnten Gipfeln des öderen Bernsteineylands
Ruhte Jucundens Auge bethränt. Der holden Erscheinung,
Die aus den Düften des Abends ihr dort aufblühet', und eilends
Wieder verschwand in das rothe Gedüft, gedachte sie sehnend.
Abermal blüht' aus dem glänzenden Duft die Wundererscheinung
Vor der Träumenden auf. Es stand vor dem innersten Aug' ihr
[187]
Lichtbekleidet die hohe Gestalt des erhabenen Fremden,
Sonder Tadel vom Wirbel des Haupts bis zur schwebenden Sohle.
Und ihr zerquoll das Herz in nie empfundene Sehnsucht.
Thecla auch stand träumend, gedenkend des edeln Amalrich,
Welcher zu kommen verzog, und des theuersten Wunsches Vereitlung.
»Setzen wir uns, mich schwindelt!« begann wehmüthig Jucunde.
Und es setzen die Mägdlein sich auf der Zinne des Burgwalls
Schweigend, die Augen gewandt auf die sanftbesonnten Gefilde.
Abermal begann schwermüthigen Tones Jucunde:
»Nicht zu sagen vermag ich, o Thecla, wie mir zu Muthe!
[188]
Wie es die Brust zusammen mir schnürt! es drängt mich zu weinen,
Einer Thörinn gleich, die, wenig wissend, weswegen?
Heult in dem Einen Moment, und laut auflach in dem Andern.
Wenig gewohnt, du weißt es, ist solcher Stimmung Jucunde.
Sage denn, Thecla, wie kommts, daß so tolle Laune mich antritt!
Nicht krankhaft am Leibe, doch fühl' ich mich bang' und beklommen.
Sollt' ein großes Verhängniß, ein viel entscheidendes Schicksal
Etwa in diesem Moment der schlichten Jucunde bevorstehn?«
Ihr erwiederte drauf sanfttröstend die trefliche Thecla:
»Was auch verhängt uns sey, nicht laß, holdseliges Mägdlein,
[189]
Uns das Verhängniß scheun, das nur die Feigen bezwinget.
Laß uns bewahren den Frieden der Brust! Der Stimm' im Herzen,
Laß uns vertraun, und Dem, der in der Verborgenheit waltet!«
Kaum noch hatte das Fräulein die tröstenden Worte geendigt,
Als ein Reuter hervor aus des nächsten Dorfes Umschattung
Sprengt', und verhängten Zügels die stäubende Straße daher flog.
Näher flog er, und näher, ein stattlicher Ritter, ein Kriegsmann,
Wie es die blendende Binde verrieth, und die blitzende Schärpe.
Theclen klopfte das Herz. In tiefen Träumen verloren
Saß Jucunde; nur Thecla, die Jüngere, welche den Fremden
[190]
Eben erkannt, rief aus: »Jucunde, liebe Jucunde,
Kennst du den Reuter denn nicht, der dort so stattlich einhersprengt?
Siehst du ihn nicht? Es ist derselbe! Derselbige, sag' ich,
Ganz wie er leibt und lebt, der jüngst auf dem sandigten Eyland
Von dem erschrecklichen Wurm mich erlösete, dann auf den Arm mich
Nahm, und so wild mich küßte, daß Kinn und Backen mich schmerzten.
Dennoch vermocht' ich ihm nicht zu zürnen ... Doch ach, wohl schwerlich
Wird mich der Fremd' erkennen in diesem bäurischen Anzug.«
Jetzt aus dem tiefen Traum auftauchend, schaute Jucunde
Um sich, erkannte den Fremden, und bebt' auf freudig erschreckend,
[191]
Sank erblassend sodann zurück an den Busen der Freundinn.
Thecla, die eben auch den Bruder erkannt, und des Kindes
Rede vernommen, umschlang die Erblassende freudig und feurig.
»Ist ers?« sprach sie ... »Er ists!« sprach hoch erröthend Jucunde ...
»Gott sey Dank« rief Thecla: »verhängt, holdseliges Mägdlein,
Ist uns ein großes Geschick, ein großes und gutes, so hoff' ich!«
Aber schon nahte der Reuter dem Ringe des Walls. Am Eingang
Sprang er vom dampfenden Roß. Von des Burgwalls prangender Zinne
Eilete Thecla hinab. Ihr entgegen eilte der Bruder,
Und in Amalrichs Arm lag freudeschluchzend die Schwester.

[192] Fünfte Ekloge

Der heilige Abend

[193][195]
Niedergesunken indeß war hinter des Bernsteineylands
Dämmernden Bergen die Sonne. Gefärbt vom Schimmer des Spatroths,
Wallete purpurn das Meer, und glänzeten golden die Berge.
Aber als Thecla jetzt auftaucht' aus des Bruders Umarmung,
Als aus der Schwester Umarmung der edle Amalrich emporkam,
Sah er Jucunden stehn, die indeß mit der jüngeren Thecla
Niedergestiegen war von der Bergwand prangender Zinne.
Blöde stand sie, verschämt, und durch die Verschämtheit verschönert,
[195]
Schüchtern nur prüfend den trefflichen Mann, den kaum sie erschaute,
Als ihn freudiger Schrecken ergriff und süße Verwirrung.
Kaum vermocht' er zu traun dem geblendeten Aug', als so plötzlich
Vor ihm stand die Gestalt, die, ein morgenröthliches Traumbild,
Ewiglich ihm vor der Seele geschwebt, seitdem auf Momente
Sie ihm zuerst erschien, ein glänzender Strahl in der Wildniß.
Thecla, des Bruders Bewegung gewahrend, hielt sich nicht länger.
»Ist sie's?« raunte sie fragend ins Ohr dem befremdeten Bruder.
»Freilich ist sie's!« gab flispernd zurück der befremdete Jüngling,
»Aber gewiß ich begreife dich nicht!« – Sie schwieg, und mit Noth nur
Unterließ sie, sofort das Räthsel lösend, dem Liebling
[196]
In die Arme zu führen schon jetzt das liebende Mägdlein.
Seitwärts lauschet' indeß die jüngere Thecla, sich schämend,
Unter die Augen zu treten in ihrem bäurischen Anzug
Solchem stattlichen Herrn, dem auch das Beste zu schlecht schien.
Doch es bemerkt' Amalrich sie bald, und sofort sie erkennend:
»Liebliches Kind, bist du's?« so rief er, hob auf den Arm sie,
Sonder Erbarmen sie küssend, daß Kinn und Backen ihr brannten.
»Lassen Sie mich,« sprach sträubend die Klein; und als sie Amalrich
Fragete: »Kennst du mich nicht?« ... »Wohl kenn' ich Sie, aber nicht ziemt es
Solchem stattlichen Herrn, ein Fischermädchen zu herzen.
Sehn Sie denn nicht, wer ich bin?« – Verwundernd erblickte der Ritter
[197]
Jetzt das frießene Röckchen, nicht sonderlich passend zum Kopfputz.
Und es erhuben die Mädchen ein unaufhaltsam Gelächter,
Eilten sodann der Kleinen zum Trost, zu erzählen den Vorgang.
Aber es sprach Amalrich, noch kräftiger herzend das Mägdlein:
»Sey, wer du seyst, mein Kind, Dienstmädchen oder Prinzessinn,
Immer hab' ich dich lieb. Und auch dir, bedünkt mich, geziemte,
Lieb zu haben ein wenig den trefflichen Ritter, der mannhaft
Von dem erschrecklichen Wurm dich erlöst. Das verdient wohl ein Küßchen.«
Also scherzt' Amalrich. Es lachten des fröhlichen Scherzes
Beyde Theclen; es lächelt' erheitert die blöde Jucunde.
[198]
Jetzt erschienest auch du, ehrwürdiger Pfarrer von Medow,
Höchlich verwundert, auch froh zugleich, den wackern Amalrich,
Den du schon lange geliebt aus der Schwester begeistertem Lobe,
Vor dir zu finden genau zusagend dem inneren Bilde,
Das sich der Geist erzeugt von ihm aus den Reden der Schwester.
Aber Amalrich auch war froh, den trefflichen Pfarrherrn,
Welchen er längst schon geschätzt aus der Schwester preisenden Briefen,
Von Antlitz zu Antlitz zu sehn. Gleich alten Bekannten,
Grüßten einander die Beyden mit herzlichem Wort und Handschlag.
Als nun all' an des Ufers Rand ins Gras sich gelagert,
[199]
Rund um das gastliche Tuch, des traulichen Mahles genießend,
Ward um vieles gefragt der weitgereisete Kriegsmann,
Viel um der Länder Gestalt, und der Völker Sitten vom Vater;
Viel von der zärtlichen Schwester um seine Freuden und Leiden;
Einiges auch von dem Kind um Paris und London und Stockholm,
Die sie in Bildern gesehn im optischen Kasten des Vaters.
Weniges sprach und Bescheidnes Jucund'. Ihr gnügte, des Jünglings
Antlitz zu schaun und zu lauschen auf seine verständigen Reden.
Aber dem Jüngling, so willig er jeder Frage Bescheid that,
Waren doch Sinn und Seel' allein in der Einen versunken,
[200]
Die er vergebens gesucht in allen Reichen und Landen;
Bis sie in wilder Oed' ihm erschien, ein freundlicher Lichtstrahl.
Sie nur sah und vernahm im traulichen Kreise der Jüngling.
Ihn entzückte zu schaun der Formen hohe Vollendung.
Innig erweicht' ihn der Klang der melodischen Stimme, des Auges
Himmlische Klarheit, das Liebe verhieß und unnennbare Güte.
Tief gerührt von dem Werth der Seltenen, trachtend, von Stund' an
Zu gewinnen um jeglichen Preis so Schönes und Gutes,
Wünscht' er mit Ungeduld die Schwester zu sprechen, zu forschen
Nach der Frage Sinn, der befremdenden: »Ist sie es, Bruder?«
Drauf er, verwundert zwar: »Wohl ist sie's!« zurück ihr gegeben.
[201]
Höchlich gelüstet' ihn, zu erspähn solch zartes Geheimniß.
Als nun Jucunde, besorgt um den alternden Vater, beyseitging,
Wider die Kühle zum Schutz ihm zu holen den wärmenden Flausrock,
Wählt' er den Augenblick, da auch der Pfarrer davon ging,
Seiner Tochter entgegen, und zog bey Seite die Schwester.
Thecla aber, vertrauend des Bruders Gesinnung, Jucundens
Reinem Gemüth und dem Wink der leise lenkenden Fürsicht,
Offenbarte dem Bruder: wie ihr Jucunde des Herzens
Heimlichstes gestern vertraut; wie sie, durch solches Geständniß
Irre geführt, betrauert des theuersten Wunsches Vereitlung,
[202]
Jenes, vereint zu sehn, die ihr die Liebsten auf Erden;
Aber wie jetzt ihr klar geworden die Fügung des Schicksals,
Welches im selbigen Nu auf jenen öden Gestaden
Ueber Jucunden und ihn das Loos geworfen, das jeden
Sehnenden Wunsch erfüllt', und lösete jede Verwirrung.
Solches alles erklärte die Schwester dem staunenden Bruder,
Welcher der Vorsicht Wege bewundert, von Rührung und Freude
Wechselnd ergriffen, der Schwester entzückt und erweicht um den Hals fiel,
Ihr gelobend, das Loos, das köstliche, nimmergehoffte,
Das ihm gespart der Gott, zu verdienen, zeigend dem Erdkreis,
Daß nicht der Männer Letzten erkiest die Erste der Jungfraun.
[203]
Als sich also mit dem Bruder verständigt die liebende Schwester,
Kehreten beyd' erheitert zurück zur lieben Gesellschaft.
Aber Jucunde, bemerkend des Jünglings funkelndes Auge,
Sein freymüthigres Nahn, und minder befangenes Wesen,
Ahnete Thecla's Verrath, und das Herz entsank ihr, die Wange
Färbte die Schaam; doch wagte sie nicht, auf die Freundinn zu zürnen.
Aber noch Schlimmeres führet' im Schilde die tückische Thecla.
Alles aufs Reine zu bringen noch diesen nehmlichen Abend,
Lag ihr am Herzen. Nicht eher zu ruhn vermochte die Rasche,
Bis es ihr gar gelungen, in süßen ewigen Banden
[204]
Zu verschürzen die holde Jucund' und den edlen Amalrich.
Als nun, nach Westen schauend, der würdige Pfarrer zum Aufbruch
Mahnte, denn weit sey der Weg und untergegangen die Sonne,
Sprach, ein anderes meinend, die listenersinnende Thecla:
»So ists nicht gemeint, ehrwürdiger Vater. Vergebens
Hab' ich dir nicht entsiegelt den balsamhauchenden Heiltrank,
Nicht vergebens dir selbst den Krystall gefüllet. Du mußt mir
Noch erzählen zuvor von den alten Geschichten Arkonens,
Vom vierköpfigen Gott, dem die blinden Heyden geopfert,
Von dem Horn voll Weins, und dem mächtigen Honigkuchen,
[205]
Von der listigen Pfaffen Betrug, und der Laien Bethörung;
Item, wie Waldemar, der Däne, die Feste berennet,
Wie er bedrängt die wackeren Rugen, wie diese sich lange
Brav gehalten, doch endlich erlegen dem Durst und dem Feuer;
Item, wie jener zerstört den Tempel des Schwantewit, wie er
Selbst den vergötterten Klotz mit der Axt zerstückt, und der Teufel
Gräßlich in Rabengestalt aus des Abgotts Rachen geflogen ...
Solches mußt du mir alles erzählen; an Ort und an Stelle
Hört sichs am lieblichsten an, und präget sich tief in die Seele.
Grausend zugleich und süß ists, wandelnd im schaurigen Burgring,
Schauergeschichten zu hören, umfangen von zweifelnder Dämmrung!
[206]
Komm nur gleich, mein Vater. Es wird doch einmal nicht anders.«
Also sprach sie, und zog mit sich fort den gefälligen Pfarrherrn,
Einsam lassend den Bruder mit beyden Töchtern des Mannes.
Als nun der Vater den Spruch aufhub von der alten Arkona;
Vom vierhauptigen Gott und den schneeweißschimmernden Rossen,
Fiel sie ihm schnell in die Red', und: »Gescherzt nur, sprach sie, für diesmal
Hab' ich, mein Vater, und will dir die alten Historien schenken.
Fort nur wollt' ich dich ziehn von dem luftigen losen Gesindel;
Denn ich habe Geheimes mit dir zu sprechen und Ernstes.«
[207]
Ihr antwortete drauf mit drohendem Finger der Pfarrherr:
»Arges schon wieder, ich merk' es ohnschwer, hat Thecla im Sinne.
Herzliche Lust ist ihrs, zu necken den ehrlichen Pfarrherrn.«
Ihm erwiederte drauf die schlauersinnende Thecla:
»Frommer Vater, du thätest für diesmal leichtlich mir Unrecht.
Was ich zu fragen dich hab', ist wirklich Großes und Ernstes ...
Sage mir doch, was hast du im Sinn mit unsrer Jucunde?
Groß ist das Mädchen und schmuck, der Wirthschaft kundig; nicht übel
Würde das Wiegen sie kleiden; so dächt' ich denn immer, du gäbst ihr
Einen wackeren Mann, und das je eher je lieber!«
[208]
Ihr antwortete drauf gutmüthig lächelnd der Pfarrherr:
»Liebe Tochter, es wachsen, so scheint es, in unseren Tagen
Wackere Freier nicht eben auf allen Hecken und Bäumen.
Manche schüttelte sonst, die bis jetzt noch harrt der Erlösung.«
Also sprach er, und stand wie betroffen; ernste Gedanken
Schienen ihm plötzlich den Geist zu verschatten; manche Minute
Schwieg er bedächtig und sprach sodann mit verhaltener Rührung:
»Liebe Tochter, das Wort, das Sie im Scherze gesprochen,
Führt mir ein Traumgesicht zurück vor die staunende Seele,
Das ich geschaut heut Nacht in der süßen Stunde der Frühe;
[209]
Aber es lag verhüllt bis jetzt in meiner Erinnrung,
Spat erst hatt' ich mich schlafen gelegt, voll ernster Gedanken,
Welche geweckt in mir der heiligen Schriften Betrachtung,
Ueber des Menschen beschränktes Loos und die höhere Führung,
Ueber des eigne Geschick und über der Meinen Verhängniß,
Jener Entwichnen sowohl, als der wenigen Uebriggebliebnen.
Lange lag ich, es hielt mich wach die ernste Betrachtung.
Als ich betend zuletzt mein und der Meinen Verhängniß
In die Huth bepfohlen des allumfangenden Vaters,
Schlummert' ich ein, da schon der Hahn gekrähet; und plötzlich
Stand dies Traumgesicht vor meiner ahnenden Seele.
[210]
Siehe ich fand mich versetzt in eine verwilderte Landschaft,
Stachlicht Gebüsch nur wuchert' umher, und trauriges Riedgras.
Mühsam wand sich durch Moor und Geschlüft der schlüpfrige Fußpfad.
Rechts und links des Pfades erhuben die Gräber der Meinen
Enrst die grünenden Häupter. Jucunde nur und die Kleine,
Der Sie den Namen gegeben, geleiteten tröstend den Vater.
Mühsam zwar, doch zogen wir fröhlich des schaurigen Weges,
Eilend, ein Land zu erreichen, ein Schöneres, das aus dem Osten
Uns entgegenglänzt' in morgenröthlichem Schimmer.
Aber nicht lang' und der Pfad sing an sich zu spalten; ein Fremder,
Willens, des anderen Wegs zu ziehn, lud kosend Jucunden
[211]
Ein, den Vater verlassend, ihn seines Wegs zu geleiten.
Flehend schaut' ich sie an, sie umschlang mich schluchzend, denn leider!
War es des Kindes letztes Umfahn; den Vater verließ sie
Um den geliebteren Fremden! Da sprach ich traurend zu Thecla:
›Deine Schwester ist fortgezogen; so sage nun, Thecla,
Will du nicht auch fortziehn, so jemand deiner begehret?‹
Aber es sprach entschiedenen Tons das kindliche Mägdlein:
›Vater, wer mein begehrt, der ziehe zu uns, und zusammen
Wollen wir wohnen bey dir und dein wahrnehmen im Alter!‹
Also sprach sie, und ich erwacht' aus dem Traum und dem Schlummer,
Aber es schlief der Traum in den Tiefen meines Gemüthes,
[212]
Bis ihn das Wort, das Sie gesprochen, von neuen geweckt hat.
Träume, sagt man, des Morgens geträumt, enthüllen die Zukunft.
War es denn Ernst vielleicht mit der Rede? Wüßten Sie selber
Einen Freyer vielleicht für Ihr' und meine Jucunde?«
Also sprach mit verhaltener Rührung der würdige Pfarrherr.
Thecla aber, den Traum bewundernd, erwiederte fröhlich:
»Träume, mein Vater, des Morgens geträumt, enthüllen die Zukunft.
Einen Bräutigam weiß ich für deine und meine Jucunde.«
Also sprach sie, und schwieg. Auch der Pfarrherr schwieg. Denn so eben
[213]
Nahten Jucund' und Thecla, geführt vom edeln Amalrich,
Die aus dem Osten, wie jen' aus dem Westen, des inneren Burgrings
Thürmenden Rand umgingen. Sich kreuzend jetzt mit den Andern,
Grüßten sie freundlich winkend; und Thecla, welche vernommen,
Daß mit Jucunden Amalrich gar traut vom heiteren Abend
Handelt' und von der Klarheit der Luft und der prangenden Umsicht,
Sprach im Vorübergehn, der Verlegenen spottend: »Ihr Kinder,
Grau, daß ihrs wißt! ist die wilde Gans, und scheckigt die Zahme.«
Fürbaß zogen sodann die Einen und Andern des Weges.
Eilig nun nahm das Wort der würdige Pfarrer und sagte:
[214]
»Einen Freyer also und einen recht wackeren wüßte
Thecla für meine Jucunde. Wer wär' es denn? Lassen Sie hören.
Ist es ein Pfarrer vielleicht? der Jüngeren Einer, die jüngst erst
Hiehin gepflanzt und dorthin, des Altars jugendlich pflegen?
Höchlich gefiele mir dies. Gern gattet sich Gleiches zu Gleichem.«
Ihm antwortete lächelnd Amalrichs treffliche Schwester:
»Frommer Vater, es kümmern wohl wenig die jüngeren Pfarrer
Den, der die Aelteren kennt; am wenigsten mich und Jucunden.
Keiner auch hat von diesen um deine Jucunde geworben.«
Weiter forschend erwiederte drauf der sinnende Pfarrherr:
[215]
»Wär' es vielleicht aus der Näh', aus der Fern', ein wackerer Landmann,
Welcher den Acker baut, den eigenen oder gedungnen?
Gar nichts hätt' ich dagegen. Der Stand ist löblich, und Gott hat
Selbst befohlen das Feld zu baun, von dem Kraut auf dem Felde
Uns zu nähren, bis wir einst werden, was wir gewesen.«
Lächelnd erwiederte drauf Amalrichs treffliche Schwester:
»Lieber Vater, der Mann, der deiner Tochter begehret,
Weiß, so viel mir bekannt, nicht zu sä'n, noch zu mäh'n, noch zu pflügen.
Zwar ward ihm auch beschieden ein Stückchen Erde, wovon er
Sich zu nähren gedenkt, und einst darunter zu schlafen.
[216]
Dennoch, geliebt' es ihm nicht bis jetzt, zu pflegen des Ackers.«
Weiter forschend, erwiederte drauf der sinnende Pfarrherr.
»Wär' es ein Krämer vielleicht? ein wohl ansehnlicher Kaufmann,
Welcher die Stadt und das Land versorgt mit Waaren des Auslands,
Wenig hätt' ich dagegen. Der Stand ist nützlich und nährsam.
Nur Jucunde bedünkt mich zu schlecht und recht für den Laden.
Wenig Erkleckliches möchte das Mädchen handelnd erschwingen.«
Ihm erwiederte schnell Jucundens treffliche Freundinn:
»Schweig von Krämern, mein Vater! Verdorben für Krämer und Kaufmann
Hast du auf immer dein Kind; nie lernt den Schacher die Einfalt.«
[217]
Weiter forschend erwiederte drauf der sinnende Pfarrherr:
»Wär' er vielleiche ein Soldat! Den Soldaten halt' ich in Ehren!
Bibel und Schwert vertragen sich wohl! Auch schwing' ich ja selber
Schwach zwar das Schwert des Geistes, und führe die geistliche Rüstung.
Nur im Felde zu wissen den lieben Gemahl, für sein Leben
Täglich und stündlich besorgt, nicht gönnt' ich solches Jucunden.«
Eben wollte das Fräulein zurück ihm geben die Antwort,
Als von Amalrich geführt, Jucunde nahten und Thecla,
Jetzt zum anderenmahl beschreibend die Runde des Ufers.
Freundlicher schon, wie es schien, und vertraulicher, hatte Jucunde
[218]
Sich dem Amalrich genähert. Die Hand des Mägdleins umschlossen
Hielt der Jüngling; es spielten die warmen Finger des Mägdleins
Leis' in der zuckenden Hand des wonnebebenden Jünglings.
Thecla, die Schlaue, bemerkt' es, und während das trauliche Paar sie
Nickend vorüberzog, entflohn ihr die tückischen Worte:
»Liebe Jucunde, mich dünkt, die Flügel schossen gewaltig.«
Hoch erröthend, doch hüllte die glühende Wang' ihr die Dämmrung,
Drohte Jucunde der Argen mit aufgehobenem Finger.
Fürbaß schritten sodann des Wegs die Einen und Andern.
[219]
Eilend nun; nahm das Fräulein das Wort und redete also
»Lieber Vater, du hast auf den Kopf den Nagel getroffen,
Auf den Soldaten rathend. Der Freyer deiner Jucunde
Ist, wenn du willst, ein Soldat. Ein tüchtiger, wohlversuchter
Kriegsmann ist er, und Ritter dazu und von adlicher Abkunft.«
Staunend erwiederte drauf der höchlich befremdete Vater:
»Ritter und adlich, mein Kind? In der That, das däucht mir bedenklich!
Schwerlich gesellt sich zum Löwen das Lamm, zum Adler die Taube.
Fern zwar sey es von mir, mit den tollen Schreiern des Tages
Wider den Adel zu wüthen, und jegliches erbliche Vorrecht.
[220]
Ehrenwerth ist ein altes Geschlecht, das mit Gut und mit Blut einst
Treulich dem Staat gedient, vielleicht durch manches Jahrhundert
Auch läßt Art nicht von Art. Ein Adlicher wird sich nicht leichtlich
Schlechtes verzeihn und Gemeines, besorgt, zu beschämen die Ahnen.
Und was den Ahnenstolz anlangt, den verschrieenen, acht' ich
Tausendmal leidlicher ihn, als des Bürgers und Bauren Hochmuth,
Der auf den Mammon sich bläht, den ihm das Glück in den Schooß warf.«
Ihm antwortete drauf Amalrichs treffliche Schwester:
»Lieber Vater, im Namen des ganzen löblichen Standes
Sag' ich dir Dank für das billige Urtheil. Selten vernimmt man
[221]
Aehnlichs diesen Tagen der leidenschaftlichen Gährung.
Möchten die Unsern nur nicht das Geschrei rechtfertigen! Wäre
Adliche Sitte nur immer gepaart mit adlicher Abkunst,
Wie bey dem Mann gepaart, der deiner Tochter begehret;
Nicht im Diplom trägt dieser, er trägt im Innern den Adel,
Edel von Gottes Gnaden, und hätt' auch kein Fürst ihn geadelt.
Wohl auch wäre derselbe, der Väter Sitte verehrend,
Sich zu dem Gleichen gesellend, im eigenen Kreise geblieben,
Hätt' er ein Fräulein gefunden in allen Reichen und Landen,
Deiner Jucunde gleich. Er fand sie nimmer. So weicht dann
Billig das spätre Verhältniß dem früheren, Höherm das Niedre.«
[222]
»Erst ein Mensch und sodann ein Adlicher!« spricht mein Bruder.
»Wenig liegt mir daran, ob die Kinder fähig der Stifte
Oder des Hofes mir seyn kraft wohlbehaupteten Stammbaums.
Vieles liegt mir daran, ja alles, daß mir die Kinder,
Gerne die Stift' und die Pfründen dem Unbehülflichen gönnend,
Freudig die Schranken beschreiten, geübt im Turnier der Gesellschaft
Um das Recht und das Licht den Ritterdank zu erringen
Solches befördert zunächst die Wahl der Mutter. Der Mütter
Sinn und Gemüth entscheidet der Nachwelt Sinn und Gemüthe.«
Also redet' Amalrich ... »Amalrich ists und kein andrer
Daß du es wissest, mein Vater, der deiner Tochter begehret.«
[223]
Also sprach mit erhöhetem Ton nie Schwester Amalrichs.
Aber der Vater erschrak ob der wenig geahneten Zeitung.
Manche Minute schwieg er, bedenkend den ehrlichen Antrag,
Theclens erprobte Treu, Amalrichs biedre Gesinnung,
Auch der Tochter Versorgung und sein zunehmendes Alter,
Auch die erfreuende Nähe der grünenden Juliusrühe.
Wo die geliebte Tochter, getrennt auch, nahe ihm bliebe ...
Solche alles bedacht' er, und als er es reiflich erwogen,
Gab er der werbenden Thecla die vielgewünschte Entscheidung:
»Ist es Ernst, mein Kind ... und mich dünkt, den Ernst wie den Scherz weiß
[224]
Thecla von Thurn zu sparen auf die gelegene Stunde ...
Ist es Ernst also, und ist Amalrich der Freyer,
Welcher der Tochter begehrt; nichts hab' ich zu sagen, als dieses:
Sein ist mein Kind, und es segne der Himmel sie zeitlich und ewig!«
Also sprach mit Rührung der tieferschütterte Vater.
Thecla die Rührung theilend des Pfarrherrn, eilt' ihm zu danken,
Als, von Amalrich geführt, Jucunde nahten und Thecla,
Jetzt zum drittenmal beschreibend die Runde des Burgrings.
Weicher geworden und kühner zugleich mit der wachsenden Dämmrung,
Hielt vertraulich der Jüngling den Leib umschlungen der Jungfrau,
[225]
Welche, gelehnt das sinnige Haupt an die Schulter des Jünglings,
Schweigend, innig bewegt, mit feuchten, glänzenden Augen
Niederschaut' in die grünliche Flut, bepurpert vom Spatroth,
Während am Arm des Erretters die Kleine fröhlich daher sprang.
Aber als jetzt zum drittenmal die Liebenden nahten,
Säumete Thecla nicht länger. Vertrauend der Führung des Gottes,
Ihrer Geliebten geläutertem Sinn und dem Glauben des Pfarrherrn,
Trat sie mit rascherem Schritt hinzu und sprach, zu Amalrich.
»Nimm sie hin, sie ist dein!« ... »Sie ist mein?« rief freudig der Jüngling,
»Vater, Jucunde mein?« ... Und mühsam ächzte der Vater:
[226]
»Nimm sie, Sohn, sie ist dein!« ... Da umschlang der Jüngling die Jungfrau,
Und in Amalrichs Arm lag wonneweinend Jucunde.
Laut aufschluchzete Thecla; es schluchzete Thecla die Jüngre,
Dunkel nur fassend den Sinn der schicksalbindenden Worte.
Aber der Vater entblößte das Haupt, und mit feyrlicher Stimme
Betet' er, über sich schauend zum sternebesäeten Himmel:
»Du, der Seelen mit Seelen verknüpft, wie Sonnen mit Sonnen,
Schaue mit Huld und mit Gnade herab, allliebender Vater,
Auf dis bräutliche Paar. Genehmigend ihre Gelübde,
Sprich dazu dein heiligend Ja und versiegelndes Amen!«
[227]
Also der betende Vater. Es traten Jucund' und Amalrich
Eilig herbey mit gesenktem Haupt und gebogenen Knieen,
Um zu empfahn den Segen des tieferschütterten Vaters;
Fielen ihm dann in den Arm, ihn umschlingend kindlich und innig.
Thecla aber, erliegend der Lust, der reinsten und schönsten,
Glücklich zu wissen für immer, die ihr die Liebsten auf Erden,
Trat an den Rand des Gestades, und weinete selige Thränen,
Edle Spende dem Geist der Natur, der durch heimliche Fäden
Sonnen mit Sonnen vermählt, und Seelen einigt mit Seelen.
Dann in des Scherzes Hülle die tiefere Rührung verkleidend,
[228]
Wandte sie sich zu den Andern und sprach die fröhlichen Worte:
»Lieber Bruder, du hast mir ein löblich Exempel gegeben.
Wohl geziemet der Jüngern, zu folgen so rühmlichem Beispiel.
Kund und zu wissen demnach sey jedermänniglich hiemit,
Daß ich, Thecla von Thurn, Herrn Fürchtegott Leberecht Flemming,
Medow's würdigen Pfarrer, zum Ehegemahl mir erkiese.
Habt ihr dagegen was einzuwenden, so sprecht, da es Zeit ist!«
Also sprach sie, und angeschmiegt an den würdigen Pfarrherrn,
Bittend die Wang' ihm schmeichelnd, entflohn ihr die scherzenden Worte:
[229]
»Nimm mich doch, frommer Vater. Ich bitte dich flehentlich. Sitzen
Bleib' ich Aermste ja sonst, die doch für schön und für klug gilt.«
Aber es sprach der Pfarrer, den drohenden Finger erhebend:
»Nur nicht zu arg gespottet, mein Fräulein! Dinge, wie diese
Sind schon eher begegnet. Das Alter, besage des Sprichworts,
Schadet der Thorheit nicht. Auch ist der Pfarrer von Medow
Nicht so alt, wie ihr denkt. Wohl haben die Sorg' und die Bücher
Frühe das Haar ihm gebleicht; doch sah er Abraham nimmer.«
Also der scherzende Vater; und als auf die staunende Kleine
Jetzt das Aug' ihm sank, befragt' er sie, heiterlächelnd:
[230]
»Deine Schwester ist Braut; und zieht mit dem Manne von dannen.
Sage dann, liebes Kind, wenn auch dein einst jemand begehret,
Willst du auch mit ihm ziehn, den alternden Vater verlassend?«
Rasch antwortete drauf, wie aus höherer Regung, das Mägdlein:
»Vater, wer mein begehrt, der ziehe zu uns! und zusammen
Wollen wir leben und sterben, und dein wahrnehmen im Alter.«
Also das Kind, und es lächelten alle der treffenden Antwort.
Aber der Vater des Traums gedenk, und der Kinder Zukunft
Sammt der eignen erschauend im blassen Schimmer der Ahnung,
Schaute gerührt empor und sprach die dankenden Worte:
[231]
»Herr, Herr, viel zu gering bin ich der Lieb' und der Treue,
Die du gethan an mir, an deiner Knechte geringstem,
Dein sey der Dank und der Preis und die Ehr' in Ewigkeit, Amen.«
Und es begriff nicht das Kind des Vaters freudige Rührung.
Thecla begriff sie und staunt'. Es umschlang der Jüngling die Jungfrau,
Und in Amalrichs Arm lag wonneweinend Jucunde.

Notes
Erstdruck: Berlin 1803.
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TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Jucunde. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B72A-7