[138] Elegie

1778.


Die du mich öfter am Arm der Freunde, beim blinkenden Kelchglas,
Oefter an Jinny's Brust, öfter im Wald' ergriffst,
Oefter mich im Rauschen der Kirchhofpappel besuchtest,
Wenn ich mich ernst wie die Nacht unter den Todten erging –
Süße, ernste, trauernde Wehmuth, wer bist du? wie hast du
Heute so ganz mich umwölkt! Hast von des sprießenden Tags
Frühsten Strahlen bis zu den Rosen des lächelnden Abends
Deinen Sänger umhüllt. Aehnlich dem sinkenden Mond,
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Bin ich umher gewandelt in Dämmrung, und habe die Schöpfung
Lächelnd angeweint, habe den Wald und die Flur
Und den Wurm und den Vogel und meine Brüder, die Staube,
Mit dem unsterblichen Geist doppelt liebend umfaßt,
Habe nicht des Thoren gespottet, den Lasterhaften
Nicht gehaßt, nur beklagt; habe mit doppelter Gluth
Meine Freunde jenseit des Meers, und meine Geliebte
Jenseit der Berge gedacht; habe das silberne Haar
Und den wankenden Schritt des Greisen, die schwindenden Kräfte
Und sein dunkleres Aug', und sein ersterbendes Herz,
Und die letzte ringende Stunde, das Streben und Aengsten
Und Aufraffen der hebenden bangen Natur,
Und das letzte stammelnde Lebewohl, und das enge
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Ueberregnete, überschneiete Haus,
Und das Wiedererwachen und Wiederersteh'n, und das Jubeln
Deß, der den Sieg bestand, und des Getreueren Lohn
Und die Amarantengefilde des ewigen Lebens,
Hab' ich ernsteren Blicks, bleibenden, tiefern Gefühls
Heute durchgeschaut und durchempfunden, als vormal –
Wehmuth, die mich umwölkt, rede, du Heilige, dann,
Rede, wer hat dich so mächtig in meine Adern gegossen!
Liebe hat 's nicht gethan, Durst nach Entferneten nicht;
Melancholische Wonne des Weins ist's auch nicht gewesen,
Auch kein Heimgeleit' eines Geschiednen – auch nicht
Schauer eines schmelzenden himmelanfliegenden Liedes,
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Wie es mein Klopstok es schafft, wie es mein Neefe singt. –
Ha! ich weiß, ich weiß schon – du bist es, Liebling der Erde,
Du, den die lauere Sonn', und die erduftende Flur
Und das sprießende Moodelblümchen, die purpurbekränzte
Knosp' am Haselzweig, und der geröthete Wald,
Und das Spatzegezwitscher, und Lerchengetriller, des Hänflings
Flöten, der gurgelnde Frosch, und das lebendigre Feld
Mir verkünden. Ich bin von Rosen des schwellenden Morgens
Bis zu den Sternen der Nacht, einsam und feierlich still
Diesen ganzen lieblichen Tag umher gewandelt –
Siehe, da rief mir der Wald, siehe, da duftet's die Flur,
Siehe, da strahlt es die Sonn': Er kommt! Die linderen Lüfte
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Säuselten sich's: Er kommt! Von Trift zu Trift, von Gebüsche
Zu Gebüsch' erscholl's, und von erjubelndem Thal
Jubelt es über die Berge zu mir herüber. – Da glaubt' ich's,
Daß du kämest; und wohl ward mir, so feierlich wohl!
Also wird dem gramverdorrenden Dulder. Schon lange
Lechzt' er nach Thränen, und lang' lechzte der Arme umsonst.
Lang' blieb dürr und starr sein Gram, bis etwa die Mondnacht,
Oder in heiliges Lied, oder die Freundschaft ihn schmelzt'.
Jähling fühlt' er dämmern sein Auge. Ihm zittern die Wimper –
Warum schau'st du so starr, Freund, in den blendenden Tag? –
Siehe, wie schwellen, wie stürzen die Schauer labender Thränen
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Seine Wangen hinab, schwemmen sein schweigendes Lied
Sanft hinweg – So wird mir. So fühl' ich, kehrender Lieber,
Deine Wiederkehr. Sey mir, Holdseliger, dann,
Sey mir in deiner ganzen süß schwermüthigen Schöne,
Herzlich, herzlich, gegrüßt! Sey mir mit jedem Gefühl
Meines Selbst, mit jeder von meinen unsterblichen Kräften,
Mit der Denkerinn und mit der Dichterinn gegrüßt!
Sey mir im Allerheiligsten meines Herzens, da, wo mir's
Für die Liebe flammt, und für die Tugend und für
Ihre vollbürtige Schwester, die Seherinn Gottes – da sey mir
Herzlich, herzlich gegrüßt! – Blühender Sohn der Natur!
Niederströmende Milde des Himmels, Buhle der Erde,
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Ach! wie soll dich mein Lied singen? Du sollst es nicht, Lied!
Aber du, mein ganzer unsterblicher Wandel, du sollst es!
Frühe vom Morgenroth bis zu den Sternen der Nacht
Will ich hangen an deinem Busen, will athmend und stürmend,
Wie der Jüngling die Braut, Freund, dich umfangen. Ich will
Deines Thaues trinken, mich lagern auf deinen Blumen,
Und die Blumen, die einst Freunde mein einsames Grab
Ueberstreuen werden, gedenken! Den weißeren Winter
Und das engere Haus, und die längere Nacht
Und das Wiedererwachen und Wiedererstehn, und das laut auf-
Weinende Wonnegeschrei des, der die Krone bestand,
Und die Amarantengefilde des ewigen Lebens
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Will ich, kehrender Freund, während dein Flügel mir weht,
Immer inniger denken, und immer lieber gewinnen,
Daß mich der ewige Kranz tröste, wenn du mir verblühst.

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TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. Elegie. Elegie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B757-0