[6] Vorrede.
Die hier erscheinende Sammlung norddeutscher Sagen schließt sich im Ganzen an die von dem Unterzeichneten herausgegebenen märkischen Sagen an, und unterscheidet sich nur darin wesentlich von diesen, daß sie (wenige Stücke schriftlicher Mittheilung ausgenommen) durchweg aus mündlicher Ueberlieferung geschöpft hat. Die Herausgeber haben es sich als letztes Ziel gesetzt, alles, was an Sage und Gebräuchen aus älterer, vor allem heidnischer Zeit, noch im Volke lebendig war, zu sammeln, um so Quellen für die Darstellung der Geschichte des Volksglaubens von den ältesten Zeiten herab bis auf die neueste zu gewinnen, und zu diesem Zwecke war es ihre Absicht, zunächst das Gebiet der Mark noch weiter zu durchforschen und von da zu den Wohnsitzen der alten Sachsenstämme weiter vorzuschreiten. Die jetzt erscheinende Sammlung umfaßt nun einen Theil des dahin gehörenden Gebiets, und wir hoffen, daß sie im Allgemeinen ein der Wahrheit sich näherndes Bild der Volksüberlieferungen für diesen Theil liefern werde, aber [7] wir glauben auch, daß dieses Bild nur in seinen Grundzügen in ihr enthalten sein wird, da unsere Forschungen für die Marken uns klar gezeigt haben, wie Vieles sich auf den ersten Blick dem Auge des Suchenden zu entziehen pflegt, und wie nothwendig eine wiederholte Rückkehr zu bereits durchforschten Gegenden ist, um Sicherheit und Vollständigkeit in die gewonnenen Ueberlieferungen zu bringen. Im Allgemeinen wird man daher finden, daß die östlichen Gegenden des zu durchforschenden Gebiets in der Sammlung reicher vertreten sind als die westlichen, da eben von hier unser Ausgangspunkt genommen war, und wir nicht eher mit Erfolg vorschreiten konnten, als bis wir hier mit Land und Leuten, namentlich auch mit ihren Dialekten, als Mittel zur Verständigung, hinlänglich vertraut waren, um jener Grundzüge der Ueberlieferung, auf die es uns ankam, fest versichert sein zu können; allein wenn man in dem westlichen Gebiete, namentlich im Hannöverschen zwischen Weser und Elbe, vielleicht auch noch manche Sage vermißen wird, so hoffen wir doch einerseits, diese in Zukunft nachliefern zu können, andrerseits glauben wir, auch aus diesem Gebiete zunächst wenigstens eine deutliche Uebersicht über die von dem Glauben der Vorfahren noch erhaltenen Reste geliefert zu haben. Nur einen Theil haben wir noch fast ganz für die spätere Forschung aufbewahrt, nämlich Westfalen, und wir mußten dies um so [8] mehr, als unsre Streifzüge an den Gränzen desselben uns zeigten, daß hier noch ein reiches Feld für die Forschung übrig war, welches den vorliegenden Theil allzusehr vergrößert haben würde, andrerseits auch die größere Schwierigkeit des dortigen Dialekts zu behutsamem Fortschreiten aufforderte, da wir oft genug die Erfahrung gemacht haben, daß man nur da verstanden wird, wo man mit dem Volke in seiner Sprache redet. Die Sagen und Gebräuche Westfalens bleiben daher mit dem, was sich für die von uns bereits durchforschten Gebiete noch ergeben wird, für einen zweiten Theil aufbehalten.
Die in der Sammlung vertretenen Gebiete nach ihrer politischen Eintheilung sind daher: die Mark Brandenburg, das Herzogthum Sachsen, Braunschweig, Hannover mit Einschluß Ostfrieslands und Oldenburg; die für manche Zwecke wichtige Begränzung des Umfangs einzelner mythischer Gestalten hat es indeßen nothwendig gemacht, zuweilen über diese Gebiete hinauszugehen, und so ist noch Einiges aus Meklenburg, Pommern und Thüringen hinzugekommen, von dem wir hoffen, daß es Manchem eine willkommene Zugabe sein wird.
Für die Anordnung der Sagen schien es uns am zweckmäßigsten, diejenigen der besonderen Stämme ungetrennt bei einander zu laßen, und durch Hinzufügung eines ausführlichen Sachregisters die wißenschaftliche Benutzung des Materials zu erleichtern;[9] wir sind daher zuerst von Meklenburg ausgehend nach Pommern übergegangen, von da zur Mark, nach Sachsen bis zum Harz, von hier dann nordwärts zwischen Elbe und Weser bis zur Nordsee und von dort nach Oldenburg und Ostfriesland bis zum nördlichen Westfalen. Für die Gebräuche und den Aberglauben war indeß, um zahllose Wiederholungen zu vermeiden, eine andere Anordnung nothwendig; wir haben deshalb hier zunächst alles, was an bestimmte Tage gebunden ist, zusammengestellt, um so das Bild des Cultus der alten Götter, denn auf solche ist hier mehr oder minder zurückzugehen, möglichst treu zu geben; daran schließt sich, was an Aberglauben in Bezug auf Gottheiten, deren Namen uns noch aufbewahrt sind, erhalten ist, und daran endlich alles, was im häuslichen und bürgerlichen Leben noch auf den Glauben an jene oder ihre christlichen Stellvertreter begründet ist, oder doch wenigstens, sofern jetzt die vernünftige Begründung fehlt, auf ihm begründet scheint.
Wie ich es oben bereits ausgesprochen habe, ist die Sammlung aus mündlicher Ueberlieferung geschöpft, es wird daher nöthig sein, Einiges über die Grundsätze, welche uns dabei geleitet haben, zu sagen. Unserem Hauptziele folgend, alles, was sich noch an Glauben aus der heidnischen Zeit zu uns herübergerettet hat, zu sammeln, waren es natürlich zunächst mythologische Punkte, auf die wir vorzugsweise unser Augenmerk richteten, ohne jedoch [10] auch unsere Aufmerksamkeit von anderen Seiten der Sage ganz abzulenken, zumal sich ja oft von vornherein gar nicht bestimmen läßt, ob nicht einer Sage irgend ein Mythos zum Grunde liege, da häufig die Vergleichung mit Sagen älterer und neuerer Völker einen solchen mythischen Gehalt derselben ergibt. Dagegen haben wir häufig wiederkehrende Sagen, die auch bereits von Andern gesammelt waren und keine neuen und wichtigen Züge darboten, entweder nur einmal oder auch gar nicht aufgenommen, sobald sie namentlich den Charakter alltäglicherer Spuk- und Gespenstergeschichten an sich trugen. Wo aber solche Sagen, wie namentlich mehrere vom Harz und Kyffhäuser in mythologischer Beziehung wichtig waren, da erschien es uns zur Charakterisirung des Gebiets von Wichtigkeit, auch von Andern bereits Mitgetheiltes in der Form, wie wir es hörten, von neuem mitzutheilen, und man wird finden, daß sich in dieser Beziehung zuweilen so wichtige Züge ergeben haben, daß der einzelnen Sage erst dadurch ihr richtiger mythologischer Standpunkt angewiesen wird. Dies ist z.B. der Fall in der Sage von der Prinzeßin Ilse und dem Pferdejungen, der seine Pferde verloren, Nr. 200, 3. Diese Sage hatten wir zuerst im Herbst 1845 gehört, ohne daß uns jedoch der Zug, daß der Junge seine Pferde in der Höhle der Prinzeßin wiederfindet, erzählt wurde; wir hielten deshalb das Nennen eines Pferdejungen statt des Köhlers [11] bei Otmar für ein rein willkührliches; im Sommer 1847, wo wir abermals dort waren, wurde uns jedoch die Sage, wie sie jetzt da steht, mitgetheilt, und es ist ersichtlich, wie die Gestalt der Prinzeßin oder Junfer (so wird sie vom Landvolk schlechthin genannt) erst dadurch in ihr rechtes Licht tritt, was wir in den Anmerkungen zu dieser Nummer und zu Nr. 247, 2 nachzuweisen gesucht haben. An einigen andern Sagen, die bereits bekannt waren, wird man vielleicht keine neuen Züge finden, ja man wird sie vielleicht dürftiger finden als bei andern, aber es wird uns dies hoffentlich nicht zum Vorwurf gereichen, da wir nur geben wollten, was wir gehört; und da wir stets aus der großen Maße des Volks, der eigentlichen Trägerin der unverfälschten Sage schöpften, so wird man daran meistens auch den richtigen Maaßstab für andere ausführlichere Berichte haben. Dies ist auch der Grund, weshalb wir da, wo uns eine Sage von Leuten der gebildeten Stände mitgetheilt wurde, dies immer ausdrücklich angegeben haben, während da, wo ihr allein das Prädikat »mündlich« gegeben ist, stets die niederen, meist die untersten Stände als Quellen anzunehmen sind.
Die niederen Stände sind es nämlich vorzugsweise, an die wir uns bei unsern Forschungen gewandt haben, da in ihnen die Sage sich in einer oft bewundernswürdigen Reinheit fortpflanzt; dieselben Wörter und Wendungen gehen hier meist [12] von Geschlecht zu Geschlecht und man hält mit einer Treue daran fest, daß man oft glauben möchte, alle hätten ihre Erzählung nach einem gemeinsamen Berichte auswendig gelernt. In den mittleren und höheren Ständen mischt sich dagegen schon zu oft subjective Ansicht und willkührliche Umbildung in die Auffaßung der Sage, so daß sie meist für keine treuen Bewahrer des ursprünglichen Gehaltes mehr gelten können. Gebräuche aus älterer Zeit und Aberglauben finden sich in der Regel nur noch allein bei jenen, so daß sie in dieser Beziehung meist unsere einzige Quelle waren; auch hier halten sie zuweilen mit einer Treue am Alten fest, die fast rührend ist, denn es ist uns mehrfach der Fall vorgekommen, daß ganze Gemeinden, denen gewiße Gebräuche und Umzüge an alten Festtagen durch die Polizei verboten waren, lieber eine Ordnungsstrafe zahlten, als die althergebrachte Sitte aufgaben. Es ist dies kaum zu verwundern bei unsern bisherigen Polizeieinrichtungen, die oft alles, was nur den Schein einer freien und selbstständigen Bewegung hatte, zu unterdrücken suchten. Haben doch die Gensdarmen jenen thüringschen Fastnachtgebrauch Nr. 7 für Abgötterei erklärt, und fanden wir in einem braunschweigischen Dorfe in der Nähe des Elm eine Bekanntmachung in der Krugstube, durch welche Zusammenkünfte der Knechte und Mägde des Abends beim Spinnrocken und namentlich das Singen von Volksliedern verboten [13] wurde! Wo so alles, das Gute mit dem Schlechten, unterdrückt werden soll, da kann man sich nicht wundern, daß entweder der Widerstand zuletzt ein allgemeiner, oder jede Selbstständigkeit ertödtet wird und willenlose Charakterlosigkeit an die Stelle der immerhin zuweilen über das Maaß gehenden Derbheit tritt. Das Volk liebt seine wenigen Feste als Vereinigungspunkte zu gemeinsamer Lust, sie sind die einzigen Haltpunkte für seine Einheit, und da man bisher nichts Beßeres an die Stelle der alten Gebräuche zu setzen wußte, so laße man sie ihm und suche sie nur von ihren Auswüchsen zu befreien. Sie, seine Lieder und Sagen sind das einzige poetische Element im Leben des Landvolks, und man wird nicht läugnen wollen, daß grade die beiden letzteren oft einen veredelnden Einfluß auf die rauhe Derbheit desselben üben. Wir haben oft die Erfahrung gemacht, daß grade diejenigen, in welchen die alte Zeit in Sage, Lied und Gebrauch noch so recht lebendig war, zu gleicher Zeit mit einer Liebe an ihrer Heimat hingen, die wir hier nie erwartet hätten. So erinnern wir uns namentlich einer Magd aus der Gegend von Winsen an der Aller, die, nachdem sie uns manche hübsche Sage mitgetheilt hatte, auch von den Auswanderern erzählte, die aus Bremen nach Amerika zögen. »Wenn die auf's Schiff stiegen, sagte sie, stünden die Verwandten jammernd herum und es wäre kein Weinen mehr, sondern ein Gebrüll; dann gingen [14] alle Glocken von den Thürmen Bremens so recht feierlich, denn es wäre ein gar schwerer Gang, den sie thäten. Ihr Ohm, der aus Mandelsloh weggezogen, hätte aus Amerika geschrieben, es wäre kein leicht Stück, da hinüberzuziehen, und wer in der Heimat redlich arbeiten wollte, der könnte auch da leben, denn dort müßte er auch arbeiten, drum möchten alle, die ihm folgen wollten, lieber ›in dütschen landen blîwen‹, denn der Mandelsloher Kirchthurm wäre hoch, aber die Wellen draußen auf dem wilden Meer, die wären noch viel höher und schon Mancher läge unter ihnen begraben.«
Wenn nun, wie wir oben gezeigt haben, das Volk mit großer Treue an seinen Ueberlieferungen festgehalten hat, so mußte es unsere Aufgabe sein, sie möglichst eben so treu wiederzugeben. Wir haben deshalb fast immer unmittelbar, nachdem wir eine Sage gehört hatten, uns die Grundzüge derselben aufgezeichnet und sie in der Regel noch am selbigen Tage vollständig aufgeschrieben, wobei wir mit der äußersten Genauigkeit in Bezug auf besonders wichtige Ausdrücke verfuhren, und jeder die Durchsicht deßen, was der andere aufgeschrieben hatte, übernahm. Wenn wir so einerseits den Vortheil der größten Zuverläßigkeit erreicht zu haben glauben, so können wir uns andrerseits nicht verhehlen, daß die Darstellung hierdurch zuweilen etwas hart und eckig geworden ist, was um so mehr eintreten mußte, als unser jetzt gelieferter Bericht [15] ja fast durchweg eigentlich als eine Uebersetzung aus dem Niederdeutschen anzusehen ist und es in nicht wenigen Fällen an genau entsprechenden Wörtern zur Uebersetzung im Hochdeutschen fehlte, weshalb auch zuweilen lieber die niederdeutsche Wendung beibehalten wurde.
Die schließliche Ausarbeitung des Ganzen für den Druck hat der Unterzeichnete allein übernommen, da es uns zweckmäßiger schien, diese in einer Hand zu belaßen; ebenso rührt das in den Anmerkungen Beigebrachte zunächst von demselben her, wobei ich aber wol kaum zu bemerken habe, daß viele der in denselben ausgesprochenen Ansichten aus gemeinsamer Besprechung sich entwickelt haben, wie ich es denn überhaupt aussprechen muß, daß unsere Art der gemeinsamen Wanderung und Forschung für die Zwecke der Sammlung äußerst förderlich gewesen ist; denn oft, wenn wir an eine reichlich fließende Quelle gerathen waren, und der Eine schon alle Kapitel der Mythologie in seinen Fragen durchlaufen zu haben glaubte, kam der Andere mit einem neuen Punkt zum Vorschein, der nicht selten Neues und Wichtiges ans Licht brachte. Mein Gefährte hat auf diese Weise Vieles zu Tage gefördert, was mir allein nicht gelungen wäre; ich muß hier vor allem das Wiederauffinden der Frigg, das ihm allein gebührt, erwähnen. Nachdem wir nämlich zuerst gemeinsam von einem alten Gärtner aus Gramzow gehört hatten, daß [16] wenn man in den Zwölften spinne, der Fui in den Wocken komme, und noch keine Ahnung von dem, was dahinter steckte, hatten, brachte er zuerst in Buchholz im Gespräch mit einer am Waschfaß stehenden Bäuerin die Form mit k ans Licht, an welche sich dann beim weiteren Vordringen die übrigen Ergebniße anreihten. Ebenso war er es, der im Halberstädtischen zuerst die Frau Freen entdeckte, und mir blieb nur, als er durch Berufspflichten zur Rückkehr genöthigt war, die weitere Sicherung dieser Entdeckung durch die in den Gebräuchen Nr. 179. 180 mitgetheilten Formen.
Nachdem wir so den Zweck unserer Sammlung und die Grundsätze unseres Verfahrens bei der Aufzeichnung der Sagen auseinandergesetzt haben, wird es nöthig sein einiges über das Leben derselben im heutigen Volke zu sagen. Im Allgemeinen dürfen wir es als unbestritten ansehen, daß Sage, Gebräuche und Aberglauben heutzutage stark im Verschwinden sind, die gewaltige Bewegung, welche im Augenblick, wo wir dies schreiben, durch das gesammte Vaterland geht, wird überall die letzten Spuren des Heidenthums verwischen, und es ist daher an der Zeit, überall, wo man noch derartiges sammeln will, es rasch zu thun. Denn bereits bisher gab sich ein scharfer Unterschied zwischen dem jungen Geschlechte, das nach den Freiheitskriegen herangewachsen war, und dem älteren, deßen Jugend vor dieselben fiel, kund; dieses war eine [17] viel reichere Quelle für unsere Sammlung und hatte in der Regel viel mehr den Glauben an die alte Ueberlieferung und mit ihm die Liebe zu derselben bewahrt als jenes, so daß sich an beiden der Umschwung, den jene Zeit hervorgerufen hat, deutlich erkennen ließ. Aber auch unter dem älteren Geschlechte ist die Zahl derer nicht klein, die nicht mehr mit voller Gläubigkeit an den alten Ueberlieferungen hangen, sondern zeigen, daß auch vor den Freiheitskriegen bereits der Kampf gegen dieselben manchen entschiedenen Sieg errungen haben müße, so daß der Ausspruch eines halberstädtischen Bauers, Vetter nannte ihn fast das ganze große Dorf, ein welthistorisches Resultat ausspricht, wenn er sagte: »Der alte Fritz hat die Zwerge verjagt, aber Napoleon hat allen Spuk aus dem Lande vertrieben!« Dieser allgemeine Satz hat sicher seine Richtigkeit für das ganze Gebiet, soweit es von uns durchwandert wurde, obwohl er in einzelnen Gegenden natürlich noch nicht so durchgreifend zum Bewußtsein gekommen ist wie in andern. Als solche Landstriche, die vorzugsweise treu am Alten hängen, sind hier namentlich die Altmark und Ukermark im Osten, sowie das Saterland und nördliche Westfalen im Westen zu nennen, vom Harz gehört vorzugsweise nur der rauhere und deshalb auch mehr in seiner Abgeschloßenheit beharrende Oberharz hierher. In diesen Gegenden findet sich die Erscheinung noch zuweilen, daß die geisterhaften [18] Gestalten der Sage und des Aberglaubens gewißermaßen mit zum religiösen Bekenntniß gehören, sie sind zum größeren Theile böse Geister oder Teufel geworden, obwohl auch manche einen freundlicheren Charakter bewahrt haben. Andere Züge des heidnischen Glaubens sind in den heutigen christlichen aufgenommen und werden mit gleicher Frömmigkeit vollzogen wie die christlichen Gebräuche; die merkwürdigste Probe einer solchen Verschmelzung lieferte uns ein alter Kuhhirt zu Brodewin in der Ukermark; wir baten ihn eines Tages, uns eine Beschwörung, deren er mehrere kannte, mitzutheilen; nun dürfen aber solche nur durch Frauen an Männer und umgekehrt mitgetheilt werden, und seine Tochter, welche sonst die Vermittlerin machte, war grade nicht zugegen, er entschloß sich daher nach einigem Zögern endlich dazu mit den Worten: »Nun ich will es thun, Ihr wollt ja keinen Spott damit treiben und da wird der liebe Gott mir ja wol die Sünde vergeben!« – Solche Züge zeigen deutlich, wie das Christenthum das Heidenthum nicht ausgerottet, sondern nur in sich aufgenommen und zum Theil anders gestaltet hatte, und der Umstand, daß die Reformation nach dreihundertjährigem Wirken nicht im Stande gewesen ist, diesen Charakter wesentlich zu verändern, und daß erst ein größeres Maaß staatsbürgerlicher Selbständigkeit eine solche Veränderung hervorgerufen hat, beweist wohl, daß man die Entwicklung [19] des Volkes andere Bahnen einschlagen laßen müße, als diejenigen sind, auf die man es namentlich in den letzten Jahren im ganzen nördlichen Deutschland zu leiten bemüht gewesen ist.
Die Resultate, welche unsere Sammlung für die Mythologie gehabt hat, sind zum größeren Theil in den Anmerkungen entweder angedeutet oder weiter ausgeführt. Ich will mich daher hier beschränken, nur ein Paar Punkte hervorzuheben, und verweise im Allgemeinen auf die Anmerkungen. Unter den Hauptgottheiten unserer Vorfahren ist es Wuotan, an welchen sich noch die meisten Spuren der Erinnerung knüpfen, er tritt unter seinem ursprünglichen Namen noch alsWaud, G. 173, in Pommern auf, und auch in der Form Waul oder Wôl habe ich in den Anmerkungen, G.A. 79, nur eine Entstellung aus jenem Namen vermuthet, da es uns nicht gelungen ist, die bei Grimm Myth. S. 142 mitgetheilte Form Wôld zu hören; ist diese Form, sowie der ganze Spruch, zu dem sie gehört, wirklich echt, so kann sie nur, wie Grimm annimmt, aus Wauden entstanden sein, das sich auch im Schaumburgischen noch als Ausruf der Verwunderung findet, jedoch richtiger Wôuden zu schreiben ist, da die Elemente des Diphthongs eher o + u als a + u sind. – Ferner ist der osnabrücksche Woejaeger offenbar nur eine Entstellung aus Wodejäger, ebenso der saterländische Woiinjäger, und die mannigfachen FormenFrû Wôd, Frû Gôde [20] u.s.w. sind gleichfalls nur Entstellungen aus einem älteren Frô Wôdan, wozu man G. 174-78 mit der Anmerkung vergleichen möge. Am lebendigsten tritt sein Andenken noch in den Sagen vom wilden Jäger auf, und die Aufnahme des Generalfeldmarschall von Sparr (S. 76) in das Geleit seiner Helden zeigt, daß die alten Einherien noch nicht vergeßen sind, deren fröhliches Mahl die Sage vom alten Schlippenbach (S. 63) schildert; für die richtige Auffaßung des Namens Hackelberg, Hackelbärend ist die Form Hackelmann, G. 249, entscheidend, da sie sich genau jenem nordischen von Grimm beigebrachten heklumadr (Myth. S. 133) an die Seite stellt. Bedeutsame Erweiterung der Vorstellungen vom wilden Jäger geben die Sagen Nr. 115. 151, wonach er eine Frau jagt; ich halte die in der Anmerkung zu Nr. 115 gegebene physikalische Deutung für die richtige, nur weiß ich die sieben Jahre, welche die Jagd dauert, nicht zu erklären, halte sie aber auch nicht für einen müßigen Zusatz, denn auch Nr. 265, 1. 5. und die in der Anmerkung mitgetheilte Sage sprechen von dem siebenjährigen Umzug Hackelberg's und der Grönjette (Myth. S. 896) sagt von der Meerfrau: »Sieben Jahre jagte ich ihr nach, auf Falster habe ich sie nun erlegt.« – Die Bedeutung des den wilden Jäger begleitenden Hundes habe ich bereits in Haupt's Zeitschrift VI. 117 zu entwickeln gesucht, jedoch dort den Hund der bretagnischen Sage, der [21] die Seelen nach Britannien überführt, übersehen. Daß Wuotan bei den Frühlingsfesten eine hervorragende Rolle hatte, davon geben die Gebräuche immer zahlreichere Beweise an die Hand, die ich in den Anmerkungen zusammengestellt habe; doch wird Frô neben ihm gleichfalls hohe Bedeutung gehabt haben, und es muß oft unentschieden bleiben, auf welchen von beiden dieser oder jener Zug der Gebräuche zu beziehen sei. Deutlicher und unzweifelhaft ist sein Hervortreten bei den Aerntegebräuchen, wo die ihm zum Opfer stehen bleibende Garbe, G. 96, noch seinen Namen trägt und der Ausruf Waul, Wôl, wie wir oben schon aussprachen, gleichfalls auf ihn zu beziehen ist. Wenn an die Stelle des Vergôdendêls im Saterlande ein Peterbült tritt, so würde dies schon für sich eine wichtige Andeutung sein, daß der heidnische Himmelsgott in die Person des christlichen Himmelshüters übergegangen sei, allein es treten auch noch andere Zeugniße hinzu, die dies um so sicherer machen (vgl. Anmerk. zu G. 415). Ebenso scheint manches vom Wuotan auf den Erzengel Michael (G.A. 118) und auf den heiligen Martin (G.A. 121) übertragen zu sein; die von mir in Haupt's Zeitschrift V. 493 ausgesprochene Vermuthung, daß auch einst im Namen zwischen Wuotan und Martin Berührung dagewesen sei, gewinnt noch einige Unterstützung durch den Märtchen von G. 184, und dadurch, daß dem Gott seine Gemahlin mit dem [22] Namen Mare zur Seite steht (G.A. 102 und das unten Folgende).
Dem Wuotan schließen sich gleich die übrigen während der Zwölften genannten Gottheiten an; ich bin mit Grimm (Myth. 899) und Sommer (Sächs. Thür. Sagen S. 165) der Ansicht, daß die NamenFrick, Holda, Berhta einer und derselben Göttin angehören und sich ihnen auch Frau Harke anschließe, wofür man mannigfache Beläge in den Anmerkungen finden wird. Frû Gôde wird, wie die Frick zum Theil auch, das Wesen sowohl Wuotan's als seiner Gemahlin in sich vereint haben; aus dieser scheint mir auch allein jene Fru Gaue bei Grimm Myth. 231 zu erklären, zumal sich jetzt auch noch andere Spuren zeigen, daß Wuotan's Gemahlin entweder bereits in alter Zeit Theilnehmerin an den Opfern des Aerntefestes war, oder wenigstens in christlicher Zeit seine Vertreterin wurde; dahin rechne ich den thüringischen Gebrauch Nr. 100 und den in den Anmerkungen (G.A. 102) besprochenen englischen crying the mare, sowie die Flachskröte (G. 101) und das freilich noch zweifelhafte Auftreten von Frau Herke in Nr. 112. 114; wobei ich auch bemerken will, daß Flachskröte noch bis heute bei uns ein gewöhnliches Schimpfwort für blondhaarige ist. Die Mare des englischen Gebrauchs kann keine andere als die an der Spitze der Elben ziehende Holda oder Berhta sein, an deren Stelle in den Zwölften ja auch die [23] Murraue tritt, und Murawa heißt bei den Wenden der Alp. – Darüber, daß diese Göttinnen dem Hauswesen vorstehen, und besonders den Flachsbau schützen, sowie daß sie bald als Kröte, bald als weiße Frau auftreten, wird man manches in den Anmerkungen finden, weshalb wir hier nicht darauf eingehen wollen; nur auf die intereßante friesische Form Ver Hellen, wegen der ich auf die Stellen in Grimm Myth. 262. 1214 verwiesen habe, will ich noch besonders aufmerksam machen: ein friesisches e entspricht zuweilen dem ahd. u und ll verdankt der Assimilation aus ld seinen Ursprung; Helle steht also dem ahd. Hulda gleich.
Die Gränzen, in welchen die verschiedenen Namen dieser Göttinnen auftreten, haben wir im Kap. XIV angegeben, es ergibt sich daraus namentlich ein für die Mark wichtiges Resultat: in der Ukermark, und zwar fast genau in den alten Gränzen derselben, gilt die Frick, in der Prignitz Frau Gode, in dem größeren Theile der Mittelmark Frau Harke, in einem kleineren, nämlich dem südlich von der Spree gelegenen, der noch heute das Wendische heißt, tritt die Murraue auf, welche die wendische Murawa ist. Aus dieser festen Abgränzung ergibt sich, daß jene Namen nicht erst durch die deutschen Einwandrer eingeführt sein können, man müßte denn etwa zu der, bis jetzt wenigstens ungerechtfertigten Annahme seine Zuflucht nehmen, daß jene Landestheile jeder von einem besonderen Stamme [24] colonisirt worden seien. Im andern Falle bleibt nur die Annahme, daß der Glaube an jene Gottheiten auch bereits während der Zeit der slavischen Herrschaft vorhanden war, wie wir denn bereits aus dem elften Jahrhundert die Nachricht haben, daß eine Nation des Luitizergebietes den Wodan, Thor und die Frigg angebetet habe (vgl. Giesebrecht wend. Geschichten I. p. 57). Die Völkerstämme, welche diese Gottheiten anbeteten, können ihrer Hauptmaße nach keine anderen als Deutsche gewesen sein, wie auch andere zahlreiche Züge in Sage und Gebrauch dieser Gegenden beweisen, wogegen das Land südlich der Spree, welches an die noch heute wendischen Gegenden gränzt, in dieser Beziehung einen ganz anderen Charakter trägt, und der Name der hier in den Zwölften geltenden Göttin rein slavisch ist. – Endlich ist noch zu bemerken, daß in den Gegenden zwischen Weser und Elbe, wo keine der angeführten Göttinnen in den Zwölften genannt wird, durchweg der Umzug des Helljägers oder wilden Jägers in diese Zeit verlegt wird. –
Von den übrigen Göttern ist Donar derjenige, auf welchen noch mannigfache Spuren hinweisen. Von seiner Verehrung zeugt die Heiligkeit des Donnerstags; ich habe an mehreren Stellen darauf hingewiesen, daß Erbsen die ihm und den Zwergen geweihte Festspeise gewesen sein müßen, daher erklärt sich auch die Redensart: »auf dem hat der [25] Teufel Erbsen gedroschen,« denn auf diesen ist Vieles vom Donar übertragen. Daraus erklärt sich auch, daß dem Teufel das Kegelspiel beigelegt wird (S.A. 59), denn wenn es donnert, sagt man: »Petrus oder die Engel schieben Kegel.« Die Verspeisung und Wiederbelebung der Fische S. 38 erinnert lebhaft an den gleichen Vorgang mit Thor's Böcken. – Zu G. 102 habe ich nachzuweisen gesucht, daß der Alte dieses AerntegebrauchsDonar sei, ebenso wie zu S. 301 u.G. 279 wahrscheinlich zu machen versucht wurde, daß Donar als Gott des Feuers auch bei der Schließung der Ehe seinen Theil der Verehrung genoßen haben werde.
In der Anmerkung zu S. 57 habe ich versucht, diese Sage als einen Mythos aufzufaßen, in dem zwei Gottheiten Balo und Donar auftreten; es schien mir am gerathensten, den Namen Balo nebst dem celt. Beal, slav. Bjelbog zu altn. bâl Feuer, Scheiterhaufen zu stellen, obwohl sich auch an alts. ahd. balo malum, pernicies denken ließe; die erste Annahme gewann noch einiges Gewicht durch die Vergleichung, daß wie hier ein Balo's Grab, in Dänemark das Balder's gezeigt wird. Ich glaube jetzt, daß beides zu verbinden ist, denn zunächst hat bereits Grimm Myth. S. 944 die Ausdrücke der böse fahl, fold, fâlant, Unfalo mit Phol zusammengestellt, dazu kommt nun auch ein engl. balow a spirit. properly an evil spirit: »with many aungels and arkaungels. And other balows, [26] as the buke telles«. Msc. Bibl. Coll. Sion XVIII. 6 bei Halliwell dictionary of archaic and provincial words. Grimm hat ferner nachgewiesen, daß die Bezeichnung Teufelsmauer mit der von pfahlgraben, pohlgraben, pfahltöbel wechselt, daß sie ferner auch Schweingraben genannt werde, und das Schwein durch das Wort fol, fal, ful bezeichnet werde. Nun erscheint der Teufel aber auch als grunzende Sau, und da Volksglaube ist, daß im Wirbelwind der Teufel sitze, diesem Wirbelwinde aberschweinezagel, sauzagel, sûstert zugerufen wird und er andrerseits den Namen pulloineke trägt (Myth. 209), so erscheint es unzweifelhaft, daß jenes nur mundartlich verschiedene Wort fal, fol, ful ein böses Wesen, den Teufel bezeichnete, das unter der Gestalt eines Schweines, besonders im Wirbelwind daherfahrend gedacht wurde, und Phol scheint mit ihm eins zu sein. Das englische Balow macht nur noch wahrscheinlicher, daß Phol dem celtischen Beal, slavischen Bjel-bog entspreche, und dazu tritt nun noch das Balo unserer Sage. Nach dem in der Anmerkung besprochenen Aberglauben kann Balo, der Teufel, welchen unser Herrgott ereilt, kein Anderer, als der Blitz sein, während das Brot, unser Herrgott, Donar sein muß. Gott wirft nun aber den Teufel aus dem Himmel, wie Zeus den Hefäst, den Gott des Feuers, aus dem Olymp stürzt (vgl. Grimm Myth. S. 221),Hefäst wurde davon lahm und der Teufel tritt auch als hinkend und mit [27] einem Pferdefuß auf; 1 jener merseburger Spruch erzählt uns aber, wie Phol's Pferd lahm wurde, und dreibeinige hinkende Thiere sind vorzugsweise teuflisch; das ist nur eine andere Gestaltung der Sage, sobald der Gott reitet, ist sein Thier lahm, steigt er von ihm herab, so ist er es selber. Hierzu kommt nun aber eine andere Sage, nämlich Nr. 35 und die in der Anmerkung dazu aufgezählten anderen Berichte. Der einäugige Hecht und der lahme Hase werden entschieden als eine Sau bezeichnet, und wie der lahme Hase auf den Teufel führt, der gefangene Hecht (der wol nur darum einäugig wurde, weil er als Fisch nicht lahm werden konnte) auf Loki, so bringt uns die Sau wieder zu Phol und die ganze Sage erscheint nur als Fortsetzung von Nr. 57, sobald wir indische und griechische Mythen zur Hülfe nehmen. Ein vedischer Hymnus erzählt: Agnis, der Gott des Feuers (hier wie mehrfach in den ältesten Hymnen Gott des Blitzes), habe sich zu den Göttinnen des Meeres geflüchtet und sei dort von den übrigen Göttern gesucht worden, und die Ilias (Σ. 395 ff.) berichtet, daß Hefäst aus dem Olymp geworfen und von den [28] Meergöttinnen Thetis und Eurynome aufgenommen sei, bei denen er neun Jahre verweilt; nach anderer Sage Il. A. 590 wirft ihn Zeus nach Lemnos hinab, wobei er lahm wurde. Wenn nun schon der lahme Hase in Nr. 126, 7 auf den Teufel weist, so zeigt die in der Anmerkung zu Nr. 101 mitgetheilte Sage den Hasen mit dem Luntschebein ganz deutlich als den Teufel an der Spitze der Hexen, wir haben also hier den lahmen Gott oder Teufel, der aus dem Himmel hinabgeworfen wurde und im Waßer oder nach anderer Sage im Berge weilt. Wie den indischen Agnis die Götter suchen und nach einem späteren Mythos des Mahâbhârata der an seine Stelle getretene Indras, weil er den Vritras erschlagen, sich ins Meer geflüchtet hat, und dort von den Göttern gesucht und zum Himmel zurückgeführt wird, so verbirgt sich Loki in der Gestalt eines Lachses vor den suchenden Asen im Waßerfall, wo sie ihn endlich im Netze fangen und feßeln. Das ist der gefangene Fisch unserer Sage, indeß fehlt ihr der Schluß, sie bleibt bei dem zweiten Fang Loki's, wo er über das Netz fortspringt, stehen, während den Schluß die bekannte Sage von dem durch Petrus gefangenen Schellfisch berichtet. Wir sehen auf diese Weise, daß die Grundbeziehungen der beiden besprochenen Sagen auf Phol und Loki weisen; jener aber war in der ersten Sage als der Blitz zu faßen, dieser ist, wenn nicht alles trügt, der Gott des Feuers. Beide erscheinen [29] noch ungetrennt in der indisch-griechischen Sage von Agnis und Hefäst und ihrem Sturz in's Meer, und wenn die indische Sage den an Agnis Stelle getretenen Indras in den Himmel zurückführen läßt, wie die griechische den Hefäst nach neun Jahren, so hat auch die deutsche diesen Zug noch nicht ganz vergeßen, indem sie den in die Erde gefahrenen Donnerkeil nach neun (oder sieben) Jahren wieder an die Oberfläche rücken läßt. Zu jenem Sturz des Teufels, den wir hier als Phol oder Loki auffaßten, stimmt nun aber auchBalder's Tod und sein Hinabsteigen in die Unterwelt, und auch darin liegt etwas Uebereinstimmendes, daß der zur Hel entsandte Hermôdhr neun Tage undneun Nächte reitet, ehe er zu ihrer Wohnung gelangt. Aber die nordische Mythologie, welche Balder den guten nennt, hat sein Wesen ganz anders, als das des Phol oder Loki gefaßt, sie hat nur die Erscheinung des glänzenden Lichtstrahls an dem Blitze hervorgehoben, nicht die vernichtende Feuerkraft, die sie demLoki übereignet hat, während an unserm Balo-Phol beide noch ungetrennt vereinigt scheinen. Die celtische und slavische Mythologie scheinen mehr mit der nordischen zu stimmen, während die indische wie fast überall den ursprünglichen Gehalt am reinsten bewahrt hat; ich habe an einem andern Orte gezeigt, daß statt des Vritras in den Veden auch Balas oder Valas auftrete und im Mahâbhârata Vritras sich von den Göttern schwören läßt, daß [30] er weder durch Feuchtes noch Trocknes, weder durch Stein noch Holz, weder mit Schwert noch Speer, weder bei Tage noch bei Nacht getödtet werden dürfe. Dennoch überlistet ihnIndras und erschlägt ihn. Hierin läßt sich der bekannte Mythos von Balder's Tod nicht verkennen; der Name Balas schließt sich an Beal, Bjel-bog und anBalo mit Umgehung der Lautverschiebung für das Deutsche, wie sie in solchem Falle leicht erklärlich ist, an; wenn nun aber Balas der Umhüllende heißt, da er den Himmel mit Wolken bezieht, so müßen die andern drei Völker bereits den ursprünglichen Sinn des Mythos entweder verloren oder absichtlich verkehrt haben, wie wir es fast durchgreifend beim Zendvolke finden. Das Letztere scheint mir das Wahrscheinlichere und so wurde denn aus dem finsteren, winterlichen Gott ein lichter und schöner, wie sein Begriff in der nordischen Mythologie am weitesten ausgebildet auftritt; die deutsche hat zwar auch seinen ursprünglichen Begriff nicht behalten, allein das Böse und Teuflische schwerlich erst nach der Bekehrung zum Christenthum in seinen Charakter gelegt. – Wir brechen hier ab, da es uns zu weit führen würde, alle in den Anmerkungen besprochenen Punkte noch einmal zusammenzustellen, und dies, freilich nur alphabetisch und kurz andeutend, bereits im Sachregister geschehen ist.
So mögen denn diese Blätter hingehen und von der alten vergangenen Zeit zeugen, aber indem [31] sie das Leben derselben als in der Gegenwart noch nicht ganz erstorben nachweisen, mögen sie zugleich eine Mahnung sein, recht bald alle noch übrigen, die an den noch hie und da grünenden Aesten des einst gewaltigen Baumes sitzen, zu sammeln, ehe sie der Sturm unwiederbringlich dahinrafft. Ist das geschehn, dann mag die Windsbraut der neuen Zeit den morschen Stamm zerschmettern, ein neuer Baum erhebt sich, herrlicher und kräftiger, der seine Zweige über das ganze, einige Vaterland ausbreitet; möge es denn unter seinem schützenden Dache einer glücklichen Zukunft entgegengehen.
Berlin, den 21. April 1848.
A. Kuhn.
Fußnoten
1 Auch die Redensart »der hinkende Bote kommt nach« scheint mir auf einen solchen Mythos von dem durch den Donner verfolgten Blitze zu beziehen, und wenn der Blitz Phol oder Paltar ist, so mag er ursprünglich auch mit dem Donner verbunden gedacht worden sein, und daher der Begriff von poltern, ndd.ballern, bullern entstanden sein, mit denen man grade das dröhnende Geräusch des Donners bezeichnet.