[168] Als Paris gefallen war

Stanzen.


Verehrte Gönner, eh vor euren Blicken
Der Bühne wechselnd Spiel sich heut' erregt,
Sey mir vergönnt, zwar schüchtern, auszudrücken,
Was mächtig unser aller Brust bewegt!
Geziemt es doch der Bühne, sich zu schmücken
Mit jeder Farbe, die das Leben trägt!
Mag Gram euch düstern, Frohes euch erheitern;
Der Kunst gebührt, die Leidenschaft zu läutern!
Das große Räthsel lösten diese Tage;
Gesprochen hat der Gott ein mahnend Wort;
Schicksalentscheidend klang die Völkerwaage,
Und ihrem Klang' erbebten Süd und Nord.
[169]
Wie Windsbraut wälzt die ungeheure Sage
Von Strom zu Strom, von Strand zu Strand sich fort.
Wohin ihr lauscht, hört ihr die Losung schallen:
Der Franken stolze Hauptstadt ist gefallen!
Sie, deren Ring den Raub des Erdballs faßte,
Sie, die Europens Königinn sich pries;
Die in der Völker Blut und Thränen prass'te,
Und jede Mahnung höhnend von sich wies;
Die aus der Hütte längst und dem Pallaste
Den Glauben sammt der Liebe von sich stieß;
Sie hat des herben Kelchs nun auch getrunken,
Ihr prangend Haupt ist in den Staub gesunken.
Ein Höherer hat über sie gesprochen,
Ein Stärkerer hat ihr den Raub geraubt.
Auch über sie ward nun der Stab gebrochen,
Die unantastbar sich bis jetzt geglaubt.
Wien und Berlin und Moskau sind gerochen;
Die alte Roma hebt ihr würdig Haupt.
Die jüngst noch Herrinn hieß, wird Magd gescholten,
Und wie sie andern that, wird ihr vergolten!
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Vergeltung, traun! harrt jenseit jener Sterne;
Doch auch hienieden wird vergolten schon!
Es greife nicht zu lüstern in die Ferne,
Es baue nicht in Wolken seinen Thron,
Wen eines Weibes Schooß gebar! Es lerne
Die höhern Mächte scheu'n der Erde Sohn!
Nicht Sterblichen ziemt schrankenloses Schalten;
Es ziemt allein den himmlischen Gewalten.
Das wars, worauf die Ueberwinder bau'ten,
Und was der Ueberwund'ne frech verlacht.
Nicht wars die Zahl, d'rauf unsre Tapfern trau'ten,
Nicht ihrer Ross' und Wagen Uebermacht;
Es war der Frommen Hort, auf den sie schau'ten,
Und der durch sie das große Werk vollbracht.
Ihr glaubensvollen Helden, seyd gesungen!
Der Kränze schönster ward durch euch errungen.
Hört ihr den Jubelpsalm der Nationen?
Sie rafften auf sich aus dem dumpfen Harm.
Es fallen schon die Kinder ferner Zonen
Versöhnt einander in den Bruderarm.
[171]
In unsern Hütten wird nun wieder wohnen
Der Väter Herzlichkeit, treu, deutsch und warm.
Der Geister Aufschwung lähmt nicht mehr der Schrecken;
Die neue Zeit wird neue Kräfte wecken.
Nicht mehr geleiten uns der Späher Rotten
Daheim und draußen, feldwärts und an Bord.
Des Zwanges ledig, steuern unsre Flotten
Furchtlos von Meer zu Meer, von Port zu Port.
Der Bosheit trotzen und der Dummheit spotten
Die freie Letter und das freie Wort.
Asträa schwingt die blitzende Egide,
Und rings gedeihn Zucht, Ordnung, Recht und Friede.
Hör' auf dann, trautes Land, auch du zu trauern,
Und wandl' erhabnen Haupts die neue Bahn!
Ergrünt ihr Fluren nun aus Schlag und Schauern
Die wir noch jüngst im Eise starren sahn!
[172]
Frohlock' im Ninge deiner freien Mauern,
Stadt, der die Mus' und Hore liebend nahn!
Und ihr, verehrte Pfleger alles Schönen,
Seyd freundlich, wie ihr wart, Thaliens Söhnen!

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TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. Vaterländische Gesänge. Als Paris gefallen war. Als Paris gefallen war. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B730-8