[77] Cidli und Meli

Eine Idylle aus dem Paradiese.


Zilia saß im Zederschatten. Die liebliche Cidli
Saß auf Ziliens Schooß'. Es flog dem blühenden Mägdlein
Rings um die Schultern das ringelnde Haar im Säusel des Abends.
Staunend saß sie. So staunt, wer süß geträumet, und plötzlich
Aus dem Traum' erwacht. So staunte die sinnende Cidli
Ob dem jüngst verflatterten Traume des nichtigen Lebens.
Manches fragte die Kleine; und manche lehrende Antwort
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Gab ihr Zilia schonend zurück. Mit vertraulicher Liebe
Hing des Mägdleins glänzendes Aug' an der Führerinn Antlitz.
Und es neigte der Tag. Auf des Meers lasurenem Bette
Ruhete großgeaugt und segenspendend die Sonne.
Feiernd lag vor der Segnenden Auge die freundliche Schöpfung.
Düft' entströmten dem Wipfel der Zedern, melodische Stimmen
Rieselten durch ihr säuselndes Laub. Aus der Näh und der Ferne
Wehten äolischer Harfen Kläng' und der Orphica Lispel.
Cidli's staunende Seele durchzitterten Schauer auf Schauer.
Inniger schmiegte sie sich und fester an Ziliens Busen.
Und nun waltete heilig die Nacht auf Hügeln und Thalen,
Lau und frisch und strömend von Düften. Es glimmte das Spätroth
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Durch das flitternde Laub, und färbte die Wangen des Mägdleins.
Staunend empor sah Cidli zum sternebesäeten Himmel.
Andere Stern' erschienen der Wundernden; andre, als jene,
Die ihr der Vater gezeigt, wenn gegenüber den Fenstern
Sirius flammten und Rigel, und Betegeuze, die Schöne;
Andere, schönere, funkelnd're Stern' erschienen der Kleinen.
Emsig schaute sie auf. Und sieh! am Saume des Osten
Glomm ein weißlicher Schimmer empor. Der silberne Schimmer
Lichtete sich mit jeglichem Nu. Und siehe, mit einmal
Quoll ein leuchtender Ball herauf aus den grollenden Fluten,
Weithin glänzte die Flut; es glänzten die Häupter der Berge.
Ziliens hehres Aug' erglänzt' in Thränen der Rührung.
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Zärtlicher schmiegte sich Zidli an sie; und »Zilia,« sprach sie:
»Welch ein Mond ist dieß! Viel schöner wahrlich ist dieser,
Als der blasse, der manche Nacht mit fließendem Silber
Unsre Wände daheim besprengt' und mein schwellendes Lager.
Lieb war jener und gut; doch größer ist dieser und schöner.«
Lächelnd durch ihre Thränen sprach Zilia: »Liebliches Mägdlein,
Was du schauest, ist nicht der Mond, der einstens die Kissen
Deines Bettchens umflittert'. Es ist die Wiege, Geliebte,
D'rin du den Traum geträumt des schnell verflatternden Lebens.«
Cidli schau'rte sanft zusammen. Ihr helles Geburtland
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Sahe sie schweben im glänzenden Blau. Sie schmiegte sich innigst
In der Führerinn Arm, und sprach mit seufzender Sehnsucht:
»Soll ich dir sagen, o Gute, wie deiner Cidli ums Herz ist?
Schön, unnennbar schön, ist dieses blühende Eiland,
Jenes Smaragdgebirg', und diese Lilienebne.
Mildere Lüfte schmeicheln um uns; ein blauerer Himmel
Aeugelt auf uns herab, und eine freundlichere Sonne.
Diese Blumen nicken mir zu, gleich liebenden Wesen;
Diese Blätter flistern um mich, wie kosende Zungen;
Jene Vögelein flöten mich an, wie fühlende Seelen.
Köstlicher mundet der Palme Saft, die ambrosische Traube,
Als die Milch und das Obst, das mich dort unten gespeiset.
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Seliger fühl' ich mich, Traute, an deinem Busen, als einstens
Auf der Gebärerinn Schooß' und in dem Arm des Erzeugers.
Dennoch denk' ich noch oft mit heimverlangender Wonne
An die wenigen flüchtigen Monden (sie dünken mich Stunden),
Die ich im Arm des Vaters gelebt, auf dem Schooße der Mutter,
Und im Kreise geliebter Gespielen. Ach, sage mir, Gute,
Vater und Mutter hatten mich lieb. Ach, sollten bisweilen
Vater und Mutter noch wol der fernen Cidli gedenken?«
Lächelnd durch ihre Thränen sprach Zilia: »Nimmer vergessen
Vater und Mutter dein. Nicht leicht vergißt sich der Säugling,
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Den man empfing im Wonnemoment des höchsten Entzückens,
Den man dem Herzen zunächst neun lange Monden getragen,
Den man mit Angst gebar, mit seinen Brüsten ihn tränkte –
Nie, o Töchterchen, nie vergessen deiner die Deinen.«
Heiterlächelnd sprach Cidli: »Und meine Trauten, o Gute,
Lilla, die Holde, und Lili, der Fromme, was machen wol diese?
Manchen fröhlichen Tag und manchen vertraulichen Abend
Haben wir mit einander gekürzt in mancherlei Spielen.
Greisens spielten wir itzt, und itzt Versteckens. Am liebsten
Spielten wir Bräut'gam und Braut. Der silberlockige Lili
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Pflegte der Bräut'gam zu seyn, und deine Cidli das Bräutchen.
Festlich geschmückt ward Cidli dann mit Blumen und Bändern.
Priesterlich pflegt' uns Lilla zu trau'n. Der kindischen Trauung
Folgte der festliche Schmaus, dem Schmause der Tanz und der Reigen.
Lilla und Lili, o süße Gespielen, was macht ihr wol itzund?«
Lächelnd durch ihre Thränen sprach Zilia: »Lilla und Lili
Wallen noch drunten und trauern um dich. Sie werden nicht wieder
Bräutigam spielen und Braut; es fehlt die bräutliche Cidli.«
»Ach und Meli,« rief itzt die Kleine mit steigender Sehnsucht,
»Wäre doch Meli hier, der süße, lächelnde Säugling!
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Wenige Monden erst ruht am Busen der Mutter der Kleine.
Seinen Lippen ist noch kein kosendes Wörtchen entquollen;
Aber es redet das flammende Aug' unaussprechliche Dinge.
Ach, ich hatte Meli so lieb! Ich sah' ihn so gerne
Liegen und zappeln und girren vor Wonne im Schooße der Mutter,
Sah' ihn schlummern so gern in seinem schwebenden Bettchen.
Dieser Schooß hat ihn öfter getragen, mit diesen Armen
Hab' ich ihn öfter umfaßt. Dann lächelte Meli so freundlich.
Wäre doch Meli hier, der holde, lächelnde Säugling!«
Also rief es die Kleine. Mit Inbrunst rief sie's, und plötzlich
Schimmert' ein Regenbogen vor ihr im Nebel des Thaues.
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Sanft zerflossen die Nebel. Es flatterten glänzende Wölkchen
Rings durch das ausgeheiterte Blau; der glänzenden Wölkchen
Schwebte das Eine heran. Es zerfloß, und schimmernd von Schönheit,
Rein gebadet im lauteren Strom des lebendigen Aethers,
Stand vor seiner staunenden Schwester der lächelnde Meli.
»Meli, Meli, bist du's? rief Cidli. Aus Ziliens Armen
Wand sie eilend sich los, und umschlang den schimmernden Bruder.
Meli, Meli, bist du's? O sage, sage mir, Trauter,
Sage, von wannen du kommst? wohin du eilest? O sage,
Ob auch Vater mich grüßt, ob Mutter? ob Lilla und Lili?
Ob sie an Cidli auch denken? O sage, sage mir alles!«
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Tief erschüttert stand Zilia auf. Vom Baume des Lebens
Brach sie der goldenen Aepfel einen, und reichet' ihn Meli.
Meli genoß der ambrosischen Frucht. Da wurde dem Knaben
Aufgeschlossen der innere Sinn. Zu hellem Bewußtseyn
Lichtete sich sein dämmernd Gefühl. Aus dem Abgrund des Geistes
Stiegen Erinn'rungen auf des dumpfverträumten Lebens.
Siehe, sein Auge ward aufgethan. Er erkannte die Schwester.
Horch, ihm wurde die Zunge gelös't. Er redete lieblich:
»Cidli, Trau'te, bist du's? Ja, süße Schwester, dich grüßen
Vater und Mutter. Es grüßen dich, Trauteste, Lili und Lilla.
Wenige Tag' erst warest du weg. Das Auge der Deinen
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War noch nicht trocken um dich. Da erkrankt' ich; Flammen versengten
Mir das Gehirn und das innerste Mark. Auf Saliens Schooße
Lag ich sieben Tag' und sieben Nächte, vom Arme
Itzt der Mutter umschlungen und itzt vom Arme des Vaters.
Mit der Frische des achten Morgens erloschen die Flammen;
Liebliches Kühl umfing mich. Es summte, wie Wiegengelulle
Mir in das klingende Ohr. Den brechenden Augen erschienen
Helle Gestalten. Itzt stand mein Herz, der Athem versiegte.
Eingelispelt vom Engel der Ruh' in seligen Schlummer,
Lag ich, wie trunken. Wie träumend, vernahm ich die Stimme des Vaters:
Zeuch in Frieden, o Sohn! Zeuch hin zu Cidli und grüße,
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Tausendmal grüße die Süße von uns!« Ja Cidli, dich grüßen
Vater und Mutter, es grüßen dich, Trauteste, Lili und Lilla.
Tausendmal grüßen sie dich, und lieben uns ewig, Geliebte.«
Also entquoll es den Lippen des Knaben, wie Lautengelispel.
Feuriger itzt umschlang den Liebling die freudige Schwester.
Zärtlich umschmiegte die zitternde Schwester der liebliche Meli.
Zilia aber, in Rührung zerschmolzen, umfaßte die Kleinen,
Drückte sie heiß an das schlagende Herz, und feierlich sprach sie:
»Ich bin Zilia. Ich bin die Mutter des Mannes,
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Welchen ihr Vater grüßtet, bin euere Mutter, ihr Lieben.
Wenige Lenze nur sah' ich die schwellende Knospe des Knaben.
Sah' sie und freu'te mich ihrer. Sie schwoll, um herrlich zu blühen.
Aber ich sollte die Blüthe nicht schau'n. Hinweg aus der Erde
Ward ich gerückt, um dir, o Sohn, die Kindlein zu ziehen.«
Weiter sprach sie mit segnendem Blick' und gefaltenen Händen;
»Sproßet ihr Zarten heran in des Himmels schauendem Auge!
Blühet herauf, ihr Holden, zu nimmerwelkender Schöne!
Werdet geschmückt mit jeglicher Kraft, mit jeglicher Tugend,
Daß ich dem Vater dereinst die vollgezeitigte Jungfrau,
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Daß ich der Mutter dereinst den thatenrüstigen Jüngling
Führen mög' an Edens Schwell' in die offenen Arme!
Sproßet ihr Zarten indeß, und reift vor des Ewigen Antlitz!«
Also sprach sie, und endet' in inbrunstvoller Umarmung.
Rings in Eden war fei'rliches Still und heiliges Schweigen.
Aber nicht lange, so folgte der Still' unauslöschlicher Jubel.
Aus der Näh' und der Fern' von des Arara Höh'n, von des Pison
Goldsandwälzendem Strom, von des Gihon Ambragestaden,
Aus den Palmen des Phrath, und aus den Zypressen Hidekel
Flatterten flimmernd und zartbeschwingt, wie Libellen zur Herbstzeit,
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Ueber die Lilieneb'nen heran die Seelen der Kindlein,
Welche knospend des Ewigen Hauch aus der Erde gehoben.
Ringsumgürtet vom hellen Chor stand Cidli verwundernd;
Freudig erschreckt stand Meli. Des Tonreichs Wirbel erwachten;
Lautenlispel entbebten den Wipfeln der Zedern. Die Quellen
Quollen dahin mit Orphicaklang. Aeolische Harfen
Weh'ten aus Myrthengebüschen daher zum Reigen der Kinder.
Cidli und Meli flogen dahin im himmlischen Reigen.
Taumelnd und wirbelnd flogen sie hin, daß rings um die Schultern
Ihnen das Haar wild strömt' und die Kränze den Locken entstoben.
Also waltet' im seligen Eden unendlicher Jubel,
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Während drunten, im Lande der Gräber, der einsame Vater
Neben den Urnen stand, und seine Verlornen beweinte.

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TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. Cidli und Meli. Cidli und Meli. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B790-E