[85] Der 14. (29.) Kühlpsalm

Als er am 16 Jul. das neue Rom Constantinopel mit viler Gefährlikeit erreichet, 15 tage hernach den Brif an Türkischen Kaiser geschriben, am 1 August, dem letztem Tag seines fünfften Reismondens und nun recht in schwere verfolgungsgefahr durch seines Volkes verfallen, und furcht der Nahmchristen gerathen; in Constantinopel zu Pera in Galata gesungen den 7 Aug. 1678.


1.
Ich schrei zu dir, Dreieinger Gott,
Aus tiffer Angst in Noth halb todt,
Mit Hertzensquall umringet!
Jehova höhr um Jesusbitt!
Erweise wider gnad und gütt,
Eh Seel und Leib zerspringet.
2.
Ach straffe nicht in deinem Zorn!
Zu gros, zu gros ist vor mein dorn,
Darein ich mich gestochen!
Ich stinke mir vor viler Sünd!
Wann ich in meine selbheit gründ,
Wird mir mein Hertz zerbrochen.
3.
O halte inn gerechten grimm!
Mich ängstet sat di Donnerstimm,
Davor ich halb versmachtet!
Der Tag wird nacht, di nacht wird tag,
Ich seufftz, ich wein in meiner plag,
Di stündlich tagt, und nachtet.
4.
Ich weis nicht hülff in solchem stand,
Dergleichen ich nimahls empfand,
Auf aller seit verlassen!
Mein Gott, mein Gott, mir ist sehr bang!
Di Thräne strömet übers wang!
Mein Gott, ach! wil mich hassen!
5.
Di Teufel kommen sichtbahr nah!
Das heilge Licht scheint fast nicht da!
Was sol ich, Gott, gedenken!
[86]
Ein ider thut nach seinem sin!
Si nehmen mir auch alles hin
Um mehr mich zuversenken!
6.
Ich bin nun ärmer mehr als arm,
Von aussen in dem härtstem harm,
Von innen hoch versuchet!
Zerstreut, verwirrt, meist halb verkaufft,
Und was unwissend mir vorlaufft,
Verspottet, hochgepuchet.
7.
Ich bin mir fremder als der Ort,
Kan weder hin noch her noch fort,
Umschwärt von selbstheitseiter!
Es ekelt mir von meinem greul!
Komm! Jesus, komme! mach mich heil!
Mach Aug und Sinnen heiter.
8.
Ich kan und kan ohn dich nicht stehn!
Begehre nur mit dir zugehn,
Eröffne deinen Willen!
Wi dirs gefällt, wil ichs nur thun!
Di selbstheit soll mehr hir nicht ruhn,
Noch mich vor dir verhüllen.
9.
Jehova Tsebaoth, erhöhr!
Dein war, dein ist, dein wird di Ehr!
Zerschelle mein zerschellen!
Herr Jesu Christ, führ deinen Weg!
Führ selber mich auf rechten Steg!
Du must in mir erhellen.
10.
Gott, töd in mir, das mich abwendt!
Dein heilger Geist sei mir gesendt,
Der meine Seel erleuchte!
Gebähr in mir stets deinen Sohn,
Das Wahre Weisheit in mir wohn,
Und Jesus mich durchfeuchte!
11.
Vertilg in mir, um Jesussig,
Was ursacht mir, das ich hir lig,
[87]
Von dir in mir geschiden!
Verbrenn in deiner Feuerskrafft,
Was dise Trübsal mir geschafft!
Gib mir doch deinen Friden.
12.
O geus auf mich ein Gnadenmeer!
Gib würklich deiner Engel Heer!
Gib Demut sonder gleichen!
Mein Hertze ist ja längst dein sitz,
Gelassner Jesus, nicht nur itz!
Wi sol mein ruf erbleichen?
13.
»Mein Hertze hilt ja Himmelfahrt
Mit dir in dir nach Jesusart,
In deinem Hertz empfangen!
Wi bin ich dann so hart betrübt,
Da Jesushertz mein hertz gelibt,
Darinn er wil sigprangen?«
14.
Auf, meine Seel, Jehova zeucht
In Jesus dich, weil er darreicht
Hochwesentliche Gaben!
Sein Feur durchfeurt der selbstheit werg,
Das er mich führ auf seine Berg!
Er wird mich bald erlaben.
15.
Nun schüttelt ider seinen Kopf,
Hat von Erbarmung keinen Tropf,
Weil meinen ruf si merken!
Si fürchten sich wi Caiphas gar,
Und grössern täglich di Gefahr,
Da si mich solten stärken.
16.
Allein Jehova ist mein Schutz!
Er bitet stets den grossen trutz
Durch allerschwächste Mittel!
Er nidrigt erst, was er hochbraucht,
Erhöht, was einst, wi dampf verraucht,
Sein ist der hoheitstittel.
[88] 17.
Jehova tödt, was er belebt!
Lässt fallen gantz, was er erhebt,
Behungert, eh er speiset!
Er schlägt, was er einst libeküsst,
Verbittert erst, was er durchsüsst,
Verirrt, was er selbst weiset.
18.
Herr Tsebaoth! ich lächs in Lust
Um erste Milch nach Jesus Brust
Gleich einem Kind unmächtig!
Ich lächs und lächs in sehnen matt!
Wo du mirs gibst, so werd ich satt
Aufs neu mit dir einträchtig.
19.
Herr Tsebaoth! Ich bin gantz blos!
Ich sehne mich nach Jesus Schos,
Mein Vater, voll Begirde!
Ach zürne nicht, ob ichs verdint!
Gib das genad in mir hergrünt
Mit tausendfacher Zirde!
20.
Dann schaue ich, wi Glantz und Wonn
Der Monde fängt von Gott und Sonn,
Von Jesus gantzdurchmeistert!
Dann lob ich dich, Gott Vater, Sohn,
Und Heilger Geist, aus deinen Thron
In dir recht neubegeistert!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Kuhlmann, Quirinus. Gedichte. Der Kühlpsalter, Band 1. Zweites Buch. Der 14. (29.) Kühlpsalm. Der 14. (29.) Kühlpsalm. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B96E-E