Der wilde Jäger.

193.

Von Schullehrer Kuhn aus Hemschlar.


Es war einmal ein gar böser Graf, der fürchtete sich auch gar nicht vor dem lieben Gott, denn er ging fast jeden Sonntag auf die Jagd; so kam er denn auch gar nicht mehr in die Kirche, und bald ward die ganze Woche, Sonntag und Werktag, gejagt, und je mehr er jagte, je größere Lust hatte er daran. Da ritt er denn den Leuten durch Korn und Gerste und Hafer, und wenn sie dann kamen und sich beschwerten, daß er ihnen ihr Getreide zertreten, dann schlug er sie gar mit der Hundepeitsche, daß sie laut heulend davonliefen. Dann setzte er sich wieder auf sein Pferd, die Jäger und die Hunde hinter ihm her, durch Wald und Feld, durch Gerste und Korn, durch Hafer und Wiese, durch Berg und Thal, immer gejagt und immer gejagt. Die Hirsche, die Rehe, die Hasen, die er sah, die mußte er auch haben, eher hatte er keine Ruhe. Nun war's einmal am Sonntag, da waren die Leute alle in der Kirche; der böse Graf aber war wieder auf der Jagd mit allen seinen Hunden und Jägern. Da sah er einen prächtigen Hirsch, und sogleich gings mit Jägern und Hunden hinter ihm her, allein so sehr sie sich auch mühten, sie konnten nicht an ihn kommen, bis endlich der schöne Hirsch stehen blieb und der Graf zwischen seinem Geweih ein schönes goldenes Kreuz erblickte. Der Hirsch war nämlich Christus, welcher jetzt dem Grafen sagte: »Nun sollst du jagen bis an den jüngsten Tag.« So ist's denn auch geschehen, und jener Graf ist der wilde Jäger.


Vgl. oben Nr. 136, unten Nr. 204, 357 mit der Anm.

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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. Märchen und Sagen. Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen. Erster Theil. Sagen. Der wilde Jäger. 193. [Es war einmal ein gar böser Graf, der fürchtete sich auch gar nicht]. 193. [Es war einmal ein gar böser Graf, der fürchtete sich auch gar nicht]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-BED1-8