[39] Der 14. Kühlpsalm

Um di Gabe seine Feinde zuliben, und seinen untreuen Freunden zuverzeihen, am 28 Septemb. und 14. Octob. 1677.


1.
Herr Jesu Christ, las mich di Feinde liben,
Und liben mehr, imehr si mich betrüben,
So werd ich recht zu deinem wahren Kind,
Und geh den Weg, den du mir vorgegangen!
Hilf mir verzeihn, das ich Verzeihung find'!
Hilf andern thun, was ich selbst wolt empfangen!
Obschon zuschwach mein Fleisch und Blutt,
Und wir geneigt zu keinem Gutt,
Doch durch di stärk, di du mir wirst verleihen,
Wird diser wunsch nach meinem wunsch gedeihen.
2.
Nichts schwerers wird gefunden auf der Erden,
Als Guttes thun vor lauter Lastbeschwerden:
Und liben den, der schmertzensängste mehrt,
Vil tausend Ach auf unsre Seele schüttet,
Ja bis zum tod, wann er nur kan, versehrt,
Das gäntzlich wir nur würden hir zerrüttet.
Allein ein Christ hält deine Wort,
Folgt, Jesus, dir an allem Ort,
Und mus dem Feind in allem fall vergeben,
Drum wünsche ich durch dich dein Libesleben.
3.
Wi, höhr ich nicht in mir dis Jesus sagen?
Du Schwacher du! was wilstdu Feindschafft klagen?
Schau Euch recht an in meinem Paradeis.
Welch Feindesgreul war Adams Falschverstekken?
Vor Feinde gab ich meinen Blutt und Schweis!
Kein Feindeswerk kont mich von Euch abschrekken!
Was heget ihr noch heut vor Lib?
Wi feindlich sind mir eure trib?
Doch meine Gnad wil euch noch täglich fassen:
Vergebet strakks, wo ich nicht Euch soll lassen.
[40] 4.
Ja, Jesus, ja! du treibest mich zum schämen!
Wir mögen Uns nur über Uns abgrämen.
Ach ich erkenn, O Libster, unsre schand!
Di Sonne schleust in sich nicht so vil blikke,
Di Berge staub, di Meere tropff und sand,
Als unser hertz noch immer Feindschafftstükke.
In Adam sind wir gantz verderbt!
Nur Feindschafft ward Uns angeerbt!
Wo irgend Feind in grossem ernst zuflihen,
So ist es noth von Uns aus Uns zuzihen.
5.
Der ärgste Feind verursacht Uns nur freuden,
Gewissensruh und ihm, nicht Uns, ein Leiden,
Wo wir in Uns in Christuslibe gehn,
Und unsern Leib, der unser Feind, recht dämpffen:
Wenn wir in Uns, mit Uns vollkommen stehn,
So ruffen wir Triumf in allen Kämpffen.
Alsdann verleuhrt man seinen Nutz,
Wann man den Feinden bitet trutz.
Der Uns verfolgt, lehrt Uns von hertzen beten:
Erhöht Uns erst, wann Er Uns wil vertreten.
6.
Wenn Uns ein Feind mit seinem Fluch begegnet,
Wird billichst Er von unserm Mund gesegnet,
Weil ihn der Grimm aufwekkt zu unserm Heil,
Damit wir Lib in voller krafft beweisen.
Mehr guttes trägt ein Feind, als Freund, Uns feil!
Drum ist dein Feind mehr als dein Freund zupreisen.
Dein Feind führt dich zur Christusschul,
Sich selbsten ach! zum Schwefelpfuhl,
Wo nicht auf ihn dein segen mag bekleiben,
Und auch zur Lib aus seiner feindschafft treiben.
7.
Wann unser Feind entflammet wird im zanken,
So haben wir den Friden ihm zudanken,
Den Friden, Der Uns Gottes Söhne heisst,
Und Uns den stand der sibnen Staffel reichet.
O seelger Mensch, der so im Himmel gleisst!
Und dises ist, von dem der Feind Uns weichet!
[41]
Der Feind führt Uns zum Thronenthum,
Indem er schmälert seinen ruhm,
Und sol dort ach! in finstern Höllenthälern,
Wo er so stirbt, auf ewig sich verschmälern.
8.
Wann wir besonnt von heilgen Jesusrechten,
Das unsre Feind um unsre häupter flechten
Di Dornenkron, di Jesus selber trug,
So sollen wir erst vor Verfolger bitten!
Verfolger sind der auserwünschte Pflug,
Dadurch wir sind zur Himmelsfrucht durchschnitten.
Verfolger sind der Sigesplatz,
Auf welchem wir den theuren Schatz,
Ersigen flugs zum Cherubinisiren,
Zum Himmelreich ohn einiges verlihren.
9.
Wann Uns di Feind um Jesuslibe willen
Ins Henkerkleid mit tausend Munden hüllen,
Verdammen Uns, verteuffeln unsre Seel,
Si sollen wir si voller Lib umarmen!
Und schreien erst: O Vater! dis verhöhl!
Ach stos si nicht, O Jesus, vom erbarmen!
Si wissens nicht, was dises werth!
Und krönen Uns mehr als begehrt!
Vergib, vergib um Jesus letzes neigen!
Ach las si nicht am jüngsten Tag beschweigen!
10.
Verfolger sind, di Uns im Kreutz aufgipffeln,
Und schleppen uns zun allerhöchsten wipffeln
Des Lebensbaums, da wir offt kletternsmatt!
Si stellen Uns di Schlangenlist vor augen,
Und machen, das wir alles eiteln satt
Di Gnadenmilch aus Jesus Brüsten saugen.
Wann Uns di Freund als Feinde thun,
So schaffet Gott uns wahres ruhn:
Wann Uns di Feind als libste Freunde worden,
So schauen wir noch Gottes ersten Orden.
[42] 11.
Verfolger sind offt unser eigne Brüder:
Sonst Feinde nicht der wahren Christusglider,
Di Uns mehr noth, als Feinde, fügen bei,
Vom Neid erregt, von Erstgeburt bezwungen!
Umhalset si, weil Uns dann trifft di rei,
Di Joseph hat mit David durchgedrungen.
Si meinen bös und ist umsunst,
Weil Gott verwandt ihr Spil und Kunst,
Das letzlich si zu unsern füssen fallen,
Weil ihre list mus offenbahr erschallen.
12.
Drum mein Gemütt, wirf weg dein altes wesen!
Was du gefürchtst, wird endlich dein Genesen!
Gib keinem nicht, wi du bisher, di schuld,
Weil Gott der Herr villeicht dich prüfen wollen!
Entwehne dich der vilen ungedult!
Villeicht geschah, was nur geschehen sollen!
Di Welt ist Welt, das weistdu vor!
Ein ides zwingt sich gern empor!
Di Menschen sind in Freund- und Feindschafft wellen:
Zerbrechlich Glas in Gutt- und Bösen Fällen.
13.
Wahr ist, ich bin Euch, Freund, imehr verpflichtet,
Imehr ihr mich mit aller schmach gerichtet,
Weil ihr mir Gutt, euch aber Bös, gethan!
Ich habs verzihn, und wils Euch gar vergessen!
Gott geb es Euch, das ihr verlasst di Bahn,
Di ihr bisher, wi Ismael, gemessen.
Eur schmähen dint mir allezeit
Von Nu an bis in Ewikeit:
Doch werdet ihr nicht neu in Gott gebohren,
So seid ihr gantz, nicht nur di werk, verlohren.
14.
Strafft stets an mir, was menschliche Gebrechen:
Doch hüttet Euch den Geist von Gott zuschwächen.
Er ist nicht mein, sein ist und wird di wahl.
Gott lässt sich nicht in seinen Boten spotten.
Sein Eifer frisst, wi Holtz, durch Stein und Stahl:
[43]
Weh Euch, so ihr wollt gegen ihn Euch rotten!
Ihr kennet nicht di Morgenstimm,
Und was da sei der Nordengrimm;
Doch sehet zu, das ihr bei Gottesscharen,
Wann dise zwei mit krafft sich offenbahren.
15.
Wann über Rom mit seinen Mondensstrahlen
Des aufgangs Rom als Sigerinn wird prahlen,
So kommt hervor des Ostens Siggesang.
Wein, ErdenGott! di Zeiten sind verstrichen!
Von Mitternacht schallt der Standarten klang,
Und ist di Sonn vorm Monden gar verblichen.
Ob schon das Grab verdint ein traum,
Weil Misgunst findt erwünschten raum,
Doch müssen si dem Pharao verkauffen,
Und ihrem Feind in seine hände lauffen.
16.
Wann gleiches solt mit gleichem stehn vergolten,
So würden si höchstbillichst wohl gescholten:
Allein Triumf! das es so wohl ausging!
Das solches Heil den Ländern ist entstanden!
Als Hungersnoth bei allen sich anfing,
So konten si bei dem verworffnen landen.
Ja ob zuvor des Ofens flamm
Erwekket würd aus Nimrodsstamm,
Und Ismael den Isaac wolt enterben,
Doch sigen wir im leben oder sterben.
17.
Du aber gib, O Jesus, mein begehren,
Das deine Lib in mir sich mehr mag klähren,
Und machen eins di Worte mit der that!
Hilf mir den weg, den du gebähnt, nachwandeln!
Bleib, Jesus, bleib nur ewigst Pfad und Rath!
Das ich fortfahr nach deiner Lehr zuhandeln!
So sind di sünde gantz vertilgt,
Und ich durch Jesusblutt belilgt,
Das völlig wir mit stetem Heiligsingen
Dir Vater, Sohn, und Geist lobopffer bringen.

[44] Nachklang vorigen Kühlpsalmes an alle Freunde und Feinde, Bekandte und Unbekandte, Grosse und Kleine, Hohe und Nidrige, darinn gäntzliche verzeihung allen gegeben, und von allen gebeten,

von nu an bis in Ewikeit.


Kommt, Menschenkinder, kommt! Schaut, was mein hertz inhält:
Ich habe keinen Feind, als Mich, auf diser Welt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kuhlmann, Quirinus. Gedichte. Der Kühlpsalter, Band 1. Erstes Buch. Der 14. Kühlpsalm. Der 14. Kühlpsalm. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B888-9