2.
In Danzig lebte einmal eine Frau, die war so reich und hatte alle Güter des Lebens so voll auf, daß sie wünschte, ewig zu leben. Als es nun mit ihr zu Ende ging, starb sie nicht wirklich, sondern war nur scheintodt, und bald darauf sah man sie in einer Höhlung eines Pfeilers in der Kirche, in einer halbsitzenden, halbstehenden Stellung unbeweglich. Sie rührte zwar kein Glied, [70] aber man sah ihr doch an, daß sie noch leben müßte, und so sitzt sie noch bis auf den heutigen Tag. Alljährlich am ersten Tage des neuen Jahres kommt der Küster und steckt ihr eine Oblate in den Mund; das ist die einzige Speise, von der sie lebt. Sie mag wohl längst bereut haben, jenen Wunsch gethan, und dies vergängliche Leben höher als jenes himmlische und unvergängliche geschätzt zu haben.