206. Ueber die linke Schulter sehen.
Mündlich.
In Schmallenberg ist einmal ein Mädchen gewesen, die hat es allnächtlich um 12 Uhr nachts aus dem Bette getrieben, daß sie ans Fenster, welches nach dem Kirchhofe hinausging, treten und den Geistern zusehen mußte. Das erzählte sie einmal Nachbarsleuten, unter denen auch einer war, der's ihr nicht glauben wollte; da hat sie ihn eingeladen, bei ihr zu wachen, und als sie [187] nun wirklich nachts 12 Uhr zum Fenster ging, trat er hinter sie und sah über ihre linke Schulter weg zum Kirchhof hinaus. Seit der Stunde war sie's los, aber nun mußte er allnächtlich ans Fenster und den Geistern zusehen; da rieth ihm endlich jemand, er solle doch einmal einen Hund über seine linke Schulter sehen laßen; das hat er gethan und hat nun wieder schlafen können.
Vgl. Norddeutsche Sagen, Nr. 268 mit der Anm.; Grimm, Mythologie, S. 1061, und unten Gebräuche, Nr. 160, 376; Seifart, Hild. Sagen, Nr. 29, sieht der Geisterseher einem andern über die rechte Schulter. – Sind Geister oder Gespenster irgendwo und man wünscht sie zu sehen, so trete man jemand auf den rechten Fuß und sehe ihm über die linke Schulter, dann erkennt man die Geister. Man kann auch auf den linken Fuß treten und dann über die rechte Schulter des andern blicken; es muß nur kreuzweis geschehen, dann ist's einerlei; Meier, Gebräuche, Nr. 439. Wenn man einem Kinde, das Gespenster sehen kann, über die Schulter sieht, so sieht man sie auch; Wolf, Beiträge, I, 238, Nr. 446.